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Laudatio von Loretta Schaeffer auf Hermann Scheer aus Anlass der Verleihung des Welt-Solar-Peises, Wien, 10. Juli 1998

"Ich fühle mich durch diese Aufgabe sehr geehrt, denn meine aller- allerersten Schritte im Bereich der Solar-Photovoltaik habe ich bei der Europäischen Konferenz in Montreal gemacht. Dort habe ich mich mit den Grundbegriffen vertraut gemacht und die Tatsache, daß ich damals diese Konferenz überhaupt besuchte, zeigt, daß die Weltbank großes Interesse an dem Thema hatte.
Jedoch erst bei der Ersten Welt-Solar-Photovoltaik-Konferenz in Hawaii kam es zu einem wirklich starken Engagement der Weltbank für die Entwicklung der Photovoltaik in den Ländern der Dritten Welt. Ich bin gerade in den Ruhestand getreten und bin beruhigt, - erfreut, weil ich weiß, daß die Weltbank hier im genannten Bereich nichts mehr rückgängig machen wird.

Ich halte es für sehr passend, daß der erste Welt-Solar-Photovoltaik-Preis Dr. Hermann Scheer verliehen wird. Professor Schmid hat gesagt, an einen Politiker, aber das würde ich gern näher definieren. Ich meine, er wurde Dr. Scheer für politischen Aktivismus verliehen, für eine grundlegende Solarenergie-Lebensanschauung und Veröffentlichungen zu diesem Thema, die wir alle übernehmen können, außerdem für das, was er auf breiter Ebene organisatorisch erreicht hat.

Offengestanden haben mich die genauen Kriterien bezüglich der Auswahl eines Preisträgers sehr interessiert, als ich gebeten wurde, diese Aufgabe zu übernehmen, da dieser Preis heute zum erstenmal verliehen wird. Und mir fällt etwas ganz Einfaches ein, was bei der Auswahl eines Preisträgers als Richtlinie gelten kann:

Damit es besser im Gedächtnis haftet - und weil wir Amerikaner sowieso eine Vorliebe für Vereinfachungen haben, möchte ich es mit drei Is zusammenfassen: Eines steht für "Insight" (Verständnis). Insight möchte ich als rationalen Gebrauch des Intellekts aber auch als Intuition definieren. Insight kann nur entwickeln, wer diese beiden Seiten der eigenen Kreativität zu Wort kommen läßt. Ein anderes "I" steht für "Innovation" und selbstverständlich steht "I" für "Impact" (Auswirkung). Insight-Innovation-Impact.

Wie hat nun Hermann Scheer diesen Auswahlkriterien entsprochen? Den meisten hier Anwesenden ist Hermann Scheer durch sein hervorragendes Buch "Sonnen-Strategie" bekannt. Dieses Buch zeichnet eine sehr deutliche Beziehung zwischen der Nutzung fossiler Brennstoffe und den Schlüsselproblemen unseres 20. Jahrhunderts: Wettrüsten, Verbreitung von Atomwaffen., Umweltzerstörung und der drohende Niedergang bzw. die Gefahr, denen sich unsere Demokratie gegenübersieht. Und dann liefert das Buch "Sonnen-Strategie" ein überwältigendes Plädoyer dafür, daß wirkliche Volkswirtschaft auch ökologische Gesichtspunkte einbezieht. Es bezeichnet Energieeffizienz als wichtig, jedoch sei sie nur als begrenzte Alternative für einen Aufschub der Katastrophe anzusehen. Und die Schlußfolgerungen sind sehr überzeugend. Aber nur erneuerbare Energien - und ich wiederhole: wirklich nur sie - bieten ein sine qua non für den Schutz der Demokratie und für eine lebenswerte Welt.

Was hat Hermann Scheer dazu bewogen, Anfang der neunziger Jahre dieses kraftvolle Buch zu schreiben? Betrachtet man seinen Werdegang, so wird es klar. Er ist Jahrgang 1944 und startete seine berufliche Karriere auf einer völlig anderen Schiene. Dies war jedoch sehr nützlich. Also: wie fing er an? Er besuchte eine Offiziersschule. Dieser Revolutionär besuchte eine Offiziersschule?! Er beendete die Ausbildung im Dienstgrad eines Leutnants. Als junger Mann war er sportlich aktiv. Er war Schwimmsportler. So besitzt er die Fähigkeit zu straffer Disziplin und engagiertem Einsatz, die Sport, Mitwirkung im deutschen Nationalteam und eine militärische Ausbildung einem Menschen vermitteln können. Er war kein Sturm- und Drang-Hippie, seine Laufbahn begann anders. Und was geschah dann? Es waren die sechziger Jahre. Und Hermann Scheer verließ die Bundeswehr. Warum? Denken Sie doch einmal an diese Zeit zurück. - Er machte seine Augen auf, sah sich um und sagte: " Ich will kein Wettrüsten, Ich will keine Atomwaffen und keine Verbreitung von Waffen. Hier kann ich nicht bleiben."

So änderte er seine Lebensplanung und besuchte die Universität. Er vollzog eine einschneidende Veränderung. Und an der Universität? Dort erwachte sein Interesse an demokratischen Institutionen. Er befaßte sich mit sozialen Aktivitäten, mit der sozialen Seite von staatlichen Unternehmen, und er stellte fest, daß in der modernen Welt die Demokratie stark gefährdet ist. Gleichzeitig arbeitete er an seinem ersten Buch: "Parteien kontra Bürger". Es war ihm also bereits klar, daß Politik auf Kosten der Bürgerrechte ging. Er wurde wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität in Stuttgart - der Stadt, von der aus er bis heute als Politiker wirkt. 1976 jedoch gab er seiner Laufbahn erneut eine bedeutende Wendung. Dieser junge Mann wurde wissenschaftlicher Systemforscher in Deutschlands Kernforschungszentrum. Er ging also geradewegs in die Höhle des Löwen. Und dort hatte er vier Jahre lang die Gefahren der nuklearen Entwicklung vor Augen.

Als Student war er zum Präsidenten des Studentenparlaments gewählt worden. Er war sich also bereits seiner Fähigkeit bewußt, Menschen zusammenzurufen und zu überzeugen. Jetzt hatte er allmählich sehr klare Vorstellungen, nämlich: Stoppt die Bombe, stoppt das Aufrüsten und paßt auf, was sich in der nuklearen Entwicklung tut - wegen ihrer grundsätzlichen Gefahr für die Menschheit, und: schützt die demokratischen Institutionen. All das kreiste schon in seinem Kopf, als er 1980 in den Bundestag gewählt wurde. Während seiner Zeit als Parlamentarier schrieb er das Buch: "Befreiung von der Bombe".

Und trotzdem ist das noch immer nicht der Hermann Scheer, der heute vor uns steht. Was hat ihn verändert? Die Veränderung geschah meiner Meinung nach in ihm, in den heutigen Europäern, schließlich auch in den Amerikanern - von den Japanern weiß ich es nicht, aber Europa erfuhr auf jeden Fall eine stärkere Änderung als der Rest der Welt. Ich glaube, die Veränderung wurde durchTschernobyl bewirkt. Tschernobyl war 1986 und, so ist es in Hermann Scheers Lebenslauf nachzulesen, EUROSOLAR wurde 1988 gegründet. 1986 war er bereits sechs Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestags, er war schon Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Aber er sah ein, daß ein politischer Wechsel nicht allein innerhalb dieser Struktur stattfinden würde. Er hatte Insiderkenntnisse der militärischen Strukturen und der Nuklear-Organisationen und war jetzt Teil der politischen Struktur. Er stellte fest, daß nur die Entwicklung an der Basis Neuerungen bringen konnte. Und ich glaube, hier begriff er intuitiv, was erneuerbare Energien, was die Solarenergie anbieten konnte. Der Unfall in Tschernobyl fand also 1986 statt, EUROSOLAR wurde 1988 gegründet und 1990 beginnt er, an dem Buch "Sonnen-Strategie" zu schreiben. Das paßt alles zusammen.

Er hat die Einführung von Einspeiserichtlinien für Strom aus erneuerbaren Energien in Europa zu verantworten. Und gerade eben hat er mit Blick auf die Entwicklung des Grünen Strommarktes wiederum die breite Basis angesprochen.

Blicken wir auf seine bisherigen Leistungen zurück: er hat nachdrücklich Verständnis und Innovation bewiesen und ebenso weltweite Auswirkung, denn das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt. In der Weltbank wurde das Buch meine Bibel. Es tut mir nur leid, daß ich es in den Jahren 1982/83 nicht hatte, denn mit Scheers Argumenten hätte ich meinen Kampf in der Weltbank verstärkt führen können. So meine ich, vielleicht kann man Hermann Scheers Leistungen am besten charakterisieren, wenn man daran erinnert, was Albert Schweitzer zu Beginn dieses Jahrhunderts gesagt hat: "Für die Wahrheit gibt es keine bestimmte Stunde. Die Stunde der Wahrheit ist jetzt und immer und ganz besonders dann, wenn sie am wenigsten passend scheint ..." Das hört sich ausgesprochen paradox an: "Wahrheit ist dann am nötigsten, wenn sie am wenigsten passend erscheint." Dr. Scheer hat die Solarenergie-Wahrheit laut und öffentlich und zu den unpassendsten Momenten verkündet. Für die Photovoltaik gibt es keinen passenden Augenblick, weder hier noch sonst irgendwo auf der Welt. Aber jetzt ist die Zeit, darüber zu reden.

Für die Entwicklung der Photovoltaik brauchen wir Hermann Scheers Stimme heute dringender als je zuvor. Einer meiner Vorredner hat sich zu der wunderschönen Hofburg geäußert, in der wir uns aufhalten, und ich bin nun seit sechs Tagen in dieser schönen Stadt Wien, Tag für Tag umgeben von einer Sprache, die ich nicht verstehe - trotz meines Namens. Denn: io parlo italiano, je sais parler francais, mein Türkisch ist auch ganz brauchbar, aber - deutsch spreche ich nicht. Daher möchte ich, zu meinem eigenen Vergnügen, die Laudatio auf Dr. Scheer mit den berühmten Worten meines Landsmanns, Präsident Kennedy, paraphrasieren.

Zuerst möchte ich sagen - und bitte verzeihen Sie mir meinen Akzent: "Er ist ein Berliner". Was dem Kern der Sache jedoch näher kommt und worüber wir uns wohl alle einig sind. "Er ist ein Europäer". Und - von noch größerer Bedeutung für diese Gemeinschaft, welche die Europäische Konferenz, die Konferenz in den USA und die im Asiatisch-Pazifischen Raum verbindet: "Er ist ein Weltbürger!"
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