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(c) photocase.comArtikel erschienen in Die Zeit, 03. Oktober 2002 

Jeremy Rifkins setzt einseitig auf die H2-Option. Aber warum kompliziert, wenn es auch einfacher geht? Rezension von Rifkins Buch zur Wasserstoffwirtschaft von Hermann Scheer.

Die globale Energiediskussion wird grundsätzlich, endlich. Dafür gibt es unübersehbare Gründe: die sich häufenden und höchstwahrscheinlich energiebedingten Flut- und Sturmkatastrophen auf allen Kontinenten, oder das nahende, weltpolitisch krisenträchtige Versiegen billiger fossiler Energieressourcen. auf der Weltkonferenz in Johannesburg war der Energiemangel der Dritten Welt, der aus ökonomischen wie ökologischen Gründen durch Atomkraft oder fossile Energien nicht überwindbar ist, zentrales Thema. Der Frage nach neuen schadstofffreien Energiequellen darf nicht länger ausgewichen werden. Als deus ex machina der künftigen Weltenergieversorgung gibt dabei vielen die Wasserstofftechnologie. Auch Jeremy Rifkin hat nun ein emphatisches Plädoyer für die "H2-Revolution" vorgelegt. Doch so präzise er die Notwendigkeit einer grundlegenden Energiewende analysiert, so sehr erliegt er bei der einseitigen Fixierung auf den Wasserstoff der populärwissenschaftlichen Versuchung zur Schlicht-Thesen-Produktion.

Rifkins Ausgangsthese, dass die atomar/fossilen Energien schnellstens abzulösen seien, ist unbedingt zuzustimmen. Die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Engpässe des allgegegenwärtigen Energiesystems führen die Zivilisation sonst unweigerlich an eine "Wasserscheide größten historischen Ausmaßes". Er zerfleddert all jene Expertisen, die angesichts des nahenden drop-outs beim Erdöl ein Ausweichen auf Erdgas oder auf die sogenannten nichtkonventionellen fossilen Energiereserven empfehlen. Das Fördermaximum billigen Erdöls ist in wenigen Jahren erreicht, und dann beginnt der Sinkflug in den Endverbrauch. Dann, schreibt Rifkin richtig, spitzt sich die Abhängigkeit von den 40 "Riesenfeldern" weiter zu, von denen 26 in den Ländern am Persischen Golf liegen. Doch auch bei Erdgas steht nahezu zeitgleich die Erschöpfung bevor und ist die Abhängigkeit von noch weniger Förderländern noch größer. Um nur 10 Prozent des Erdöls zu ersetzen, müsste der Kohlenverbrauch um 50 Prozent gesteigert werden. Und die nichtkonventionellen fossilen Energiequellen, auf die vor allem die USA und Kanada starren, haben zwar ein beträchtliches Potential. Doch sie sind noch wesentlich schmutzigere Ressourcen: pro Energieeinheit verursachen sie 25mal mehr Schwefeldioxid-Emissionen als die heutigen Erdölraffinerien, sie bedingen einen angesichts der zunehmenden Wasserknappheiten unverantwortlich hohen Wasserverbrauch, und ihre gigantischen Schlackemengen gefährden das Grundwasser. Alle CO2-Reduktionsziele würden endgültig Makulatur, und die Produktionskosten gegenüber dem heutigen Erdöl würden sich verzwölffachen.

Was Rifkin in seiner Reihe der "non options" nicht aufführt, sind die neuerdings häufiger genannten Versuche, CO2-Emissionen zu speichern und wieder in die Bergwerke, Öl- und Gasfelder zurück zu expedieren - nach dem Motto: es darf kosten, was es wolle, Hauptsache dem fossilen Energiegötzen kann weiter gedient werden. Auch Atomenergie oder Atomfusion lässt Rifkin außen vor, obwohl es seinem Buch gut anstehen würde, wenn er auch die Argumente gegen diese vermeintliche Option referiert hätte. Dennoch gelingt es ihm, die Sackgasse aufzuzeigen, in der sich die Weltwirtschaft längst befindet: nahezu komplett abhängig von der fossilen Energiebasis, die, den "beinharten Gesetzen des Energieflusses" von wenigen Förderplätzen zu den Verbrauchsorten überall auf dem Erdball folgend, notwendigerweise zu einer zentralisierten Energiewirtschaft mit entsprechenden existenziellen Abhängigkeiten führen musste. Die drohende Implosion dieses Systems sieht Rifkin folgerichtig als "prekärsten Augenblick der postindustriellen Geschichte". In diesen Passagen spielt er seine Autorenstärken aus: mit griffigen und aufrüttelnden Sprachbildern kompiliert er die gängige kritische Diskussion.

Allerdings bleibt er ihr auch verhaftet. So liegt eine Schwäche des Buches darin, dass sich in ihm auch die Unsystematik und Bruchstückhaftigkeit der Wahrnehmung nichtfossiler und nichtnuklearer Energiealternativen widerspiegelt. Von diesen hat Rifkin im Wesentlichen eine Alternativoption (Wasserstoff), eine Energiewandlertechnologie (Brennstoffzelle) und ein Motto (dezentrale Energieversorgung) herausgegriffen und daraus eine allzu einseitige und widersprüchliche Zukunftsmelange angerührt. Wie viele andere in der öffentlichen Debatte dilettiert er auf ärgerliche Weise im Zukunftsfeld der erneuerbaren Energien, deren vielfältige Optionen er offenbar nicht kennt, und damit auch nicht ihre spezifischen Vorzüge vielfältiger Kombinierbarkeit. Und so wird die Wasserstoffalternative zur allein selig machenden, wird überschätzt und versimpelt. Dies geht bis zur Aussage im Klappentext, dass Wasserstoff künftig so gut wie nichts kosten werde und "auch für die Länder erschwinglich ist, die heute keinen Zugang zu Energie haben." Dies kann für einige Optionen erneuerbarer Energien gelten, für die des Wasserstoffs ganz sicher nicht.

Die Perspektive sieht Rifkin in einem durchgängigen Hydrogen Energy Web (HEW) mit weltweit miteinander vernetzten Minikraftwerken. Da es ihm fast gleichgültig scheint, wer diesen Wasserstoff produziert und über die angestrebte globale Verteilerorganisation verfügt, fällt ihm der mögliche Widerspruch nicht auf: dass so wieder ein Energiesystem entstehen könnte, das keineswegs zur von ihm geradezu hymnisch geforderten individuellen Energieautonomie führt, sondern zu neuen, mit der heutigen atomar/fossilen Versorgungsstrukturen durchaus vergleichbaren Abhängigkeiten. Gut gemeint ist aber weder gut informiert noch gut gedacht. Wasserstoff ist zudem - anders als Rifkin suggeriert - keine Energiequelle, sondern ein Speichermedium für Energiequellen, und keineswegs das einzige denkbare. Um Wasserstoff überall verfügbar zu haben, muss die Originärquelle mehrfach umgewandelt werden. Meistens mit hohem Kostenaufwand und Energieverlust. Zunächst bedarf es einer Stromerzeugung aus einer erneuerbaren Energie (erste Umwandlung), dann der elektrolytischen Trennung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff (zweite Umwandlung). Soll der Wasserstoff weiträumig transportiert werden, muss er mit hohem Energieaufwand (wiederum aus erneuerbaren Energien) auf minus 253 Grad gekühlt und so verflüssigt werden (dritte Umwandlung). In der Allzweckwaffe Brennstoffzelle erfolgt die vierte Umwandlung in Strom und Wärme. Die Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Ökologie und Ökologie eines Energieträgers hängen aber davon ab, mit möglichst wenig Umwandlungsschritten und Transportaufwand auszukommen. Daraus ergibt sich: jede Form erneuerbarer Energie ist vorzuziehen, die direkt und ohne den Umweg über Wasserstoff genutzt werden kann.

Dies gilt vor allem für diejenigen, die wie die Biomasse bereits in gespeicherter Form vorliegen oder die ohnehin kontinuierlich verfügbar sind - also alle erneuerbaren Energien außer Wind oder Solarstrahlung. Deshalb wäre es systematischer Unfug - nach dem Motto: warum einen einfachen Weg gehen, wenn es einen komplizierten gibt - Wasserstoff auch noch mit dem Strom aus Wasserkraftwerken, aus geothermischen Kraftwerken oder aus Biomasse zu erzeugen, wie es Rifkin empfiehlt. Bei alternativen Kraftstoffen für Motoren sind etwa Biogas und Bio-Ethanol aus vergärter Biomasse oder Methanol aus vergaster Biomasse (synthetisiert mit Wasserstoff ohne dessen vorgehender Verflüssigung) wesentlich leichter zugänglich als reiner Wasserstoff. Und für die Beheizung oder Kühlung von Gebäuden, die weltweit den größten Anteil am Energieverbrauch verursachen, bieten solarthermisch konzipierte Häuser und die Photovoltaik umfassende Möglichkeiten auch ohne Wasserstoff. Längst gibt es Nullemissionshäuser. Doch nicht in Rifkins Buch. Offenbar kennt er die reizvollen Optionen der solaren Architektur ebensowenig wie andere vielversprechende dezentrale Energiespeichermethoden. Deren Stellenwert ist, dass man tendenziell gar kein Netz mehr braucht. Es sind Netze, die das kostspielige eines Energiesystems sind, Zentralisierung begünstigen und Abhängigkeit bringen - ob mit konventioneller Energie oder mit Wasserstoff.

Wasserstoff ist eine ergänzende Option der künftigen Energieversorgung aus erneuerbaren Energien, keineswegs das Ein und Alles. Dies muss schon deshalb erkannt werden, weil das "Wasserstoffzeitalter" gerade zur Mode-Vision der Energiekonzerne avanciert ist - wohl in der Hoffnung, auf dem jahrzehntelangen Weg bis zu dessen technologischer Reife weiterhin den Masseneinsatz fossiler Energien legitimieren zu dürfen. So wird Wasserstoff zum Alibi. Die unaufschiebbare Energierevolution steht damit an der Wasser(stoff)scheide. Es geht nicht um eine H2-Revolution à la Rifkin, sondern um die wesentlich breiteren und naheliegenden Möglichkeiten aller Erneuerbaren Energien - von denen fast alle anderen für Entwicklungsländer tatsächlich schnell und kostengünstig verfügbar gemacht werden können.

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