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(c) photocase.comArtikel erschienen in BUND/Misereor: "Wegweiser für ein Zukunftsfähiges Deutschland", 15. Juni 2002

Der unaufhaltsame Durchmarsch der Erneuerbaren Energien: Jetzt liefern sie erst zwei Prozent, doch eines Tages werden wir unseren gesamten Energiebedarf mit Erneuerbaren Energien decken können. Wind-, Wasser-, Sonnenkraft und Biomasse entwickeln sich langsam, doch die Dynamik wird ihren Siegeszug beschleunigen.

Wie viel der atomar/fossilen Energieversorgung kann durch Erneuerbare Energien ersetzt und damit überflüssig gemacht werden? Die gesamte! Den Energiestatistiken zufolge liegt der gegenwärtige Beitrag Erneuerbarer Energien in Deutschland bei unter zwei Prozent. Doch diese Statistik ist grundfalsch – so dass alle, die sich darauf stützen, zu falschen Behauptungen und Schlussfolgerungen kommen müssen: Sie erfassen nur kommerzielle Energieströme, also diejenigen, die eine oder mehrere Inkassostellen passieren müssen.

Eigentlich liefern atomar/fossile Energien unter einem Prozent
Die von uns allen täglich und selbstverständlich genutzte Sonnenenergie wird schlicht ignoriert. Die Sonne liefert dem Erdball – unerschöpflich für ihre noch etwa sieben Milliarden Jahre andauernde Existenz – jährlich 20.000 mal mehr als die menschengemachte Umwandlung atomarer und fossiler Energieversorgung ausmacht. Allein auf Deutschland strahlt sie ein mehrfaches des Weltverbrauchs kommerzieller Energien. Der absolute Nullpunkt messbarer Temperatur liegt bei minus 273 Grad Celsius. Die Differenz zu den Temperaturen in unseren Breitengraden – im Winter etwa Null Grad und im Sommer etwa 20 Grad – ergibt sich aus der Sonnenenergieleistung. Mit Atomenergie und fossilen Energien werden demgegenüber verhältnismäßig geringfügige Zusatzleistungen organisiert. Hätten wir endlich eine umfassende wissenschaftliche Energiestatistik, die die von uns in Anspruch genommenen solaren Energien einbezieht, so läge der atomar/fossile Energieanteil bei unter einem Prozent!

Die reale Utopie zukunftsfähiger Energieversorgung liegt in der Substitution dieses einen Prozents durch Erneuerbare Energien, die – ob es sich um Solarwärme, Solarstrahlung, Wind, Biomasse, Laufwasserkräfte handelt – allesamt unmittelbare Derivate der aktuellen Angebote an Sonnenenergie für unseren Globus sind. Die praktische Phantasie dafür beginnt mit der Entschlüsselung der lebensgefährlichen Energielüge des Atom- und Fossilenergie-Zeitalters: Das Potenzial Erneuerbarer Energien sei nicht ausreichend, um das der Atomenergie, mindestens aber das der fossilen Energien, ersetzen zu können.

Wir können es um so schneller ersetzen, je mehr wir über die Strukturen der nur kommerziellen Energieversorgung hinaus denken. Eine solare Energieversorgungsstruktur ist nicht mehr dieselbe wie die konventionelle, lediglich mit anderen Quellen. Wer nur im Rahmen der vorgegebenen Strukturen konventioneller Energieversorgung über Alternativen nachdenkt, legt sich geistige wie praktische Fesseln an.

Auch Atomfusion keine Alternative
Weil unbestreitbar ist, dass Uran ebenso erschöpflich ist wie fossile Energiequellen, stand eine Perspektive schon immer fest: Der Tag wird kommen, an dem sie von solaren Energien wieder abgelöst werden. Der Durchbruch der Erneuerbarer Energien ist unaufhaltsam. Der Versuch, dieser Perspektive durch die Entwicklung von gigantischen Atomfusions-Reaktoren auszuweichen, wird scheitern: Solche Reaktoren, vorausgesetzt, es würde sie irgendwann tatsächlich geben, mögen – vielleicht – weniger gefährlich sein als diejenigen für die Atomspaltung. Aber niemand wird einen Energieträger haben wollen, dessen simulierte Kapazitäten von jeweils 100.000 Megawatt (MW) (oder mehr) komplette Gesellschaften auf Gedeih oder Verderb in die Abhängigkeit der technischen Funktionsfähigkeit einer einzigen Anlage und eines einzigen Mammutkonzerns bringen. Diese Vorstellung ist antisozial, antipolitisch und antiökonomisch.

Die einzige offene Frage ist: Wie lange brauchen wir, um bei einer solaren Vollversorgung anzukommen. Die Antwort darauf ist von schicksalhafter Bedeutung. Wird die Ablösung der konventionellen Energieversorgung weiterhin verschleppt oder nur halbherzig betrieben, dann wird sich die Umweltkrise ebenso zuspitzen wie die internationalen Konflikte um die fossilen Restpotentiale – und die wirtschaftlichen und sozialen Krisen wegen unweigerlich steigender Energiepreise in den vor uns liegenden Jahrzehnten des Endverbrauchs von Erdöl und Erdgas. Beschleunigen wir die Ablösung, wird die Umweltkrise überwindbar, entspannen sich internationale Konflikte und stabilisieren sich die Volkswirtschaften. Erneuerbare Energien kann niemand ausbeuten oder den Gesellschaften stehlen. Ihre Nutzung ergibt neue industrielle Möglichkeiten, mehr individuelle Autonomie und dennoch mehr Rücksichtnahme auf andere, saubere Städte – und nicht zuletzt mit der Bio-Energie eine neue und dauerhafte Chance für Land- und Forstwirtschaft. Je mehr und je schneller eine Gesellschaft die Substitution atomar/fossiler Energien durch Erneuerbare Energien vorantreibt, desto besser für Umwelt und Wirtschaft. Verschleppen kann unbezahlbar werden und wird heillose Folgen provozieren.

Gewaltige Potenziale für die Erneuerbaren
Lassen wir also die vielen Glasperlenspiele mit allzu fein gestrickten Energieszenarien hinter uns. Welcher seriöse Ökonom kann die Kosten von Techniken zu r Nutzung von Sonnenenergie etwa im Jahr 2020 oder gar im Jahr 2040 taxieren – ohne gegenwärtig wissen zu können, wie ihr Entwicklungsstand dann gediehen ist und wie viel davon produziert und dadurch billiger geworden ist? Schauen wir lieber auf die schon jetzt gegebenen Möglichkeiten und rechnen diese hoch mit ihren vielfältigen Vorteilen für die Umwelt, die Gesundheit der Menschen, für dauerhaft stabile regionale Wirtschaftsformen, für neue Arbeitsplätze und vermiedene Kosten für die politische und militärische Sicherung der fossilen Energiequellen!

Dann erhalten wir ein Zukunftsbild, das mehr Potenziale der jeweiligen Erneuerbaren Energie zeigt, als wir davon tatsächlich aktiv in Anspruch nehmen müssen. 8600 MW Windkraftanlagen in Deutschland in zehn Jahren – 2600 allein im Jahr 2001! Diese Einführungsgeschwindigkeit 20 Jahre fortgeschrieben, und wir wären schon bei 35.000 MW mit etwa ebenso vielen Anlagen, durchschnittlich alle zehn Quadratkilometer eine Anlage. Allein diese könnten 15.000 Megawatt Großkraftwerke leistungsmäßig ersetzen. Zu viel für die Landschaft, mögen einige sagen – ohne daran zu denken, dass dann die Luft sauber wird, Waldsterben und Übersäuerung der Gewässer überwunden und wegen der wegfallenden Großkraftwerke 30 bis 40.000 Hochspannungsmasten mit ihren über der Landschaft hängenden Kabeln abgebaut würden: ein ästhetischer Landschaftsgewinn und ein Beitrag zur Reduzierung des Elektrosmog. Solarthermische Energienutzung in Gebäuden: 500.000 Quadratmeter (m2) neue Kollektorfläche im Jahr 2000, 700.000 m2 im Jahr 2001. Diese Dynamik fortgesetzt, indem sie zur Selbstverständlichkeit künftigen Bauens wird, und wir könnten unschwer bis 2020 auf eine Gesamtinstallation von 30Millionen m2 kommen, ganz zu schweigen von den weiteren vermiedenen fossilen Energien durch energiesparendes Bauen, insbesondere die Überwindung des Heizens und der Warmwasserbereitstellung mit Strom.

Wird dieser Strom, der ein Drittel des Stromabsatzes ausmacht, in Gebäuden durch solarthermische Energie ersetzt, bedeutet dies, dass dafür perspektivisch ein Drittel der konventionellen Kraftwerke unnötig werden! Zwei Quadratmeter Solarkollektoren pro Einwohner, das wäre ein klares Ziel bis 2050 – eine elektrisierende Zukunftsdimension für das Handwerk! 40MW Photovoltaikanlagen 2000, 70 MW neuer Anlagen 2001, 100 MW 2002 – eine Verdoppelung dieser Einführungsraten im Dreijahresrhythmusbis 2020 würde zu 30.000 MW führen, die über 24 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen. Dies wären dann schon fünf Prozent des heutigen Stromverbrauchs. Doch noch ungezählt größere Ablösungspotenziale liegen in der geräteintegrierten Stromerzeugung, angesichts eines Stromverbrauchs in Kleingeräten, der mehr als ein Drittel des nachgefragten Stroms ausmacht.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Unternehmen der Elektrogeräte- und der Elektronikindustrie diese Chance im vollen Umfang erkennen und ergreifen. Treibstoffe aus Erneuerbaren Energien, basierend auf einer pflanzlichen Reststoff- und Ganzpflanzennutzung und nachhaltiger Bodenbewirtschaftung: Allein die jährlichen Strohmengen in Deutschland könnten, ein Drittel des heutigen fossilen Treibstoffbedarfs in Deutschland ersetzen, wenn daraus Bio-Ethanol gewonnen wird.

Am Anfang geht’s langsam, aber dann ...
20 Prozent des heutigen kommerziellen Energieangebots können bis zum Jahr 2020 durch Erneuerbare Energien abgelöst werden. Das ist, verbunden mit zahlreichen neuen wirtschaftlichen Chancen, schon allein realisierbar, wenn der 1998 eingeschlagene Weg zügig und unbeirrt fortgesetzt wird. und –um die Mobilisierung von Bio-Treibstoffen ergänzt wird – wozu als politischer Förderansatz deren verbindliche Steuerbefreiung reicht sowie schon jetzt verfügbare, allerdings tatsächlich produzierte Motoren. Und wenn wir dies erreicht haben, sind die nächsten 20 Prozent bis zum Jahr 2030 schon vorprogrammiert, und weitere 20 Prozent bis 2040, so dass wir dann schon 60 Prozent des heutigen Energieverbrauchs abgelöst hätten. Und weil parallel dazu die Energieeffizienz gesteigert wird, unter anderem weil die Erneuerbaren Energien eine kurze Energiebereitstellungskette mit deutlich weniger Energieverlusten haben, könnten diese 60 Prozent bereits den gesamten aktiven Energieverbrauch ausmachen: Denn je mehr Erneuerbare Energien genutzt werden, desto weniger Umsätze machen die konventionellen Energieanbieter, ihre Infrastrukturkosten für das Vorhalten ihrer langen Energiekette steigen und damit auch ihre Preise, was Effizienzanstrengungen beschleunigt und die Motivation zum Umsteigen auf die Erneuerbaren Energien erhöht.

Die ersten fünf Prozent Erneuerbarer Energien anstelle atomar/fossiler Energien sind am langsamsten und schwersten einzuführen. Danach geht es immer schneller und leichter. Wenn wir 20 Prozent bis zum Jahr 2020 schaffen, sind wir Mitte des Jahrhunderts bei der solaren Vollversorgung. Wie viel davon jeweils durch Windkraft, Photovoltaik, Solarthermie, Biomasse, Wasserkraft geleistet wird, lässt sich nicht vorhersagen, weil es nicht genau voraussehbar ist, wie diese jeweils technisch optimiert und wirtschaftliche weiter profiliert werden. - und weil neue Techniken hinzukommen, insbesondere im Bereich der dezentralen Energiespeicherung. Überlassen wir die Antwort darauf der Dynamik einer Entwicklung, die wir heute in immer größerer Breitenwirkung angestoßen haben und weiter anstoßen.

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