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Artikel erschienen in Die Tageszeitung, 17. Januar 2007

Das Wetter ist günstig für eine Energiewende. Doch kein Windhauch regt sich

Von Mathias Greffrath. Die Luft ist mild und lau, die Jogger joggen, die Skifahrer schmollen. Schröders Gazprom spielt am Hahn, und die Kinder fragen unterm Weihnachtsbaum, warum die Eltern nicht mit Rapsöl zu Oma fahren, damit die Eisbären überleben. Das Klima ist so gut wie selten - für eine Energiewende. Aber kein geistiger Windstoß belebt die warme Luft der Konsensdemokratie. Die Rangeleien zwischen Wirtschafts- und Umweltminister spielen sich auf dem Nullniveau ab: nuklear oder nicht-nuklear.

Das ist der Fluch versäumter Taten: Der Atomausstieg, den die rotgrüne Koalition durchsetzte, wurde nicht durch einen kräftigen Einstieg in regenerative Energien komplettiert. Zwar machte das Energieeinspeisungsgesetz von 2000 Deutschland zum weltweiten Vorreiter solarer Techniken. Aber seitdem hat es keine zusätzlichen Initiativen gegeben. Gegenwärtig wird der weitere Ausbau der Windenergie auf Länderebene blockiert - mit der Konsequenz, dass wir in die Laufzeitverlängerung für AKWs stolpern (so will's die CDU) oder neue Kohlekraftwerke (so der Umweltminister) bauen. Als Notbehelf, so heißt es - aber der dürfte zum Dauerzustand werden, wenn der Weg in die solare Zukunft weiterhin verbaut wird. Durch Nichthandeln oder gar - so schlägt es Außenminister Steinmeier vor - durch Stärkung der Monopolstellung der großen Energieanbieter, damit sie in sibirische Öl- und Gasfelder investieren können. Die "Konsensgespräche", zu denen die Strom- und Gasbosse rituell ins Kanzleramt gebeten werden, kratzen an der einen oder anderen oligopolistischen Unsitte, aber sie lassen den Primat der fossilen Energienutzung unangetastet.

Erwärmte Atmosphäre, erkaltete Demokratie. Es geht auch anders, und es gibt sogar ein Modell dafür. Ende der Siebzigerjahre, nach zwei Ölkrisen, den ersten Blackouts in Europa, dem ersten Smogalarm im Ruhrgebiet und der ersten Fast-Katastrophe von Harrisburg, setzte der Bundestag eine Enquetekommission ein, die eine andere Art von "Konsensgespräch" führte: Wissenschaftler und Parlamentarier erarbeiteten vier äquivalente "Energiepfade", die gleichermaßen Wachstum und Lebensstil sichern könnten. Einen mit verstärktem Ausbau der Atomenergie, einen mit Atom und Kohle, einen mit Kohle und regenerativen Energien, und schließlich einen, der auf den Systemwechsel setzte. Der sollte durch den forcierten Ausbau von Wind-, Wasser- und Sonnenenergie und 62 kleine, durch staatliches Handeln induzierte Revolutionen kommen: in der Verkehrspolitik, im Häuserbau, in der Nutzung von Sonne und Wind, Kraft-Wärme-Koppelung, und Spartechnologien aller Art. Es gibt vier Wege, sagte der Bericht, sie sind gleichwertig und möglich. Nun, Parlament, entscheide!

Dem SPD-Politiker Reinhard Ueberhorst war es gelungen, Befürworter und Gegner der Atomenergie zu einem Konsens zu bringen: darüber, dass nicht technische und ökonomische Sachzwänge über unsere Energiezukunft entscheiden. Sondern dass es von unserer Wahl abhängt, in welcher Welt wir leben wollen. Nur die Entscheidung, uns für keine Option zu entscheiden, zwingt uns in die Abhängigkeit von Wechselfällen, Engpässen und fossilen Großakteuren, die sich dann als Retter anbieten. Auf jeden Fall aber - so die Kommission damals - sollten alle Varianten rationeller Energienutzung, alle erneuerbaren Ressourcen a tempo ausgebaut werden: damit wir - für alle Fälle - mehr Möglichkeiten behalten.

Der Enquetebericht war ein Modell kreativer Demokratie und eine großartige Vorlage für eine konsistente Energiepolitik - man muss sich nur vorstellen, wo wir heute wären, wenn die Regierungen der Achtziger- und Neunzigerjahre sie umgewandelt hätten. Aber die SPD verspielte sie, und nach der nuklearverliebten schwarzgelben Koalition brachte Rotgrün nur eine schlappe Wende zustande: die Negativentscheidung gegen Atom, aber keine kräftig instrumentierte Solarstrategie, kein Einstieg in die Kraft-Wärme-Koppelung. Kein "großer Plan".

Alle positiven Einzelmaßnahmen - selbst das richtungsweisende Energieeinspeisungsgesetz - bleiben so dem ständigen Kampf der Lobbys und den Eifersüchteleien der Energie- und Umweltpolitiker ausgesetzt. Der große Entwurf einer Solarstrategie, den der Eurosolar-Vorsitzende und SPD-MdB Hermann Scheer vorlegte, findet weltweit Beachtung, entfaltet beachtliche Wirkung auf kommunaler und Länderebene - aber in der Ministerriege der SPD gilt er nichts.

Dreißig Jahre nach der ersten Ölkrise haben wir immer noch keine ganzheitliche Energiestrategie. Die Lage hat sich verschärft - alle wissen das, nicht nur wegen der warmen Winter, dem Hurrican "Katrina" und der russischen Geschäftspraktiken. Eine neue große Debatte über systemische Alternativen tut not. In Gesellschaft und Parlament, national und europaweit.

Eine solche Debatte hätte die Risiken unberechenbarer Gaslieferanten, die Erschöpfung der Ölfelder und einer atomaren Renaissance abzuwägen gegen die Chancen etwa einer solaren Kooperation Europas mit nordafrikanischen Staaten. Sie müsste die Wirksamkeit von Investitionen in Kohle gegen die in einen Ausbau solarer Architekturen rechnen. Und in ihr müsste über die Besteuerung von Flugbenzin ebenso geredet werden wie über die Errichtung von tausend Windrädern entlang der Bahnstrecken, über Solarzellen auf allen öffentlichen Gebäuden und einiges mehr. Nicht klein-klein und Punkt für Punkt, sondern orientiert durch die große Alternative dieses Jahrhunderts: eine Weltwirtschaft, in der mit steigendem fossilen Energieeinsatz Rohstoffe, Lebensmittel und Menschenmassen um den Globus getrieben werden - oder der Übergang in eine dezentrale, regionalisierte und ökologisch nachhaltige Energie- und Güterproduktion.

Die Gesellschaft muss sich entscheiden, in welche Zukunft sie investieren will. Zwei Energiezeitalter sind nicht vereinbar - und auch nicht zu finanzieren.

Die Ausklammerung energiepolitischer Grundsatzentscheidungen durch die Koalition befördert die fossile Restauration. Und kein politisches Kraftzentrum ist zu spüren, das ein großes Bündnis formen könnte: aus einer aufgeklärten Zivilgesellschaft, die ihre Verkehrs-, Heiz-, Produktions- und Konsumgewohnheiten reflektiert. Aus Solarpionieren in Wissenschaft und Wirtschaft sowie innovativen Fahrzeugbauern, Bauunternehmern und Kommunen. Nur eine solche Koalition könnte den Energiemultis eine Rolle im - allerdings! - welthistorischen Energiewandel zuweisen.

Die Politik ist weit davon entfernt, sie zu schmieden. Und die Gesellschaft ist nicht viel weiter: gemessen an Vernunft und Kosten, müsste es schon heute nicht 30.000 Solarzellenanlagen in Deutschland geben, sondern zehnmal so viel. Es müssten Millionen von Autofahrern auf Öko-Diesel umgestiegen sein, und Millionen müssten ihre Verträge mit den Strommonopolisten gekündigt haben. Die Luft ist mild und lau, und eine Eisbärenfamilie spielt fröhlich im Schnee - auf der Grußkarte des Umweltministers. Unsere Kinder finden das gar nicht komisch.

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