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Artikel erschienen in Waiblinger Kreiszeitung, 29. April 2004

Heute wird er 60: Hermann Scheer, Rems-Murr-Bundestagsabgeordneter der SPD und „Solar-Papst“
Von unserem Redaktionsmitglied Peter Schwarz. Waiblingen. Menschen, die etwas ändern wollen und Jahr um Jahr gegen die achtlose Mehrheit und den Widerstand mächtiger Interessengruppen kämpfen, sind von der Verhärtung bedroht. Umweltaktivisten, Bürger-Initiativler: Wenn solche Menschen von ihrem Weg erzählen, handeln die Geschichten oft von der Wut, und in bleischweren Schweigepausen spürt der Zuhörer die Last der Vorwurfsblicke: Jetzt soll er teilnehmen an all der Ohnmacht und Empörung. Es ist schwer, nicht zu verbittern.

Auch Hermann Scheer, der heute 60 wird, kann Romane davon erzählen, mit welch windigen Macht-Tricks Atomkraft-Lobbyisten und Stromkonzerne die Visionen einer ökologisch nicht zerstörerischen Weltgesellschaft auszubremsen versuchen; kann Epen ausbreiten über den Kleingeist der Bürokraten, Sachzwang-Jünger, „Ja aber“-Sager und selbst ernannten „Realisten“, die immerzu erklären, was alles noch nicht geht und noch nie gegangen ist.

Aber wenn Scheers Geschichten an einem dieser Punkte anlangen, wo der Zynismus der Verhinderer besonders nackt zu Tage tritt, dann geschieht oft folgendes: Scheer lacht; lacht so herzlich, als habe er gerade eine Pointe platziert, die ihn auch beim x-ten Erzählen noch selber begeistert. Der Mann wirkt außergewöhnlich unverbittert.

Unterwegs mit Hermann Scheer von Waiblingen nach Schwäbisch Hall. Er steuert einen Leihwagen, ein eigenes Auto hat er nicht. Er fährt, wie er denkt: nicht chaotisch, aber unkonventionell, mit mediterraner Kreativität in der Auslegung anerkannter Regeln; Abkürzungen – die sich auch mal als Umwege entpuppen können – schlägt er ohne Zaudern ein. Abends wird er bei den Haller Stadtwerken reden, über irgendwas Energiepolitisches, „ich weiß nicht, wie das Thema im Einzelnen ist. Das krieg ich dann schon noch mit.“ Er lacht.

Träger des alternativen Nobelpreises; vom amerikanischen „Time Magazine“ zum weltweiten „Hero for the Green Century“ ernannt; internationaler Vorkämpfer einer Zukunft, in der Sonne, Wind, Wasser, Biomasse die Atomkraft und die fossilen Energien Kohle, Öl, Gas abgelöst haben werden; maßgeblicher Gestalter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Deutschland … Menschen, bei denen die visionäre Kraft derart helle Funken schlägt, unterstellt der Laie oft: Der hat das Arbeiten nicht nötig, der hat ja Ideen. Scheer antwortet: „Es gibt kein Konzept, hinter dem nicht Arbeit steckt!“ Nur wenden manche Politiker „50 Prozent ihrer Zeit für Öffentlichkeits-Arbeit“ auf. Wer in Berlin alle Sehen-und-gesehen-werden-Termine besucht, zu denen er eingeladen ist, „kann auf jede Geldausgabe wegen Essen verzichten“. Aber es ist doch nicht kostenlos. „Man bezahlt’s mit seiner Zeit.“ Und Zeit ist nicht erneuerbar.

Wenn Scheer alle inhaltsarmen Repräsentationstermine wahrnähme, könnte er keine Bücher schreiben (er hat mehrere geschrieben und plant derzeit das nächste), kaum Vorträge halten (er hält jährlich 200 weltweit), kaum umweltpolitische Vorstöße initiieren (er initiiert dauernd einen und meist mehrere gleichzeitig).

Neulich sprach er im englischen Unterhaus vor einer Expertenkommission über Energiepolitik, kurz darauf redete er vor der UNESCO. Man hat aus manchem Politikerleben schon über weniger Weltbewegendes mehrseitige Pressemitteilungen gelesen. Von Scheer kam nichts. „Die Produktion von Schein“ koste zu viel Zeit.

Er sei nicht an einem Ministerposten interessiert – „wobei ich sicher bin, dass ich besser bin als die anderen! Absolut sicher!“ Er lacht schallend. Aber als Umweltminister hätte er zum Beispiel keine Mineralölsteuerbefreiung für Biokraftstoffe durchsetzen können, denn Steuersachen fallen ins Ressort des Finanzministers.

„Manche“, auch SPD-Genossen, „haben versteckte Aggressionen mir gegenüber, weil sie denken, man müsse das alles mitmachen“, all das Postengeschacher und PR-Geschnatter – „und wenn es dann jemand demonstrativ nicht mitmacht“, wird er verdächtig. Je nun. In einem Interview erzählte Scheer einmal: Wenn ihm die „Arroganz des etablierten Mittelmaßes“ entgegenschlage rufe er eine Volksweisheit auf, „Was kümmert es den Adler, wenn die Krähen krächzen?“ Der Interviewer warf ein: „Direkt bescheiden wirken Sie mit solchen Sätzen nicht.“ Scheer antwortete in bescheidener Kürze: „Ich bin nicht bescheiden.“

Ankunft in Hall. Scheer schaut auf die Info-Tafel im Stadtwerke-Foyer. „Was ist mein Thema?“ Erneuerbare Energien, na klar. Er hält einen anderthalbstündigen fulminanten Vortrag, er spricht frei, wie immer, weil ihm sonst langweilig wird.

Die Haller Stadtwerke liefern Strom für Greenpeace Energy in Schönau, haben Anteile an Naturstrom Düsseldorf, setzen entschlossen auf Sonnenenergie, Wasserkraft, Blockheizkraftwerke – und allen, die meinen, das gehe noch nicht und sei noch nie gegangen, antwortet der Geschäftsführer: „Wir wissen nicht wohin mit dem Geld.“ Einst, als er seinen ersten Scheer-Vortrag hörte, dachte der Stadtwerke-Chef: Hübsche Visionen – die Hälfte nehme ich ihm ab. „Der Prozentsatz ist seither immer mehr gestiegen.“ Derzeit, fünf Vorträge später, „liegt er bei etwa 90 Prozent“.

Nachts sitzen der Stadtwerker und der Solarpapst auf einer Kneipenterrasse, servieren einander Anekdoten und lachen und lachen. Marlon Brando, erzählt Scheer, habe „The Solar Manifesto“ gelesen (im deutschen Original: „Sonnen-Strategie“ und lasse seither dauernd anfragen, wann Scheer ihn mal besuchen komme.

Menschen, die gewohnt sind, von andächtig Lauschenden umgeben zu sein, verlernen oft die Kunst des Zuhörens. Scheer wirkt ziemlich verschont von dieser Berufsdeformation_ Er saugt die Geschichtchen, die der Stadtwerke-Chef über Strombosse zum Besten gibt, förmlich auf. Am Ende des Abends umarmen sich die beiden.

Verbittern? Hermann Scheer glaubt felsenfest, das Richtige zu tun, er tut es unbändig gern, und er macht es gut – niemals käme er auf die Idee, das zu bestreiten.

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