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Artikel erschienen in Waiblinger Kreiszeitung, 16. August 2005

Eine Würdigung der Lebensleistung Helmut Palmers 

Von Manfred Rommel und Hermann Scheer. Ein turbulentes Leben lang hat Helmut Palmer nichts für sich behalten und die möglichst breite Öffentlichkeit gesucht. Aber begraben werden wollte er auf eigenen Wunsch in aller Stille. Bis in seine letzten Wochen war er – trotz sichtbaren Verlustes seiner körperlichen Kraft – voller überzeugtem Tatendrang in seinem Kampf für die gestaltbare Harmonie von Mensch und Natur und gegen Gleichgültigkeit, geistige Enge und Untertanen- und Mitläufertum. Gerade letzteres war für ihn die Lehre aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, das er als Jugendlicher erleben musste.
Seinen Tod schon lange vor Augen, hat er seine Aktivitäten erst recht fortgesetzt, um jede noch verbleibende Minute zu nutzen. Er konzentrierte sich in seiner letzten Lebensphase vor allem wieder auf die Passion, mit der sein berufliches und öffentliches Wirken vor einem halben Jahrhundert begonnen hatte: Den ökologisch und zugleich wirtschaftlich optimalen Obstanbau und dessen Verwertung zum Wohl und Nutzen aller Beteiligten, im Sinne der ebenso unaufhebbaren Einheit und des unverzichtbaren Zusammenspiels von Mensch und Natur. Damit hat er den Kreis seines Wirkens schließen und seine Botschaft noch ein letztes Mal markieren wollen, in Wort und Tat.

Gestorben ist ein Mensch mit einer unbändigen seelischen Kraft und Ausdauer, deren Quelle rätselhaft ist, und mit vielseitigen und verschwenderisch praktizierten Begabungen, ein Autodidakt und Einzelkämpfer. Er war ein furioser Redner, konnte ein rhetorisches Feuerwerk zünden, spontan und mit Witz, Ironie und Ideen, sprach- und variantenreich, gewürzt mit urtümlicher schwäbischer Mundart. Dessen Funken trafen die Richtigen, aber auch die Falschen. Helmut Palmer war wie ein Fremdelnder aus einer anderen Welt, der sich mit der vorgefundenen nicht abfinden konnte und sich deshalb unaufhörlich gegen erfahrene und gesehene Missstände und Widersprüche auflehnte. Er passte in keinen Rahmen.

Viele, die den Kern Helmut Palmers nicht verstanden oder ausgehalten haben, erklärten ihn für unberechenbar. Tatsächlich war er von seltener und dabei kompromissloser Geradlinigkeit. Seine ursprünglichste Passion war der naturnahe Obstbau. Was er auf diesem Gebiet erfolgreich gelernt und entwickelt hat, fand viele Jahrzehnte später wissenschaftliche Bestätigung. Er wollte seine Erfahrungen anderen weitergeben und gewann dabei Anhänger und Gegner, die sich von dem drängenden Palmer in ihren Gewohnheiten gestört und beleidigt fühlten. Für die einen und für sich selbst war er ein Berufener, für andere ein Störenfried. Weil er etwas zu sagen hatte und dies in ihm loderte, kam es unvermeidlich zu Spannungen. Er wurde zum „Rebellen“ wider Willen, aber dennoch durch eigenes Zutun. Sein unbedingtes Engagement überforderte alle, die mit ihm zu tun hatten. Die Konflikte, in die er oft unbeabsichtigt – aber nicht zufällig – hineingeriet, stachelten ihn zusätzlich auf und eskalierten in vielen Fällen.

Was im „Obstbaukrieg“ geschah, wiederholte sich spiegelbildlich, als er die politische Bühne betrat, wo er mit direktdemokratischer Leidenschaft aufklärte und aufrüttelte gegen alles, was er als eng, ungerecht, bürokratisch verschanzt oder verlogen empfand. Der Einzelkämpfer Palmer brachte Farbe in die Diskussionen, er polarisierte. Er war über Jahrzehnte nicht mehr wegzudenken aus den zahllosen Wahlkämpfen, besonders bei Oberbürgermeister- und Bürgermeisterwahlen, ein Unikat der Landesgeschichte. Er unterschied dabei nicht zwischen Parteien, sondern zwischen Personen. Seine Kandidaturen, dass haben beide Verfasser hautnah erlebt, haben unmittelbar beeinflusst, für wen sich die Waagschale hob oder senkte. Nicht selten haben sie den Wahlausgang entschieden.

Vielen Menschen fiel es schwer, ihn zu verstehen und zu tolerieren. Das beschriebene Spannungsverhältnis zwischen seinen Antrieben und seiner Umgebung hatte er auch in sich selbst. Dies zeigte sich an seinen widersprüchlich anmutenden Eigenschaften. Er war bohrend bis zur Verbissenheit und gleichzeitig humorvoll. Er dachte und sprach in großen Bezügen und hatte den Blick für das Detail. Er war – was wohl unvermeidlich zur Lebensschule eines Einzelkämpfers gehört – selbstbezogen, aber gleichzeitig aufopfernd hilfsbereit. Er konnte herzlich und aggressiv sein, hatte großes Zutrauen zu anderen und war gleichzeitig aus Erfahrung misstrauisch geworden, ob es andere ehrlich mit ihm meinen. Er war lebensfroh und dennoch verbittert, weil dem, was er gut meinte, mit Verdächtigungen begegnet wurde – und mit vielen Gerichtsurteilen, die seine Motive nicht würdigten, wenn sein Vorgehen nicht gesetzeskonform war. Er hat viel ausgeteilt, manchmal auch wahllos, aber er hat wesentlich mehr und unverhältnismäßig viel einstecken müssen. Er war in hohem Maße empfindlich, aber er war nicht nachtragend. Er hat Hände ausgeschlagen, aber er hat immer wieder seine Hände angeboten und nicht verstanden, wenn sie ihm nicht zurückgereicht wurden. Er war voller Ungeduld, was zu stets neuen Enttäuschungen führte, zumal es ihm schwer fiel, sich in andere hineinzuversetzen. Er konnte rücksichtslos gegenüber anderen sein, was er damit entschuldigen konnte, dass er sich selbst gegenüber am rücksichtslosesten war.

Seine eigene Unduldsamkeit produzierte gleiches bei seinen Gegenüber. Er wurde gefürchtet und zugleich bewundert, beachtet und verachtet, geholt und verstoßen, war populär und verhasst, hat amüsiert und verärgert. Diese extrem unterschiedlichen Reaktionen erzeugte er nicht nur zwischen verschiedenen Personen, sondern in einzelnen Menschen selbst. Er gewann schnell Freunde und verlor sie ebenso schnell, immer wieder erneut. Er rang und warb zeitlebens um Resonanz, aber immer in Verbindung mit einem Anliegen, das er umtriebig verfolgt und womit er sich mit seiner ganzen Person identifiziert hat. Dafür bäumte er sich auf, mit einer Hingabefähigkeit, als ginge es bei jeder Initiative um alles oder nichts. Der Obstbaum, richtig zur lebensspendenden Sonne geschnitten, war für ihn das Lebenssymbol.

Nur wer ihn einmal erlebt hat, wie er vor Rührung weinte, wenn ein von ihm gepflegter Baum in voller sattgrüner Blatt- und mit überreichlicher Apfelpracht gedieh, kann Palmers Lebensmotiv verstehen. Wenn man Reichtum nicht mit Hab und Gut gleichsetzt, hat er ein außerordentlich reiches Leben geführt – so außerordentlich, wie es die Gesellschaft normalerweise nur Kunstschaffenden erlaubt, die für ihre Kreativität uneingeschränkte Freiheit brauchen, und dafür notfalls auch ein unbequemes Leben ohne bürgerliche Sicherheiten in Kauf nehmen. Helmut Palmer hat sich diese Freiheiten genommen, mit allen damit verbundenen Höhen und Tiefen. Er ließ sich von den Tiefen nicht brechen und setzte – meistens allein auf sich und seine Familie gestellt – immer wieder neu an. Damit hat er etwas gezeigt, was ihn schon zu Lebzeiten zu einer Legende machte: Courage zum eigenständigen mitverantwortlichen Handeln, selbst wenn kein Erfolg und Ertrag zu erwarten ist. Das muss umso mehr hervorgehoben und gewürdigt werden, je mehr sich gerade gegenwärtig Zukunftsängste und das mutlose Gefühl ausbreiten, man könne selbst die Entwicklung der öffentlichen Dinge nicht mehr beeinflussen. Deshalb treten viele den Rückzug ins Private und überlassen die allgemeinen Entwicklungen sich selbst. Von Friedrich Dürrenmatt stammen die Sätze: „Misch dich nicht ein, du bist eingemischt. Was geschieht, bist du. Es geschieht dir recht.“

Helmut Palmer hat sich vehement und unverdrossen eingemischt. Wie er das gemacht hat, ist in seiner ebenso eigenwilligen wie ungewöhnlichen Methode unnachahmlich. Aber vorbildlich ist seine unerschöpfliche Zivilcourage. Dafür gebührt ihm bleibender Dank und öffentlicher Respekt. Mehr als das hat er nie haben wollen. Geben wir ihm diesen dadurch, dass seine lebenslange Zivilcourage nicht vergessen wird; dass er über den Tod hinaus lebt. Um viele zu ermutigen und zu ermuntern, sich in die Dinge einzumischen, die alle angehen und betreffen.

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