Menu Content/Inhalt
(c) photocase.comArtikel erschienen in taz, die Tageszeitung, 10. November 2001

Die Bundestagswahl 2002 wirft nicht nur wegen der Kanzlerkandidatendiskussion der Unionsparteien ihre Schatten voraus. Die wesentlich spannendere Frage ist die der Regierungsbildung nach dieser Wahl, die Gerhard Schröder kürzlich in die Worte kleidete: Die SPD sitze wie der Fuchs vor dem Loch zur Regierungsmacht, und keiner komme auf dem Weg dahin an ihr vorbei - offen ist also nur, wen sie daran teilhaben lassen muss oder will: Die Grünen, die FDP, beide zugleich, oder die Union, da auf Sicht ein Mitregieren der PDS unwahrscheinlich bleibt.

Weil die Eskalation des Afghanistan-Konflikts nicht vorhersehbar ist, bleibt unvorhersehbar, ob es nicht gar wegen einer deutschen Mitwirkung zu einem jähen Abbruch des rot-grünen Regierungsprojektes kommen könnte. Doch nach dem wahrscheinlicheren Stand der Dinge werden aber SPD und Grüne die Legislaturperiode gemeinsam durchstehen - und im Wahlkampf auf Fortsetzung der Koalition setzen. Dies würde wohl auch geschehen - wenn es aufgrund des Wahlergebnisses dazu reichen würde. Nur ein Prozent Verlust der Koalitionsparteien, gleich zu wessen Lasten, würde jedoch ausreichen, dieses unmöglich zu machen. Dass ein solcher Verlust eher durch Stimmeneinbußen bei den Grünen einzutreten droht, ergibt sich aus den Erfahrungen der Landtagswahlen seit 1998 und aus der existenziellen Diskussion um ihre Identität, die die Grünen durchzieht.


Die Zukunft der Grünen geht nicht nur diese selbst an, sondern mindestens auch alle Sozialdemokraten, die aus einem prinzipiellen Grund für die Fortsetzung des rot-grünen Projekts sind: dem unbedingten Votum für eine ökologische Politikorientierung. Diese kann zwar keine exklusive Domäne der Grünen sein. Aber jede Partei hat ein elementares Identitätsmerkmal, dem es ihren Aufstieg und ihre Rolle verdankt, und das sie nur bei Strafe des Bedeutungsverlustes oder gar Untergangs vernachlässigen oder preisgeben darf. Bei den Grünen ist dies die ökologisch ausgerichtete Politik - unabhängig davon, ob dies den politischen Vorlieben einzelner oder vieler grüner Politiker entspricht oder nicht. Möglicherweise wären sie ohne das Eigenschaftswort "grün", das für globale Lebens- und Naturbewahrung steht und sogar zum Parteinamen wurde, nie zu einer seit zwei Jahrzehnten in fast allen Parlamenten wirkenden politischen Kraft geworden.

Ökologische Politik ist wesentlich mehr als traditioneller Naturschutz: es ist der Versuch, einer tatsächlich nachhaltigen, also dauerhaft möglichen Entwicklung der Gesellschaft und ihrer Wirtschaftsformen - ausgehend von einem generationsübergreifenden und universalen freiheitlichen Humanismus. Ökologie als Wiederherstellung der Zusammenhänge, als Bruch mit linearen Wachstumsentwicklungen und eines die Gegenstände isoliert betrachtenden Fortschrittsdenkens, das die von ihm produzierten Schäden und zerstörten der natürlichen Lebensgrundlagen aus dem Auge verloren hat und die zu Recht als existenzielle Gefährdung wahrgenommen werden.

Eine Marginalisierung der grünen Partei, gar ihr Ausscheiden aus dem Parlament, wäre ein empfindlicher Rückschlag für die ökologische Politikorientierung insgesamt. Dies gilt sogar unabhängig davon, ob die Grünen der ihnen zugedachten Rolle im Parteienspektrum tatsächlich entsprechen. Einen Vorgeschmack dazu lieferte bereits der Ausgang der Bundestagswahl 1990: Weil die Grünen im Vereinigungsjahr und der damit verbundenen aktuellen Aufmerksamkeitsverschiebung der Öffentlichkeit bundesweit die 5-%-Klausel verpassten, verloren auch die in den 80er Jahre in der SPD entwickelten ökologischen Politikansätze spürbar an Gewicht - ganz zu schweigen von den anderen Parteien.

Der kommende Bundestagswahlkampf, der wahrscheinlich zukunftsbestimmend für die Grünen ist, wird aus zwei Sonderwahlkämpfen bestehen: Aus dem zwischen SPD und Union, und aus dem zwischen Grünen und FDP - wobei die Rolle der PDS darin besteht, SPD wie Grünen ihre Erfolgsaussichten zu erschweren. Letzteres kann auch, den aktuellen Berliner Erfahrungen folgend, umgekehrt formuliert werden: SPD wie Grüne könnten wegen nachlassender sozialer, ökologischer und friedenspolitischer Überzeugungskraft leichtfertig die Erfolgsaussichten der PDS erleichtern - mit weitreichenden Konsequenzen.

Für die Grünen - und damit das rot-grüne Projekt - ist jedoch vor allem entscheidend, in welcher Weise sie ihren Wahlkampf gegen die FDP führt. Überholt diese die Grünen und stünde dann mehrheitstechnisch nur noch die Möglichkeit einer rot-gelben oder einer Ampelkoalition zur Verfügung, hätte die Option einschneidende Konsequenzen für die Zukunft der SPD und die andere ebensolche für das weitere Schicksal der Grünen: In einer Phase, in der die sozial und ökologisch verheerenden Wirkungen des neoliberalistischen Wirtschaftsdogmas - also dem Vorrang der global angelegten Marktfreiheit vor sozialer Gestaltung und Umwelterhaltung - immer offenkundiger werden, würden SPD und Grüne in den beiden genannten Optionen einer Regierungsbeteiligung der FDP in deren Rolle als Priesterin der neoliberalen Heilslehre aus kurzfristigen Machterhaltungsgründen davon abgehalten, eine überfällige Perspektive jenseits dieses Neoliberalismus zu entwickeln.

Für die SPD, auch nur in ihrer zentralen Identität als soziale Gerechtigkeitspartei, ist es also keineswegs relativ gleichgültig, wer ihr künftiger Regierungspartner ist. Die Wiedergewinnung der sozialen Gestaltungskraft politischer Institutionen dürfte an der Seite der FDP kaum möglich sein. Aus schieren Eigeninteresse muß sie in der praktischen Regierungspolitik vor allem die ökologische Integrität der Grünen respektieren. Dies gilt erst recht, wenn sie die umfassende soziale Bedeutung ökologischer Wirtschaftsweisen beachten will - also trotz ihrer vielfach notwendigen Rücksichtnahme auf eingespielte Interessen über diese hinausdenken muß, um ihren Grundwerten weiter entsprechen zu können.

Ob die sozialdemokratische Respektierung der Rolle der Grünen zu deren politischer Genesung und damit zur Fortführung der der rot-grünen Koalition ausreicht, hängt allerdings überwiegend von diesen selbst ab: Gehen sie in den Wettbewerb um die dritte Kraft als Spielart marktliberaler New Economy, die dabei lediglich dem Umweltgedanken näher steht - oder eben als Partei eines tatsächlich neuen ökonomischen Denkens , einer politischen Ökologie, und damit als prinzipielle Alternative zur FDP? Wollen sie nicht mehr sein als eine "grüne FDP", sind sie in der Gefahr, statt der dritten zur fünften Kraft zu werden.

Die parlamentarische Existenz der Grünen geht bekanntlich auf die Umwelt-, Frauen- und Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre zurück, die sich im Dreiparteiensystem von SPD, Union und FDP nicht mehr repräsentiert sahen. Dabei war die Gründung der Grünen schon von Warnungen begleitet, daß diese so viele ihrer Kräfte binden würde, die zu Lasten der verlangten neuen Politikinhalte gehen müßten.

Wolfgang Sternstein schrieb 1978 in einem Artikel zur Frage "Brauchen wir eine Grüne Partei?", daß die etablierten Parteien alles daransetzen würden, diese wieder "aus dem Ring zuschlagen. Gelänge es ihnen, wäre womöglich sogar die Ökologiebewegung erledigt. Gelingt es ihnen nicht, dann werden die Grünen in dieser harten Schule das Boxhandwerk so rasant und gründlich erlernen, daß sie ihren Gegnern schon nach kurzer Zeit zum Verwechseln ähnlich sehen werden." Es ist gleichwohl ein überzogener Anspruch, die Grünen daran zu messen, ob sie ihrem anfänglichen Grundmuster noch entsprechen.

Dieses war alles andere als konsistent, auch in ökologischer Hinsicht. Hinzu kam, daß die Grünen auch zum Sammelbecken derjenigen wurden, die in den 70er Jahren mit ihren linkskommunistischen oder anarcholibertären Versuchen gründlich gescheitert waren und in den Grünen eine zweite oder dritte Chance für einen neuen politischen Anlauf sahen - und zur ökologischen Rolle der Grünen eher ein taktisches Verhältnis hatten. Daß die Grünen ihre basisdemokratisch genannten Grundregeln, das Rotationsprinzip oder die Trennung von Amt und Mandat, hinter sich lassen, ist eine die eigene Handlungsfähigkeit und ebenso basisdemokratisch begründbare Notwendigkeit. Daß sie ihre Positionen zur strikten internationalen Gewaltfreiheit überprüfen, ist kein friedenspolitischer Verrat. Ihr eigentliches Kernproblem ist von Carl Amery, dem Mitbegründer der Grünen, ausgedrückt worden: das Versäumnis in den 90er Jahren, in der ökologischen Problematik "ihre intellektuellen Batterien aufzuladen."

Daß Meinungsführern der Grünen die Rolle als Umweltpartei zu eng wurde ("Wir wollen nicht nur Umweltschutzpatei sein"), unter anderem weil sie zu der Auffassung gelangten, diese Thema sei "out" und nicht mehr tragfähig, ist nur mit diesem Versäumnis erklärbar. Versteht man einen ökologischen Ansatz nur als klassischen Umweltschutz, also als ein politisches Ressortthema unter mehreren, wäre es tatsächlich zu eng für eine Partei. Versteht man es aber als eine umfassend angelegte Überwindung der wirtschaftlichen Strukturen, die die Gesellschaft zur Geisel einer gesellschafts-, umwelt- und kulturzerstörenden isolierten Wachstums- und Fortschrittsdynamik macht, dann ist die Ökologie ein übergreifendes Thema. Es ist das Jahrhundertthema, das relativ immun gegenüber den vielen Meinungskonjunkturen der Mediengesellschaft ist. Aus diesem leiten sich umfassend angelegte neue wissenschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle, umwelt-, außen- und sicherheitspolitische Leitlinien ab. Ökonomie wird dabei zum Unterfall der Ökologie.

Naturgesetze - denen gegenüber wir nicht straflos die freie Wahl haben, sie auf Dauer zu mißachten - haben dabei Vorrang vor Marktgesetzen oder andersweitigen wirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen. Wirtschaftliche Entwicklungen - von der Liberalisierung des Welthandels bis zu den uferlosen Konzentrationsprozessen - müssen sich daran messen lassen, ob sie die Strukturen einer unökologischen Ökonomie verfestigen oder die Spielräume zu einer ökologischen Ökonomie öffnen. Dazu gehört, die gegenwärtig laufenden Prozesse der transnationalen privatwirtschaftlichen Zentralisierung der gesellschaftlichen Infrastrukturen - der Strom-, Wasser-, und Verkehrsnetze, der Nahrungsmittelversorgung, die Konzentration der fossilen Ressourcenwirtschaft, die immer weiter wegführen von nur dezentral organisierten ökologischen Kreisläufen - grundlegend in Frage zu stellen, statt sie als unabänderlich hinzunehmen.

Mit einem solchen Jahrhundertthema mehr als alle anderen Parteien identifiziert zu werden, es ungehinderter von Interessenverbänden und frei von dem in die SPD eingebauten Rücksichtnahmen artikulieren zu können, ist ein politisches Gottesgeschenk für eine Partei, gar für eine kleinere. Eines, das eine dauerhafte Existenz in diesem Jahrhundert garantiert. Ebenso wie die Rolle, darauf zu bestehen im politischen Institutionensystem keine uferlose Zentralisierung der Entscheidungskompetenzen stattfindet, die freie demokratische Handlungsspielräume zusehends zu Lasten der Revitalisierung dezentraler Wirtschaftskreisläufe erstickt, ohne die sich eine Perspektive ökologisch nicht realisieren läßt.

Was spürbar von den Grünen vermißt wird, ist die offensive Kreation solcher politischen Leitlinien. Daß deren Realisierung zahlreiche Kompromisse erfordert, ist vermittelbar. Weniger vermittelbar ist, wenn unvermeidliche Kompromisse schon als Königsweg dargestellt werden- und daß die Grünen die Methode der allseitigen Konsenssuche schon vor Kompromißbildungen übernehmen, die vielleicht für die vielfach eingebundene SPD unvermeidlich ist.

Die Ansätze zur Mobilisierung Erneuerbarer Energien, die seit 1998 eingeleitet wurden, vor allem das weltweit bisher einzigartige Erneuerbare Energien Gesetz, waren nur in einer rot-grünen Konstellation möglich. Die Grünen werden dies im Wahlkampf gebührend hervorheben. Sie müßten dies aber allem im klaren Kontrast zur FDP tun, die weit mehr als die Unionsparteien gegen alle diese Initiativen war - so daß im Fall einer rot-gelben Koalition den Abbruch der Initiativen droht. Keine Partei ist ökologisch so ignorant wie die FDP. Bewußt ist dies der Öffentlichkeit nicht, u.a. weil die Grünen ausgerechnet diesen Gegensatz zur FDP kaum artikulieren. Sie operieren damit sogar unter ihrem vorzeigbaren Möglichkeiten. So konnte der Eindruck bei vielen Wählern entstehen, sie hätten die Passion für das ökologische Jahrhundertthema verloren. Dieser Eindruck ist ihre eigentliche Gefahr.

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.