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Artikel erschienen in Die Tageszeitung, 10. Februar 2007

Von Peter Unfried. Kleber, Kerner, "Bild": Alle reden jetzt darüber, was man gegen die Klimakatastrophe tun kann. Gut so? "Das Auswechseln von Glühbirnen ersetzt eine Energiewende nicht", sagt Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLAR. Kaum ist die Intro-Musik verklungen, redet ZDF-Anchor Claus Kleber dieser Tage über das Weltklima. Danach plaudert Kerner im ZDF mit Barbara Becker darüber. Selbst "Polylux" (ARD) ist an dem Thema dran. Die drohende Klimakatastrophe dominiert neuerdings sämtliche Mainstreammedien. Überall Bilder von Polkappen, Eisbären, Auspuffen und Abgastabellen. Vor allem die größte deutsche Tageszeitung Bild gibt sich täglich alarmiert, testet den Umweltfaktor von "Promis" und berät ihre Leser über persönliche Maßnahmen im Kampf gegen das Treibhausgas Kohlendioxid. Tenor: "So können auch SIE unsere Erde retten". Gut so? Geht es voran? Ist die Rettung nahe?

Das zeige, findet der Klimaexperte Hermann Ott, "dass der Klimawandel in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist." Nur, sagt der Berliner Büroleiter des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie: "Was fehlt ist, dass die deutsche Gesellschaft im Klimawandel angekommen ist." Was das heißt? Dass sie tatsächlich etwas ändert. Speziell die Politik. Die sei "ziemlich mau" und letztlich "Abwiegelungspolitik". Immerhin aber sei es möglich, dass diejenigen der klassisch Bild-fixierten Politikerkaste, die "etwas mehr fordern", durch den Rückenwind dazu gebracht würden, "etwas mutiger zu sein". Das sieht der Sprecher der Deutschen Umwelthilfe ähnlich. Die große Berichterstattung, gerade auch in Boulevardmedien, sei "erst mal gut", sagt Gerd Rosenkranz. Man müsse sehen, wie nachhaltig das sei.

Gerade Bild als Zentralorgan des kleinen deutschen Mannes und des großen deutschen Autos sowie des Grundrechts auf billiges Benzin und Höchstgeschwindigkeit steht sicher ein spannender redaktioneller Spagat bevor, angesichts der neuen Parolen wie: "So viel Dreck schleudert Ihr Auto raus". Interessant wird die Sache für Rosenkranz, wenn "Druck von den Leuten" auf den Politikbetrieb entstehe. "Die Politik hat noch nicht begriffen, dass sie sich mehr trauen kann - gegen die Industrie."

Man solle sich von PR-Aktionen nichts vormachen lassen, sagt Rosenkranz: "Die Industrie steht geschlossen auf der Bremse." Das Geschäftsmotto lautet häufig: Umweltschutz ohne Wenn und Aber. Aber nicht jetzt und nicht hier und nicht, wenn es Profit kosten könnte oder Veränderung nötig macht. Manch verantwortlicher Politiker ließ in den letzten Tagen in der Diskussion um eine europäisch festgelegte Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes erkennen, wem er sich verpflichtet fühlt, zuvorderst der bayerische CSU-Vorsitzenden-Kandidat Erwin Huber. "Die Deutschen", sagte Huber, "dürfen von der EU nicht zu einem Volk von Kleinwagenfahrern degradiert werden." Die Deutschen - ein Volk von Kleinwagenfahrern? Wir sind ein Premiumvolk! Und wir verdienen Premiumlimousinen! Am besten aus München oder Ingolstadt. Oder wollt's ihr etwa, dass die Italiener und Franzosen das Geschäft machen?

Dass europäische Konkurrenten die deutschen Autokonzerne mittels perfider Einführung eines Schadstofflimits von 120 Gramm pro Kilometer ausschalten wollten, ist ein Spin, den man in den letzten Tagen immer wieder gern probiert hat. Dass Autos teurer werden, wenn sie Klima schützen, ist ein weiterer Spin. Aber ist es nicht auch so, dass das deutsche Volk dank EU-Kommissar Dimas' Schadstofflimit in den kommenden Jahrzehnten Milliarden und Abermilliarden durch geringeren Spritverbrauch einsparen könnte? Man sollte die betriebswirtschaftliche Überlegung der Autoindustrie nicht mit der volkswirtschaftlichen verwechseln.

Für den SPD-Bundestagsabgeordneten und Energieexperten Hermann Scheer ist die neue Boulevardtauglichkeit des Themas "nett". Aber "man kann es auch als Ablenkung lesen". Die Reduzierung auf den Lebensstil des Individuums greife zu kurz, weil damit "jeder verantwortlich ist und damit keiner". Scheer ist u. a. Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energie und plädiert seit vielen Jahren für eine politisch initiierte Energiewende. "Mit dem Auswechseln von Glühbirnen und sanfterem Umgang mit dem Gaspedal wird eine Energiewende nicht ersetzt", sagt er. Eine weltweite Konsumentenbewegung hin zu kleinen, sauberen Autos und sauberer, erneuerbarer Energie hält er für unrealistisch. Jedenfalls sieht er keine, die sofortiges politisches Handeln ersetzen könnte.

Kompromisse, Verwässerungen, Selbstverpflichtungen, neue Kompromisse? Schluss damit! "Wir müssen ordnungspolitische Konsequenzen ziehen", sagt Scheer, und den "notwendigen Konflikt eingehen" - mit der Industrie. Was heißt das etwa im Zusammenhang mit Erwin Hubers Plädoyer? "Es heißt, dass Huber Unsinn redet: Solche Autos müssen vom Markt. Oder so hoch besteuert werden, dass es abschreckt."

Was nehmen wir nun mit? Die Katastrophenberichterstattung dieser Tage ist gut. Sie kann ein erweitertes Bewusstsein und eine Evaluierung und Überarbeitung des eigenen Konsums und Lebensstils in neue Teile der Gesellschaft tragen. Sie kann politisches Handeln gegen Wirtschaftsblockaden inspirieren, aber nicht ersetzen. Aber es hapert ja bereits an Symbolen. Nehmen wir die Autoflotte des Bundestags: Wann hat sie eine CO2-Begrenzung auf 120 g/km? Wann residiert der Bundespräsident in einem Passivhaus? Immerhin: Sogar die SPD-Bundestagsfraktion ist so aufgeschreckt, dass sie bereits im März geschlossen ins Kino eilt, um Al Gores ein Jahr alten Klimafilm "An Inconvenient Truth" anzuschauen. Und selbst scheinbar unerschütterliche Materialisten gehen nach Ansicht des Gore-Films in sich und werden ziemlich nachdenklich.

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