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Iniative for an International Renewable Energy Agency

 










Der energethische Imperativ, Verlag Antje Kunstmann, 2010.

Energieautonomie
Energieautonomie. Eine neue Politik für Erneuerbare Energien. Verlag Antje Kunstmann, 2005.
Energy Autonomy.
The Economic, Social and Technological Case for Renewable Energy. Earthscan/James & James, Dezember 2006.

Interview erschienen in VDI-Nachrichten, 09. November 2007

Herrmann Scheer, Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD) und Präsident von Eurosolar wirbt seit Jahren nicht nur für den Einsatz von erneuerbaren Energien, sondern er engagiert sich zunehmend auch für Konzepte der dezentralen Energieversorgung und der Speichertechnologien. Im Vorfeld der 2. Weltversammlung für erneuerbare Energien und der 2. Internationalen Speicherkonferenz vom 19. bis 21. November in Bonn erläutert er seine Vision der zukünftigen Stromversorgung.

VDI nachrichten:Wie groß ist das mögliche Ausbaupotential erneuerbarer Energien für die Stromversorgung angesichts des Vorbehalts mangelnder Grundlastbereitstellung durch SolarundWindstrom und dessen mangelnder Speicherfähigkeit?

Scheer: Ich sehe nicht nur die unbedingte Notwendigkeit einer vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energien, sondern ich sehe auch die Möglichkeit dazu. An der Umstellung wird letztlich niemand mehr vorbeikommen, aus Gründen einer dauerhaft gesicherten und wirtschaftlichen sowie einer klima- und umweltschützenden Energieversorgung. Der Weg dahin geht über einen Mix aus nicht erneuerbaren und erneuerbaren Energien bei stetig wachsenden Anteilen letzterer, bis allein diese übrigbleiben.

VDI nachrichten: Welche ökonomischen Gründe sprechen für erneuerbare Energien?

Scheer: Fossile Energien wie Atomenergie werden angesichts laufend knapper werdender Reserven, damit einhergehenden höheren Förderkosten und zwangsläufig eintretender Angebotsmonopolisierungen immer teurer. Hinzu kommen die unabweisbar werdenden klima- und umweltschützenden politischen Auflagen. Erneuerbare Energien haben den einzigartigen Vorteil vermiedener Brennstoffkosten, verbunden mit der Unmöglichkeit, die Primärenergien Sonne und Wind zu monopolisieren. Alle Kosten sind solche für die Bereitstellung der dafür erforderlichen Technik. Sie sinken mit der Massenproduktion der Anlagen und laufenden technischen Verbesserungen. Die Ausnahme ist die Bioenergie, bei der es jedoch keinerlei Problem mit der Grundlastund Speicherfrage gibt.

VDI nachrichten: Aber das allein löst doch nicht das Problem der fluktuierenden Verfügbarkeit von Sonnen- und Windstrom, gerade angesichts des schnell wachsenden Anteils der Windkraft?

Scheer: Eine Diskussion darüber ist einseitig, wenn man sie allein als ein Problem der erneuerbaren Energien betrachtet. Kein modernes Energiesystem funktioniert ohne Speicherung, da die Energieumwandlung niemals zum Zeitpunkt der Öl-, Gas-, Kohle- oder Uranförderung und -aufbereitung erfolgt. Zwischen Förderung und Nutzung wird gespeichert. Bei der Stromversorgung geschieht das überwiegend vor der Stromproduktion – die Kohlehalde, die Gas- und Ölbehälter, das Brennstäbelager, der Stausee. Das geht nicht bei Sonne und Wind, also muss es nachher erfolgen. Stromspeicher ersetzen dann Primärenergiespeicher. Das ist ein Element des Strukturwandels, der durch erneuerbare Energien ausgelöst und der mit einer Vernetzung bekannter und mit neuen Techniken der Stromspeicherung intelligent gelöst werden muss.

VDI nachrichten: Sind die Kosten dafür nicht zu hoch?

Scheer: Die Kostenfaktoren ändern sich generell beim Wechsel zu erneuer baren Energien, auch schon aus den zuvor genannten Gründen. Mehrkosten bei einzelnen Faktoren stehen andere, vermiedene Kosten gegenüber. Es geht nie nur um Kraftwerks- und diesbezügliche Speicherkosten. Wir müssen Systemvergleiche vornehmen. Ohne einen Strukturwandel der Energiebereitstellung, künftig zugeschnitten auf erneuerbare Energien, sind diese nicht zu haben. Das ist ein Faktum, das meist übersehen wird und die strukturkonservativ motivierten Widerstände gegen Solar- und Windstrom erklärt. Wer die Funktionsmechanismen konventioneller Energiebereitstellung zum Maßstab der Einführungsmöglichkeit erneuerbarer Energien macht, beschränkt den Ausbau. Aber Zukunftsfähigkeit verlangt, die Funktionserfordernisse erneuerbarer Energien ins Zentrum zu stellen.

VDI nachrichten: Welche Auswirkungen soll der Strukturwandel konkret bringen?

Scheer: Zum Beispiel sind die Stromnetze bisher ausgerichtet auf Großkraftwerke als Rückgrat der Stromversorgung und den jeweiligen Beiträgen zur Grund-, Mittel- und Spitzenlast. Bei erneuerbaren Energien muss die Netzauslegung an dezentralen Produktionsformen ausgerichtet werden. Die Techno-Logik von Solar- und Windstrom ist eine modulare Struktur der Stromerzeugung, in der die Leistung vieler Anlagen diejenige weniger Großanlagen ersetzt.

VDI nachrichten: Aber es gibt Thesen, die einen Wechsel zu erneuerbaren Energien nur für technisch möglich und wirtschaftlich tragbar halten, wenn es zum massiven Ausbau von Offshore-Kapazitäten für Windstromerzeugung und zu Solarkraftwerken in der Sahara kommt – also zu einem hochzentralisierten Angebot?

Scheer: Offshore- Windkraft wird nie billiger werden als die auf dem Festland, schon wegen des deutlich höheren Leitungs-, Fundamentierungs- und Wartungsaufwands. Beim Sahara-Strom kommt ein höherer Wartungs- und deutlich höherer Leitungsaufwand hinzu, wenn wir ihn hier nutzen wollen. Die Formel „Mehr Wind oder Solarstrahlung gleich geringere Kosten“ ist nicht zu Ende gedacht. Entscheidend das Verhältnis zwischen tatsächlichem Investitionsaufwand und Ertrag. Und selbst wenn das Verhältnis bei Offshore-Wind und bei Sahara-Strom noch günstiger wäre, bedeutet das nicht niedrigere Preise. Dann bliebe es nämlich bei Monopolanbietern und diese haben noch nie nur kostendeckende Preise verlangt. Solarkraftwerke in Nordafrika sind enorm wichtig – für Nordafrika.

VDI nachrichten: Wie stellen Sie sich denn zu allen Lastzeiten die kontinuierliche Stromversorgung mit großen Anteilen von Solar- und Windstrom praktisch vor?

Scheer: Es wird ein sehr vielfältiges und flexibles System werden, mit der Haupttendenz breit gestreuter, dezentraler Erzeugung. An erster Stelle steht die Vermeidung von Speicheraufwand durch zeitvariable Tarife, die es Strombeziehern ermöglichen, ggf. ihre Nachfrage an Lastspitzen vorbeizusteuern. Das nächste sind Hybridangebote im Großen wie im Kleinen: Skandinavische oder alpenländische Wasserkraft im Großverbund mit breit gestreuter Solar- und Windkraft ergibt ein Kontinuum, ohne dass kostspielige Dampfreserven in Kondensationskraftwerken ständig bereitstehen müssen. Im regionalen Maßstab kann das durch die Kombination von Wind- und Solarkraft vor allem mit Biogas-Generatoren realisiert werden. Nicht zu vergessen das geothermische Potential. Es nicht nur um nachwachsende Rohstoffe, sondern um das enorme Potenzial verwertbarer organischer Abfälle und von Deponie- und teilweise Grubengasen. Das Stichwort ist das regenerative Kombikraftwerk. Eine Schlüsselrolle spielen Kraft- Wärme-Kopplungsanlagen, auch in der erweiterten Variante von Kraft- Wärme-Kraft-Kopplungen, indem aus überschüssiger Wärme nochmals Strom erzeugt wird. Weiterhin geht es um den Ausbau von Pumpspeicherwerken, die auch unterirdisch in Salzstöcken und Erdkavernen betrieben werden. Kavernen können auch für Druckluftkraftwerke und das Anlegen von Biogasvorräten und von Wasserstoffvorräten eingesetzt werden. Im Übrigen wird der Beitrag der Windkraft, den ich für Deutschland bei der Hälfte des künftigen Strombedarfs einschätze, für die Grundlastbereitstellung erheblich anwachsen durch leistungsverstärkte Windkrafttechnologie. Schon jetzt gehen 60% der Windstromerzeugung in die Grundlast.

VDI nachrichten: Warum ist von den großen Stromspeichern noch wenig zu sehen?

Scheer: Der Speicherbedarf folgt stets der Produktion und nicht umgekehrt. Er wird zwingend anwachsen, wenn der sogenannte Capacity-Effekt eintritt – wenn also zu bestimmten Zeiten bereits mehr Wind- oder Solarstrom erzeugt wird als es Nachfrage nach Strom gibt oder als die Netze aufnehmen können. Aber wir können und sollten bereits jetzt Anreize dafür schaffen, besonders in Form eines Speicherbonus im erneuerbaren Energie-Gesetz, das jetzt zur Novelle ansteht. Mit den erneuerbaren Energien starten wir in ein neues Zeitalter der Elektrotechnik. Dezentrale Stromerzeugung war bereits die Vision Edisons.

Interview: Valentin Hollain

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