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(c) photocase.comArtikel von Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLAR, erschienen in Le monde diplomatique, 09. Februar 2007


Die "neue Energiepolitik" für Europa droht folgenlos zu bleiben

Die Europäische Union will sich an die Spitze des weltweiten Klimaschutzes stellen. Jedenfalls heißt es so in einer offiziellen "Mitteilung" der EU-Kommission vom 10. Januar mit dem Titel "Eine Energiepolitik für Europa". Demnach sollen bis 2030 im EU-Bereich 30 Prozent der CO2-Emission (gemessen am Stand von 1990) reduziert werden, bis 2050 sollen es 50 Prozent sein. Damit schließt man zur Forderung des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) auf, das bis 2050 eine Reduktion von 60 Prozent für die Stabilisierung des Klimas geboten findet.

Ein Aktionsplan "Energieeffizienz" soll helfen, dieses Ziel zu realisieren, zudem sollen alle Mitgliedstaaten verpflichtet werden, bis 2020 den Anteil erneuerbarer Energien an ihrem Gesamtenergieverbrauch auf mindestens 20 Prozent zu erhöhen (davon die Hälfte aus Biomasse). Weiterhin will man sich verstärkt um "cleen coal" bemühen, also auf fossile Kraftwerke ohne CO(2)-Emission setzen. Und auch die Atomenergie soll weiterentwickelt werden - für die Mitgliedsländer, die an der Atomenergie festhalten wollen.

Vor allem wegen der Betonung der Ziele erneuerbare Energien und Energieeffizienz hat man der Kommission von vielen Seiten applaudiert und eine politische Lernkurve bescheinigt. Die Pläne haben also eine ebenso beschwichtigende Wirkung wie viele Verlautbarungen von Regierungen oder auch Unternehmen, die ein Problem öffentlich anerkennen und damit suggerieren, sie seien bereits mit der praktischen Problemlösung befasst.

Dieses "Reden als ob" nennt man "greenwashing", das besonders hinsichtlich der Umweltrisiken in Mode gekommen ist. Ob aber die EU-Kommission die überfällige praktische Wende in der Energiepolitik tatsächlich einleitet - oder einleiten kann -, ist noch längst nicht ausgemacht. Schon häufig gab es ähnliche Absichtserklärungen, auf die nichts oder nur wenig folgte.

Ein Beispiel dafür ist das Weißbuch für eine Gemeinschaftsstrategie von 1997 samt dem Aktionsplan "Energie für die Zukunft: Erneuerbare Energien". Hier waren bereits die entscheidenden Vorzüge erneuerbarer Energien aufgelistet: emissionsfreie und klimaneutrale Energiebereitstellung, womit die immer kostspieliger werdender Nebenwirkungen konventionellen Energieverbrauchs vermieden werden; Energiesicherheit durch heimische Energiequellen; die Chance, Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Kommission hätte aus ihrer Analyse schon damals die Konsequenz ziehen müssen, voll auf erneuerbare Energien zu setzen. Doch sie beschied sich mit der Forderung, den Anteil erneuerbarer Energien in der EU von damals 6 auf 12 Prozent bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln. Dieses Ziel wird aller Voraussicht nach nicht erreicht, wie in dem neuen Strategiepapier eingestanden wird. Der Zuwachs an erneuerbaren Energien, der seitdem EU-weit zu verzeichnen ist, geht überwiegend auf das Konto Spaniens und Deutschlands. Wobei die Bemühungen der rot-grünen Bundesregierung sogar auf den Widerstand des EU-Wettbewerbskommissars stießen, der gegen das Erneuerbare-Energie-Gesetz vorgehen wollte, bis er 2001 vom Europäischen Gerichtshof gestoppt wurde.

Bei ihrem Einspruch gegen das deutsche Gesetz bestand die EU-Kommission auf den Vorrang der Marktgleichheit aller Energieträger, unabhängig von deren ökologischen Qualität.

Kleinanbieter gelten in der EU als nicht marktfähig

Dass die EU-Kommission nicht mehr bewirken konnte, hat unter anderem institutionelle Gründe. Nach den EU-Verträgen haben die Organe der Union bislang noch keine energiepolitische Kompetenz. Die energiepolitischen Richtlinien, die man dennoch erlassen hat, etwa zur Liberalisierung des Strom- und Gasmarkts, wurden mit der Zuständigkeit für den Binnenmarkt begründet, also mit der Organisierung der Marktverhältnisse. Deshalb war die Richtlinie von 2001, die den zu erbringenden Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor in jedem Mitgliedsland auf 21 Prozent - statt lediglich 12 Prozent - bis zum Jahr 2010 festlegte, auch nur eine nicht verbindliche Empfehlung - die im Übrigen auf Druck des EU-Parlaments zustande kam.

Die Zweischneidigkeit der EU-Initiativen für eine Energiewende hat allerdings nicht nur mit fehlenden Zuständigkeiten zu tun. Hätte es diese schon gegeben, wäre wahrscheinlich der Zuwachs an erneuerbaren Energien nicht möglich gewesen, der in Deutschland seit 2000 Jahr für Jahr erreicht wurde. Denn die EU ist mindestens ebenso sehr dem Druck der Energiekonzerne ausgesetzt wie die nationalen Regierungen und Parlamente. Gegenüber dieser starken Pressure Group hat sich die Kommission keinesfalls als widerstandsfähiger erwiesen. Und diese Konzerne setzen bis heute alles daran, ihre auf fossiler und atomarer Energieversorgung gründende Oligopolstellung in der Energieversorgung aufrechtzuerhalten.

Diese Oligopolstellung basiert auf einer doppelten Verfügungsgewalt der Energiekonzerne: zum einen über die Förderung und/oder den Transport der Primärenergien Erdöl, Erdgas, Kohle und des atomaren Primärmaterials Uran; zum anderen über die Großkraftwerke und Raffinerien, die diese Energien für den Konsum aufbereiten. Damit haben die Energiekonzerne den Schlüssel für die Kontrolle der Energiewirtschaft in der Hand.

In Wirklichkeit ist dieser Schlüssel aufgrund der Energieimportabhängigkeit der EU, die inzwischen die 50-Prozent-Grenze überschritten hat, allerdings längst "internationalisiert". Die Energieversorgung ist also der politischen Kontrolle nicht nur der nationalen Regierung, sondern auch der EU-Organe entzogen, die diese Kontrolle mit den externen Förderländern teilen müssen. Wenn darüber hinaus, wie in den meisten EU-Ländern der Fall, auch die Transportnetze - und häufig sogar die örtlichen Verteilernetze - in der Hand der Primärenergielieferanten und Anlagenbetreiber sind, ist das Angebotsmonopol vollends betoniert.

Deshalb hat auch die Liberalisierungsrichtlinie der EU aus dem Jahr 1996 ihr Ziel verfehlt, insofern hier auf eine eigentumsrechtliche Entflechtung verzichtet wurde. Erreicht wurde vielmehr das Gegenteil: Die Richtlinie war auf die Interessen der Energiekonzerne zugeschnitten, weil sich die EU-Marktprotagonisten nur einen EU-Binnenmarkt im Energiebereich vorstellen konnten, in dem wenige Großanbieter untereinander konkurrieren. Kleinanbieter galten als nicht EU-marktfähig.

Dass die Brüsseler Kommission die überkommenen Energieversorgung begünstigt, hat aber auch historische Gründe. Zwei der drei Säulen der späteren Europäischen Union waren die Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS oder Montanunion) und die Euratom-Behörde, die 1957 in der Atmosphäre allgemeiner Atomenergieeuphorie gegründet wurde. Letztere besteht bis heute als Bestandteil der EU-Kommission fort, basiert allerdings auf einem Vertrag, den nur ein Teil der heutigen EU-Mitglieder unterzeichnet und ratifiziert hat. Euratom genießt bis heute in der EU eine Sonderstellung: Sie wird aus allgemeinen Haushaltszuweisungen finanziert, die im Einzelnen nicht einmal vom Haushaltsausschuss des EU-Parlaments kontrolliert werden dürfen.

So ist es kein Zufall, dass die Haushaltsmittel der EU für die Atomforschung bis heute weit über der für erneuerbare Energien liegen und noch im letzten Jahr kräftig aufgestockt wurden. Das Konzept für ein Pendant zu dieser Atombehörde, eine Agentur für erneuerbare Energien (Eurenew), liegt seit Jahren vor. Das EU-Parlament hat schon wiederholt in Resolutionen die Gründung dieses Eurenew gefordert, doch in der EU-Kommission stößt das Projekt bis heute auf taube Ohren.

Damit bleibt völlig offen, was von der "neuen" Energiestrategie der EU, die auf dem Papier mehr Gewicht auf erneuerbare Energien legt als je zuvor, in Zukunft praktisch umgesetzt werden kann. Den Durchgriff auf die nationale Gesetzgebung würden die EU-Organe erst mit einer allgemeinen Energiezuständigkeit erlangen, wie sie der Entwurf des Verfassungsvertrags vorsieht. Der aber ist nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden kaum verabschiedungsfähig.

Aber selbst wenn diese Energiezuständigkeit gesichert wäre, bliebe fraglich, ob das die historisch notwendige Wende zu erneuerbaren Energien befördern würde. Diese Wende muss eine strukturelle sein, geht es dabei doch vor allem - sieht man von der Bioenergie ab - um den Wechsel von kommerzieller zu nichtkommerzieller Primärenergie. Genau das erklärt die Verweigerungshaltung der konventionellen Energiewirtschaft gegenüber den erneuerbaren Energien. Denn es ist nicht möglich, von der Rolle des Verkäufers von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran einfach in die Rolle des Verkäufers von Solarstrahlung und Wind zu wechseln. Ein Vormarsch erneuerbarer Energien heißt automatisch Schrumpfen der herkömmlichen Energiewirtschaft. Und je weniger fossile Primärenergie gebraucht wird, desto schwächer sind auch die Pipelines für deren Transport ausgelastet.

Und noch etwas: Diese Energiewende würde zugleich bedeuten, dass weniger großer Kraftwerke und Raffinerien durch zahlreiche, breit gestreute Einheiten der Energieerzeugung ersetzt werden. Die großen Konzerne würden also ihr Produzentenmonopol einbüßen, und es würden ganz neue Eigentumsformen entstehen. Die Wende würde auch eine veränderte Auslegung der Strom- und Gastransportnetze bringen: Der Trend ginge nicht mehr zu immer längeren und komplexeren transeuropäischen Netzen, sondern zu regionalisierten Netzverknüpfungen - und zur Möglichkeit autonomer Areal- oder Insellösungen. Doch all dies läuft dem bisherigen Denken zuwider.

Ein künftiges Energiesystem auf der Basis erneuerbarer Energien kann kein europäisches Einheitssystem sein. Es wird vielmehr auf dem konkreten natürlichen Energieangebot in den Regionen basieren, also automatisch buntscheckiger und differenzierter sein. Die wichtigsten Schritte zu einer Energiewende müssten deshalb in zwei Richtungen zielen. Zum einen muss im Sinne eines tatsächlich funktionierender Energiemarkts eine eigentumsrechtliche Entflechtung von Energieanbietern, Kraftwerksbetrieb, Transportnetz und Verteilernetz erfolgen, wobei die Netze in öffentlicher Hand liegen müssten, damit sie wirklich neutral gemanagt werden. Eine Strategie zur Entflechtung wird in dem Strategiepapier der EU immerhin erörtert

Zum andern ist die Idee der Marktgleichheit aller Energieträger zu relativieren, weil es unverantwortlich ist, erschöpflichen und umweltzerstörenden Energien die gleiche Marktrechte zuzugestehen wie unerschöpflichen und umweltverträglichen. Daraus folgt, dass man entweder die konventionellen Energien so hoch besteuert, dass ihre Umweltschädlichkeit in den Preis eingeht. Oder dass man erneuerbaren Energien einen prinzipiellen Marktvorrang zugesteht. Alle Weitere würde sich dann von selbst ergeben.

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