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Iniative for an International Renewable Energy Agency

 










Der energethische Imperativ, Verlag Antje Kunstmann, 2010.

Energieautonomie
Energieautonomie. Eine neue Politik für Erneuerbare Energien. Verlag Antje Kunstmann, 2005.
Energy Autonomy.
The Economic, Social and Technological Case for Renewable Energy. Earthscan/James & James, Dezember 2006.

Interview erschienen in Darmstädter Echo, 27. März 2007

Klimaschutz: Der SPD-Umweltpolitiker und EUROSOLAR-Präsident macht sich für einen forcierten Ausbau erneuerbarer Energien stark: Bis 2020 sollen sie rund 75 Prozent des Strombedarfs decken.

ECHO: Herr Scheer, Umweltschutz ist plötzlich wieder ein politisches Top-Thema. Werden den vielen Worten zum Klimaschutz auch Taten folgen?

Scheer: Das weiß man bei den wechselnden politischen Themenkonjunkturen nie genau. Aber eins ist klar: Das Thema Klimaschutz wird uns in diesem Jahrhundert nicht mehr loslassen. Nach der Beschreibung der Gefahren muss es jetzt adäquate Antworten geben, und die liegen ja vor.

ECHO: Szenarien für eine umweltfreundliche Energieversorgung gibt es schon lange. Das Ökoinstitut publizierte bereits Ende der siebziger Jahre eine Studie zu einer Energieversorgung in Deutschland, die sich weitgehend auf erneuerbare Energien stützt. Gemessen daran ist in all den Jahren wenig passiert. Wird sich das jetzt ändern?

Scheer: Das hängt natürlich von den politischen Entwicklungen ab. Lippenbekenntnisse gibt es noch und noch. Zugleich fehlt es nicht an Appellen an die Allgemeinheit. Für mich hat das teilweise schon peinlichen Charakter, denn Appelle an die Verantwortung der Bürger könnnen nicht den Handlungsmut politischer Akteure ersetzen. Dabei ist das Ziel eigentlich klar: Die Politik muss alles daransetzen, den Ausbau erneuerbarer Energien zur Ablösung von fossilen Kraftwerken und Atomreaktoren zu beschleunigen. Doch noch gibt es Widerstände, diesen Weg zu gehen.

ECHO: Welche?

Scheer: Ich meine vor allem die Ausrede, das Potenzial erneuerbarer Energien reiche nicht aus, die Atomkraft zu ersetzen. Die Union propagiert deshalb längere Reaktorlaufzeiten. Und in der SPD und auch bei den Grünen sind viele überzeugt, dass für einen Übergangszeitraum der Neubau fossiler Großkraftwerke notwendig sei. Diese Übergangsthese teile ich nicht. Sie ist falsch, denn alles, was in 30 Jahren beim Ausbau erneuerbarer Energien gemacht werden kann, kann bereits heute getan werden. Warum also soll man den Ausbau noch aufschieben?

ECHO: Sie selbst haben ein sehr optimistisches Szenario für einen radikalen Umbau der Energieversorgung in Deutschland vorgelegt. Bis etwa 2020 sollen 75 Prozent der Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden, bis 2040 gar 100 Prozent. Wie soll das gelingen?

Scheer: Der Ausbau ist kein technisches oder wirtschaftliches Problem.

ECHO: Sondern?

Scheer: Das Problem ist, die politisch induzierten Denk- und Handlungsblockaden aufzuheben. Viele sind interessiert an deren Aufrechterhaltung oder denken zu konventionell.

ECHO: Wen meinen Sie damit?

Scheer: Politik, Verwaltungen, Energiewirtschaft und sogar einige Naturschutzverbände. Ein Beispiel für solche Blockaden ist die Auseinandersetzung über die Windkraft. Es geht nicht mehr an, emissionsfreie Energieerzeugung im Namen des Landschaftsschutzes abzulehnen, während der Natur durch die Klimaerwärmung weltweit katastrophale Veränderungen drohen.

ECHO: Die Windkraft spielt in ihrem Versorgungskonzept eine entscheidende Rolle. In 15 Jahren soll sie die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs decken. Sie sind damit weitaus optimistischer als viele Wissenschaftler, die bis 2030 einen Deckung von 25 Prozent für möglich halten. Woher nehmen sie diesen Optimismus, und wo sollen die Windräder gebaut werden?

Scheer: Derzeit erzeugen 19 600 Windräder rund sieben Prozent des Strombedarfs, bei einer durchschnittlichen Anlagengröße von einem Megawatt. Rüstet man diese Anlagen von einem auf den heutigen, leistungsfähigeren Standard von zweieinhalb Megawatt auf, erhöht sich der Windstromanteil allein dadurch auf etwa 20 Prozent. Ein solches Repowering ist innerhalb von drei Jahren möglich. Nun gibt es Bundesländer, die der Windkraft offener gegenüberstehen als andere, zum Beispiel Sachsen-Anhalt. Wenn in Hessen, Baden-Württemberg oder Bayern – wo es die größten politisch-administrativen Widerstände gibt – genausoviele Windräder wie in Sachsen-Anhalt pro Quadratkilometer installiert würden, könnte gewiss keiner sagen, dass diese Länder dann untergingen.

ECHO: Können Sie ein Beispiel nennen für solche administrative Sperren?

Scheer: Zum Beispiel die neuaufgelegten Regionalpläne in Hessen auf Basis des Landesentwicklungsplans, in denen mehr und mehr Regionen zu Ausschlussgebieten erklärt werden. Für neue Windräder bleibt wenig Raum. Gäbe es solche Widerstände nicht, hätten wir bereits heute die doppelte Menge an Windstrom.

ECHO: Aber auch bei vielen Bürgern, zum Beispiel im Odenwald, sind Windräder, Stichwort Verspargelung der Landschaft und Lärmbelastung, nicht allzu beliebt.

Scheer: Niemand muss Windkraftanlagen lieben. Die Frage ist doch, ob mehr Windräder nötig sind oder nicht. Die Windkraft bietet derzeit das größte Potenzial, den Anteil emissionsfreier Energien an der Stromproduktion rasch zu erhöhen. Wir sind in einem Wettlauf mit der Zeit, um die Klimaerwärmung zumindest noch einzudämmen. Warum sollen wir dann ausgerechnet das schnell entwickelbare Potenzial der Windkraft beschränken? Alle Umfragen zur Windkraft belegen, dass 70 Prozent der Bevölkerung deren Nutzung befürworten. Die Windkraft ist nicht unpopulär, das versuchen allein ihre Kritiker zu suggerieren. Wenn die Gletscher schmelzen, Dürren, Stürme und Wetteranomalien zunehmen und die Wälder sterben durch die Emissionen aus fossilen Energieträgern, dann ist Kritik an der Windkraft schlicht nicht mehr verhältnismäßig.

ECHO: Sehen Sie Unterstützung für Ihre Position im Bundeskabinett?

Scheer: Noch nicht. Aber ich bin Widerstände gewohnt, seit ich begonnen habe, mich für erneuerbare Energien stark zu machen. Hätte ich mich davon irritieren lassen, hätte es kein Erneuerbare- Energien-Gesetz gegeben und damit auch nicht den Kapazitätsausbau der vergangenen Jahre. Das zählt für mich zur politischen Lebenserfahrung, dass man in politischen Entscheidungsverfahren nicht sofort Zustimmung zu eigenen Ideen findet – auch nicht in der eigenen Partei.

ECHO: Hätte die schwarz-rote Bundesregierung denn Chancen, den Umbau der Versorgung gegen die mächtigen Energiekonzerne im Land durchzusetzen?

Scheer: Dazu muss sie über ihren Schatten springen. Das ist die Bedingung. Beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, initiiert von vier Abgeordneten von SPD und Grünen, hat das geklappt. Das Gesetz wurde das erfolgreichste Gesetz der rot-grünen Koalition in Berlin. Von der Energiewirtschaft wurde und wird das Gesetz bekämpft bis aufs Messer. Doch davon dürfen wir uns nicht beeindrucken lassen. Die Energiewirtschaft von heute ist nicht mehr der geeignete Ratgeber für die Energiewirtschaft von morgen.

ECHO: Warum?

Scheer: Sie ist gefesselt in ihren eigenen Strukturen, die primär auf der Nutzung von fossilen Energieträgern und der Atomkraft ruhen. Diese Strukturen kann man nicht nutzen bei einem forcierten Ausbau erneuerbarer Energieträger. Man braucht eigene, neue Strukturen und Träger, die nicht belastet sind durch noch nicht abgeschriebene Investitionen. Hier liegt die große Chance für kommunale Versorger. Die sind in den vergangenen Jahrzehnten soweit aus der Energieproduktion herausgedrängt worden, dass sie nur noch etwas zu gewinnen haben beim Aufbau einer alternativen Versorgung. Das haben nur noch nicht alle Kommunen und Stadtwerke erkannt.

ECHO: Dann sollte die Heag Südhessische Energie AG (HSE) in Darmstadt jetzt Windräder bauen?

Scheer: Ja, das sollte sie tun.

ECHO: Nun kann Deutschland allein die Erderwärmung nicht stoppen. Die gesamte Europäische Union verursacht gerade einmal 15 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen weltweit. Wie lassen sich die großen Schadstoff-Emittenten USA und China mit ins Boot holen und auf gemeinsame Reduktionsziele verpflichten?

Scheer: Nur durch ein beispielhaftes Vorangehen. So wichtig internationale Verhandlungen sind: Wer denkt, dass es über einen internationalen Vertrag eine Lösung geben könnte, der irrt. Es gibt einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Beschleunigung und Konsens. Internationale Verhandlungen können nur den Weg des Konsenses gehen, sonst platzen sie. Das kostet Zeit, und das Ergebnis ist immer verwässert. In der Regel haben sich technologische Neuerungen durchgesetzt, weil einzelne Länder vorangegangen sind, und nicht, weil es vertraglich vereinbart war.

ECHO: Haben Sie Verständnis dafür, dass es in der Bevölkerung erhebliche Skepsis gibt, sich von den alten, gewohnten Versorgungsquellen zu verabschieden und einen solchen radikalen Umbau der Energieversorgung anzugehen?

Scheer: Es geht ja gar nicht darum, sich nur vom Alten zu verabschieden. Sondern es geht darum, das Neue aufzubauen. Und dadurch wird das Alte zugweise überflüssig. Eine Versorgungslücke droht bei diesem Umbau nicht.

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