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Iniative for an International Renewable Energy Agency

 










Der energethische Imperativ, Verlag Antje Kunstmann, 2010.

Energieautonomie
Energieautonomie. Eine neue Politik für Erneuerbare Energien. Verlag Antje Kunstmann, 2005.
Energy Autonomy.
The Economic, Social and Technological Case for Renewable Energy. Earthscan/James & James, Dezember 2006.

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Interview veröffentlicht in der Heidelberger Studentenzeitung am 09. Januar 2009
Gesprächsleitung: Andreas Hofem

Herr Scheer, warum brauchen wir eine Wende in der Energiepolitik, eine Energierevolution?

Herkömmliche Energievorkommen gehen zur Neige. Und zwar schneller als viele denken, mit umfassenden Folgen bis in die internationale Politik. Die Botschaft ist: „Es reicht nicht mehr für alle!“ Doch der Weltenergiebedarf wächst. Allen voran in China und Indien, wo ein Drittel der Weltbevölkerung lebt. Und ohne Energie geht bekanntlich nichts.

Sie ist der Kern aller wirtschaftlichen Aktivitäten, also der Umwandlung von Stoffen im Rohzustand in Produkte mit Hilfe umgewandelter Energie. Das heißt, der gesamte ökonomische Prozess ist ein Ressourcennutzungs- und Umwandlungsprozess, der vorwiegend auf nicht-erneuerbaren Ressourcen beruht. Nun kommen wir aber ans Ende der Möglichkeiten.

Dieser Grundtatbestand wird gerne verdrängt, weil der Wechsel zu erneuerbaren Ressourcen die größte und umfassendste Herausforderungen darstellt, die die Weltwirtschaft je gesehen hat. Und das hat noch nicht einmal etwas zwingend mit dem Umweltproblem zu tun. Denn dieses Problem bestünde auch dann, wenn es keinerlei Umweltprobleme gäbe.

Also ist die Grundfrage der gesamten weltwirtschaftlichen und zivilisatorischen Entwicklung, wie wir von nicht-erneuerbaren zu erneuerbaren Ressourcen kommen.

 

Das Problem ist also die Grundlage unseres Wirtschaftens?

Ja! Und das Umweltproblem verschärft dieses. Denn selbst wenn alle diejenigen Recht hätten, die immer wieder behaupten, wenn man nur immer noch tiefer bohrt, gäbe es noch Spielräume für die herkömmliche Ressourcennutzung: Es würde uns gar nichts nützen, weil die Umweltprobleme der Umwandlung dieser nicht-erneuerbaren Ressourcen die Ökosphäre jetzt schon überstrapazieren!

 

Die Ökosphäre setzt das Limit?

Wir haben es mit einem Ressourcenlimit und mit einem ökologischen Limit zu tun. Und das bedeutet wir müssen im Laufe der nächsten drei Jahrzehnte den Wechsel zu den erneuerbaren Energieressourcen schaffen. Das ist die Schlüsselaufgabe, die welt-zivilisatorische Schlüsselaufgabe.

 

Können Sie uns kurz darstellen, wie die „Energiewende“ aussehen soll. Was sind die Kernbestandteile?

Der Kernbestandteil ist der Wechsel von nicht-erneuerbaren zu erneuerbaren Energien. Und zwar der vollständige Wechsel! Nur zehn oder zwanzig Prozent, das bedeutet lediglich Aufschub. Und alleine auf Energieeffizienz zu setzen bedeutet auch nicht mehr, als sich Zeit zu kaufen.

 

Sie sprechen selbst von einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energien, die bis 2040 in Deutschland möglich wäre.

Ich halte sie sogar für früher möglich!

 

Es gibt jedoch Stimmen, die behaupten: „Das ist der falsche Ansatz, wir brauchen Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke und wir brauchen CO2-freie Kohlekraftwerke. Nur so können wir es schaffen, den Klimawandel in den Griff zu bekommen...“

Die Frage ist doch, welchen Realismusbegriff diese Leute überhaupt haben. Es gibt zwei verschiedene Verständnisse von Realismus. Das eine ist, die gegenwärtigen Konstellationen zu akzeptieren und peu à peu die Entwicklung in eine andere Richtung zu drängen. Dafür haben wir aber nicht mehr genug Zeit!

Das andere Realismusverständnis ist das, was ich hochhalte. Nämlich, dass auf die reale Problemlage eine adäquate Antwort gefunden wird, anstatt weiter herumzuwursteln!

 

Aber beim Thema Zeitdruck wird ja gerade gesagt: „Die erneuerbaren Energien sind noch nicht bereit, deshalb brauchen wir jetzt Atomkraft!“

Das ist Quatsch! Dass sie noch nicht bereit wären, das ist alles Quatsch! Nichts ist schneller einführbar als erneuerbare Energien, weil der Infrastrukturbedarf für sie geringer ist. Und weil die Installationszeiten mit Abstand die kürzesten sind. Man muss allerdings den Strukturwandel akzeptieren, der dafür notwendig ist.

 

Sind denn diese angesprochenen Strukturen überhaupt wandelbar?

Es geht nicht um den Wandel der jetzigen Strukturen. Es geht um den Aufbau neuer Strukturen.

 

Jetzt haben wir aber nun mal diese Strukturen.

Ja, die haben wir. Die Frage ist aber, was ist wichtiger? Dass wir vor Sorge triefen um die Aufrechterhaltung der jetzigen Energiebereitstellungsstrukturen, das heißt der jetzigen Energiewirtschaft? Oder haben wir es mit einem gesellschaftlichen Eilbedarf zu tun? Einem Wechsel zu dauerhaft verfügbaren Energiequellen, die in anderen Formen bereitgestellt werden müssen? In keiner Verfassung steht geschrieben, dass die heutigen Energieversorger auch diejenigen sind, die morgen die Energieversorgung realisieren. Die Energiewirtschaft hat keinen Verfassungsrang!

 

Aber noch mal anders formuliert: Es gibt diese Strukturen, egal wie man zu ihnen steht. Es gibt deshalb massive wirtschaftliche Interessen der derzeit großen Spieler...

Das ist der Widerspruch zwischen einzelwirtschaftlichem Interesse und dem gesamtgesellschaftlichen Interesse! Und die politische Aufgabe ist es selbstverständlich, im gesamtgesellschaftlichen Interesse zu operieren. Das heißt, die Spielräume dafür zu öffnen, dass sich die neuen Energien entfalten können, statt darauf zu warten bis die Energiewirtschaft aus sich heraus den Strukturwandel vollzieht. Denn die Energiewirtschaft wird diesen Strukturwandel immer aufzuschieben versuchen! Weil sie ihre Investitionen bisher nahezu zu hundert Prozent auf die herkömmliche Energieversorgung ausgerichtet hat. Es wird nicht ohne Kapitalvernichtung gehen, wenn wir den Wettlauf mit der Zeit gewinnen wollen!

 

Sicher, nun gibt es aber diese Wirtschaftsinteressen und die sind mächtig. Und es gibt die entsprechenden politischen Rezeptoren.

Das ist klar. Die haben ihre Einflüsse und nehmen diese wahr.

 

Sie beschreiben in Ihrem Buch „Energieautonomie“ immer wieder diese Blockaden und Hemmnisse bei dem Umstieg auf erneuerbare Energien. Wie kann man diese Blockaden aber überwinden?

Durch das Schaffen politischer Rahmenbedingungen, die den erneuerbaren Energien ihren Entfaltungsspielraum geben. Und auch den Investoren. Wenn ich davon spreche, dass die Monopolrolle der heutigen Energiewirtschaft keinen Verfassungsrang hat, dann heißt das: Wir brauchen neue Spieler!

Um es mal auf den Punkt zu bringen, es ist ja auch nicht gesagt worden als der Computer aufgekommen ist: „Wir müssen die Einführung aufschieben, damit die Schreibmaschinenindustrie geschützt bleibt!“

Jeder Ökonom hätte sich lächerlich gemacht, der das gesagt hätte. Aber ein solch lächerliches Argument gilt als selbstverständlich wenn es um Energieversorgung geht. Das heißt, die heutige Energiewirtschaft hat neben ihrem tatsächlichen Monopol eine Art geistiges Monopol in den Köpfen. Und das muss aufgebrochen werden!

 

Wie kann die Bevölkerung von der Energiewende überzeugt werden?

Die Bevölkerung ist doch gar nicht das Problem. Die Bevölkerung ist zu über 80 Prozent für den Ausbau erneuerbarer Energien. Und weniger als zehn Prozent sind für neue Kohle- oder Atomkraftwerke. Die Bevölkerung ist gewinnbar! Sie wird nur immer wieder systematisch verunsichert. Die Energiewirtschaft hält die Behauptung hoch, dass das Potenzial der erneuerbaren Energie nicht ausreicht. Und sie leiten daraus die Rechtfertigung ab, auch in Zukunft neue Kohlekraftwerke zu bauen oder die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern. Würden sie zugeben, dass das Potenzial erneuerbarer Energien ausreicht um den Energiewechsel zu vollziehen, dann würde diese Rechtfertigung völlig in sich zusammenbrechen.

 

Jetzt sagen Sie: „Die Energiewirtschaft blockiert! Und es gibt entsprechende politische Repräsentanten, die daran beteiligt sind.“ Gleichzeitig soll aber die Politik die Initiative zur Energiewende geben. Ist die Politik dazu überhaupt in der Lage?

Dass sie dazu in der Lage sein kann ist ja belegt worden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat technologisch wie wirtschaftlich bewiesen, dass der Wechsel viel schneller gehen kann, als die meisten Energieexperten behauptet haben. Alleine das, was in den Jahren 2007 und 2008 neu an Kapazitäten zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien hinzugekommen ist, macht fünf Prozent der deutschen Stromversorgung aus. In nur zwei Jahren! Wenn man diese Zuwachsleistung fortsetzen würde, dann können Sie sich ausrechnen, wann wir von jetzt achtzehn Prozent bei hundert Prozent in der Stromversorgung angelangt wären. Da wären wir im Jahr 2035!

Was in den letzten zwei Jahren zugewachsen ist, ist ein empirischer Beleg für die Kraft politischer Initiative. Ich gebe Ihnen einen zweiten: In Sachsen-Anhalt, in Brandenburg, in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen haben wir einen Anteil der Stromversorgung von über dreißig Prozent aus Windkraft. In Hessen aber nur 1,8 Prozent und in Bayern und Baden-Württemberg nur 0,5 Prozent. Das kann man nicht mit geografischen Gründen erklären!

 

Das ist aber doch das Hauptargument: Das eben der Wind nicht überall gleich weht.

Aber das ist doch offenkundiger Unsinn! Brandenburg hat keine Küste und Sachsen-Anhalt hat auch keine Küste! Das sind reine Binnenländer. Offenkundiger Unsinn! Eine Schutzbehauptung, die ablenkt davon, wo der wirkliche Grund ist. Nämlich, dass systematische Genehmigungsverweigerung für Standorte betrieben wird! Das ist Politik!

 

Warum wird diese Politik betrieben?

Um die herkömmliche Energiewirtschaft zu schützen! Und um die Behauptung aufrecht zu erhalten, Atomenergie sei unverzichtbar. Es ist kein Zufall, dass genau diese Landesregierungen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen unbedingt an der Atomenergie festhalten wollen.

 

Wir reden hier über Deutschland, das Problem der Rohstoffknappheit und des Klimawandels ist aber global. Wie können energiehungrige Staaten wie China und Indien überzeugt werden, dass die Energiewende technisch, finanziell und wirtschaftlich machbar ist?

Auf dem selben Wege wie das bei uns geschieht. Wir haben es mit einer uniformierten Energiewirtschaft zu tun, im weltweiten Maßstab. Uniformiert durch die einseitige Fixierung, die hundert Jahre lang gegolten hat: Zunächst auf fossile Energien und dann in den letzten fünfzig Jahren auch auf Atomenergie. Mit einer völligen Unterschätzung oder sogar Ignorierung erneuerbarer Energien. Und das heißt: Es gibt eine Herrschaft des herkömmlichen Energieparadigmas. Auch in den Köpfen!

 

China investiert derzeit Milliarden in neue Atom- und Kohlekraftwerke.

Ja, sie machen dort dasselbe, wie es hier immer gemacht worden ist. Dass sie aus dem herkömmlichen Energiedenken heraus, von ihren herkömmlichen Energiestrukturen immer wieder zu den selben alten Antworten kommen.

 

Aber sind denn erneuerbare Energien wirklich für alle Staaten eine realistische Alternative?

Sie haben natürlich bei erneuerbaren Energie zwangsläufig eine Energiediversität. Die hängt von den unterschiedlichen geografischen Bedingungen ab. Und davon hängt ab, welche Potenziale der erneuerbaren Energie vorrangig zur Geltung kommen können. Nehmen Sie Österreich. Dort wird aufgrund der Alpenlage schon traditionell Wasserkraft genutzt. Heute sind etwa 70 Prozent der österreichischen Stromnachfrage aus Wasserkraft abdeckbar. Aus der Kombination der vorhandenen Wasserkraft mit zum Beispiel der Windkraft, könnte man - so schnell wie man diese Windkraftanlagen eben errichten kann - innerhalb von zwei oder drei Jahren auf hundert Prozent kommen. Das kann niemand widerlegen!

Sie bräuchten dazu in Österreich etwa 1500 neue Windkraftanlagen und dann wäre der Fall geregelt. Wo ist das grundlegende Problem? Es wird in Österreich mindestens 30000 Hochspannungsmasten geben. Man muss also vor dieser Zahl nicht erschrecken.

 

Das optische Argument der Windkraftgegner zählt also nicht?

Das optische Argument kann außerdem nicht das ausschlaggebende sein. Da geht es um gewichtigere ökologische Probleme!

 

Also ist der Umstieg auf erneuerbare Energien, geografisch angepasst, für fast jedes Land machbar?

Für jedes Land!

 

Herr Scheer, Sie waren selbst ein politisch sehr aktiver Student. Was können Studenten heute ganz praktisch tun, um die Energiewende voranzutreiben?

Als einzelner Student ist das Wichtigste, dass man erkennt, dass die Energiewende möglich ist. Dass man die Argumente nicht mehr akzeptiert, die immer wieder hervorgebracht werden, um die Entwicklung hinzuhalten. Jeder ist Staatsbürger. Und als Staatsbürger ist man ein Multiplikator, der dazu beiträgt, dass ein öffentlicher Druck entsteht, der sich auf die Politik niederschlägt. Dass endlich politisch anders entschieden wird, dass die Ausreden aufhören. Und dass die Koalition der Aufschieber zerbrochen wird. Dass sie kein Gehör mehr findet. Das kann jeder, das kostet keine Investitionsmittel!

 

Das heißt also das Bewusstsein zu schärfen?

Wenn dieses Bewusstsein entsteht, dann werden immer mehr ihren Beitrag leisten können. Den kann man als Lehrer leisten. Oder man kann in technischen Berufen in diesem Sinne handeln. Oder auch als Konsument. Das sind die individuellen Spielräume. Aber der wichtigste Punkt ist die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen!

 

Das wäre dann der umgedrehte Marx: Das Bewusstsein muss das Sein bestimmen!

Das Bewusstsein bestimmt das Sein, ja das ist richtig.

 

Herr Scheer, vielen Dank für das Gespräch.

 

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