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btu_logo1.gifErschienen im Band zur Vortragsreihe "Energie - Macht - Leben" des Humanökologischen Zentrums der BTU Cottbus 1/2008

Der Begriff Energiepolitik ist sehr allgemein gehalten und ich möchte deshalb damit begin­nen, dass – wer immer Energie als einen Wissenschaftszweig unter mehreren versteht, Ener­giepolitik als ein Politikgebiet unter mehreren, Energiewirtschaft als einen Wirtschaftszweig unter mehre­ren – in der Regel schon nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht.

Die meisten Energie­experten – ich meine jetzt nicht die Energietechniker – sind aus meiner Sicht ein Teil des Pro­blems, mit dem wir es zu tun haben. Das hängt damit zusammen, dass sie ein partikulares, ein segmentiertes, aus dem Zusammenhang gerissenes Verständnis der Energie­frage fast zwangs­läufig haben.

Ohne Energie geht gar nichts; das weiß jeder. Nur wenigen jedoch ist bewusst, was das be­deutet. Energie ist die Grundlage jedweder Bewegung, jedweder Aktivität. Deswegen ist die Art und Weise der jeweiligen Energieversorgung – konkret: welche Energiequellen wir be­nutzen, welche Formen der Energienutzung dabei eine Rolle spielen, was wiederum abhängig ist von den jewei­ligen Energiequellen – ausschlaggebend für nahezu alles. Es ist ausschlag­gebend für die Frage: Welche wirtschaftliche Entwicklung findet statt? Welche zivilisatori­sche Entwicklung findet dar­über hinaus statt? Wie sind die Siedlungsstrukturen und die Ver­kehrsverhältnisse? Wie sind internationale Wirtschaftsbeziehungen gestaltet? Wie ist die Frage von Macht, also der Beein­flussbarkeit von gesellschaftlichem Geschehen, zwischen Wirtschaft und Politik verteilt? Es spielt hinein in die Frage, ob wir es mit einer friedlicheren oder einer unfriedlicher werdenden Welt zu tun hätten und es spielt hinein in sehr viele kultu­relle Angelegenheiten. Es spielt hinein, was die politischen Ressourcen anbetrifft, in die Ver­kehrspolitik, in die Agrarpolitik, in die For­schungspolitik; es spielt hinein in die Entwick­lungspolitik und Außenpolitik, in die Frage der Umweltentwicklung. Es gibt so gut wie kein Gebiet, das davon ausgeschlossen ist.

Da wir an einer Universität sind, sage ich, wenn ich gefragt werde, in welches Wissenschafts­gebiet das fällt, was ich im Grundsätzlichen ausführe, so würde ich das energiesoziologische Betrachtung bezeichnen. Das heißt, ich beobachte die Auswirkungen eines Energiesystems auf die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Und von dieser gesellschaftlichen Entwick­lung her und der Frage, was ich dabei für wünschbar oder für verhängnisvoll halte, leite ich ab, welche Art der Energieversorgung gesellschaftsverträglich oder -unverträglich ist.

Es ist jetzt ungefähr hundert Jahre her, dass zwei weltbekannte Wissenschaftler – beide No­bel­preisträger für Chemie, beide physikalische Chemiker – denkwürdige Sätze aufge­schrie­ben haben, die man fast hundert Jahre lang ignoriert hat. Der eine war Wilhelm Ostwald; er war der erste deutsche Chemiepreisträger. Er lehrte an der Universität Leipzig und schrieb das Buch „Der energetische Imperativ“, in dem er von der „unverhofften Erbschaft der fos­silen Brennmateria­lien“ sprach, die dazu verleite, „die Grundsätze einer dauerhaften Wirt­schaft vor­läufig aus dem Auge zu verlieren und in den Tag hinein zu leben“ und dass „die dau­er­haf­te Wirtschaft aus­schließlich auf die regelmäßige Energiezufuhr der Sonnenstrahlung ge­grün­det sein kann“.[1]

Ein Kollege von ihm, der schwedische Chemie-Nobelpreisträger Svante Arrhenius, der in den 20er Jahren lange Zeit der Vorsitzende des Nobel-Instituts gewesen ist, schrieb in seinem Buch „Die Chemie und das moderne Leben“ vor ebenfalls etwa einhundert Jahren – das war damals Pflichtlektüre für alle Chemiestudenten in Deutschland – es gebe Länder, die unter ihrer Erde weniger Energie haben als sie brauchen. „Die Staaten, die Mangel haben, werfen lüsterne Blicke auf ihre Nachbarn, von denen es heißt, dass sie mehr haben als sie brauchen.“ Die Menschheit „müsse zu der Einsicht kommen, dass sie die Arbeitskraft, die die Sonne über uns in unerschöpflicher Menge ausgießt, an deren Stelle setzen muss“, sei es direkt oder „in­direkt durch die von der Sonne herrührenden Energiemengen, die in den strömenden Wässern und den grünenden Gewächsen angesammelt sind“.[2]

Beides waren weltbekannte Wissenschaftler und trotzdem wurden diese Sätze systematisch igno­riert. Je mehr ihre Aussagen der Wirklichkeit des Energieverbrauchs näher kamen, desto mehr wurden sie ignoriert; denn sie konnten vor hundert Jahren natürlich noch nicht voraus­sehen, wie schnell ihre sehr grundsätzlich angedachte Voraussage eintreten würde. Sie konn­ten nicht wissen, dass die Weltbevölkerung und damit die Zahl der Energienutzer sich im Laufe eines Jahrhunderts vervierfachen würde. Sie konnten nicht wissen, wie durch die wis­sen­schaftlich-technische Ent­wicklung hin zu Massenprodukten der Energieverbrauch so mas­siv angeheizt werden konnte, mit dem Ergebnis, dass in den letzten fünfzig Jahren die Menschheit doppelt so viel Energie ver­braucht hat wie in der gesamten Zivilisationsge­schichte zuvor. Ein Ende dieses Prozesses ist trotz aller Gefahrenerkenntnisse überhaupt nicht abzusehen, denn die Steigerung des Weltenergie­verbrauches vollzieht sich rascher denn je.

Das Jahr 1990 gilt im Allgemeinen als das Referenzjahr, etwa des Klimaprotokolls, auch Kyoto-Protokoll genannt, auf dessen Basis dann auch Reduktionsverpflichtungen ausgehan­delt werden sollen oder teilweise schon ausgehandelt sind. Seit dem Jahr 1990 ist der welt­weite Energie­verbrauch an fossilen Energien nochmals um 50 Prozent gestiegen, so schnell wie nie zuvor. Was hier abläuft, ist vergleichbar – so schrieb ich in meinem letzten Buch mit dem Titel Energieauto­nomie[3] – einer griechischen Tragödie: Jeder weiß, das kann kein gutes Ende nehmen, aber alle sind so eingebunden und gefesselt, dass sie keine Möglichkeit sehen, das noch zu verhindern. Sie machen immer weiter.

Wir müssen aus diesem Teufelskreis heraus. Die bisherigen Bemühungen auf der internatio­nalen Ebene werden niemals zum Ergebnis kommen. Das zeigen mittlerweile zwanzig Jahre weltweite Verhandlungen. Wir erleben das spätestens seit dem Our-Common-Future-Report der Vereinten Nationen[4], auch Brundtland-Bericht genannt, weil die damalige norwegische Ministerpräsidentin Brundtland die Kommission der Vereinten Nationen leitete. Hier wurde schon dringend darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, sich von den Folgen dieses Ener­gie­systems und damit von dem Energiesystem selbst zu trennen. Dem folgte nach langen Vor­bereitungen im Jahr 1990 eine Konferenz der UN Our Common Future in Norwegen. Das Ergebnis war – obwohl klar war, dass wir im Wettlauf mit der Zeit sind – der Beschluss über die Durchführung einer Folgekonferenz. Das war alles. Dann gab es im Jahr 1992 die Um­welt- und Entwicklungs-Weltkonferenz der Ver­einten Nationen in Rio de Janeiro, die sehr berühmt geworden ist und die berühmte Agenda 21 verabschiedet hatte, allerdings ohne kon­krete Verpflichtungen. In dieser Agenda 21 wurde syste­matisch die Energiefrage aus­ge­klam­mert, obwohl sie die zentrale war. Das hängt mit dem Cha­rakter solcher UN-Kon­fe­ren­zen zusammen. Da geht es um Konsens. Wenn es um Konsens geht, bestimmen all jene das Tempo, die keine Veränderung wollen. Selbstverständlich spielen auch alle etablierten Inter­essen in diesen Prozess mit hinein, über ihre jeweiligen Regierungen oder über die UN-Orga­nisationen selbst, die keineswegs unbestechlich sind. So endete auch die Rio-Konferenz ohne irgendein Ergebnis, das konkret genug gewesen wäre, dass daraus eine Hand­lungs­ver­pflich­tung hätte abgeleitet werden können.

Dann folgte die Serie der Weltklima-Konferenzen seit 1995. Sie war übrigens ausgelöst wor­den durch die Regierung des amerikanischen Präsidenten Clinton, der 1993 in seiner Antritts­rede (was heute vergessen ist), angekündigt hatte, er strebe ein Weltklima-Abkommen an mit dem Ziel bis zum Jahr 2010 50% der Klimaemissionen weltweit zu reduzieren. Fünfzig Pro­zent. Vor kur­zem fand in Heiligendamm der G8-Gipfel statt. Auf diesem wurde es als Erfolg gewertet, die amerikanische Regierung in den Prozess der Weltklima-Verhandlungen wieder zurückgeholt zu haben und dass diese bereit sind, über ein Ziel, nämlich bis zum Jahr 2050 50% zu reduzieren, nachzudenken und sich darüber wieder zu treffen. Mit anderen Worten: er­neut der Beschluss zur Durchführung einer Folgekonferenz. Das ungeschriebene Motto all die­ser Konferenzen – dazu gehört auch die größte der Weltgeschichte mit 60.000 Teil­neh­mern 2002 in Johannisburg über Nachhaltige Entwicklung – heißt: Global reden, national auf­schieben oder Global deklamie­ren, national emittieren. Das hängt damit zusammen, dass über dem ganzen Prozess wie Mehl­tau ein enges Energieverständnis liegt, geprägt von der heutigen Energiewirtschaft im weltweiten Maßstab. Diese hat es geschafft, den Regie­run­gen der Welt – und viele trotten hinterher, bis hin zu zahlreichen wissenschaftlichen Instituten – ein­zureden, dass der Wechsel zu Energiequellen, die diese Probleme nicht hervorrufen (auch die Atomenergie gehört zum Klimaproblem, auch wenn das immer geleugnet wird und sich das auf anderem Wege vollzieht als über Klimagas­emissionen), dass also dieser Wechsel hin zu erneuerbaren Energien eine wirtschaftliche Last sei. Was als wirtschaftliche Last wahrge­nom­men wird, führt dann zu den Thesen Was nützt das, wenn wir das tun und die anderen nicht? und führt zu dem großen Gefeilsche auf dem Basar interna­tionaler Konferenzen über Last­enverteilung. Da aber die jeweiligen Länder, die daran teilneh­men, sehr un­ter­schied­li­che wirtschaftliche Stellungen und sehr unterschiedliche geografische Bedingungen haben, kommt es, wenn überhaupt, nur zu einem Beschluss, wie etwa dem Kyoto-Protokoll, auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Und so ist das berühmte Kyoto-Protokoll – das einzige Ergebnis solcher Bemühungen bisher – so extrem verwässert, dass jetzt schon klar ist: Es wird diesen Prozess nicht korrigieren können. Es ist ja lediglich vereinbart, dass die Industrieländer, soweit sie daran teilnehmen, bis zum Jahr 2012 6% der Emissionen des Jahres 1990 reduziert haben müssen. Es ist jetzt schon sicher, dass sie diese Zielziffer nicht erreichen werden. Nebenher ist aber der weltweite Energieverbrauch mit den Emissionen massiv angewachsen. Selbst wenn diese sechs Prozent im weltweiten Maßstab und alle betreffend vereinbart worden wären, würde dies im Grunde genommen weit von dem entfernt sein, worum es wirklich geht. Hinzu kommt, dass es kei­neswegs so ist, dass das Klima­problem das einzige Problem der heutigen Energieversorgung wä­re. Schon diese Sichtweise, die heute überwiegt, ist eine totale Ablenkung von dem Ge­samt­energieproblem. Wenn es die Klima­probleme durch Energieemissionen nicht gäbe, wä­re dennoch das Weltenergiesystem keineswegs intakt, vielmehr gäbe es eine Reihe von ele­men­ta­ren weiteren Problemen, die ohnehin existieren. Dazu gehört, dass die Welt sich auf einen Kreuzpunkt in den nächsten Jahrzehnten zubewegt zwischen einer sich senkenden Kur­ve her­kömmlicher Energiereserven – weil wir uns dem End­verbrauch nähern – und einer nach wie vor steigenden Kurve des weltweiten Energiebedarfs – nicht nur aufgrund der Ent­wick­lung in China und Indien, wo mehr als ein Drittel der Weltbevöl­kerung lebt. Würden wir je diesen Kreuzpunkt zwischen Angebot und Nachfrage erreichen (was so viel heißt wie: es ist nichts mehr da) und haben keine Alternative zur Verfügung (die man nicht erst dann aus der Tasche holen kann), droht dieser Welt der brutalste Konflikt, den es je ge­geben hat, weil oh­ne Ener­gie nichts geht. Und schon in der Annäherung an diesen Kreuzpunkt häufen sich mas­sivste Probleme auf. Die Energie wird auf jeden Fall immer teurer. Sie wird zur sozialen Hy­po­thek. Denn diese gegeneinander laufenden Kurven bedeuten Angebotsverknap­pung, al­so Preisstei­gerung. Das bedeutet, dass ganze Volkswirtschaften mit einem geringeren Brut­toso­zialpro­dukt als wir praktisch unfähig werden, die Energieimportrechnungen noch zu be­zahlen, oder es passiert das, was in Afrika heute schon überwiegend zu beobachten ist, dass sie für den Energieimport (Erdöl) mehr bezahlen müssen als sie insgesamt an Ex­port­ein­nahmen ha­ben. Wollen sie ihre Wirtschaftskraft steigern, müssen sie zunächst dafür Ener­gie einsetzen, und wenn alle möglichen Erträge aus der Steigerung der Wirtschaftskraft schon vorher für das Be­glei­chen der Energierechnung ausgegeben sind, heißt das, sie sind auf einer weiteren Fahrt berg­ab, sie haben so keine Chance.

Wer immer über die Dritte-Welt-Probleme redet und über dieses Energieproblem nicht redet, weiß nicht, wovon er redet. Das gilt auch für das berühmte Buch des amerikanischen Ökono­men Jeffrey Sachs über Afrika, das im letzten Jahr überall empfohlen worden ist.[5] Über die Energie­frage steht da kein Wort. Das heißt Thema verfehlt. Völlig verfehlt. Weil es die Kern­fra­ge aus­spart. Wie kommen Wissenschaftler dazu, dieses Thema auszusparen? Weil sie der The­se auf­sitzen, dass es zu dem heutigen Energiesystem keine Alternative gäbe. Und wenn sie dieser These aufsitzen, dann überlegen sie auch nicht, ob es Alternativen gibt. Dann neh­men sie das als gegebenen Faktor hin und kümmern sich um solche Faktoren, die sie für ver­änder­bar halten und um die dann ihre Vorschläge ranken. So entstehen falsche Darstellungen mit falschen Perspekti­ven.

Wir erleben jetzt schon die Zunahme internationaler Spannungen, weil es um den Zugang zu den knapper werdenden Restressourcen geht, vor allem den Zugang der Hochverbrauchslän­der zu diesen. Natürlich hätte es weder den Golf-Krieg noch den Irak-Krieg gegeben, wenn auf der Ara­bischen Halbinsel Gemüse angebaut statt Öl gefördert würde. Man sollte sich nichts anderes vormachen lassen. Kein Hahn würde sich in Amerika darüber aufregen, was an­sonsten dort pas­siert, welches Regime dran ist und wie dieses Regime in seinem Inneren ope­riert.

Dann haben wir es zu tun mit dem weltweiten Wasserproblem. Wenn man es sektorenorien­tiert betrachtet, gibt es drei große Wasserverbraucher in der Welt. Das sind zum ersten die Men­schen selbst, besonders konzentriert natürlich in den Großstädten, mit all ihrem Bedarf an Produkten und den dahinter stehenden Erzeugnissen, wofür ja Wasserbedarf besteht. Zum zweiten ist dies die Landwirtschaft. Der dritte Sektor ist das atomar-fossile Energiesystem. Von diesen drei Fakto­ren ist nur der letztgenannte änderbar. Um die Dimension zu verdeutli­chen, um die es hier geht: Eine Megawattstunde, in einem Kondensationskraftwerk produziert – alle großen Kraftwerke, ob Atom, Kohle oder Gas, sind Kondensationskraftwerke – ver­braucht alleine drei Kubikmeter Was­ser, was wir dann in der Luft als Dunstwasser haben. Das heißt, bei einem Tausend-Megawatt-Reaktor im Ganzjahresbetrieb werden allein dadurch jährlich 24 Millionen Kubikmeter Wasser verbraucht. Der Begriff verbraucht ist natürlich nicht präzise. Das Wasser wird dem Luftgemisch entzogen, führt zur konzentrierten Konden­sation mit der Folge, dass ganze Regionen austrocknen und der Pflanzenwuchs sich sehr stark reduziert auf bestimmte Pflanzen­arten. Es ist diese Mischung von Fluten, die aufgrund hoch­konzentrierter Kon­densationen in der Wolkenbildung niederprasseln, einerseits und den Dür­ren andererseits. Das ist einer der Gründe, warum auch die Atomenergie zu dem Klimawandel im erheblichen Maße beiträgt. Auch wenn da keine CO2- oder Methan-Emissionen stattfin­den. Ganz zu schweigen von der Verände­rung der Gewässerökologie, wenn ganze Flüsse zur Kühlung in die Reaktoren hineinlaufen und mit erheblicher Erwärmung wieder herauslaufen. Auch das hat Konsequenzen; es verändert die Wärmeformel der Natur, die ansonsten be­stimmt wird durch das Wechselverhältnis von Erde und Sonne.

Dann haben wir es mit einem Gesundheitsproblem zu tun. Klimagase sind kein Gift, das ge­sund­heitsbeeinträchtigend wäre. Aber sie verändern die Zusammensetzung der Erdatmo­sphä­re und darüber entwickeln sich die Probleme. Umweltschäden anderer Art kommen sehr wohl: Die Atemwegserkrankungen, die aus den Energieemissionen erwachsen, sind längst, je­den­falls für einzelne Länder, ermittelt. So hat die Weltgesundheitsorganisation WHO in einer Studie bezogen auf Frankreich, Österreich und die Schweiz ermittelt, dass durch die fossilen Ener­gie-Emis­sionen jährlich 800.000 Atemwegserkrankungen anfallen.[6] In Deutsch­land dürf­te die Zahl mindestens genauso groß sein. Es belastet das Gesundheitsbudget eines Lan­des in erheblicher Weise.

Dann haben wir es mit dem Landwirtschaftsproblem zu tun: Die petrochemischen Dünge­mit­tel mit ihren Folgen für Böden und Grundwasser sind ja nichts weiter als fossiler Energie­ein­trag in die Landwirtschaft.

All dieses zeigt: Es gibt viele Elemente, die jeweils für sich gesehen bereits ein ausschlagge­ben­der Grund sein können und müssten, um von der heutigen Energiebasis hin zu einer Ener­giebasis mit erneuerbaren Energien zu wechseln.

Das herkömmliche Energiesystem produziert kaum präzise bezifferbare soziale Kosten. Die­se sozialen Kosten stehen nur zu einem ganz kleinen Teil über Energiesteuern in der Ener­gie­rech­nung. Soziale Kosten oder wie es in der Wirtschaftswissenschaft genannt wird: Exter­na­lities, also externe Effekte. Diese sozialen Kosten bürden wir anderen auf. Vor allem schon der näch­sten Generation. Ein Energiesystem, das solche sozialen Kosten produziert, ist asozial. Es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, zu einem Energiesystem zu kommen, das keine sozialen Ko­sten mehr produziert. Dieses ist wiederum nur möglich durch den Wech­sel zu erneuerbaren Energien.

So stehen wir heute davor, die Wirkungsweise der thermodynamischen Hauptsätze, bezogen auf den gesamten Erdball, endlich zur Kenntnis nehmen zu müssen. Diese thermodynami­schen Hauptsätze sind nach Albert Einstein die einzigen physikalischen Gesetze, die nicht fal­si­fi­zierbar sind. Jeder Techniker kennt sie, mindestens jeder Kälte- und jeder Wärmetech­ni-­

ker, aber man hat im Laufe der letzten Jahrzehnte verlernt, diese thermodynamischen Ge­setze auch noch zu erken­nen, wenn sie nicht in geschlossenen technischen Systemen oder Räumen existieren und wirken. Sie wirken auch in der Erdatmosphäre insgesamt, denn die Erde ist ein in ihrer Atmosphäre rela­tiv geschlossenes System. Nach außen ist es offen nur für solche Gase, die leichter sind als Luft, wie Wasserstoff oder wie Helium; es ist von außen her nur offen für die kosmische Strahlung. Es wirken also diese Gesetze auch in der Erdatmo­sphäre.

Der erste thermodynamische Hauptsatz lautet: Energie (dasselbe gilt für Stoffe, Rohmateria­lien) – kann nicht produziert werden. Es ist bereits da in irgendeiner Form. Man kann es je­weils nur von einem Zustand in einen anderen umwandeln, von einem nutzlosen in einen nütz­lichen und wieder in einen nutzlosen Zustand, etwa wenn sie total dissipiert, d.h. zer­streut sind. Der zweite Hauptsatz sagt: Bei jeder Umwandlung entstehen Verluste; sie sind un­ver­meidlich. Man kann sie durch effiziente Umwandlungsformen reduzieren, aber man kann sie nicht aufheben. Solange wir also mit erschöpflichen Ressourcen, solchen, die nicht mehr nutz­bar, in nutzlose Zustände verwandelt, also dissipiert worden sind, zu tun haben und da­von abhängig bleiben, ist das Ende aller Möglichkeiten vorprogrammiert. Und wären wir da­von generell abhängig, wäre das Ende der Zivilisation vorprogrammiert. Denn jede Ökonomie be­steht – physikalisch gesehen – im Kern aus der Umwandlung von Stoffen und Energien von einem Zustand in einen anderen Zustand. Anders ist Ökonomie nicht möglich. Das Um­wand­lungsproblem ist zugleich unser Umweltpro­blem. Was wir Emissionen nennen oder Rück­stände – vom Atommüll bis zu CO2 oder Schwefelwasserstoffen – alles dies sind Folgen von Umwandlungen, die, zunächst in gebundener und überwie­gend schadloser Form, dann durch die Umwandlung und Verluste Schadstoffe freisetzen. Es geht also auf die Dauer nicht mehr, dass wir Ressourcen nutzen, die erstens erschöpflich sind und zweitens Ingredienzien ent­hal­ten, die bei der Umwandlung freigesetzt werden und Schadenswir­kungen entfalten. Wir müssen also – dies ist die Aufgabe dieses Jahrhunderts, mehr der ersten als der zweiten Hälf­te – wechseln von diesen erschöpflichen und schadstoffhaltigen Ressourcen zu Res­sour­cen, die unerschöpflich sind und die keine Schadstoffe in sich tragen, wo es zwar auch Um­wand­lungsverluste gibt, die jedoch nicht mit Emissionen gleichzusetzen sind. Und damit sind wir wieder bei den erneuerbaren Energien. Sie sind für die Erde unerschöpflich – nach menschli­chem Ermessen und nach menschlichen Maßstäben.

Die Sonne wird uns zur Verfügung stehen, solange dieses Zentralgestirn existiert. Nach den Er­kenntnissen der Astrophysik wird sie noch etwa fünf bis sieben Milliarden Jahre zur Ver­fü­gung stehen, also nach menschlichen Maßstäben unendlich. Für den Zeitpunkt, wo das nicht mehr der Fall ist, brauchen wir uns keine Gedanken zu machen, dann ist alles zu Ende auf unserem und auf allen uns bekannten Planeten. Auch hier würden die thermodynamischen Ge­setze gelten, aber sie gelten gewissermaßen außerhalb unserer Reichweite, denn unser Le­bens­raum ist die Erde. Und hier haben wir es mit der dauernden Energiezufuhr zu tun. Wir ha­ben es sogar zu tun mit dem Gegensatz der Entropie, der Energievernichtung: Wir haben es zu tun mit Negentropie, also mit negativer Entropie, denn durch die Sonnenkraft in Ver­bin­dung mit Erde und Wasser entsteht auch wieder Neues.

Damit sind wir bei dem Programm. Wir haben eingedenk dessen, was ich eingangs sagte, nicht mehr viel Zeit. Nun wird immer wieder gesagt, es sei eigentlich nicht möglich, das zu realisieren, jedenfalls nicht kurz- oder mittelfristig. Daraus erwächst ein bisher noch weit un­ter­schätztes sozi­alpsychologisches Problem. Was sollen die Leute denken, die zwei Nach­rich­ten zugleich wahrnehmen? Die eine Nachricht ist die über Weltklimaberichte, Filme wie die von Al Gore, dass wir es hier mit einem gigantischen Weltproblem zu tun haben und die Ur­sachen – jedenfalls mit Ausnahme der Atomenergie – nicht mehr bestritten sind. Wenn man gleichzeitig die andere Nachricht hört, dass zu diesen Ursachen, obwohl auch nicht mehr be­stritten wird, dass wir uns in einem Wettlauf mit der Zeit befinden, kurz- und mittelfristig kei­ne Alternative bestünde, weil man für die erneuerbaren Energien, die allmählich auch an­er­kannt werden, noch viel Zeit braucht. Wer also beide Nachrichten glaubt – die der giganti­schen Gefahr und dass es kurz- und mittelfristig keine Alternative gäbe, muss doch zu der Schluss­folgerung kommen: Das Problem ist nicht mehr lösbar.

Was sich dann entwickelt sind Fatalismus, No-Future-Mentalitäten, Apathie, Lethargie, ein ver­stärktes In-den-Tag-hineinleben solange es irgendwie nur geht, neue Formen des Nihilis­mus, weil das andere sowieso keinen Zweck mehr hat. Dann geht einer Gesellschaft das Wich­tigste, das sie braucht, verloren: dass in ihr noch genug Motivationen und Kräfte sind, ein Problem noch lösen zu wollen. Man engagiert sich in der Regel nicht für eine Perspektive, von der man nicht mehr glaubt, dass es sie noch gibt. Deswegen ist dieses Gerede, dass es kurz- und mittelfristig keine Alternative gäbe, eine andere Form der Umweltverschmutzung, die möglicherweise sogar noch gefährlicher ist als die physikalische – nämlich eine geistige Um­weltverschmutzung. Die große Frage ist: Warum wird so gedacht? Wie kommt es, dass die wirtschaftlichen Urheber dieser Kri­sen in Form der Energiewirtschaftsunternehmen mit ih­ren jeweiligen Vertretern, Vorstandsvor­sitzenden und wem auch immer, bei jeder akut ge­wor­denen Energiekatastrophe die ersten sind, die von den Medien befragt werden, was denn wohl der beste Weg zur Krisenüberwindung sei?

Das ist ungefähr gleichbedeutend als würde man nach einem Raubüberfall den Bandenchef in­ter­viewen, was die beste Methode der Verbrechensbekämpfung sei. Methodisch gesehen ist das ge­nau das Gleiche. Von den Auswirkungen her wahrscheinlich noch viel schlimmer.

Also ist die Frage: Warum wird so gedacht? Warum wird immer weiter so gehandelt? Warum be­wegt sich das, was Energiepolitik genannt wird, nur so schneckentempoartig in den meisten Ländern der Welt? Warum ergreift die Energiewirtschaft nicht selbst die Initiative, denn die ha­ben doch eigentlich alle Informationen? Wenn man die Frage darauf finden will und nicht nur mit einer Verschwörungstheorie kommt, muss man der Sache mehr auf den Grund gehen. Dieses mehr auf den Grund gehen führt mich zu folgender Betrachtung: Ein Ener­giebereit­stellungssystem, eine Energiewirtschaft und alles was dazu gehört, auch an poli­tischer Assi­stenz (die es immer gegeben hat seitdem es Energieversorgung gibt, weil ja keine Gesellschaft ohne Energie existieren kann) kann gar nicht neutral sein gegenüber allen Energie­quellen. Selbst wenn ihre Leute, die da drin sitzen, das gerne hätten. Ein Energiebereitstellungs­system ist immer zugeschnitten auf Energiequellen, für die man sich mal vorher entschieden hat. Bleibt es bei dieser Entscheidung, dann diktiert diese Energiequelle indirekt alles weitere Ge­schehen. Aus physikalischen Gründen ist es nämlich notwendig, dass man die Techniken und Infra­strukturen der Energiebereitstellung an den Erfordernissen der Energiequelle entlang ih­res gesamten Energieflusses von der Quelle bis zum Konsumenten orientieren muss. Deshalb gibt es neben dem ersten und zweiten Unterschied zwischen herkömmlichen und erneuerbaren Energien noch einen dritten, und wenn wir den nicht erkennen, bleiben wir verwirrt.

Der erste Unterschied ist: Hier die erschöpflichen Energien und dort die unerschöpflichen. Der zweite Unterschied: Hier sind die emittierenden, schadstofferzeugenden Energien und dort die Bioenergien, mindestens klimaneutrale Energien, wenn man es richtig macht – das ist die Vor­aus­setzung. Der dritte Unterschied ist: Herkömmliche Energiequellen finden wir an re­lativ wenigen Plätzen der Welt. Und so lange das Weltenergieversorgungssystem sich dar­auf im Wesentlichen stützt und wir uns gleichzeitig dem Endverbrauch nähern, werden die Quellen­plätze immer knap­per. Schon jetzt sind viele Quellen erschöpft. Aber Energiever­brauch ist überall, wo Menschen arbeiten und leben – also dezentral. Von diesen wenigen För­derplätzen der Welt bis zu den Ener­giekonsumenten wird entlang dieses Energieflusses, der organisiert werden muss, natürlich inve­stiert: in Förderlizenzen, in Fördertechniken, in Auf­bereitungs­techniken, in Transportinfrastruktu­ren, teilweise über den halben Erdball, in Um­wandlungs­techniken, in Lagerstrukturen und dann in die Weiterverteilungsstrukturen einer einmal um­gewandelten, nutzbar gemachten Nutz-, Se­kundär- oder Tertiärenergie.

Diese Energiekette besteht aus vielen Gliedern. Sie müssen alle miteinander verbunden sein; an keiner Stelle darf es eine Unterbrechung geben. Ein hochkomplexes System, weltumspan­nend. Es führte, obwohl die Anfänge in der Energiewirtschaft in den Industrieländern kom­munale und regionale waren, je mehr das stattfand, was ich mit Svante Arrhenius zitiert habe (dass einige Länder damals schon mehr Energie verbrauchen als sie unter ihrer Erde haben), zu einem global umspannten Energiesystem, getragen von transnational organisierten und operierenden Unter­nehmen. Der transnationale Konzentrationsprozess der Energiewirtschaft war damit vorpro­grammiert. Er ist gewissermaßen von der Quelle her vorprogrammiert. Es ist die Sozio-Logik der herkömmlichen Energien. Es gibt gar keinen anderen Ausweg, so­lange man daran festhält. So diktieren in zunehmendem Maße wenige Förderländer und die Un­ter­nehmen, die diesen Prozess organisieren, das Geschehen, und können ganze Re­gie­run­gen, ganze Volkswirtschaften existenzi­ell von sich abhängig machen. Preiskontrolle kann nicht mehr stattfinden; es gibt keine Instanz, die das noch erfolgreich machen könnte. Mitt­lerweile ist das Ergebnis, dass sich hier sehr viel Kapital anhäuft – ausgerechnet in Zei­ten der Ver­knappung, weil die Verknappung gleichzeitig den Entzug des Gesamtsystems von na­tio­na­len Kontrollmöglichkeiten bedeutet, sodass sie in Zeiten der kommenden, schon längst stattfin­denden Energiekrise gleichzeitig Krisengewinner aller ersten Ranges sind.

Sie können fast beliebige Preisaufschläge machen, solange die Nachfrage darunter nicht lei­det. So erleben wir in den letzten Jahren von Jahr zu Jahr höhere Rekordgewinne in der Ge­schichte dieser Energieunternehmen. Bei „Exxon“ waren es im letzten Jahr über 40 Milliarden Dollar Jah­resgewinn nach Steuern, bei BP über 20, ebenso bei „Shell“. Bei den vier großen deutschen Stromkonzernen waren es 17 Milliarden. Und das sind dieselben Stromkonzerne, die über Preis­steigerungen durch die Mobilisierung erneuerbarer Energien klagen. Ein dop­pelter Maßstab, der ohne rot zu werden praktiziert wird.

Nun ist es diesen Unternehmen nicht möglich, aus diesem Prozess auszusteigen – außer es hier oder da am Rande mal zu tun und vielleicht auch in erneuerbare Energien zu investieren. Es ist nicht einmal theoretisch der Zeitpunkt benennbar (weil es den nicht gibt), an dem alle Investitio­nen in das herkömmliche Energiesystem zurückgezahlt, also abgeschrieben sind. Es gibt ihn nicht, weil die Investitionen ja nicht zum selben Zeitpunkt getätigt wurden und weil die dabei eingesetzten Technologien und Materialien eine unterschiedliche Lebensdauer ha­ben. Daraus ergibt sich, dass sich dieses Energiebereitstellungssystem gezwungen sieht, aus ihren betriebs­wirtschaftlichen Erwägungen heraus, so lange mit der herkömmlichen Energie­bereitstellungs­struktur, also dem Gesamtsystem – man darf nie nur auf das Kraftwerk sehen – weiterzumachen, so lange es irgendwie geht, das heißt einige Jahrzehnte mehr. Das mag aus deren Sicht verständ­lich sein, es ist aus gesellschaftlicher Sicht unerträglich. Denn das be­deutet eine massive weitere Zunahme der sozialen Kosten. Insofern vollzieht sich hier eine Spaltung, die noch kaum von po­litischen Akteuren wahrgenommen wird, zwischen einem volks­wirtschaftlichen, gesellschaftli­chen Gesamtinteresse und dem Interesse der Ener­giewirt­schaft. Und ausgerechnet diese tut immer so, als würde sie im Namen der Volkswirtschaft sprechen. Und es gelingt ihr im erschreckendem Maße. Die jüngste Er­klärung des Bundes der Deutschen Industrie, also des größten Deutschen Unter­nehmer­ver­bandes, der vor zu viel Kli­maschutzmaßnahmen warnt, weil das zu einer zu gro­ßen Be­lastung für die Exportwirtschaft würde, ist geradezu grotesk. Denn bei dem Wechsel, um den es hier geht, handelt es sich um einen Wechsel, in dem herkömmliche kommerzielle Energie ersetzt wird durch Techniken der Steigerung der Energieeffizienz und Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energien, die als Primärenergie mit Ausnahme der Bioenergie kostenlos von der Natur geliefert werden. Es ist ein Prozess der Ablösung von Energierohstoffen durch Technik. Die einzige Ausnahme ist die Bioenergie.

Mit anderen Worten: Für eine technikproduzierende Wirtschaft ist das geradezu die Perspek­tive. Wenn ausgerechnet der größte deutsche Unternehmerverband das Gegenteil behauptet, dann hat er sich von der Energiewirtschaft und deren Denken seine eigene Zukunft ausreden lassen. Der weiß nicht, wovon er redet. Wenn er auf billige Energiepreise hofft, so täuscht er sich. Die Ener­giepreise werden systematisch steigen. Das vollzieht sich nicht linear, sondern in Wellenbewe­gungen, nach oben. Dass sie vorübergehend wieder sanken, hing nur mit dem warmen Winter zusammen: Es gab weniger Nachfrage dessen, was schon über Raffinerien und die Spotmärkte in Rot­terdam angeliefert worden war. Dann sind die Lager begrenzt, und um die Mengen loszuwerden, senkt man vorübergehend die Preise.

Erneuerbare Energien haben einen völlig anderen Energiefluss, eine andere Energieart und eine geringere Energiedichte. Man findet sie nicht in konzentrierter Form irgendwo unter der Erde, sondern man findet sie als natürliches Energieangebot in unterschiedlicher Intensität überall auf der Welt. Dazu braucht man wegen der geringeren Energiedichte andere Um­wandlungstechniken. Man braucht ein anderes Energiesystem. Es ist der große Irrtum der Ener­giepolitik, dass sie den­ken, die heutige Energiewirtschaft – die der einzige Teil der Wirt­schaft ist, der ein Verlangsa­mungs–, ein Verzögerungs– und Aufschubinteresse am Ener­gie­wechsel hat, der aber historisch vorprogrammiert ist – sei der Einzige, der Kom­pe­ten­teste, diesen Energiewechsel zu organisie­ren. Es ist die dauernde Rücksichtnahme auf die­sen Teil der Wirtschaft, der der einzige Verlierer dieser Entwicklung ist. Dem überlässt man die Zu­kunft. Der Widerspruch in sich selbst. Die Energiewirtschaft – die konventionelle Ener­gie­wirtschaft – hat sich dieses Denken angewöhnt. Sie bewegt sich so – ihre ganze Sprache zeigt es – als sei sie die Einzige, die in der Lage ist, Energie bereitzustellen. Sie er­klärt sich für un­verzichtbar, sie tut gerade so, als gäbe es eine Ver­fassungsbestimmung, die al­leine den heuti­gen Energiewirtschaftsunternehmen erlaubt, die Ener­gie der Zukunft be­reit­zustellen.

Als es um die Steuerbefreiung der Biokraftstoffe ging, hatten wir im Bundestag ein Hearing im zuständigen Finanzausschuss. Da erklärte der Vertreter der Mineralölwirtschaft – die na­tür­lich gegen das Gesetz waren – sie hielten diesen Gesetzentwurf für verfassungswidrig, denn sie seien vorher nicht gefragt worden. Als gäbe es eine Verfassungsbestimmung, die be­sagt, bei allen Energiegesetzen sei die Zustimmung der heutigen Energiewirtschaft einzu­ho­len. Der hat gar nicht mal gemerkt, in welchem Gremium er sich befindet. Er kriegte natür­lich die fällige Rüge von der Vorsitzenden dieses Ausschusses, er möge bitte daran denken, wo er hier sitzt.

Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien ist wahr­scheinlich der prägnanteste Fall für das, was man einen Paradigmenwechsel nennt. Es ist ein Wechsel von wenigen Energieförderplätzen auf der Welt zu einer natürlichen Umge­bungs­energie überall. Damit ist es ein Wechsel von weiträumigen Infrastrukturen des Primär­ener­gietransports zu regionalen Strukturen des Energietransports bei der Bioenergie bzw. zu Null­bedarf an Ener­gietransport für die Primärenergie des Windes oder der Sonne. Es ist ein Wech­sel von kommerzi­ellen Primärenergien zu nichtkommerziellen Primärenergien der So­lar­strahlung und des Windes. Das heißt, es ist nicht möglich, von der Rolle des Anbieters von Erd­öl, Erdgas, Kohle zur Rolle des Anbieters von Sonnenstrahlen oder Wind zu wechseln, weil Sonne und Wind nicht privati­sierbar sind und niemand eine Lizenz darauf erwerben kann. Es bedeutet damit, dass die heutige Primärenergiewirtschaft, die der größte einzelne Wirt­schaftsfaktor und der einflussreichste der Weltwirtschaft ist, Zug um Zug verschwindet, je mehr erneuerbare Energie eingeführt wird. Es ist ein Wechsel von wenigen Großanlagen der Energiebereitstellung zu vielen mittleren und klei­neren, die in der Summe das Große ersetzen. Es ist damit ein Wechsel in der Eigentümerstruktur. In vielen Fällen wird überhaupt kein Energielieferant mehr gefragt. Das klassischste Beispiel hierfür ist das Solarhaus, das al­leine aus der Umgebungsenergie mit Hilfe der entsprechenden Technik im Haus beheizt wird. Hier ist kein Energielieferant mehr im Spiel, keine Inkassostelle, wo die Energie gezählt und dann abgerechnet wird. Dieser Wechsel ist so fundamental, dass man hierfür andere Trä­ger braucht, wenn er schnell vollzogen werden muss.

Die heutige Energiewirtschaft wird nie wieder ihre Umsätze erreichen, selbst wenn sie ihre Wege geht, daran teilzunehmen, zum Beispiel indem sie Produzent von Energietechniken wird. Aber auch dazu sind sie eigentlich gar nicht nötig, denn fast jeder andere Wirtschafts­zweig ist von seinen Vorkenntnissen her besser prädestiniert, Anbieter von Energietechnolo­gien zur Nutzung er­neuerbarer Energien zu werden, als ausgerechnet die Energiewirtschaft – ein Erdöl- oder Strom­konzern. Jedes elektrotechnische Unternehmen, Glas- oder Maschinen­bau­unternehmen, jedes Motorenbauunternehmen ist mehr prädestiniert, in dem Spektrum der Tech­nik erneuerbarer Energien tätig zu werden, weil sie viele Vorkenntnisse haben, die dazu not­wendig sind.

Damit ist das Problem angesprochen. Dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das weltweit das bisher erfolgreichste geworden ist – es gibt inzwischen 47 Länder, die es nachgeahmt haben – dass dieses in sieben Jahren über 20.000 Megawatt Neuanlagen möglich gemacht hat, hängt aus­schließlich damit zusammen, dass hier Investitionsautonomie mit dem Gesetz ge­schaf­fen werden konnte. Durch die beiden Elemente des Gesetzes – garantierter Netzzugang, der nicht verhandel­bar ist, und garantierte Einspeisevergütung, d.h. jeder der in solche Anla­gen zu Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien investiert hat, brauchte nicht mehr zu fra­gen bei Vattenfall, EON, Energie Baden-Württemberg oder RWE oder bei wem auch immer, ob diese Investition in die Kraftwerksplanung eines Stromkonzerns passt. Sie können es ein­fach tun. Das heißt, es gab neue Träger.

Wir könnten heute schon doppelt so weit sein, nicht nur bei 12½ Prozent, und beim Endver­brauch sind wir mittlerweile schon bei 15 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien; vor zehn Jah­ren waren es keine fünf. Wenn es nicht zahllose willkürliche administrative Sperren gäbe auf der Ebene mancher Landespolitiken, die Standortverhinderungsplanung machen, dann wä­ren wir heute schon bei 30 Prozent, wenn alle dieselben Genehmigungskriterien hätten wie die Länder, in denen heute die meisten Anlagen stehen. Bei Windenergie ist es bezogen auf die Quadratkilo­meteranzahl bei den Binnenländern Sachsen-Anhalt, wo schon so viel Strom aus Windkraft erzeugt wird, dass das 50 Prozent des Strombedarfs von Sachsen-Anhalt ent­spricht.

Demgegenüber haben wir Bundesländer wie Bayern, neuerdings auch Nordrhein-Westfalen, Ba­den-Württemberg und Hessen, in denen es schwieriger ist, eine Genehmigung für eine Wind­kraftanlage zu bekommen als für ein neues Kohlekraftwerk. Geradezu kafkaeske Ver­hält­nisse. Da finden Landschaftszerstörungen statt durch die Klimafolgen des jetzigen Ener­gie­systems und man operiert gegen Windkraftanlagen im Namen des Landschaftsschutzes! Eine Betrachtung, hinter der keinerlei Gefühl mehr für Verhältnismäßigkeit und tatsächliche Ge­fahr besteht. Oder wenn ich Braunkohleabbaugebiete vergleiche mit Landschaften, wo Wind­kraftanlagen stehen: Man muss immer den Kontext betrachten, um den es hier geht. Jede Entwicklung, jede technolo­gische Revolution – und um die geht es hier – bedarf ihres Ent­faltungsspielraumes und keine der verschiedenen technologischen Revolutionen der letzten zweihundert Jahre Industriegesellschaft ist jemals entstanden auf der Basis eines inter­natio­nalen Vertrages, mit quotierten Einführungs­verpflichtungen, die man gemeinsam im Kon­sens ausgehandelt hat. Die letzte technologische Revolution war und ist die infor­ma­tions­technolo­gische. Da ist doch auch nicht gesagt worden: Weil das zum Strukturwandel der Wirtschaft führt – was bestimmten traditionellen Industrie­zweigen erhebliche Schwierig­kei­ten bereiten wird und manche sogar verschwinden lässt –.machen wir jetzt einen welt­wei­ten Vertrag, dass bis zum Jahr 2000 5 Prozent Informationstech­nologien eingeführt wer­den, in jedem Land gleichmäßig. Wer immer das vorgeschlagen hätte, wäre ausgelacht wor­den.

Aber bei Energiefragen wird das wie selbstverständlich geäußert und unglaublich viele da­ckeln mit, bis in die Wissenschaft hinein. Daran kann man sehen, wie das Denken der Ener­gie­wirt­schaft so stark in den Köpfen ist, dass das im Grunde einen gemeingefährlichen Cha­rak­ter ange­nommen hat, weil es uns blind macht für die Wege, die notwendig sind und die ge­gangen werden könnten, weil es im Kern längst kein wirtschaftliches oder technologisches Problem mehr ist. Der makroökonomische Vorteil des Wechsels zu erneuerbaren Energien ist nicht mehr zu bestreiten wegen der sozialen Folgeschäden des herkömmlichen Energiesy­stems. Ein makroökonomischer Vorteil ist niemals zum selben Zeitpunkt für alle Wirt­schafts­teilnehmer auch ein einzelwirt­schaftlicher. Das ist eben der Unterschied zwischen Makro- und Mikroökonomie oder zwischen Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschafts­lehre. Worum es geht, ist, den makroökonomischen Vorteil, den der Wechsel zu erneuerbaren Ener­gien aus vielerlei Gründen unzweifelhaft bringen wird, mittels entsprechender Politikan­sätze in einzelwirtschaftliche Anreize zu übersetzen. Den Rest wird dann die Gesellschaft, wer­den ihre Ingenieure und die Unternehmen, die diesen Weg gehen, realisieren. Das ist der Weg zu einer wirklichen Perspektive und er kann viel schneller gegangen werden als viele denken.

Viele Institute sagen, dass mehr als 25 oder 27 Prozent – das sind dann schon die progressi­ven – Anteil an erneuerbarer Energie in diesem Land bis 2020 nicht möglich sei. Allein die Planungsverweigerungen in den vielen Bundeslän­dern zeigen, wie schnell es verdoppelt wer­den kann in ganz wenigen Jahren. Nichts geht nämlich schneller als die Installation von An­la­gen erneuerbarer Energie. Jedes Modul kann nach der Installation und dem Anschluss ar­bei­ten. Ein Großkraftwerk hat Jahre Bauzeit und die erste Kilowatt­stunde kann erst produ­ziert werden, wenn alles fertig ist. Und wenn es in Frankreich möglich war, in 15 Jahren zwi­schen Mitte der 60er und Anfang der 80er Jahre den Anteil der Atomstrom­produktion von 0 auf 70 Prozent zu bringen, obwohl Atomkraftwerke die längste Bauzeit von allen Kraftwer­ken haben, muss es doch möglich sein, in einem solchen Zeitraum, wenn man dar­auf vorbe­rei­tet ist – und wir sind besser vorbereitet durch die positiven Folgen des Erneuerbare-Ener­gien-Gesetzes – ebenso zu erhöhen, dasselbe bei erneuerbaren Energien zu erreichen, aber eben nur außerhalb der gegebenen energiewirtschaftlichen Strukturen herkömmlicher Art. Das ist im Kern das Zukunftsprogramm.

[1] Ostwald, Wilhelm (1912): Der Energetische Imperativ. Leipzig 1912, S. 81 ff

[2] Arrhenius, Svante (1922): Die Chemie und das moderen Leben. Autorisierte deutsche Ausgabe von B. Finkel­stein. Leipzig 1922, S. 112 ff

[3] Scheer, Hermann (2006): Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien.

[4] Bericht der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung WCED (1987): Our Common Future (Unser aller Zu­kunft)

[5] Sachs, Jeffrey D. (2006): Das Ende der Armut. Ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt.

[6] Geller, Howard. Energy revolution. Washington 2003. S. 6 ff

Humanökologisches Zentrum der BTU Cottbus

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