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Artikel erschienen in Wiesbadener Tagblatt, 17. Januar 2007

Erst herrschte Funkstille - nun entbrennt die Debatte um Kohlekraftwerk

Von Manfred Knispel. Im Jahr 2012 soll, so zumindest die Pläne der Kraftwerke Mainz-Wiesbaden (KMW), auf der Ingelheimer Aue ein gigantisches Kohlekraftwerk in Betrieb gehen. Während auf Mainzer Seite über das Für und Wider bereits lange heftig gestritten wird, setzt die Diskussion in Wiesbaden erst jetzt richtig ein. Die KMW fürchten indes, dass eine Verzögerung der Pläne das Projekt platzen lassen würde. Seitdem die konkreten Pläne für das Kraftwerk Mitte des vergangenen Jahres bekannt wurden, schlagen in Mainz die Wellen hoch. Insbesondere Umweltschutzorganisationen laufen Sturm gegen das 750-Megawatt-Kohlekraftwerk. Heute übergibt die "Arbeitsgruppe gegen das Kohlekraftwerk Mainz", an der unter anderem Greenpeace und der Bund Naturschutz und Umwelt (NABU) beteiligt sind, dem Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel Unterschriftenlisten für einen so genannten Einwohnerantrag. Unterschriften haben aber auch die Betriebsräte von mehr als einem Dutzend Industrieunternehmen abgegeben - pro Kraftwerk. Zahlreiche Leserbriefe füllen zudem nach wie vor die Spalten der lokalen "Allgemeinenn Zeitung".

In Wiesbaden herrschte hingegen in Sachen Kohlekraftwerk politische Funkstille. Noch nicht einmal der Beschluss des Aufsichtsrats von ESWE-Versorgung für den Bau des immerhin 900 Millionen Euro teuren Kraftwerks wurde öffentlich registriert.

Das ist um so verwunderlicher, als das Kraftwerk - so heißt es jedenfalls von KMW - für die Stromversorgung Wiesbadens unabdingbar sei und die KMW zu einem Drittel ESWE gehören; die anderen Anteilseigner sind die Mainzer und die Darmstädter Stadtwerke.

Die hessische Landeshauptstadt könnte darüber hinaus auch Leidtragender der schlechteren Schadstoffbilanz eines Kohlekraftwerks im Vergleich zu einem Gaskraftwerk sein: An rund 280 Tagen im Jahr weht der Wind aus West oder Südwest - mögliche Schadstoffe werden also über den Rhein in Richtung Wiesbaden geblasen.

Doch seit wenigen Tagen ist die Funkstille beendet. Dafür hat ein knapper Satz des früheren hessischen Umweltministers Jörg Jordan gesorgt, der seit vergangener Woche gemeinsam mit Achim Exner und Jörg Bourgett die Wiesbadener SPD führt. Es gelte, so hatte Jordan fast beiläufig bei der Vorstellung des neuen SPD-Interimsvorstands gesagt, das auf Mainzer Seite geplante Kohlekraftwerk zu verhindern, dessen Abgase die Wiesbadener Luft belasteten. Pikanterweise widerspricht er damit der Position seiner Mainzer Parteigenossen, die geschlossen für den Kraftwerksbau sind.

Im Gespräch mit dem Tagblatt konkretisierte Jordan seine Aussage jetzt. Er habe klarstellen wollen, dass sich die SPD bei all dem Ärger über die verpatzte OB-Kandidatur "alsbald wieder mit Sachthemen befassen" müsse. Ihm sei aufgefallen, dass zwar der Mainzer Stadtrat Ende Januar das Thema auf der Tagesordnung habe, in Wiesbaden hingegen bislang scheinbar wenig Interesse an einer öffentlichen Diskussion bestehe.

Und er habe bemerkt, dass selbst die SPD keine klare Position in dieser Frage besitze. Auch das solle sich nun ändern. Am 1. März werde es Hintergrund

deswegen ein öffentliches Forum seiner Partei geben, Gastredner wird der mit dem Alternativen Nobelpreis für Umwelt ausgezeichnete Bundestagsabgeordnete Dr. Hermann Scheer sein. Auf dem geplanten Parteitag im März werde die SPD dann einen Beschluss über des Kraftwerk fassen und diesen anschließend im Stadtparlament diskutieren lassen.

Gleichwohl scheint die Position der SPD bereits klar. Das Kraftwerk, so Jordan stehe zwar auf Mainzer Gebiet, "die Abgase aber sind eine Wiesbadener Angelegenheit". Dass der Kohlendioxidausstoß sich mit 750 Gramm pro Kilowattstunde gegenüber 300 Gramm beim derzeitigen Gaskraftwerk mehr als verdoppele berühre jedenfalls "die Mainzer weniger als die Wiesbadener".

Doch selbst wenn sich wegen des geplanten fast 200 Meter hohen Schornsteins die Abgase weitgehend in der Luft verteilten, so gelte es doch, grundsätzlich die Produktion des Treibhausgases Kohlendioxid zu vermindern. Global gesehen, so Jordan, sei es "egal, wo der Dreck runterkommt". Es sei die "typische Haltung von Fachbürokraten zu sagen, wir blasen einfach alles über die Taunushöhen".

Überhaupt sei es nicht akzeptabel, dass auf der Ingelheimer Aue eine "europäische Zentrale für die Verbrennung chinesischer Kohle" entstehe. Es sei kaum "sinnfällig", dass der Brennstoff für das neue Kraftwerk zunächst über den halben Erdball transportiert werde.

Insbesondere fragt Jordan, ob ausreichend über andere Lösungen nachgedacht worden sei. Er verweist zum Beispiel auf ein geplantes Erdwärmekraftwerk in der Nähe von Berlin. "Wir sitzen in Wiesbaden auf heißem Wasser", so der SPD-Vorstand, "da muss mir schon einer erklären, warum das keine Alternative sein könnte".

Nur einen Tag nach dem Vorstoß Jordans meldete sich nun auch Umweltdezernentin Rita Thies zu Wort und fordert, die Planungen für das Kraftwerk für drei Monate auszusetzen. "Ohne jede Frage", so die Grünen-Politikerin, änderten alle technischen Vorkehrungen nichts daran, dass das geplante Kohlekraftwerk über Jahrzehnte große Mengen des Klimagases Kohlendixid sowie weitere Schadstoffe ausstoße. Das stehe in krassem Gegensatz zu den Klimaschutzzielen, denen sich Wiesbaden und Mainz verpflichtet fühlten. Hinzu kämen kaum abschätzbare wirtschaftliche Risiken.

Die Umweltdezernentin weist Vorwürfe zurück, erst jetzt - nach der SPD - zu reagieren. "Wir haben immer über das Kraftwerk diskutiert", erklärt sie. Das zeige sich auch in der Jamaika-Koalitionsvereinbarung. Dort stehe der Passus, das Kohlekraftwerk werde von den Koalitionspartnern "kritisch bewertet". Das sieht sie als einen Erfolg der Grünen. Die SPD sei hingegen "erst jetzt wach geworden".

Den Kraftwerksbetreibern wie auch ESWE wirft Thies vor, sich noch nicht darüber geäußert zu haben, "ob und wie ökologische und wirtschaftliche Alternativen geprüft worden sind". Noch heute sollen offizielle Schreiben an die Vorstände von ESWE und KMW rausgehen einer nochmaligen Aufforderung dazu. Die Dezernentin: "Ich will Antworten."

Eine Diskussion im Stadtparlament hält sie indes für derzeit nicht vorrangig. Wichtiger sei, Einfluss auf die Aufsichtsgremien von ESWE und KMW zu nehmen.

Vom Argument der Kraftwerksbetreiber, bei einem dreimonatigen Moratorium scheitere das Projekt Kraftwerk, zeigt sich Thies indes unbeeindruckt: "Das verdeutlicht nur, auf welch wackeligen Beinen das steht."

Tatsächlich stellt Ralf Schodlok, Vorstandsmitglied sowohl von ESWE-Versorgung als auch von KMW, klar, dass ein dreimonatiger Stillstand der Planungen das "Aus" bedeute: "Dann müssen wir den Laden zumachen."

Hintergrund sei, dass es bundesweit bei den Energie-Erzeugungskapazitäten einen "Investitionsstau" gegeben habe, der nun massiv abgebaut werde. Derzeit sei deshalb der Anlagenbau "auf Jahre ausgelastet", bei der Auftragsvergabe zähle jeder Tag. Zudem erhalte KMW so genannte CO2-Zertifikate vom Bundswirtschaftsministerium nur kostenlos zugeteilt, wenn das Kraftwerk bis 2012 ans Netz gehe. Das spare Millionenbeträge. Schodlok: "Wenn wir jetzt mit den Genehmigungsverfahren beginnen, würde wir es gerade schaffen."

Es habe durchaus auch eine Abwägung zwischen den unterschiedlichen Energiearten gegeben - mit dem eindeutigen Ergebnis, dass regenerative Energien nicht in der Lage seien, den Wegfall des derzeitigen Gaskraftwerks aufzufangen. Das Gaskraftwerk soll nach 15 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden, weil die Lieferverträge für Gas ausliefen und keine Anschlussverträge zu wirtschaftlich sinnvollen Konditionen in Sicht seien.

"Kohle", macht Schodlok deutlich, sei die "einzige sinnvolle Alternative." Es gebe weltweit zahlreiche Anbieter, das mache unabhängig von einzelnen Lieferanten wie auch von Leitungen. Und: "zur Not" könne sogar auf deutsche Steinkohle zurück gegriffen werden. Darüber hinaus sichere der Neubau die Stromversorgung für die Stadt Wiesbaden.

Auch wirtschaftlich werde sich die 900 Millionen Euro-Investion rechnen, ist sich der ESWE- und KMW-Vorstand sicher. Das habe zumindest die Überprüfung durch das renommierte Wirtschaftsberatungsinstitut KPMG aus Frankfurt ergeben.

Und noch ein wichtiges Argument hat Schodlock parat: "Wenn wir es jetzt nicht machen, macht es vielleicht irgendwann ein anderer."

Das will er keineswegs als Drohung sehen, sondern als aus seiner Sicht durchaus realistische Einschätzung. Dann aber - sollte tatsächlich einer der großen Energiekonzerne den Kraftwerksbau übernehmen - säßen keine Vertreter von Mainz und Wiesbaden mehr in den Aufsichtsräten, die die Interessen der beiden Landeshauptstädte in die Waagschale werfen könnten.

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