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Iniative for an International Renewable Energy Agency

 










Der energethische Imperativ, Verlag Antje Kunstmann, 2010.

Energieautonomie
Energieautonomie. Eine neue Politik für Erneuerbare Energien. Verlag Antje Kunstmann, 2005.
Energy Autonomy.
The Economic, Social and Technological Case for Renewable Energy. Earthscan/James & James, Dezember 2006.

Dr. Hermann Scheer
Dr. Hermann Scheer 

Präsident von EUROSOLAR;
Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien ( World Council for Renewable Energy,
WCRE); Vorsitzender des Internationalen Parlamentarier-Forums Erneuerbare Energien; Mitglied des Deutschen Bundestags; wissenschaftlicher Publizist und Autor

Hermann Scheer, Abgeordneter des Deutschen Bundestags, Präsident der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien EUROSOLAR e.V. und Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien (WCRE), Träger des Alternativen Nobelpreises, ist am 14. Oktober 2010 im Alter von 66 Jahren in Berlin gestorben.




Träger des Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) 1999, des Welt-solarpreises 1998, des Weltpreises für Bioenergie 2000 und des Weltpreises für Windenergie 2004


Artikel erschienen in Photon, Juli 2007


Hermann Scheer und die hessische SPD wollen die Energiewende

Von Jochen Siemer. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer gilt als einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Doch dieses wichtigste energiepolitische Instrument der Bundespolitik wird auf Länderebene längst nicht so mitgetragen, wie er sich das vorstellt. Das hält er für ein ökologisches und ökonomisches Versäumnis ersten Ranges. Vielleicht kann er bald zeigen, wie es besser geht: als Minister für Wirtschaft und Umwelt in Hessen.

"Ich will nicht Minister werden", betont der Kandidat, zieht an seiner Zigarette und wartet ab, wie sein Gegenüber das verdaut. Allerdings nur kurz, denn Hermann Scheer lässt Gesprächspartnern für gewöhnlich nicht sonderlich viel Zeit zum Nachdenken und schon gar nicht dazu, seine Ausführungen mit Zwischenfragen oder Widerreden zu unterbrechen. Er spinnt seine Gedanken unaufhörlich weiter. Weil er viel zu sagen hat, meinen Wohlgesonnene. Weil er niemanden so gern reden hört wie sich selbst, lästern die eher kritisch Eingestellten. Beide Fraktionen sind recht stark, denn Scheer pflegt das deutliche Wort und hat damit in einer nunmehr 27-jährigen Abgeordnetenkarriere und 14 Jahren im Bundesvorstand der SPD viele Freunde gewonnen, aber auch schon manch einen vor den Kopf gestoßen. Deshalb finden sich bis in die eigene Partei hinein auch Vertreter einer dritten Fraktion, der es am liebsten wäre, wenn Scheer einfach komplett den Mund hielte.

Darauf aber können sie lange warten. Wie es scheint, legt der 63-jährige Solarpapst, Eurosolar-Präsident, Träger des Alternativen Nobelpreises, Vorsitzender des Weltrates für Erneuerbare Energien und Inhaber etlicher weiterer offizieller wie inoffizieller Titel jetzt überhaupt erst richtig los. So hört es sich jedenfalls an, wenn er dieser Tage über sein neuestes Projekt spricht. Denn natürlich, das nur zur Klarstellung, will er sehr wohl Minister werden. Hessischer Landesminister für Wirtschaft und Umwelt, sofern die dortige SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti bei der Wahl am 27. Januar nächsten Jahres das Rennen macht. Sie hat Scheer am 2. Juni in ihr "Zukunftsteam" berufen. Das "Hessen-Forum" der SPD, bei dem sie dies bekannt gab, stand unter dem schönen Motto "Neue Energie für Hessen". So heißt auch das energiepolitische Programm der Landespartei, dessen Grundzüge schon im Oktober 2005 vorgelegt wurden, damals noch mit der Überschrift "Für ein atomfreies Hessen" und im Übrigen bereits unter der Federführung von Hermann Scheer.

Es ist also ganz offensichtlich keine plötzliche Anwandlung, die ihn nun einen Platz im Wiesbadener Kabinett ansteuern lässt. Nur strebt er eben, darauf kommt es ihm an, nach dem Amt nicht um des Amtes willen. Er will, wie er sagt, bestimmte Ziele erreichen und hierfür das Ministeramt einsetzen. Das soll wohl heißen: Könnte er dies ebenso gut als Hausmeister im Regierungspräsidium schaffen, wäre ihm das auch recht.

Signal für Rot-Grün

Das behaupten freilich die meisten Ministerkandidaten von sich, aber bei Hermann Scheer ist man tatsächlich geneigt, es zu glauben. Zumindest sprechen verschiedene Faktoren dafür. Sein Name war zum Beispiel der erste aus Ypsilantis Team, der an die Öffentlichkeit gelangte. Es geht also offensichtlich nicht einfach nur darum, den Wahlkampf mit einem prominenten Namen schmücken zu können – auf solche Effekte setzen die Partei-strategen für gewöhnlich erst zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Kampagnen. Vor allem aber hätte man dann einen weniger gewichtigen Ressortzuschnitt gewählt. Wirtschaft und Umwelt, das hat es so noch nie gegeben. Die Frankfurter Rundschau griff schon zu der Vokabel "Superminister". Und die hessischen Grünen fingen an zu murren, denn sie wollen ein eigenständiges Umweltressort. Natürlich mit einem der Ihren auf dem Chefsessel.

Trotzdem, sagt Scheer, hat seine Nominierung auch in diese Richtung bereits ein ganz eindeutiges Zeichen gesetzt – nämlich dafür, "dass es in Hessen einen Wahlkampf in Richtung Rot-Grün geben wird". Etwas anderes geht jetzt nämlich nicht mehr: Eine Alleinregierung dürften nicht einmal die Fantasten unter den Sozialdemokraten für erreichbar halten, mit der FDP erübrigen sich angesichts des vorgelegten Energieprogramms sämtliche Kontakte, und auch in einer Großen Koalition mit der CDU wären die dort definierten Ziele nicht einmal ansatzweise umsetzbar. Schon gar nicht mit dem amtierenden Ministerpräsidenten und eifrigen Atomkraftverfechter Roland Koch. Der hat denn auch schon "gegen mich geschossen", berichtet Scheer. Der SPD-Ministerkandidat, habe Koch befunden, sei "nicht von dieser Welt" – was der solcherart klassifizierte mit einem verschmitzten Lächeln bestätigt: "Das stimmt, von der Welt, für die Roland Koch steht, bin ich nicht. Gott sei Dank!"

Das wäre also geklärt. In Wahlkampfzeiten empfiehlt es sich ja stets zu wissen, wo der Gegner steht, und in dieser Hinsicht machen Antipoden wie Scheer und Koch es den jeweiligen Anhängern wahrlich nicht schwer. Viel spannender ist hingegen die Frage, wie die eigene Partei mit der von ihrem Minister in spe verfolgten Linie umgeht. Denn damit gehen ambitionierte Ziele einher.

Die gesetzlich vorgeschriebene Abschaltung der beiden hessischen Kernreaktoren erfolgt voraussichtlich 2008 (Biblis A) und Anfang 2012 (Biblis B). Deren Stromproduktion von rund 17 Terawattstunden jährlich entspricht etwa 55 Prozent der in Hessen insgesamt erzeugten Elektrizität (und gut 40 Prozent des Verbrauchs). Von einschlägig interessierter Seite wird folglich die Rechnung aufgemacht, dass diese Menge künftig auch mit Kraftwerken innerhalb Hessens ersetzt werden muss. Das ist zwar energiewirtschaftlich unsinnig, weil die Kernkraftwerke Teil eines Versorgungsverbundes sind, in dem der Atomstromanteil weitaus niedriger liegt; bundesweit beträgt er rund 27 Prozent. Doch Hessens SPD will die Herausforderung dennoch annehmen. Ypsilanti, berichtet Scheer, "hat mich gefragt, ob ich mir einen Vollersatz vorstellen kann". Und das habe er bejaht.

Strategische Lücke schließen

Selbst erklärte Anhänger der erneuerbaren Energien seien meist viel zu kleinmütig, meint Scheer. Wer den Regenerativen nur einen Anteil von 20 oder 25 Prozent bis zum Jahr 2020 oder sogar noch später zutraue, der könne nicht erklären, wie

dies den nuklearen Part an der Stromversorgung ausgleichen soll, "schon gar nicht, wenn die Atomkraftwerke 2013 abgestellt werden". Dann bliebe nur der Zubau neuer fossiler Kraftwerke – unterm Strich also die Wahl: entweder den Atomausstieg verzögern oder die CO2-Bilanz verschlechtern. "Das", wettert Scheer, "ist die Falle, die aufgestellt ist", und viele Verfechter erneuerbarer Energien hätten hier "eine strategische Lücke".

Er sagt es zwar nicht, meint aber mit solcher Kritik natürlich auch seinen Parteifreund, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Und überhaupt die Mehrheit seiner Partei, in der man den Neubau fossiler Kraftwerke in großem Umfang für unvermeidbar hält. Selbst den meisten Grünen stockt bei der Vorstellung, innerhalb von fünf Jahren mehr als die Hälfte der Stromproduktion eines hoch industrialisierten Gemeinwesens mit erneuerbaren Energien bereitzustellen, schlicht der Atem.

Das Problem, kontert Scheer betont nüchtern, ist zunächst einmal ein ordnungspolitisches. "'Erneuerbare Energien'" heißt, in die Fläche gehen zu müssen" aber deren Nutzung lasse sich viel zu leicht blockieren. Die Umwelt- und Planungsgesetze der Bundesländer führten dazu, dass diese das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) "fast nach Belieben unterlaufen können". Gerade Hessen sei da ein Paradebeispiel, bei der Windkraft etwa ist das Bundesland zusammen mit Bayern und Baden-Württemberg das Schlusslicht unter den Flächenländern. Im Umkehrschluss heißt das: Die Länder können das EEG auch in seiner Wirkung verstärken. Würden beispielsweise alle nach den gleichen Planungskriterien verfahren wie Sachsen-Anhalt, sagt Scheer, "dann hätten wir heute ein doppelt so hohes Windkraftpotenzial".

Das sehe auch Gabriel so, der nicht etwa die Finanzierung oder die Netzintegration fluktuierender Energieträger wie Wind- und Solarkraft als die höchsten Hürden für die Erneuerbaren betrachtet, sondern Planungsrestriktionen. Wenn hingegen Scheers Zahlen zum Ausbaupotenzial erneuerbarer Energien stimmten, könne sich auch der Bundesumweltminister einen Vollersatz der in den nächsten Jahren wegfallenden atomaren und fossilen Kraftwerkskapazitäten vorstellen. Das sagt jedenfalls Hermann Scheer. Also müsse man beim Planungsrecht anfangen, das wiederum hauptsächlich auf Länderebene definiert wird. Nur so ließen sich die ökonomischen Bedingungen für die angestrebte Energiewende schaffen. Moderne Umweltpolitik sei von der Energiefrage nicht zu trennen, und die wiederum nicht von der Wirtschaftspolitik. Deshalb sei ein Ressort, wie die hessische SPD es nun schaffen will, so ungeheuer wichtig: "Dies ist etwas völlig Neues, ein integrierter Politikansatz."

Eingriff in die Ökonomie

Die Idee dahinter lässt sich, in aller Kürze, auf die Input-Output-Analysen des US-Ökonomen und Nobelpreisträgers Wassilij Leontjew zurückführen: Je mehr auf der einen Seite an guten Rahmenbedingungen hineingetan wird, desto mehr kommt auf der anderen an gewünschtem Handeln der ökonomischen Subjekte wieder heraus. Wichtigster "Input" ist im SPD-Energiekonzept eine Überarbeitung des Landesentwicklungsplans und der Regionalentwicklungspläne. Hessen soll planerisch in "Produktionsmodule" aufgeteilt werden, die jeweils zehn Megawattstunden Stromproduktion beisteuern können. Landkreise und kreisfreie Städte hätten demnach für jeweils 100.000 Einwohner Flächen zur Produktion von 300 Megawattstunden Strom aus regenerativen Energien vorzuhalten, also zum Beispiel Standorte für Windkraftanlagen oder Anbauflächen für Biomasse. Auch das heikle Thema der Reaktivierung alter sowie der Bau neuer Wasserkraftwerke bleibt nicht ausgespart.

Selbstredend haben auch Solarstromanlagen ihren festen Platz in diesem Konzept. Für sie stellt sich, so Scheer, das Problem der Flächennutzung indes weniger, da sie hauptsächlich auf Gebäuden unterkommen könnten. Unabhängig von der Bauart geht das Konzept von der Möglichkeit aus, in jeder Stadt oder Gemeinde Standorte für einen oder zwei Solarparks in der Art des "Sonnenflecks" auf dem Logistikzentrum in Bürstadt zu finden. Wenn all diese Anlagen dann auch genauso groß werden wie die in Bürstadt mit ihren fünf Megawatt, führte dies bei 421 Städten und Gemeinden (sowie zwölf kreisfreien Städten) zu einer im Jahr 2012 installierten Leistung in der Größenordnung zwischen drei und 3,5 Gigawatt. "So viel wird es sicherlich nicht werden", meint Scheer allerdings, denn seiner Einschätzung nach dürften Windkraft- und Biomassenutzung schneller zunehmen. Letztendlich aber hört man von ihm ganz bewusst nichts allzu Konkretes dazu, ob ein bestimmter Energieträger am Ende fünf, zehn oder 20 Prozent der Gesamtversorgung beisteuern wird. Das hänge von den Investoren ab, man sei schließlich nicht in der Planwirtschaft.

Das heißt nun wiederum nicht, dass Scheer sich des tief greifenden Eingriffs in die Ökonomie, die das Energiekonzept der SPD bedeutet, nicht bewusst wäre. Ganz im Gegenteil: Er ist schließlich gelernter Wirtschaftswissenschaftler und möchte auch seine Energiepolitik so verstanden wissen: Es solle doch bitte niemand so tun, "als wäre das Weltenergiesystem in Ordnung, wenn es das Klimaproblem nicht gäbe". Dann wäre schließlich immer noch ein ökonomisches Element erster Ordnung, von dessen Verfügbarkeit jeder einzelne abhängig ist, in der Hand einiger weniger Akteure. Das gelte es zu ändern.

Scheer kann auch gut illustrieren, was diese globalökonomischen Überlegungen für die hessische Landespolitik bedeuten und warum sie durchaus Erfolgschancen bei der Wahl in sich bergen. Das Ganze sei schließlich auch ein gigantisches Programm für Investitionen, Arbeitsplätze und dauerhafte Wertschöpfung: In einem Landkreis mit 100.000 Einwohnern gingen pro Jahr Summen in der Größenordnung von 250 Millionen Euro für die Begleichung von Energierechnungen drauf. In der gegenwärtigen Energiewirtschaft verließen sie den Wirtschaftsraum, bei einem Umbau auf dezentrale Versorgungsstrukturen könnten sie dort verbleiben. Wenn er diese Überlegungen vor Landräten und anderen Kommunalpolitikern ausbreite, so Scheer, "dann werden die richtig heiß".

Jochen Siemer

www.photon.de

Artikel  Artikel "Ein Kandidat, nicht von dieser Welt" (pdf) 

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