
Der Begriff Energiepolitik ist sehr allgemein gehalten und ich möchte deshalb damit beginnen, dass – wer immer Energie als einen Wissenschaftszweig unter mehreren versteht, Energiepolitik als ein Politikgebiet unter mehreren, Energiewirtschaft als einen Wirtschaftszweig unter mehreren – in der Regel schon nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht.
Die meisten Energieexperten – ich meine jetzt nicht die Energietechniker – sind aus meiner Sicht ein Teil des Problems, mit dem wir es zu tun haben. Das hängt damit zusammen, dass sie ein partikulares, ein segmentiertes, aus dem Zusammenhang gerissenes Verständnis der Energiefrage fast zwangsläufig haben.
Ohne Energie geht gar nichts; das weiß jeder. Nur wenigen jedoch ist bewusst, was das bedeutet. Energie ist die Grundlage jedweder Bewegung, jedweder Aktivität. Deswegen ist die Art und Weise der jeweiligen Energieversorgung – konkret: welche Energiequellen wir benutzen, welche Formen der Energienutzung dabei eine Rolle spielen, was wiederum abhängig ist von den jeweiligen Energiequellen – ausschlaggebend für nahezu alles. Es ist ausschlaggebend für die Frage: Welche wirtschaftliche Entwicklung findet statt? Welche zivilisatorische Entwicklung findet darüber hinaus statt? Wie sind die Siedlungsstrukturen und die Verkehrsverhältnisse? Wie sind internationale Wirtschaftsbeziehungen gestaltet? Wie ist die Frage von Macht, also der Beeinflussbarkeit von gesellschaftlichem Geschehen, zwischen Wirtschaft und Politik verteilt? Es spielt hinein in die Frage, ob wir es mit einer friedlicheren oder einer unfriedlicher werdenden Welt zu tun hätten und es spielt hinein in sehr viele kulturelle Angelegenheiten. Es spielt hinein, was die politischen Ressourcen anbetrifft, in die Verkehrspolitik, in die Agrarpolitik, in die Forschungspolitik; es spielt hinein in die Entwicklungspolitik und Außenpolitik, in die Frage der Umweltentwicklung. Es gibt so gut wie kein Gebiet, das davon ausgeschlossen ist.
Da wir an einer Universität sind, sage ich, wenn ich gefragt werde, in welches Wissenschaftsgebiet das fällt, was ich im Grundsätzlichen ausführe, so würde ich das energiesoziologische Betrachtung bezeichnen. Das heißt, ich beobachte die Auswirkungen eines Energiesystems auf die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Und von dieser gesellschaftlichen Entwicklung her und der Frage, was ich dabei für wünschbar oder für verhängnisvoll halte, leite ich ab, welche Art der Energieversorgung gesellschaftsverträglich oder -unverträglich ist.
Es ist jetzt ungefähr hundert Jahre her, dass zwei weltbekannte Wissenschaftler – beide Nobelpreisträger für Chemie, beide physikalische Chemiker – denkwürdige Sätze aufgeschrieben haben, die man fast hundert Jahre lang ignoriert hat. Der eine war Wilhelm Ostwald; er war der erste deutsche Chemiepreisträger. Er lehrte an der Universität Leipzig und schrieb das Buch „Der energetische Imperativ“, in dem er von der „unverhofften Erbschaft der fossilen Brennmaterialien“ sprach, die dazu verleite, „die Grundsätze einer dauerhaften Wirtschaft vorläufig aus dem Auge zu verlieren und in den Tag hinein zu leben“ und dass „die dauerhafte Wirtschaft ausschließlich auf die regelmäßige Energiezufuhr der Sonnenstrahlung gegründet sein kann“.[1]
Ein Kollege von ihm, der schwedische Chemie-Nobelpreisträger Svante Arrhenius, der in den 20er Jahren lange Zeit der Vorsitzende des Nobel-Instituts gewesen ist, schrieb in seinem Buch „Die Chemie und das moderne Leben“ vor ebenfalls etwa einhundert Jahren – das war damals Pflichtlektüre für alle Chemiestudenten in Deutschland – es gebe Länder, die unter ihrer Erde weniger Energie haben als sie brauchen. „Die Staaten, die Mangel haben, werfen lüsterne Blicke auf ihre Nachbarn, von denen es heißt, dass sie mehr haben als sie brauchen.“ Die Menschheit „müsse zu der Einsicht kommen, dass sie die Arbeitskraft, die die Sonne über uns in unerschöpflicher Menge ausgießt, an deren Stelle setzen muss“, sei es direkt oder „indirekt durch die von der Sonne herrührenden Energiemengen, die in den strömenden Wässern und den grünenden Gewächsen angesammelt sind“.[2]
Beides waren weltbekannte Wissenschaftler und trotzdem wurden diese Sätze systematisch ignoriert. Je mehr ihre Aussagen der Wirklichkeit des Energieverbrauchs näher kamen, desto mehr wurden sie ignoriert; denn sie konnten vor hundert Jahren natürlich noch nicht voraussehen, wie schnell ihre sehr grundsätzlich angedachte Voraussage eintreten würde. Sie konnten nicht wissen, dass die Weltbevölkerung und damit die Zahl der Energienutzer sich im Laufe eines Jahrhunderts vervierfachen würde. Sie konnten nicht wissen, wie durch die wissenschaftlich-technische Entwicklung hin zu Massenprodukten der Energieverbrauch so massiv angeheizt werden konnte, mit dem Ergebnis, dass in den letzten fünfzig Jahren die Menschheit doppelt so viel Energie verbraucht hat wie in der gesamten Zivilisationsgeschichte zuvor. Ein Ende dieses Prozesses ist trotz aller Gefahrenerkenntnisse überhaupt nicht abzusehen, denn die Steigerung des Weltenergieverbrauches vollzieht sich rascher denn je.
Das Jahr 1990 gilt im Allgemeinen als das Referenzjahr, etwa des Klimaprotokolls, auch Kyoto-Protokoll genannt, auf dessen Basis dann auch Reduktionsverpflichtungen ausgehandelt werden sollen oder teilweise schon ausgehandelt sind. Seit dem Jahr 1990 ist der weltweite Energieverbrauch an fossilen Energien nochmals um 50 Prozent gestiegen, so schnell wie nie zuvor. Was hier abläuft, ist vergleichbar – so schrieb ich in meinem letzten Buch mit dem Titel Energieautonomie[3] – einer griechischen Tragödie: Jeder weiß, das kann kein gutes Ende nehmen, aber alle sind so eingebunden und gefesselt, dass sie keine Möglichkeit sehen, das noch zu verhindern. Sie machen immer weiter.
Wir müssen aus diesem Teufelskreis heraus. Die bisherigen Bemühungen auf der internationalen Ebene werden niemals zum Ergebnis kommen. Das zeigen mittlerweile zwanzig Jahre weltweite Verhandlungen. Wir erleben das spätestens seit dem Our-Common-Future-Report der Vereinten Nationen[4], auch Brundtland-Bericht genannt, weil die damalige norwegische Ministerpräsidentin Brundtland die Kommission der Vereinten Nationen leitete. Hier wurde schon dringend darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, sich von den Folgen dieses Energiesystems und damit von dem Energiesystem selbst zu trennen. Dem folgte nach langen Vorbereitungen im Jahr 1990 eine Konferenz der UN Our Common Future in Norwegen. Das Ergebnis war – obwohl klar war, dass wir im Wettlauf mit der Zeit sind – der Beschluss über die Durchführung einer Folgekonferenz. Das war alles. Dann gab es im Jahr 1992 die Umwelt- und Entwicklungs-Weltkonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro, die sehr berühmt geworden ist und die berühmte Agenda 21 verabschiedet hatte, allerdings ohne konkrete Verpflichtungen. In dieser Agenda 21 wurde systematisch die Energiefrage ausgeklammert, obwohl sie die zentrale war. Das hängt mit dem Charakter solcher UN-Konferenzen zusammen. Da geht es um Konsens. Wenn es um Konsens geht, bestimmen all jene das Tempo, die keine Veränderung wollen. Selbstverständlich spielen auch alle etablierten Interessen in diesen Prozess mit hinein, über ihre jeweiligen Regierungen oder über die UN-Organisationen selbst, die keineswegs unbestechlich sind. So endete auch die Rio-Konferenz ohne irgendein Ergebnis, das konkret genug gewesen wäre, dass daraus eine Handlungsverpflichtung hätte abgeleitet werden können.
Dann folgte die Serie der Weltklima-Konferenzen seit 1995. Sie war übrigens ausgelöst worden durch die Regierung des amerikanischen Präsidenten Clinton, der 1993 in seiner Antrittsrede (was heute vergessen ist), angekündigt hatte, er strebe ein Weltklima-Abkommen an mit dem Ziel bis zum Jahr 2010 50% der Klimaemissionen weltweit zu reduzieren. Fünfzig Prozent. Vor kurzem fand in Heiligendamm der G8-Gipfel statt. Auf diesem wurde es als Erfolg gewertet, die amerikanische Regierung in den Prozess der Weltklima-Verhandlungen wieder zurückgeholt zu haben und dass diese bereit sind, über ein Ziel, nämlich bis zum Jahr 2050 50% zu reduzieren, nachzudenken und sich darüber wieder zu treffen. Mit anderen Worten: erneut der Beschluss zur Durchführung einer Folgekonferenz. Das ungeschriebene Motto all dieser Konferenzen – dazu gehört auch die größte der Weltgeschichte mit 60.000 Teilnehmern 2002 in Johannisburg über Nachhaltige Entwicklung – heißt: Global reden, national aufschieben oder Global deklamieren, national emittieren. Das hängt damit zusammen, dass über dem ganzen Prozess wie Mehltau ein enges Energieverständnis liegt, geprägt von der heutigen Energiewirtschaft im weltweiten Maßstab. Diese hat es geschafft, den Regierungen der Welt – und viele trotten hinterher, bis hin zu zahlreichen wissenschaftlichen Instituten – einzureden, dass der Wechsel zu Energiequellen, die diese Probleme nicht hervorrufen (auch die Atomenergie gehört zum Klimaproblem, auch wenn das immer geleugnet wird und sich das auf anderem Wege vollzieht als über Klimagasemissionen), dass also dieser Wechsel hin zu erneuerbaren Energien eine wirtschaftliche Last sei. Was als wirtschaftliche Last wahrgenommen wird, führt dann zu den Thesen Was nützt das, wenn wir das tun und die anderen nicht? und führt zu dem großen Gefeilsche auf dem Basar internationaler Konferenzen über Lastenverteilung. Da aber die jeweiligen Länder, die daran teilnehmen, sehr unterschiedliche wirtschaftliche Stellungen und sehr unterschiedliche geografische Bedingungen haben, kommt es, wenn überhaupt, nur zu einem Beschluss, wie etwa dem Kyoto-Protokoll, auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.
Und so ist das berühmte Kyoto-Protokoll – das einzige Ergebnis solcher Bemühungen bisher – so extrem verwässert, dass jetzt schon klar ist: Es wird diesen Prozess nicht korrigieren können. Es ist ja lediglich vereinbart, dass die Industrieländer, soweit sie daran teilnehmen, bis zum Jahr 2012 6% der Emissionen des Jahres 1990 reduziert haben müssen. Es ist jetzt schon sicher, dass sie diese Zielziffer nicht erreichen werden. Nebenher ist aber der weltweite Energieverbrauch mit den Emissionen massiv angewachsen. Selbst wenn diese sechs Prozent im weltweiten Maßstab und alle betreffend vereinbart worden wären, würde dies im Grunde genommen weit von dem entfernt sein, worum es wirklich geht. Hinzu kommt, dass es keineswegs so ist, dass das Klimaproblem das einzige Problem der heutigen Energieversorgung wäre. Schon diese Sichtweise, die heute überwiegt, ist eine totale Ablenkung von dem Gesamtenergieproblem. Wenn es die Klimaprobleme durch Energieemissionen nicht gäbe, wäre dennoch das Weltenergiesystem keineswegs intakt, vielmehr gäbe es eine Reihe von elementaren weiteren Problemen, die ohnehin existieren. Dazu gehört, dass die Welt sich auf einen Kreuzpunkt in den nächsten Jahrzehnten zubewegt zwischen einer sich senkenden Kurve herkömmlicher Energiereserven – weil wir uns dem Endverbrauch nähern – und einer nach wie vor steigenden Kurve des weltweiten Energiebedarfs – nicht nur aufgrund der Entwicklung in China und Indien, wo mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung lebt. Würden wir je diesen Kreuzpunkt zwischen Angebot und Nachfrage erreichen (was so viel heißt wie: es ist nichts mehr da) und haben keine Alternative zur Verfügung (die man nicht erst dann aus der Tasche holen kann), droht dieser Welt der brutalste Konflikt, den es je gegeben hat, weil ohne Energie nichts geht. Und schon in der Annäherung an diesen Kreuzpunkt häufen sich massivste Probleme auf. Die Energie wird auf jeden Fall immer teurer. Sie wird zur sozialen Hypothek. Denn diese gegeneinander laufenden Kurven bedeuten Angebotsverknappung, also Preissteigerung. Das bedeutet, dass ganze Volkswirtschaften mit einem geringeren Bruttosozialprodukt als wir praktisch unfähig werden, die Energieimportrechnungen noch zu bezahlen, oder es passiert das, was in Afrika heute schon überwiegend zu beobachten ist, dass sie für den Energieimport (Erdöl) mehr bezahlen müssen als sie insgesamt an Exporteinnahmen haben. Wollen sie ihre Wirtschaftskraft steigern, müssen sie zunächst dafür Energie einsetzen, und wenn alle möglichen Erträge aus der Steigerung der Wirtschaftskraft schon vorher für das Begleichen der Energierechnung ausgegeben sind, heißt das, sie sind auf einer weiteren Fahrt bergab, sie haben so keine Chance.
Wer immer über die Dritte-Welt-Probleme redet und über dieses Energieproblem nicht redet, weiß nicht, wovon er redet. Das gilt auch für das berühmte Buch des amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs über Afrika, das im letzten Jahr überall empfohlen worden ist.[5] Über die Energiefrage steht da kein Wort. Das heißt Thema verfehlt. Völlig verfehlt. Weil es die Kernfrage ausspart. Wie kommen Wissenschaftler dazu, dieses Thema auszusparen? Weil sie der These aufsitzen, dass es zu dem heutigen Energiesystem keine Alternative gäbe. Und wenn sie dieser These aufsitzen, dann überlegen sie auch nicht, ob es Alternativen gibt. Dann nehmen sie das als gegebenen Faktor hin und kümmern sich um solche Faktoren, die sie für veränderbar halten und um die dann ihre Vorschläge ranken. So entstehen falsche Darstellungen mit falschen Perspektiven.
Wir erleben jetzt schon die Zunahme internationaler Spannungen, weil es um den Zugang zu den knapper werdenden Restressourcen geht, vor allem den Zugang der Hochverbrauchsländer zu diesen. Natürlich hätte es weder den Golf-Krieg noch den Irak-Krieg gegeben, wenn auf der Arabischen Halbinsel Gemüse angebaut statt Öl gefördert würde. Man sollte sich nichts anderes vormachen lassen. Kein Hahn würde sich in Amerika darüber aufregen, was ansonsten dort passiert, welches Regime dran ist und wie dieses Regime in seinem Inneren operiert.
Dann haben wir es zu tun mit dem weltweiten Wasserproblem. Wenn man es sektorenorientiert betrachtet, gibt es drei große Wasserverbraucher in der Welt. Das sind zum ersten die Menschen selbst, besonders konzentriert natürlich in den Großstädten, mit all ihrem Bedarf an Produkten und den dahinter stehenden Erzeugnissen, wofür ja Wasserbedarf besteht. Zum zweiten ist dies die Landwirtschaft. Der dritte Sektor ist das atomar-fossile Energiesystem. Von diesen drei Faktoren ist nur der letztgenannte änderbar. Um die Dimension zu verdeutlichen, um die es hier geht: Eine Megawattstunde, in einem Kondensationskraftwerk produziert – alle großen Kraftwerke, ob Atom, Kohle oder Gas, sind Kondensationskraftwerke – verbraucht alleine drei Kubikmeter Wasser, was wir dann in der Luft als Dunstwasser haben. Das heißt, bei einem Tausend-Megawatt-Reaktor im Ganzjahresbetrieb werden allein dadurch jährlich 24 Millionen Kubikmeter Wasser verbraucht. Der Begriff verbraucht ist natürlich nicht präzise. Das Wasser wird dem Luftgemisch entzogen, führt zur konzentrierten Kondensation mit der Folge, dass ganze Regionen austrocknen und der Pflanzenwuchs sich sehr stark reduziert auf bestimmte Pflanzenarten. Es ist diese Mischung von Fluten, die aufgrund hochkonzentrierter Kondensationen in der Wolkenbildung niederprasseln, einerseits und den Dürren andererseits. Das ist einer der Gründe, warum auch die Atomenergie zu dem Klimawandel im erheblichen Maße beiträgt. Auch wenn da keine CO2- oder Methan-Emissionen stattfinden. Ganz zu schweigen von der Veränderung der Gewässerökologie, wenn ganze Flüsse zur Kühlung in die Reaktoren hineinlaufen und mit erheblicher Erwärmung wieder herauslaufen. Auch das hat Konsequenzen; es verändert die Wärmeformel der Natur, die ansonsten bestimmt wird durch das Wechselverhältnis von Erde und Sonne.
Dann haben wir es mit einem Gesundheitsproblem zu tun. Klimagase sind kein Gift, das gesundheitsbeeinträchtigend wäre. Aber sie verändern die Zusammensetzung der Erdatmosphäre und darüber entwickeln sich die Probleme. Umweltschäden anderer Art kommen sehr wohl: Die Atemwegserkrankungen, die aus den Energieemissionen erwachsen, sind längst, jedenfalls für einzelne Länder, ermittelt. So hat die Weltgesundheitsorganisation WHO in einer Studie bezogen auf Frankreich, Österreich und die Schweiz ermittelt, dass durch die fossilen Energie-Emissionen jährlich 800.000 Atemwegserkrankungen anfallen.[6] In Deutschland dürfte die Zahl mindestens genauso groß sein. Es belastet das Gesundheitsbudget eines Landes in erheblicher Weise.
Dann haben wir es mit dem Landwirtschaftsproblem zu tun: Die petrochemischen Düngemittel mit ihren Folgen für Böden und Grundwasser sind ja nichts weiter als fossiler Energieeintrag in die Landwirtschaft.
All dieses zeigt: Es gibt viele Elemente, die jeweils für sich gesehen bereits ein ausschlaggebender Grund sein können und müssten, um von der heutigen Energiebasis hin zu einer Energiebasis mit erneuerbaren Energien zu wechseln.
Das herkömmliche Energiesystem produziert kaum präzise bezifferbare soziale Kosten. Diese sozialen Kosten stehen nur zu einem ganz kleinen Teil über Energiesteuern in der Energierechnung. Soziale Kosten oder wie es in der Wirtschaftswissenschaft genannt wird: Externalities, also externe Effekte. Diese sozialen Kosten bürden wir anderen auf. Vor allem schon der nächsten Generation. Ein Energiesystem, das solche sozialen Kosten produziert, ist asozial. Es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, zu einem Energiesystem zu kommen, das keine sozialen Kosten mehr produziert. Dieses ist wiederum nur möglich durch den Wechsel zu erneuerbaren Energien.
So stehen wir heute davor, die Wirkungsweise der thermodynamischen Hauptsätze, bezogen auf den gesamten Erdball, endlich zur Kenntnis nehmen zu müssen. Diese thermodynamischen Hauptsätze sind nach Albert Einstein die einzigen physikalischen Gesetze, die nicht falsifizierbar sind. Jeder Techniker kennt sie, mindestens jeder Kälte- und jeder Wärmetechni-
ker, aber man hat im Laufe der letzten Jahrzehnte verlernt, diese thermodynamischen Gesetze auch noch zu erkennen, wenn sie nicht in geschlossenen technischen Systemen oder Räumen existieren und wirken. Sie wirken auch in der Erdatmosphäre insgesamt, denn die Erde ist ein in ihrer Atmosphäre relativ geschlossenes System. Nach außen ist es offen nur für solche Gase, die leichter sind als Luft, wie Wasserstoff oder wie Helium; es ist von außen her nur offen für die kosmische Strahlung. Es wirken also diese Gesetze auch in der Erdatmosphäre.
Der erste thermodynamische Hauptsatz lautet: Energie (dasselbe gilt für Stoffe, Rohmaterialien) – kann nicht produziert werden. Es ist bereits da in irgendeiner Form. Man kann es jeweils nur von einem Zustand in einen anderen umwandeln, von einem nutzlosen in einen nützlichen und wieder in einen nutzlosen Zustand, etwa wenn sie total dissipiert, d.h. zerstreut sind. Der zweite Hauptsatz sagt: Bei jeder Umwandlung entstehen Verluste; sie sind unvermeidlich. Man kann sie durch effiziente Umwandlungsformen reduzieren, aber man kann sie nicht aufheben. Solange wir also mit erschöpflichen Ressourcen, solchen, die nicht mehr nutzbar, in nutzlose Zustände verwandelt, also dissipiert worden sind, zu tun haben und davon abhängig bleiben, ist das Ende aller Möglichkeiten vorprogrammiert. Und wären wir davon generell abhängig, wäre das Ende der Zivilisation vorprogrammiert. Denn jede Ökonomie besteht – physikalisch gesehen – im Kern aus der Umwandlung von Stoffen und Energien von einem Zustand in einen anderen Zustand. Anders ist Ökonomie nicht möglich. Das Umwandlungsproblem ist zugleich unser Umweltproblem. Was wir Emissionen nennen oder Rückstände – vom Atommüll bis zu CO2 oder Schwefelwasserstoffen – alles dies sind Folgen von Umwandlungen, die, zunächst in gebundener und überwiegend schadloser Form, dann durch die Umwandlung und Verluste Schadstoffe freisetzen. Es geht also auf die Dauer nicht mehr, dass wir Ressourcen nutzen, die erstens erschöpflich sind und zweitens Ingredienzien enthalten, die bei der Umwandlung freigesetzt werden und Schadenswirkungen entfalten. Wir müssen also – dies ist die Aufgabe dieses Jahrhunderts, mehr der ersten als der zweiten Hälfte – wechseln von diesen erschöpflichen und schadstoffhaltigen Ressourcen zu Ressourcen, die unerschöpflich sind und die keine Schadstoffe in sich tragen, wo es zwar auch Umwandlungsverluste gibt, die jedoch nicht mit Emissionen gleichzusetzen sind. Und damit sind wir wieder bei den erneuerbaren Energien. Sie sind für die Erde unerschöpflich – nach menschlichem Ermessen und nach menschlichen Maßstäben.
Die Sonne wird uns zur Verfügung stehen, solange dieses Zentralgestirn existiert. Nach den Erkenntnissen der Astrophysik wird sie noch etwa fünf bis sieben Milliarden Jahre zur Verfügung stehen, also nach menschlichen Maßstäben unendlich. Für den Zeitpunkt, wo das nicht mehr der Fall ist, brauchen wir uns keine Gedanken zu machen, dann ist alles zu Ende auf unserem und auf allen uns bekannten Planeten. Auch hier würden die thermodynamischen Gesetze gelten, aber sie gelten gewissermaßen außerhalb unserer Reichweite, denn unser Lebensraum ist die Erde. Und hier haben wir es mit der dauernden Energiezufuhr zu tun. Wir haben es sogar zu tun mit dem Gegensatz der Entropie, der Energievernichtung: Wir haben es zu tun mit Negentropie, also mit negativer Entropie, denn durch die Sonnenkraft in Verbindung mit Erde und Wasser entsteht auch wieder Neues.
Damit sind wir bei dem Programm. Wir haben eingedenk dessen, was ich eingangs sagte, nicht mehr viel Zeit. Nun wird immer wieder gesagt, es sei eigentlich nicht möglich, das zu realisieren, jedenfalls nicht kurz- oder mittelfristig. Daraus erwächst ein bisher noch weit unterschätztes sozialpsychologisches Problem. Was sollen die Leute denken, die zwei Nachrichten zugleich wahrnehmen? Die eine Nachricht ist die über Weltklimaberichte, Filme wie die von Al Gore, dass wir es hier mit einem gigantischen Weltproblem zu tun haben und die Ursachen – jedenfalls mit Ausnahme der Atomenergie – nicht mehr bestritten sind. Wenn man gleichzeitig die andere Nachricht hört, dass zu diesen Ursachen, obwohl auch nicht mehr bestritten wird, dass wir uns in einem Wettlauf mit der Zeit befinden, kurz- und mittelfristig keine Alternative bestünde, weil man für die erneuerbaren Energien, die allmählich auch anerkannt werden, noch viel Zeit braucht. Wer also beide Nachrichten glaubt – die der gigantischen Gefahr und dass es kurz- und mittelfristig keine Alternative gäbe, muss doch zu der Schlussfolgerung kommen: Das Problem ist nicht mehr lösbar.
Was sich dann entwickelt sind Fatalismus, No-Future-Mentalitäten, Apathie, Lethargie, ein verstärktes In-den-Tag-hineinleben solange es irgendwie nur geht, neue Formen des Nihilismus, weil das andere sowieso keinen Zweck mehr hat. Dann geht einer Gesellschaft das Wichtigste, das sie braucht, verloren: dass in ihr noch genug Motivationen und Kräfte sind, ein Problem noch lösen zu wollen. Man engagiert sich in der Regel nicht für eine Perspektive, von der man nicht mehr glaubt, dass es sie noch gibt. Deswegen ist dieses Gerede, dass es kurz- und mittelfristig keine Alternative gäbe, eine andere Form der Umweltverschmutzung, die möglicherweise sogar noch gefährlicher ist als die physikalische – nämlich eine geistige Umweltverschmutzung. Die große Frage ist: Warum wird so gedacht? Wie kommt es, dass die wirtschaftlichen Urheber dieser Krisen in Form der Energiewirtschaftsunternehmen mit ihren jeweiligen Vertretern, Vorstandsvorsitzenden und wem auch immer, bei jeder akut gewordenen Energiekatastrophe die ersten sind, die von den Medien befragt werden, was denn wohl der beste Weg zur Krisenüberwindung sei?
Das ist ungefähr gleichbedeutend als würde man nach einem Raubüberfall den Bandenchef interviewen, was die beste Methode der Verbrechensbekämpfung sei. Methodisch gesehen ist das genau das Gleiche. Von den Auswirkungen her wahrscheinlich noch viel schlimmer.
Also ist die Frage: Warum wird so gedacht? Warum wird immer weiter so gehandelt? Warum bewegt sich das, was Energiepolitik genannt wird, nur so schneckentempoartig in den meisten Ländern der Welt? Warum ergreift die Energiewirtschaft nicht selbst die Initiative, denn die haben doch eigentlich alle Informationen? Wenn man die Frage darauf finden will und nicht nur mit einer Verschwörungstheorie kommt, muss man der Sache mehr auf den Grund gehen. Dieses mehr auf den Grund gehen führt mich zu folgender Betrachtung: Ein Energiebereitstellungssystem, eine Energiewirtschaft und alles was dazu gehört, auch an politischer Assistenz (die es immer gegeben hat seitdem es Energieversorgung gibt, weil ja keine Gesellschaft ohne Energie existieren kann) kann gar nicht neutral sein gegenüber allen Energiequellen. Selbst wenn ihre Leute, die da drin sitzen, das gerne hätten. Ein Energiebereitstellungssystem ist immer zugeschnitten auf Energiequellen, für die man sich mal vorher entschieden hat. Bleibt es bei dieser Entscheidung, dann diktiert diese Energiequelle indirekt alles weitere Geschehen. Aus physikalischen Gründen ist es nämlich notwendig, dass man die Techniken und Infrastrukturen der Energiebereitstellung an den Erfordernissen der Energiequelle entlang ihres gesamten Energieflusses von der Quelle bis zum Konsumenten orientieren muss. Deshalb gibt es neben dem ersten und zweiten Unterschied zwischen herkömmlichen und erneuerbaren Energien noch einen dritten, und wenn wir den nicht erkennen, bleiben wir verwirrt.
Der erste Unterschied ist: Hier die erschöpflichen Energien und dort die unerschöpflichen. Der zweite Unterschied: Hier sind die emittierenden, schadstofferzeugenden Energien und dort die Bioenergien, mindestens klimaneutrale Energien, wenn man es richtig macht – das ist die Voraussetzung. Der dritte Unterschied ist: Herkömmliche Energiequellen finden wir an relativ wenigen Plätzen der Welt. Und so lange das Weltenergieversorgungssystem sich darauf im Wesentlichen stützt und wir uns gleichzeitig dem Endverbrauch nähern, werden die Quellenplätze immer knapper. Schon jetzt sind viele Quellen erschöpft. Aber Energieverbrauch ist überall, wo Menschen arbeiten und leben – also dezentral. Von diesen wenigen Förderplätzen der Welt bis zu den Energiekonsumenten wird entlang dieses Energieflusses, der organisiert werden muss, natürlich investiert: in Förderlizenzen, in Fördertechniken, in Aufbereitungstechniken, in Transportinfrastrukturen, teilweise über den halben Erdball, in Umwandlungstechniken, in Lagerstrukturen und dann in die Weiterverteilungsstrukturen einer einmal umgewandelten, nutzbar gemachten Nutz-, Sekundär- oder Tertiärenergie.
Diese Energiekette besteht aus vielen Gliedern. Sie müssen alle miteinander verbunden sein; an keiner Stelle darf es eine Unterbrechung geben. Ein hochkomplexes System, weltumspannend. Es führte, obwohl die Anfänge in der Energiewirtschaft in den Industrieländern kommunale und regionale waren, je mehr das stattfand, was ich mit Svante Arrhenius zitiert habe (dass einige Länder damals schon mehr Energie verbrauchen als sie unter ihrer Erde haben), zu einem global umspannten Energiesystem, getragen von transnational organisierten und operierenden Unternehmen. Der transnationale Konzentrationsprozess der Energiewirtschaft war damit vorprogrammiert. Er ist gewissermaßen von der Quelle her vorprogrammiert. Es ist die Sozio-Logik der herkömmlichen Energien. Es gibt gar keinen anderen Ausweg, solange man daran festhält. So diktieren in zunehmendem Maße wenige Förderländer und die Unternehmen, die diesen Prozess organisieren, das Geschehen, und können ganze Regierungen, ganze Volkswirtschaften existenziell von sich abhängig machen. Preiskontrolle kann nicht mehr stattfinden; es gibt keine Instanz, die das noch erfolgreich machen könnte. Mittlerweile ist das Ergebnis, dass sich hier sehr viel Kapital anhäuft – ausgerechnet in Zeiten der Verknappung, weil die Verknappung gleichzeitig den Entzug des Gesamtsystems von nationalen Kontrollmöglichkeiten bedeutet, sodass sie in Zeiten der kommenden, schon längst stattfindenden Energiekrise gleichzeitig Krisengewinner aller ersten Ranges sind.
Sie können fast beliebige Preisaufschläge machen, solange die Nachfrage darunter nicht leidet. So erleben wir in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr höhere Rekordgewinne in der Geschichte dieser Energieunternehmen. Bei „Exxon“ waren es im letzten Jahr über 40 Milliarden Dollar Jahresgewinn nach Steuern, bei BP über 20, ebenso bei „Shell“. Bei den vier großen deutschen Stromkonzernen waren es 17 Milliarden. Und das sind dieselben Stromkonzerne, die über Preissteigerungen durch die Mobilisierung erneuerbarer Energien klagen. Ein doppelter Maßstab, der ohne rot zu werden praktiziert wird.
Nun ist es diesen Unternehmen nicht möglich, aus diesem Prozess auszusteigen – außer es hier oder da am Rande mal zu tun und vielleicht auch in erneuerbare Energien zu investieren. Es ist nicht einmal theoretisch der Zeitpunkt benennbar (weil es den nicht gibt), an dem alle Investitionen in das herkömmliche Energiesystem zurückgezahlt, also abgeschrieben sind. Es gibt ihn nicht, weil die Investitionen ja nicht zum selben Zeitpunkt getätigt wurden und weil die dabei eingesetzten Technologien und Materialien eine unterschiedliche Lebensdauer haben. Daraus ergibt sich, dass sich dieses Energiebereitstellungssystem gezwungen sieht, aus ihren betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus, so lange mit der herkömmlichen Energiebereitstellungsstruktur, also dem Gesamtsystem – man darf nie nur auf das Kraftwerk sehen – weiterzumachen, so lange es irgendwie geht, das heißt einige Jahrzehnte mehr. Das mag aus deren Sicht verständlich sein, es ist aus gesellschaftlicher Sicht unerträglich. Denn das bedeutet eine massive weitere Zunahme der sozialen Kosten. Insofern vollzieht sich hier eine Spaltung, die noch kaum von politischen Akteuren wahrgenommen wird, zwischen einem volkswirtschaftlichen, gesellschaftlichen Gesamtinteresse und dem Interesse der Energiewirtschaft. Und ausgerechnet diese tut immer so, als würde sie im Namen der Volkswirtschaft sprechen. Und es gelingt ihr im erschreckendem Maße. Die jüngste Erklärung des Bundes der Deutschen Industrie, also des größten Deutschen Unternehmerverbandes, der vor zu viel Klimaschutzmaßnahmen warnt, weil das zu einer zu großen Belastung für die Exportwirtschaft würde, ist geradezu grotesk. Denn bei dem Wechsel, um den es hier geht, handelt es sich um einen Wechsel, in dem herkömmliche kommerzielle Energie ersetzt wird durch Techniken der Steigerung der Energieeffizienz und Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energien, die als Primärenergie mit Ausnahme der Bioenergie kostenlos von der Natur geliefert werden. Es ist ein Prozess der Ablösung von Energierohstoffen durch Technik. Die einzige Ausnahme ist die Bioenergie.
Mit anderen Worten: Für eine technikproduzierende Wirtschaft ist das geradezu die Perspektive. Wenn ausgerechnet der größte deutsche Unternehmerverband das Gegenteil behauptet, dann hat er sich von der Energiewirtschaft und deren Denken seine eigene Zukunft ausreden lassen. Der weiß nicht, wovon er redet. Wenn er auf billige Energiepreise hofft, so täuscht er sich. Die Energiepreise werden systematisch steigen. Das vollzieht sich nicht linear, sondern in Wellenbewegungen, nach oben. Dass sie vorübergehend wieder sanken, hing nur mit dem warmen Winter zusammen: Es gab weniger Nachfrage dessen, was schon über Raffinerien und die Spotmärkte in Rotterdam angeliefert worden war. Dann sind die Lager begrenzt, und um die Mengen loszuwerden, senkt man vorübergehend die Preise.
Erneuerbare Energien haben einen völlig anderen Energiefluss, eine andere Energieart und eine geringere Energiedichte. Man findet sie nicht in konzentrierter Form irgendwo unter der Erde, sondern man findet sie als natürliches Energieangebot in unterschiedlicher Intensität überall auf der Welt. Dazu braucht man wegen der geringeren Energiedichte andere Umwandlungstechniken. Man braucht ein anderes Energiesystem. Es ist der große Irrtum der Energiepolitik, dass sie denken, die heutige Energiewirtschaft – die der einzige Teil der Wirtschaft ist, der ein Verlangsamungs–, ein Verzögerungs– und Aufschubinteresse am Energiewechsel hat, der aber historisch vorprogrammiert ist – sei der Einzige, der Kompetenteste, diesen Energiewechsel zu organisieren. Es ist die dauernde Rücksichtnahme auf diesen Teil der Wirtschaft, der der einzige Verlierer dieser Entwicklung ist. Dem überlässt man die Zukunft. Der Widerspruch in sich selbst. Die Energiewirtschaft – die konventionelle Energiewirtschaft – hat sich dieses Denken angewöhnt. Sie bewegt sich so – ihre ganze Sprache zeigt es – als sei sie die Einzige, die in der Lage ist, Energie bereitzustellen. Sie erklärt sich für unverzichtbar, sie tut gerade so, als gäbe es eine Verfassungsbestimmung, die alleine den heutigen Energiewirtschaftsunternehmen erlaubt, die Energie der Zukunft bereitzustellen.
Als es um die Steuerbefreiung der Biokraftstoffe ging, hatten wir im Bundestag ein Hearing im zuständigen Finanzausschuss. Da erklärte der Vertreter der Mineralölwirtschaft – die natürlich gegen das Gesetz waren – sie hielten diesen Gesetzentwurf für verfassungswidrig, denn sie seien vorher nicht gefragt worden. Als gäbe es eine Verfassungsbestimmung, die besagt, bei allen Energiegesetzen sei die Zustimmung der heutigen Energiewirtschaft einzuholen. Der hat gar nicht mal gemerkt, in welchem Gremium er sich befindet. Er kriegte natürlich die fällige Rüge von der Vorsitzenden dieses Ausschusses, er möge bitte daran denken, wo er hier sitzt.
Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien ist wahrscheinlich der prägnanteste Fall für das, was man einen Paradigmenwechsel nennt. Es ist ein Wechsel von wenigen Energieförderplätzen auf der Welt zu einer natürlichen Umgebungsenergie überall. Damit ist es ein Wechsel von weiträumigen Infrastrukturen des Primärenergietransports zu regionalen Strukturen des Energietransports bei der Bioenergie bzw. zu Nullbedarf an Energietransport für die Primärenergie des Windes oder der Sonne. Es ist ein Wechsel von kommerziellen Primärenergien zu nichtkommerziellen Primärenergien der Solarstrahlung und des Windes. Das heißt, es ist nicht möglich, von der Rolle des Anbieters von Erdöl, Erdgas, Kohle zur Rolle des Anbieters von Sonnenstrahlen oder Wind zu wechseln, weil Sonne und Wind nicht privatisierbar sind und niemand eine Lizenz darauf erwerben kann. Es bedeutet damit, dass die heutige Primärenergiewirtschaft, die der größte einzelne Wirtschaftsfaktor und der einflussreichste der Weltwirtschaft ist, Zug um Zug verschwindet, je mehr erneuerbare Energie eingeführt wird. Es ist ein Wechsel von wenigen Großanlagen der Energiebereitstellung zu vielen mittleren und kleineren, die in der Summe das Große ersetzen. Es ist damit ein Wechsel in der Eigentümerstruktur. In vielen Fällen wird überhaupt kein Energielieferant mehr gefragt. Das klassischste Beispiel hierfür ist das Solarhaus, das alleine aus der Umgebungsenergie mit Hilfe der entsprechenden Technik im Haus beheizt wird. Hier ist kein Energielieferant mehr im Spiel, keine Inkassostelle, wo die Energie gezählt und dann abgerechnet wird. Dieser Wechsel ist so fundamental, dass man hierfür andere Träger braucht, wenn er schnell vollzogen werden muss.
Die heutige Energiewirtschaft wird nie wieder ihre Umsätze erreichen, selbst wenn sie ihre Wege geht, daran teilzunehmen, zum Beispiel indem sie Produzent von Energietechniken wird. Aber auch dazu sind sie eigentlich gar nicht nötig, denn fast jeder andere Wirtschaftszweig ist von seinen Vorkenntnissen her besser prädestiniert, Anbieter von Energietechnologien zur Nutzung erneuerbarer Energien zu werden, als ausgerechnet die Energiewirtschaft – ein Erdöl- oder Stromkonzern. Jedes elektrotechnische Unternehmen, Glas- oder Maschinenbauunternehmen, jedes Motorenbauunternehmen ist mehr prädestiniert, in dem Spektrum der Technik erneuerbarer Energien tätig zu werden, weil sie viele Vorkenntnisse haben, die dazu notwendig sind.
Damit ist das Problem angesprochen. Dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das weltweit das bisher erfolgreichste geworden ist – es gibt inzwischen 47 Länder, die es nachgeahmt haben – dass dieses in sieben Jahren über 20.000 Megawatt Neuanlagen möglich gemacht hat, hängt ausschließlich damit zusammen, dass hier Investitionsautonomie mit dem Gesetz geschaffen werden konnte. Durch die beiden Elemente des Gesetzes – garantierter Netzzugang, der nicht verhandelbar ist, und garantierte Einspeisevergütung, d.h. jeder der in solche Anlagen zu Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien investiert hat, brauchte nicht mehr zu fragen bei Vattenfall, EON, Energie Baden-Württemberg oder RWE oder bei wem auch immer, ob diese Investition in die Kraftwerksplanung eines Stromkonzerns passt. Sie können es einfach tun. Das heißt, es gab neue Träger.
Wir könnten heute schon doppelt so weit sein, nicht nur bei 12½ Prozent, und beim Endverbrauch sind wir mittlerweile schon bei 15 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien; vor zehn Jahren waren es keine fünf. Wenn es nicht zahllose willkürliche administrative Sperren gäbe auf der Ebene mancher Landespolitiken, die Standortverhinderungsplanung machen, dann wären wir heute schon bei 30 Prozent, wenn alle dieselben Genehmigungskriterien hätten wie die Länder, in denen heute die meisten Anlagen stehen. Bei Windenergie ist es bezogen auf die Quadratkilometeranzahl bei den Binnenländern Sachsen-Anhalt, wo schon so viel Strom aus Windkraft erzeugt wird, dass das 50 Prozent des Strombedarfs von Sachsen-Anhalt entspricht.
Demgegenüber haben wir Bundesländer wie Bayern, neuerdings auch Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen, in denen es schwieriger ist, eine Genehmigung für eine Windkraftanlage zu bekommen als für ein neues Kohlekraftwerk. Geradezu kafkaeske Verhältnisse. Da finden Landschaftszerstörungen statt durch die Klimafolgen des jetzigen Energiesystems und man operiert gegen Windkraftanlagen im Namen des Landschaftsschutzes! Eine Betrachtung, hinter der keinerlei Gefühl mehr für Verhältnismäßigkeit und tatsächliche Gefahr besteht. Oder wenn ich Braunkohleabbaugebiete vergleiche mit Landschaften, wo Windkraftanlagen stehen: Man muss immer den Kontext betrachten, um den es hier geht. Jede Entwicklung, jede technologische Revolution – und um die geht es hier – bedarf ihres Entfaltungsspielraumes und keine der verschiedenen technologischen Revolutionen der letzten zweihundert Jahre Industriegesellschaft ist jemals entstanden auf der Basis eines internationalen Vertrages, mit quotierten Einführungsverpflichtungen, die man gemeinsam im Konsens ausgehandelt hat. Die letzte technologische Revolution war und ist die informationstechnologische. Da ist doch auch nicht gesagt worden: Weil das zum Strukturwandel der Wirtschaft führt – was bestimmten traditionellen Industriezweigen erhebliche Schwierigkeiten bereiten wird und manche sogar verschwinden lässt –.machen wir jetzt einen weltweiten Vertrag, dass bis zum Jahr 2000 5 Prozent Informationstechnologien eingeführt werden, in jedem Land gleichmäßig. Wer immer das vorgeschlagen hätte, wäre ausgelacht worden.
Aber bei Energiefragen wird das wie selbstverständlich geäußert und unglaublich viele dackeln mit, bis in die Wissenschaft hinein. Daran kann man sehen, wie das Denken der Energiewirtschaft so stark in den Köpfen ist, dass das im Grunde einen gemeingefährlichen Charakter angenommen hat, weil es uns blind macht für die Wege, die notwendig sind und die gegangen werden könnten, weil es im Kern längst kein wirtschaftliches oder technologisches Problem mehr ist. Der makroökonomische Vorteil des Wechsels zu erneuerbaren Energien ist nicht mehr zu bestreiten wegen der sozialen Folgeschäden des herkömmlichen Energiesystems. Ein makroökonomischer Vorteil ist niemals zum selben Zeitpunkt für alle Wirtschaftsteilnehmer auch ein einzelwirtschaftlicher. Das ist eben der Unterschied zwischen Makro- und Mikroökonomie oder zwischen Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre. Worum es geht, ist, den makroökonomischen Vorteil, den der Wechsel zu erneuerbaren Energien aus vielerlei Gründen unzweifelhaft bringen wird, mittels entsprechender Politikansätze in einzelwirtschaftliche Anreize zu übersetzen. Den Rest wird dann die Gesellschaft, werden ihre Ingenieure und die Unternehmen, die diesen Weg gehen, realisieren. Das ist der Weg zu einer wirklichen Perspektive und er kann viel schneller gegangen werden als viele denken.
Viele Institute sagen, dass mehr als 25 oder 27 Prozent – das sind dann schon die progressiven – Anteil an erneuerbarer Energie in diesem Land bis 2020 nicht möglich sei. Allein die Planungsverweigerungen in den vielen Bundesländern zeigen, wie schnell es verdoppelt werden kann in ganz wenigen Jahren. Nichts geht nämlich schneller als die Installation von Anlagen erneuerbarer Energie. Jedes Modul kann nach der Installation und dem Anschluss arbeiten. Ein Großkraftwerk hat Jahre Bauzeit und die erste Kilowattstunde kann erst produziert werden, wenn alles fertig ist. Und wenn es in Frankreich möglich war, in 15 Jahren zwischen Mitte der 60er und Anfang der 80er Jahre den Anteil der Atomstromproduktion von 0 auf 70 Prozent zu bringen, obwohl Atomkraftwerke die längste Bauzeit von allen Kraftwerken haben, muss es doch möglich sein, in einem solchen Zeitraum, wenn man darauf vorbereitet ist – und wir sind besser vorbereitet durch die positiven Folgen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – ebenso zu erhöhen, dasselbe bei erneuerbaren Energien zu erreichen, aber eben nur außerhalb der gegebenen energiewirtschaftlichen Strukturen herkömmlicher Art. Das ist im Kern das Zukunftsprogramm.[1] Ostwald, Wilhelm (1912): Der Energetische Imperativ. Leipzig 1912, S. 81 ff
[2] Arrhenius, Svante (1922): Die Chemie und das moderen Leben. Autorisierte deutsche Ausgabe von B. Finkelstein. Leipzig 1922, S. 112 ff
[3] Scheer, Hermann (2006): Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien.
[4] Bericht der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung WCED (1987): Our Common Future (Unser aller Zukunft)
[5] Sachs, Jeffrey D. (2006): Das Ende der Armut. Ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt.
[6] Geller, Howard. Energy revolution. Washington 2003. S. 6 ff