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Iniative for an International Renewable Energy Agency

 










Der energethische Imperativ, Verlag Antje Kunstmann, 2010.

Energieautonomie
Energieautonomie. Eine neue Politik für Erneuerbare Energien. Verlag Antje Kunstmann, 2005.
Energy Autonomy.
The Economic, Social and Technological Case for Renewable Energy. Earthscan/James & James, Dezember 2006.

Scheer_Autor02_Portrait_klein_quer.jpgInterview erschienen in Roter Druck - Quartalszeitung der Mühlheimer Jungsozialisten, Januar 2008

Roter Druck: Lieber Hermann Scheer, wie bewertest Du als renommierter Umwelt-Experte die Weltklimaberichte des IPCC?

Scheer: Die Stärke des IPCC Berichtes liegt in seiner Publikumswirksamkeit und vor allem in der Ausführlichkeit und wissenschaftlichen Fundiertheit seiner Ergebnisse über Auslöser und Folgen des Klimawandels. Da der IPCC jedoch bestrebt ist, bei seinen Empfehlungen an die „policymakers“ größtmögliche Neutralität zu wahren, weist der Bericht in seinen Aussagen zur Atomenergie erhebliche Schwächen auf. So bezeichnet er die Kernenergie als eine der möglichen Technologien zur Minderung des CO2 Ausstoßes.

Atomenergie mit Klimaschutz in Verbindung zu bringen ist jedoch grob fahrlässig. Dieses Argument ist Zeugnis einer sehr verengten Sichtweise auf die Energiebereitstellungsketten. Berücksichtigt man die Förderung der Rohstoffe, den Transport, den Bau und Unterhalt eines Atomkraftwerks, die Verteilung des Stroms, vor allem aber die erforderliche zusätzliche Wärmeerzeugung, leistet die Nuklearenergie kein Beitrag zum Klimaschutz. Atomstrom ist indirekt durch Emissionen belastet, die bei den vielen Verarbeitungsschritten von der Uranerzgewinnung bis zum fertigen Brennelement freigesetzt werden. Hinzu kommt der negative Klimaeffekt durch den Wasserverbrauch bei der Atomstromproduktion: Pro Kilowattstunde werden 3L Wasser verbraucht.

Abgesehen davon ist das Klimaproblem nicht das einzige Energieproblem. Die mit der Nutzung der Atomenergie einhergehenden Risiken für den Klimaschutz in Kauf zu nehmen ist aberwitzig.

Moderne Kraftwerksanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), in denen Strom und Wärme gleichzeitig produziert werden, haben einen sehr viel höheren Wirkungsgrad als konventionelle Großkraftwerke und sind daher besser für das Klima. Noch günstiger fällt natürlich die Klimabilanz der erneuerbaren Energien (EE) aus. Durch diese müssen 100% der weltweiten Energienutzung gedeckt werden, und zwar schnell.

In diesem Zusammenhang ist als besonders positiv zu vermerken, dass der IPCC explizit Mechanismen wie das sehr erfolgreiche deutsche Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) empfiehlt, das in Deutschland einen wahrhaften Boom bei der Erzeugung und Nutzung der EE ausgelöst hat.


Roter Druck: Was sind die daraus resultierenden wichtigsten Ergebnisse für Deutschland?

Scheer: Deutschland ist mit seinem Mix aus Förderinstrumenten für EE und KWK - auch im internationalen Vergleich - auf dem richtigen Weg. Jetzt ist es wichtig, einerseits bewährte Politikinstrumente wie das EEG weiter auszubauen und zu optimieren. Andererseits müssen neue Instrumente dazu kommen. Die Beschlüsse der Kabinettsklausur von Meseberg müssen in wirkungsvolle Gesetzgebung übersetzt werden.


Roter Druck: Lässt sich die Klimakrise bewältigen, wenn das alte Dogma des Wirtschaftswachstums bestehen bleibt?

Scheer: Energieeffizienzmaßnahmen haben in der Vergangenheit bereits eine Abkopplung des Wirtschaftswachstums vom Energieverbrauch und damit vom CO2 Ausstoß ermöglicht. Die Nutzung der EE – hin zu einer 100% Vollversorgung – ermöglicht es, das Wirtschaftswachstum vollständig von allen Emissionen abzukoppeln.

Darüber hinaus zeigt gerade das Beispiel Deutschland: Die EE haben einen deutlich positiven gesamtwirtschaftlichen Effekt. Studien zur Wirksamkeit des deutschen EEG zeigen, dass die EE ein großer Jobmotor und ein bedeutender Investitions- und Exportfaktor sind. Durch den Strom aus erneuerbaren Quellen wird das Angebot am Strommarkt erhöht – mit preisdämpfendem Effekt. Der gesamtwirtschaftliche Nutzen von Forschung und Entwicklung, Anlagenproduktion, Erzeugung und Nutzung EE ist bereits heute schon immens.


Roter Druck: Welche Klimaschutz-Weichenstellungen erwartest Du für die Zukunft von der dt. Regierung bzw. forderst Du als Experte dringend ein?

Scheer: Ich denke da zuerst an den Wärmebereich: 60% der Energie setzen wir für Wärme ein. Bei den privaten Haushalten wird sogar 90% der Endenergie für Heizung und Warmwasser verbraucht. Während die EE im Stromsektor über ein dynamisches Wachstum verfügen, sind die Zuwachsraten im Wärmemarkt vergleichsweise gering. Ein Gesetz, das die Anwendung der EE dort regelt, ist zwingend notwendig. Trotz des gewaltigen Potenzials beträgt der Anteil von Solar-, Bio- und Erdwärme an der Wärmeversorgung derzeit jedoch erst 4%. Bekannt ist schon heute, dass der gesamte Energiebedarf im Wärmebereich in Deutschland langfristig aus EE gedeckt werden kann. Das allerdings kann nur mithilfe geeigneter politischer Förderinstrumente gelingen.

Weiteren prioritären Handlungsbedarf sehe ich auf dem Gebiet der Energieeffizienz. Viel versprechend erscheint mir unter anderem das in Japan bereits zur Anwendung gekommene so genannte „Top Runner“ Prinzip. Hier wird der Energieverbrauch der aktuell besten Geräte (der „Top Runner“), etwa die obersten 10% des Marktes, zum Mindeststandard in 5 Jahren erklärt. Wer diesen Standard bis dahin nicht erreicht, wird zunächst öffentlich ermahnt und darf seine Geräte dann nicht mehr verkaufen. Dieses Prinzip kurbelt den Innovationswettbewerb enorm an, sichert den Herstellern der energieeffizientesten Geräte wichtige Wettbewerbsvorteile, senkt den Energieverbrauch der gesamten Volkswirtschaft und trägt so erheblich zur Minderung des CO2 Ausstoßes bei.

Und last but definitely not least: EE sind in den Raumordnungsgesetzen der Länder bisher nicht als öffentlicher Belang aufgeführt, und das, obwohl der Wechsel von atomaren und fossilen zu EE zweifellos im elementaren öffentlichen Interesse liegt. Die Gründe sind vielfältig: Klimaschutz, Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, dauerhafte Sicherung der Energieversorgung, Schutz von Wäldern und Gewässern vor saurem Regen, Sicherung des regionalen Wasserhaushalts angesichts des hohen Wasserverbrauchs von Großkraftwerken und nicht zuletzt der Beitrag der EE zur regionalen Wirtschaftsförderung. Die Vernachlässigung der EE in den Raumordnungsgesetzen ist ein Anachronismus. Einige Bundesländer müssen hier dringend nachbessern.


»Roter Druck: Mehr Effizienz und erneuerbare Energien wie Wasser-, Sonnen- und Windkraft - wird das denn alleine ausreichen?

Scheer: In meinem Memorandum „Jenseits von Kohle und Atom“ habe ich gezeigt, dass ein Anteil der Stromerzeugung aus EE und Kraft-Wärme- Kopplung von 60-80% mit energischem politischem Willen innerhalb von 15 Jahren erreichbar ist. Eine Vollversorgung aus EE wäre dann bis 2040 vorprogrammiert.

Dafür müssen aber schnell die bereits erwähnten administrativen Planungswiderstände abgebaut werden, die es in vielen Bundesländern insbesondere gegen die Windkraft und KWK-Kraftwerke gibt. Außerdem muss das EEG mit Anpassungen an die neuen Erfordernisse fortgelten. Es ist wichtig, allen Akteuren vor Augen zu führen, dass dieser Anteil technisch ohne weiteres machbar ist.

Unausgegorene Ankündigungen, CO2 unterirdisch zu lagern, sind keine Lösung. Im Vergleich mit EE ist dies weder wirtschaftlich konkurrenzfähig noch für den Arbeitsmarkt vernünftig. Diese Strategie baut auf einer Technologie auf, die es noch gar nicht gibt. Das ist hochgradig absurd. Alle Rechnungen, die ich kenne, besagen, dass der Kohlestrom mit Abscheidung plus Speicherung teurer ist als der Strom aus EE. Außerdem gefährdet dies das Ziel der Energieeffizienz und erhöht die Importabhängigkeit. Schließlich wäre CO2 im gelagerten Zustand wie der Atommüll ein dauerndes Zukunftsrisiko.

Bei EE fallen keine Brennstoffkosten an. Mit industrieller Anlagenproduktion und durch laufende technologische Verbesserungen können sie nur preiswerter werden. Dagegen steigen die Kosten konventioneller Energiebereitstellung vor allem wegen unabsehbar steigender Brennstoffpreise und unbezahlbarer Umweltfolgeschäden. Wenn wir erneuerbare Energietechnologien heute mobilisieren, ist eine kostengünstige und umweltschonende Energieversorgung für die Zukunft gesichert.

 

Interview: Alexander Stock