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(c) photocase.comArtikel erschienen in rororo aktuell: "Anthologie zum 40jährigen Bestehen der Reihe 'Brauchen wir eine andere Wirtschaft?'", 01. September 2001

Zur Überwindung des Widerspruchs zwischen Globalisierung und Demokratie

Die schrankenlose weltweite Liberalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen orientiert an den Entfaltungsbedürfnissen transnationaler Unternehmen: das wird heute unter "Globalisierung" verstanden. Noch Anfang der 90er Jahre - als die Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro stattfand - stand der Begriff für die allseitige Mitverantwortung insbesondere für die globale Umwelterhaltung. Erst seit der WTO-Vertragskonferenz in Marrakesch im April 1994 setzte sich die Okkupation dieses Begriffs für die transnationale Wirtschaftsliberalisierung durch.

Der Harvard-Ökonom Paul Krugman meint, dass diese Globalisierung eigentlich kein neuartiger Vorgang sei - schließlich habe der freie Welthandel prozentual nicht einmal das Niveau erreicht, das vor dem Ersten Weltkrieg schon erzielt worden war. Doch Krugman und andere übersehen den eigentlichen Quantensprung zur gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung: den absoluten Vorrang der Wettbewerbsgleichheit - trotz zunehmender struktureller Ungleichheit - nicht nur gegenüber klassischen protektionistischen national-ökonomischen Ansätzen, sondern auch gegenüber sämtlichen mit diesem Prinzip kollidierenden autonomen Entscheidungskompetenzen demokratischer Verfassungsstaaten und existenziellen Erfordernissen des Umweltschutzes. Der WTO-Vertrag wird als globaler Obervertrag angesehen, obwohl das Völkerrecht keine Hierarchien zwischen seinen Verträge kennt. WTO-Regeln beanspruchen, den Spielraum nationaler Verfassungen vielfach einschränken zu dürfen. Synchron damit, der gleichen Ideologie folgend, beansprucht die Generaldirektion Wettbewerb der EU, die wirtschaftliche Strukturpolitik der EU-Länder ihrem Genehmigungsvorbehalt zu unterstellen. Immer mehr Spielraum für transnationale Unternehmen, immer weniger für innerstaatliche Institutionen - dieser Primat der Wirtschaft ist nicht mehr nur de facto, sondern zunehmend auch de jure international verankert worden.

Diese Entwicklung erscheint weiterhin als unaufhaltsam, als säkularer Prozess - obwohl sie keineswegs eigendynamisch entstanden, sondern Resultat politischer Entscheidungen, und deren Urheber sägen sich damit ihren eigenen Ast ab. Doch jede historische, soziologische und politische Erfahrung lehrt: es gibt keine bruchlosen, linearen Entwicklungen - besonders dann nicht, wenn sie so sehr im Widerspruch zu ihren eigenen Verheißungen stehten wie der heutige Globalisierungsprozess. Die große Frage ist nur, wann und wie die fälligen Brüche eintreten; ob sie einem Konzept entsprechen, hinter dem eine tragfähigere Weltwirtschaftsordnung steht, oder ob sie das sich abzeichnende Chaos in der Weltgesellschaft heillos zuspitzen.

Globale Wirtschaftsliberalisierung - keine "dea ex machina"

Daß die Verheißungen der globalen Wirtschaftsliberalisierung als Schlüssel im allgemeinen Wohlstand, Freiheit und Demokratie und als unaufhörlich brummender Motor der Marktwirtschaft nicht aufgehen können, wird immer deutlicher. Die Globalisierung werde früher oder später alle Barrieren beiseiteräumen: so tönt es zwar immer noch auf allen Rängen, bei treibenden wie bremsenden Kräften, enthusiastisch oder resignierend. Jeder Protest sei letztlich aussichtslos Wer sich dem Prozess der Globalisierung entgegenstelle, kämpfe allenfalls noch ein Rückzuggefecht zur Milderung des Tempos. Das weltweit vagabundierende Kapital und die transnationalen Unternehmen seien ohnehin von keiner Regierung mehr wirklich zu kontrollieren, es sei denn zu deren eigenem empfindlichen Schaden. Spätestens die neuen Informationstechnologien machten aus der Liberalisierung einen gebieterischen Sachzwang. Es gebe keine Alternative mehr. Ein Totschlagargument.

Ein Apodiktum der globalen Wirtschaftsliberalisierung, das zwei Refrains hat:

  • es liege im Interesse aller, so schnell wie möglich die Flucht nach vorn zu ergreifen und alles - Unternehmen, Märkte, Ausbildung, Wissenschaft - global auszurichten, um im internationalen Wettbewerb nicht hoffnungslos abgehängt zu werden.
  • Politik könne deshalb höchstens noch international gestaltungsfähig sein: Einerseits durch Ausweitung und Vertiefung der europäischen Integration und kontinentale Freihandelszonen, andererseits durch zunehmend mehr Elemente einer "global governance", etwa durch Umwelt- und Sozialklauseln im Welthandelsvertrag und weitere völkerrechtliche Konventionen, die Stärkung der UN, ein Weltparlament und den Ausbau internationaler Gerichtsbarkeit. Der Nationalstaat verliere Zug um Zug seine Funktion. Die Eigenschaften demokratischer Verfassungsstaaten müssten auf die internationale Ebene übertragen, also parallel zur transnationalen Unternehmensformierung ebenfalls transnational zentralisiert werden, um seine Errungenschaften halbwegs zu retten.

Globalisierung national forcieren, ihre Auswüchse global einfangen - das ist das Leitmotiv der vermeintlich einzig realistischen, problem- und weltoffenen Politik. Doch das alles sind modische Behauptungen - zumindest aber ahistorische und unsoziologische Wunschvorstellungen, die die Rechnungen ohne die vielen Wirte in der Weltgesellschaft machen. Die globale Wirtschaftsliberalisierung wird zur "dea ex machina", zur Heilsbringerin, die gegen alle gegenteiligen empirischen Fakten immun scheint. Ihre Apologeten sind nicht leicht zur Rede zu stellen, weil sie ihre Rechtfertigungen je nach aktueller Problemlage wechseln wie ihr Hemd:

  • Erst unlängst wurde die Informationstechnologie als einzigartige Chance gepriesen, dass sich die wirtschaftlichen Aktivitäten umfassend dezentralisieren und die Kostendegressionsvorteile der Massenindustrieproduktion auch kleinen Produzenten eröffnen
  • tatsächlich aber findet der größte und rapideste Konzentrationsprozess der Wirtschaftsgeschichte statt. Vielfalt verspricht die neoliberalistische Globalisierung - doch ihre Praxis läuft auf globale Gleichschaltung heraus.
  • Die Globalisierung der Agrarmärkte durch den WTO-Vortrag als Vorteil der Dritten Welt? Für die darin enthaltene Forderung nach einer Streichung der Subventionen der Industrieländer für deren Agrarexporte gilt das - aber ganz sicher nicht für die drei Milliarden Menschen, die ihren Lebensunterhalt aus kleinbäuerlichen Existenzen beziehen und durch die Globalisierung des Agrarhandels dem Preisdumping und der Existenzvernichtung durch die Agrarindustrialisierung der Agrarsaat- und Chemiekonzerne ausgeliefert sind. Der frühere stellvertretende UN-Generalsekretär Nay Htun, in seiner Amtszeit zuständig für die Rio-Konferenz, warnte kürzlich auf dem "Environment Protection Forum" der chinesischen Regierung eindringlich vor den gravierenden Folgen weltweiter Futter- und Nahrungsmitteltransporte und dem damit einhergehenden interkontinentalen Transport von fremden Mikroben, denen die geographischen Räume in keiner Weise gewappnet sind - mit der Folge, dass gewachsene Immunsysteme weltweit gefährdet sind. Als Rezeptur forderte er dennoch "freieren Handel".
  • Der globale gesicherte Schutz geistigen Eigentums werde, so heißt es, Wohlstand weltweit fördern. Aber durch die mit Hilfe der WTO durchgesetzten Rollgriffe einiger Weltkonzerne auf das freie natürliche Erbgut der Flora, das durch Patentierung zu deren "geistigem Eigentum" wird, findet die größte Enteignung der Geschichte statt. Nicht mehr durch Regierungen, sondern durch transnationale Unternehmen, die von den ohnehin verarmten Kleinbauern nun auch noch Lizenzgebühren für deren angestammtes Saatgut kassieren wollen.
  • Gigantische Konzentrations- und Monopolisierungsprozesse werden neuerdings damit rechtfertigt, daß globale Marktwirtschaft nur mit großen Unternehmen funktionieren könne. Doch kaum jemand benennt die akute Gefahr, dass darin der Trend zu einer globalen Planwirtschaft durch transnationale Privatkonzerne steckt. Besessen von dem sich globalisierenden Aktionsradius, berauscht von Welt-Produktionskreisläufen ist die Welt-Politikermehrheit derzeit blind dafür, dass nachhaltiges Wirtschaften nur auf der Basis regionaler Produktkreisläufe möglich ist.

Selbst gegen die Tatsache, dass in den letzten vier Jahrzehnten - also in der Phase der Neoliberalisierung der Weltwirtschaft - der Einkommensunterschied zwischen den 20 Prozent Reichsten und den 20 Prozent Ärmsten der Weltgesellschaft fast verdreifacht wurde, wird als Rezept eine noch schnellere Globalisierung empfohlen. Da wahrscheinlich nie alles privatisiert und globalisiert sein wird und immer die Steuern als zu hoch und deshalb wettbewerbsfeindlich gebrandmarkt werden, beanspruchen die Verfechter dieses Allheilmittels, immer Recht zu behalten. Wer ihren Ratschlägen nicht folgt, den ereilt der Bannfluch des "Protektionismus", als gebe es nichts Schutzwürdiges und Schutzbedürftiges mehr, sozial, ökologisch, oder kulturell - es sei denn als Weltregel durch "global governance".

"Global Governance" - eine demokratische Fata morgana

Doch die Widersprüche der heute praktizierten wirtschaftlichen Globalisierung sind zu explosiv, als daß sie ihre Sprengung vermeiden könnte. "Continental governance" in Europa und "Global governance" werden dies nicht verhindern können, weil die uferlose internationale Zentralisierung politischer Institutionen genauso viele nicht einlösbare Schecks enthält wie jene der globalen Macht- und Unternehmensstrukturen. Längst ist - sogar nur auf der kontinentalen Ebene Europas - augenfällig, dass parallel zur Vertiefung der EU-Integration durch den Maastricht- und Amsterdam-Vertrag in den Mitgliedsstaaten die Europa-Aversion und die Desintegration in der europäischen Bevölkerung wächst. Mehr parlamentarisch-demokratische Rechte für das Europaparlament: So richtig und wichtig diese Forderung ist, ihre Verwirklichung allein wird die sich aufladende Spannung kaum überwinden können. Denn deren Ursache ist die Zentralisierung der Kompetenzen, die "nahezu tägliche Verletzung des Subsidiaritätsprinzips durch alle Organe der EU" (Helmut Schmidt) - die dadurch nicht akzeptierbar wird, dass das Europaparlament mehr Einfluss gegenüber der EU-Kommission und dem EU-Ministerrat erhält. Der Prozess der Entmündigung kommunaler, regionaler und nationaler Verfassungsorgane in immer mehr Gestaltungsaufgaben ist es, der es zunehmend mehr Menschen als überflüssig erscheinen lässt, überhaupt noch zur Wahl zu gehen. Nicht nur wegen des sich ständig erweiternden wirtschaftlichen Erpressungspotenzials transnationaler Konzerne gegenüber Ländern und Regionen, sondern wegen der zunehmenden Entfernung und damit Nichtgreifbarkeit der politischen Entscheider und der Anonymisierung der Entscheidungsprozesse wächst die Politik- und Demokratieverdrossenheit - und treten Menschen statt der Flucht ins Globale Fluchtbewegungen an: politische Abstinenz, Lokalismus, Regionalismus, Neo-Nationalismus, Xenophobismus, Neo-Faschismus, Demokratie-Verachtung.

Wie soll da "Global Governance" abhelfen, mit der der Abstand zwischen Repräsentanten und Repräsentierten nochmals größer ist und die Entscheidungsprozesse noch weniger transparent sind? Wenn schon kaum einer weiß, wer sein Europa-Abgeordneter ist und was der tut (in Deutschland kommen auf 800.00 Wähler ein Europaparlamentarier aber auf etwa 125.000 Wähler ein Bundestagsabgeordneter), wie wäre das erst bei einem Weltparlament von vielleicht 1.000 Abgeordneten (schon viel zu groß für ein arbeitsfähiges Parlament), in dem ein Volksvertreter auf sechs Millionen Menschen käme? Der Einfluss mächtiger Interessengruppen auf politische Institutionen wächst mit deren Undurchsichtigkeit - und mit dieser schwindet die demokratische Legitimation der Institutionen und damit die Akzeptanz des politischen Personals. Dies ist ein soziologisches Gesetz der Demokratie. Schon die Anzahl der amerikanischen Kongressmitglieder im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung von etwa 300 Mio. wäre entschieden zu niedrig und die Entfernung der Wähler wäre entschieden zu groß - gäbe es nicht die Bundesstaaten mit erheblichen Eigenkompetenzen, die jedenfalls größer sind als die Kompetenzen, die ein EU-Mitgliedsland mittlerweile noch gegenüber der (nicht demokratisch gewählten) EU-Kommission und dem Ministerrat hat. Und wer gar denkt, die Beschlüsse von Regierungskonferenzen für internationale Verträge, ausgeweitet auf immer mehr Entscheidungsfelder hin zur völkerrechtlichen Determinierung von immer mehr nationalen Gesetzen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge, könnten ein Äquivalent zum klassischen Verfassungsstaat sein, der hat die Grundzüge politischer Soziologie nicht verstanden.

Die Globalisierung als alle Lebensbereiche ergreifender und dominierender Prozess liefert die Weltentwicklung zwangsläufig denjenigen wirtschaftlichen und politischen "global players" aus, die die überlegenen Mittel zur globalen Organisierung haben. Durch mit immer mehr Kompetenzen ausgestattete internationale Institutionen, denen die tatsächliche demokratische Erreichbarkeit und Handlungskontrolle zum Opfer fällt, ist eine Lösung gesellschaftlicher Existenzprobleme nicht zu erwarten. Damit kann der Vielfalt menschlicher und gesellschaftlicher Existenzbedürfnisse und Sehnsüchte in ihren unmittelbaren Problemlagen nicht entsprochen werden. Deshalb wird die sich immer erweiternde Globalisierung - gewollt oder ungewollt - die Weltgesellschaft kaum in ein Zeitalter internationaler Zusammenarbeit und Stabilität führen, sondern eher in haltlose Aufsplitterung und Instabilität; nicht zum Weltfrieden, sondern eher zu mittelalterlich anmutenden Bürgerkriegen; nicht zum weltweiten Wohlstand, sondern eher zu grassierendem Massenelend; nicht zum globalen Umweltschutz, sondern eher zu noch enthemmterer Naturausbeutung; nicht zu einer aufgeklärteren Welt, sondern eher in eine irrationale zivilisatorische Zerrüttung - mit Technologien, die diese forcieren helfen, weil der Weltgesellschaft die Fähigkeiten zur humaneren und demokratischen Selbstkontrolle entgleiten. "Global Governance" ist in vielen Fragen wichtig, besonders wenn es um das Aufstellen von Barrieren geht - Gewaltverzichts-, Rüstungskontroll- und Rüstungsverbotsverträge etwa bezüglich Massenvernichtungswaffen, Menschenrechts- und Umweltschutzkonventionen und ihre Einklagbarkeit vor dem Internationalen Gerichtshof, Sozialschutzabkommen, durchaus auch weltweite Handelsregeln. Aber wenn globale Institutionen über Standards internationalen Zusammenlebens hinaus in Wirtschaftsordnungen eingreifen, werden sie zur demokratischen Fata Morgana. Die Grenze zwischen globalem Miteinander und demokratischen Selbstorganisationsspielraum muss erkannt und gezogen werden.

Die harten strukturellen Bedingungen wirtschaftlicher Globalisierung

Die wirtschaftliche Globalisierung entfremdet die Menschen von der Wirtschaft und den politischen Institutionen - von den nationalen, weil deren politische Halbwertzeit zu kurz, und von den internationalen, weil sie zu lang ist. Globalisierung trennt Shareholder von Unternehmen, Unternehmen von Gesellschaften, Institutionen von Menschen. Wenn dennoch Regierungen den immer weniger werdenden "global players" ihre Wünsche von den Augen ablesen und diesen Wünschen all ihre eigene politische Bedürfnisse unterordnen, dann spekulieren sie mit dieser Unterwürfigkeit darauf, daß möglichst viele Brosamen für ihre Länder übrig bleiben. Damit setzen sie auf Standortfaktoren - die jedoch gerade durch die globalwirtschaftliche Liberalisierung einer wachsenden Erosionsgefahr ausgesetzt sind.

Was ist unumkehrbar und was umkehrbar? Was an der Globalisierung ist wünschbar und was unerwünscht gemessen an sozialen, ökonomischen, demokratischen und friedlichen Zielen? Welche Globalisierung brauchen und welche wollen wir? Wie kann die Globalisierung ausgeweitet werden, wo sie einer Gesellschaft mehr nutzt als schadet, und begrenzt werden, wo sie dieser mehr schadet als nutzt? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir uns der Ursprünge und Grundbedingungen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Globalisierung vergewissern, die heute als Zwilling unbegrenzter Wirtschaftsliberalität gilt. Es gibt nämlich reversible und irreversible, "weiche" und "harte" Bedingungen der Globalisierung. Ausgerechnet ihre härteste Bedingung - die Abhängigkeit aller Volkswirtschaften von wenigen Standorten der Ressourcenschöpfung - ist aber diejenige, die reversibel ist. Doch über den engen Zusammenhang von Ressourcen und volks- wie weltwirtschaftlicher Entwicklung wird aber kaum gesprochen.

Die räumliche Erschließung aller Erdteile von Europa aus mit dem dafür wichtigsten Ereignis der Entdeckung Amerikas ermöglichte die erste wirtschaftliche Globalisierung in Form der Kolonialisierung des Erdballs, mit militärischen Mitteln durchgesetzt und gesichert. Wirtschaftsideologischer Begründungen bedurfte es dafür nicht, denn noch gab es keine konkurrierenden ordnungspolitischen Ideen. Dann folgten Beschleunigungen und Intensivierungen des Globalisierungsprozesses durch die von der industriellen Revolution hervorgebrachten Techniken: der Transportmöglichkeiten und der Massenproduktion. Diese machte die Industrieländer immer gefräßiger im Verbrauch von Energie und Rohstoffen als unverzichtbaren stofflichen Voraussetzungen jedweder Produktion. Die regionalen Ressourcen reichten immer seltener aus, und die Ressourcenbedürfnisse wurden mit der technologischen Spezialisierung differenzierter. Fortan ging es immer weniger um Gewürze und Seide aus den Kolonien, immer mehr um deren mineralische Ressourcen. Mit deren Hilfe konnten die industrialisierten Länder ihren Startvorsprung immer mehr ausbauen. Energie- und Rohstoffunternehmen wurden zur strategischen Größe jedes Landes. Von den Regierungen genossen sie Unterstützung und Privilegien.

Sie wurden zu Staaten im Staat, zu undurchsichtigen Machtkomplexen. Es gibt zahlreiche Analysen über die politisch-industriellen Komplexe im Bereich der Rüstungsproduktion. Doch die grundlegendere Bedeutung kommt den politisch-industriellen Komplexen der Ressourcenwirtschaft zu, weil ohne Energie und Rohstoffe keine Wirtschaft arbeiten kann. Als die Claims der globalen Ressourcenreserven abgesteckt waren, sich die Ressourcenkonzerne global etabliert hatten und die Ressourcenströme von den Förderplätzen bis zu deren Konsumtion unter Kontrolle hatten, konnte auf den klassischen Kolonialismus ohne Betriebsstörung verzichtet werden. Wegen ihres wachsenden Ressourcendurstes wurden die Industrieländer von der Ressourcenwirtschaft ebenso abhängig wie die Rohstoffländer. Die Ressourcenwirtschaft ist das eigentliche Kontinuum der Weltwirtschaft seit der IR und deren bedeutendster Globalisierungsmotor. Wer Ressourcen importiert, muß exportieren, um sie auf Dauer bezahlen zu können. Die Ressourcenwirtschaft führt zu einem Globalisierungszwang für immer mehr Länder, solange diese Ressourcen ein gemeinsames Merkmal haben: daß ihre Reserven an relativ wenigen Plätzen der Welt zu finden sind, es aber allerorten Bedarf dafür gibt.

Daß dieser determinierende Faktor der wirtschaftlichen Globalisierung - gleich unter welchen ordnungspolitischen Vorzeichen - allzu wenigen bewusst ist, ist vor allem mit dem unerschütterlichen Glauben an die Unersetzbarkeit dieser Ressourcen erklärbar. Die Ressourcenabhängigkeit erscheint als eine Selbstverständlichkeit, die keiner prinzipiellen Erörterung mehr bedarf. Weil die Abhängigkeit von fossilen Energie- und Rohstoffressourcen und die für deren Bereitstellung entstandenen Strukturen heimliche Hauptmerkmale der Globalisierung sind, habe ich die Weltwirtschaft, die ich als "fossile Weltwirtschaft" definiere, in meinem Buch "Solare Weltwirtschaft" (1999) kontrastiert. Darin wird aufgezeigt, dass es möglich ist, alle fossilen Energien einschließlich der Atomenergie und ebenso alle fossilen Rohstoffe durch Erneuerbare Energien und Erneuerbare Rohstoffe, die jeweils regional gewonnen werden können, zu ersetzen. Dies würde dazu führen, dass der globale Prozess der Entkoppelung der Räume des Ressourcenverbrauchs von denen der Ressourcengewinnung umgekehrt würde - hin zu einer räumlichen Rückkoppellung. So wie der Entkoppelungsprozess, der ungebrochen anhält, die heutigen Strukturen der Weltwirtschaft geprägt hat , wird es auch der Rückkoppelungsprozess tun.

Die Fortsetzung der fossilen Struktur wäre ohnehin eine Katastrophe: Wegen der Endlichkeit dieser Ressourcen und der global existentiell werdenden Umweltfolgen. Alle menschengemachten Umweltzerstörungen sind auf die Förderung, Umwandlung und Nutzung dieser Ressourcen und den daraus generierten Emissionen und Müllmengen zurückzuführen. Darüber hinaus sind die beschriebenen Abhängigkeiten in weit höherem Maße ausschlaggebend für die Verteilung von Reichtum und Armut in und zwischen den Gesellschaften als die meisten Analytiker der Wirtschaft. Die "global players" der Ressourcenwirtschaft, zu der nicht zufällig etwa die Hälfte der 100 weltweit größten Unternehmen zählen, haben die Ketten zwischen Förderung und Verbrauch in der Hand, die energetisch/stoffliche Infrastruktur der Weltwirtschaft.

Es wäre der einstigen Sowjetunion ohne ihren üppigen Ressourcenreichtum unmöglich gewesen, über fast 70 Jahre hinweg ein von der kapitalistischen Weltwirtschaft weitgehend separierte und sogar unabhängige Hemisphäre zu bilden. Das erste und fast einzige, was die Akteure der Weltwirtschaft nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums interessierte, war und ist der Zugriff auf die Ressourcen der GUS-Staaten - sei es auf politischem Wege (Europäische Energiecharta, Aufnahme der kaukasischen Staaten als NATO-Kooperationsländer), durch die Expansion der Ressourcen-Weltkonzerne in diese Region - oder durch Geschäfte mit den russischen Ressourcenhändlern, die Wälder, Erze oder Öl verkaufen, die ihnen meist gar nicht gehören; aus diesem Spektrum rekrutieren sich die Neumilliardäre der Russenmafia. Wie schon in Afrika - besonders augenfällig zu studieren an der aktuellen Entwicklung von Kongo - mobilisieren die in der Ersten Welt als seriös gewerteten Ressourcen-Konzerne auch im Osten vielfältig kriminelle Energien, bestechen hemmungslos Regierungen, finanzieren Söldnertruppen und betreiben skrupellos die Destabilisierung der Gesellschaften der Dritten Welt.

Je unbegrenzter die Zugriffe auf die mineralischen Weltressourcen, desto größer die Möglichkeiten, die Ressourcenländer wechselseitig auszuspielen und ihnen immer niedrigere Rohstofferlöse zu diktieren. So entstand in der nachkolonialen Epoche der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der billigste Ressourcenstrom, den es je gab: man mußte keine Verantwortung für die Ressourcenländer der Dritten Welt mehr tragen, keine Truppen mehr stationieren und Kolonialverwaltungen finanzieren, man konnte nur noch immer billiger nehmen. Die ökologische Weltkrise ist das Ergebnis dieses erleichterten Ressourcenkonsums - der in den letzten 50 Jahren das Doppelte dessen erreichte, was in der gesamten Zivilisationsgeschichte zuvor verbraucht wurde. Parallel dazu hat die ressourcenegoistische Rücksichtslosigkeit inzwischen so viel unberechenbare politische Brandherde in der Dritten Welt und in der ehemaligen Zweiten Welt entstehen lassen, daß nun doch wieder militärische Sicherungsmaßnahmen gefragt sind. Stetige Truppenpräsenz würde weitgehend ersetzt durch mobile "Krisenreaktionskräfte" der NATO. Deren selbstherrliche Erweiterung ihres Aktionsradius in die Welt ist keineswegs, wie behauptet, in erster Linie dem Kampf für die Durchsetzung der Menschenrechte gedacht. Es geht vor allem darum, die "Zugangsrechte" zu den Weltressourcen abzusichern.

Es ist müßig, darüber zu reflektieren, ob die Liberalisierung der Weltwirtschaft und die damit verbundene Einflußschmälerung der im Wege stehenden Staaten in erster Linie wegen der Ressourcenströme erfolgte. Aber zweifellos nützt sie vor allem der globalen Ressourcenwirtschaft. Deren Konzerne waren die ersten richtigen global players; und die Ressourcenspieler machen die größten Umsätze - aus einem dauerhaften Geschäft, solange die Produktionsstrukturen, -techniken und -materialien der Weltwirtschaft auf fossile Ressourcen ausgerichtet sind. Sie sind der harte Kern der "old economy", sind elementar im Gegensatz zur "new economy": Mit Buchgeld und Daten kann man keine Lebensmittel, Häuser, Maschinen und Verbrauchsgüter produzieren und nicht mobil sein. Daten können nur die materiell begründeten Wirtschaftsprozesse schneller und effizienter machen, und mit Buchgeld kann man die Finanzierung erleichtern.

Daß sich die globale Zivilisation weiter und schneller entwickeln kann durch ungehinderten Informationsaustausch; daß es erstrebenswert ist, allen wirtschaftlichen Akteuren einen ungehinderten Zugang zu den produktivsten Technologien zu ermöglichen und es überall gleichen Zugang zu billigen Investitionskapital gibt, damit sich wirtschaftliche Initiativen entfalten können; daß die Menschheit dafür überall intakte natürliche Lebensgrundlagen braucht; daß es internationale Gewaltfreiheit und Friedenssicherung gibt - das alles ist wünschenswerte Globalisierung. Nicht wünschenswert ist dagegen ein Liberalisierungsrahmen für die Weltwirtschaft, in dem die Ressourcenkonzerne noch ungehinderter ihre Stellung ausbauen und existenzielle Abhängigkeiten verstärken können - von den Agrarkonzernen bis zu den neuen Biopatentmonopolisten, von den internationalisierten Energie- bis zu den neuen Wasserkonzernen. Nicht wünschenswert ist, daß eine globalisierte Infrastrukturmacht entsteht und den politischen Institutionen nur noch die Restaufgaben bleibt, die innere Sicherheit zu garantieren; eine Aufgabe, die den transnationalen privaten Unternehmenskooperationen zu lästig und zu teuer ist. Wenn sich die politischen Institutionen die Kompetenz nehmen lassen, die wirtschaftlichen Lebensverhältnisse in der jeweils naheliegendsten, praktikabelsten und flexibelsten humanen und umweltschonenden Weise unter ihren konkreten Existenzbedingungen zu gestalten, stellen sie sich an den Rand der Geschichte - und mit ihnen geht dann den Gesellschaften die Fähigkeit zur Selbsterhaltung verloren. Dann werden sie Opfer einer Wirtschaftstheorie, die längst zur fundamentalistischen Ideologie geworden ist.

Zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Aufgaben eines Gemeinwesens gehört, Monopole zu verhindern. Eine Wirtschaftsordnung, in der mittlerweile sogar Regierungen dazu verpflichtet werden sollen, öffentliche Dienstleistungen flächendeckend zu privatisieren, ist nicht haltbar - auch dann nicht, wenn solche Übergriffe mit dem WHO-Vertrag völkerrechtlich abgesichert scheinen. Den Raum des Absurden betritt das neoliberalistische Dogma, wenn es technische Produkte und Naturprodukte nach denselben Marktordnungsregeln behandelt. Dann nämlich stellt es sich über die Naturgesetze. Produktionsflächen für Industriegüter kann man verlagern, die Produktionsflächen für Ressourcen nicht. Die optimale Produktivität nach dem jeweiligen Stand der Technik können potentiell alle durch verfügbares Kapital und Informationen sowie durch Ausbildung und Infrastruktur erreichen; aber die jeweilige Ressourcenproduktivität hängt darüber hinaus nicht zuletzt von stets unterschiedlichen natürlichen Standortfaktoren ab, die nur bei Strafe der Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen manipulier- oder ignorierbar sind.

Die Ablösung und der konsequente Aufbau der fossilen zu einer erneuerbaren Energie- und Rohstoffbasis ist eine Grundbedingung dafür, dass die politischen Institutionen wieder in Kraft gesetzt werden können. Dies erfordert ein differenziertes Globalisierungskonzept, das nicht der unterschiedslosen Wirtschaftsliberalisierung verpflichtet ist.

Kein "bonum commune" ohne Demokratie- und Umweltvorrang

Die Weltzivilisation kann ohne globale Wirtschaftsliberalisierung überleben, aber nicht ohne stabile Ökosphäre. Daraus ergibt sich zwingend der Vorrang der Gebote einer ökologischen Ökonomie vor der puren Wettbewerbsökonomie, wenn immer diese beiden Prinzipien kollidieren. Nur dann nämlich lässt sich eine Globalisierung gestalten, die nicht zentral von den materiellen Ressourcenzwängen gesteuert ist, sondern die Optionen der Vielfalt und der Eigenständigkeit wieder greifbar macht. Eine ökologische Ökonomie ist nur denkbar mit geringen Verlusten bei der Umwandlung von Energie und Rohstoffen (Umwandlungseffizienz), mit stofflicher Wiederverwertbarkeit von Rohstoffen und der Erhaltung der nicht vermehrbaren, aber gleichwohl unverzichtbaren Ressourcen wie Wasser und Böden; und vor allem mit der Ablösung schadstoffhaltiger atomar/fossiler durch Erneuerbare Energien und fossiler Rohstoffe durch solche, die von der Natur photosynthetisch hergestellt sind.

Diese Vorränge können nicht zur Geltung kommen durch Marktgesetze, die die elementaren Unterschiede zwischen den Ressourcen ignorieren: fossile Ressourcen, noch dazu solche mit geringer Umwandlungs- und Regenerierungseffizienz genutzt, verlangen in der Regel niedrige Initialkosten, führen aber zu erheblichen mittel- und langfristigen Folgekosten. Solare und effizient sowie regenerierbar genutzte Ressourcen verlangen dagegen in der Regel höhere Initialkosten, führen aber zu vermiedenen Folgekosten. Prinzipiell Ungleiches darf aber nicht nach gleichen Marktgesetzen behandelt werden. Die Konsequenz daraus ist: die Ressourcenwirtschaft darf nicht nach den selben Regeln einer liberalisierten internationalen Wettbewerbsordnung ausgerichtet sein wie denjenigen für Kapital, technische Produkte und Dienstleistungen. Ressourcenwirtschaft als elementare Bedingung jedweden Wirtschaftens darf keinem internationalisierten Markt- und damit potentiellen Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sein, weil sonst potentiell jede Volkswirtschaft den Boden unter ihren Füßen verliert. Dies gilt für Energie, für den Agrarsektor und für die Wasser- und Bodenbewirtschaftung.

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