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Artikel erschienen in Frankfurter Rundschau, 20. März 2007

Von Joachim Wille. Deutschland könnte bis 2040 komplett auf Ökostrom umstellen. Bis Anfang der 2020er Jahre wäre bereits ein Anteil von 75 Prozent drin. Dieses optimistische Szenario zeichnet der SPD-Umweltexperte Hermann Scheer in seinem Memorandum "Jenseits von Kohle und Atom".

Frankfurt a. M. - Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Träger des Alternativen Nobelpreises streitet in seinem Memorandum gegen die Pläne der Energieversorger, in den kommenden acht Jahren 45 neue große Kohle- und Gaskraftwerke zu bauen. Zudem wendet er sich gegen ihre Forderung, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Dadurch würden unnötigerweise "die überkommenen Strukturen der Stromversorgung betoniert" und hohe Treibhausgas-Emissionen bis 2050 festgeschrieben, schreibt Scheer. Denn die technische Lebensdauer von neuen Großkraftwerken beträgt im Schnitt rund 40 Jahre.

Größere Windanlagen

Scheer argumentiert: Der Ausbau von Wind-, Wasser- und Biomasse-Kraftwerken sowie Solarstromanlagen könne stark beschleunigt werden. Auf diese Weise könne der Ökostrom den Atomstrom und große Teil der Elektrizität aus bisherigen Kohlekraftwerken ersetzen. Im Atomkonsens ist festgelegt, dass die 17 AKW, die derzeit rund 30 Prozent des deutschen Stroms liefern, bis 2023 abgeschaltet werden. Bei den fossilen Kraftwerken gibt es aktuell einen hohen Ersatzbedarf, weil viele der Braun- und Steinkohle-Blöcke überaltert sind.

Derzeit stammen knapp zwölf Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Quellen, wobei Windkraft sechs Prozent und Wasserkraft fünf bringen. Der SPD-Politiker hält stark wachsende Stromanteile besonders bei der Windkraft für möglich. Sie soll nach dem Konzept binnen 15 Jahren etwa die Hälfte der Stromversorgung übernehmen. Wasserkraft könne dann zehn Prozent liefern, Biomasse acht, Geothermie fünf und Solarstrom drei.

Scheer schlägt vor, bisherige Windanlagen durch größere zu ersetzen, die im Schnitt 2,5 statt einem Megawatt Leistung haben. Zudem sollen neue Anlagen in jenen Bundesländern gebaut werden, die die Windkraft noch wenig nutzen. Scheer: "Wären in allen Bundesländern die gleichen Potenziale eingeführt wie im Binnenland Sachsen-Anhalt, gäbe es in Deutschland schon jetzt 40 000 Megawatt installierter Windkraftleistung - (statt 20 000, Red.) und einen Gesamtbeitrag erneuerbarer Energien von 18 Prozent." Er wirft den Ländern Hessen, Baden-Württemberg, NRW und Niedersachsen vor, willkürliche Planungshemmnisse gegen Windanlagen aufzubauen, um die AKW-Laufzeitverlängerung besser begründen zu können.

Scheer hält das Problem, dass Windkraft und Solarstrom nicht immer verfügbar sind, durch Ausbau bisheriger und Entwicklung neuer Speichermöglichkeiten für lösbar. Die höheren Kosten der erneuerbaren Energien würden aufgrund der breiten Einführung und dank zu erwartender Technologiesprünge sinken. Die Preise für fossile Energien hingegen würden tendenziell steigen. Neue fossile Kraftwerke sollen laut Scheer-Konzept nur noch mit Kraft-Wärme-Kopplung gebaut werden. Hier wird neben dem Strom auch die Abwärme genutzt.

Scheer, der auch Präsident des Verbandes Eurosolar ist, hält eine schnelle Umstellung der Kraftwerksstruktur bei entspechendem politischen Willen für möglich. Er verweist auf Frankreich, das Mitte der 1960er Jahre in die Kernkraft einstieg und dann binnen rund 15 Jahren den Anteil der Atomenergie von null auf 75 Prozent hochgefahren hat. Etwas Vergleichbares sei auch mit erneuerbaren Energien möglich.

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