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Iniative for an International Renewable Energy Agency

 










Der energethische Imperativ, Verlag Antje Kunstmann, 2010.

Energieautonomie
Energieautonomie. Eine neue Politik für Erneuerbare Energien. Verlag Antje Kunstmann, 2005.
Energy Autonomy.
The Economic, Social and Technological Case for Renewable Energy. Earthscan/James & James, Dezember 2006.

Artikel erschienen in Waiblinger Kreiszeitung, 03. November 2006

Seit 1980 ist Hermann Scheer Bundestags- abgeordneter für die SPD im Wahlkreis

Waiblingen. Anfang Oktober hat er die 26 Jahre Amtszeit von Dr. Paul Laufs (CDU) überflügelt. Ans Aufhören denkt der 62-Jährige noch lange nicht. Er fühle sich fit, er werde gebraucht und er habe seine Mission noch nicht beendet – nämlich das Ende des fossilen Zeitalters einzuläuten.

Zweimal hat Hermann Scheer den Termin für das Redaktionsgespräch verschoben, zweimal ist ihm die aktuelle Politik in Berlin in die Quere gekommen. Gestern Vormittag um zehn war er zwar pünktlich am Zeitungshaus in Waiblingen, hing aber noch ein gutes Viertelstündchen am Handy fest. Scheer ist ein gefragter Mann. Zurzeit wegen des Börsengangs der Deutschen Bahn AG. Wenn dieser scheitert – Bahnchef Mehdorn scheint sich bereits damit abzufinden –, dann habe er „den Stein ins Rollen gebracht“, sagt der Bundestagsabgeordnete selbstbewusst über seine Initiative in der SPD-Fraktion. Seit über vier Wochen werde dort wie auch bei der CDU nicht mehr nur das Wie eines Börsengangs diskutiert, sondern endlich auch wieder das Ob.

Die Bahnprivatisierung ist für Scheer ein ganz typisches Beispiel für die „technokratische Durchsetzungsmethode“, wie sie sich in der Politik breitgemacht hat. Zunächst werden in Hinterzimmern Vorentscheidungen getroffen, Kritik mit dem Verweis „Zu früh!“ abgewiegelt, es werden Gutachten um Gutachten eingeholt und „Kritiker vom Markt weggekauft“. Wer stänkert, wird zum Außenseiter und zur Minderheit abgestempelt – und eines Tages sei der „Point of no return“ erreicht, von dem es dann heißt: Es gibt kein Zurück.

Genau dieser Logik sollte der Börsengang der Bahn folgen. Nie sei die Frage gestellt worden, warum die Bahn überhaupt an die Börse soll. Auf der Strecke geblieben ist der gesetzliche Auftrag der Bahn, den Bürgern einen guten Schienenverkehr zu bieten. Seit Jahren fordere der Bundestag von der Bahn einen Netzzustandsbericht – und bekommt ihn nicht. Für Scheer nicht weiter verwunderlich. Schließlich habe die Bahn ihr Netz dem Börsengang geopfert und lasse es verlottern. In der Breite, ist Scheer überzeugt, sei die Bahn deshalb gar nicht börsentauglich. Ein Aktionär erwarte Rendite und wolle nicht noch in die Bahn investieren.

Bei Stuttgart 21 verhält es sich ganz ähnlich. Auch dort werde die Methode wie bei allen Großprojekten angewandt. Erst werde proklamiert „Alternativen gibt es nicht!“, Gutachten schreiben die Kosten klein und „wenn man angefangen hat zu bauen, gibt es keinen Weg mehr zurück“. Die aktuelle Hängepartie erklärt sich Scheer damit, „dass sich alle die Bälle hin- und herschieben“. Dass der Bund und Berlin sich zieren, das Milliardenprojekt zu finanzieren, kann Scheer sogar verstehen: „Stuttgart will, dass die Bahn ihr ein neues Stadtentwicklungsprojekt bezahlt.“

Den Flughafen an das Schienennetz anzubinden begrüßt er hingegen, den Kopfbahnhof in einen Durchgangsbahnhof zu verwandeln, habe ihm indes noch nie eingeleuchtet. Was seien zehn Minuten weniger Fahrzeit von Stuttgart nach München im Vergleich zu den Anfahrtszeiten bis zum Bahnhof selbst. Es werde immer so getan, dass alle Bahnreisenden rund um den Bahnhof wohnten. Das Geld für Stuttgart 21 in den Regionalverkehr zu stecken, die Taktzeiten zu verkürzen und das Angebot zu verbessern, bringe mehr als ein unterirdischer Bahnhof.

"Noch entscheidend zu früh"

Mit dem Börsengang droht auch eines der Projekte der großen Koalition zu scheitern. Für eine Zwischenbilanz der CDU-SPDRegierung sei es aber „noch entscheidend zu früh“, sagt Scheer und gibt zu bedenken, dass die Koalition eigentlich erst seit einem halben Jahr arbeite. „Man tut der Frau Merkel Unrecht, dass sie keine Basta-Kanzlerin ist.“ In einer Koalition, einer großen zumal, sei eine integrierende und moderierende Rolle gefragt: „Anders kann man das Amt gar nicht ausführen – das gälte selbst für Schröder.“

Was bereits die Kanzler Schröder und Kohl betrieben, setzt sich im Kabinett Merkel nahtlos fort: Es regiert am Parlament vorbei. „Man kann nicht erfolgreich sein, in einem kleinen Kreis Entscheidungen treffen und davon ausgehen, dass sie die Fraktionen absegnen.“ Widerstand sei programmiert – und wie bei der Gesundheitsreform oder den Biosprit-Steuerplänen von Finanzminister Peer Steinbrück auch zu Recht. Scheer nennt den oft von der Regierung selbst erzeugten Zeitdruck bei Gesetzen, wie zum Beispiel der Gesundheitsreform, schlicht eine „Beugung des parlamentarischen Entscheidungsverfahrens“.

Ordnungspolitisch falsch

Dass es auch anders geht, habe er mit dem Erneuerbaren Energiegesetz gezeigt, das ein Gesetz aus dem Parlament heraus war und zur Erfolgsgeschichte wurde. Ganz anders die Pläne von Steinbrück, künftig Biokraftstoffe dem normalen Sprit beizumischen. Das Resultat ist, dass die Mineralölkonzerne mit ihrem Vermarktungsmonopol nun noch ein Abnehmermonopol erhalten. Das sei nicht nur ordnungspolitisch falsch, sondern widerspreche auch den ökologischen Zielen.

Schon in seinem Buch „Die Politiker“ von 2003 hat Scheer die Fehlentwicklungen im politischen System benannt: Bürokratie, Verflechtungen und Unbeweglichkeit. Er wundert sich deshalb nicht, dass die Meinungsumfragen CDU und SPD bei nur noch 30 Prozent sehen. In einem System, in dem es keine klare Zuständigkeiten und Kompetenzen gibt, müssten sich „Politiker für etwas rechtfertigen, von dem sie selbst verarscht werden.“

Hermann Scheer über...

... Gerhard Schröders Aussage, er sei an den Linken in der SPD und an den Gewerkschaften gescheitert: „Das halte ich für eine Lebenslüge.“ Diese gestehe er, Scheer, seinem langjährigen Kontrahenten zu, „weil er sie für sein Seelenheil braucht“.

... Legenden: „Schröders Biografie unterscheidet sich nicht von den Biografien anderer Kanzler.“ Biografien dienten nun einmal der Legendenbildung. So auch bei Schröder, der behaupte, die Kritik in der SPD an Hartz IV habe zur Gründung der Linkspartei geführt.

... Biografien: Als Zeitzeuge wundere er sich manchmal, wie sich Politikerkollegen noch Jahrzehnte später die Geschichte zurechtbiegen. „30 Jahre Praxis – und dann zehn Jahre Ethik“, bespöttelt er die oft spät entdeckte Moral, wenn dem Politiker nichts mehr passieren kann.

... Auflagen: Auch er habe bei seinem Buch „Die Politiker“ (2003) einen echten Bestseller landen können, wenn er Namen genannt hätte und seine grundsätzliche Kritik am politischen System personalisiert hätte. Er sei seinen Kollegen „nicht an die Wäsche“ gegangen und verzichtete auf Auflage.

... Paul Laufs: Sein langjähriger Wahlkreiskollege Dr. Paul Laufs von der CDU sei für ihn jedenfalls kein Grund gewesen, so lange in der Politik auszuharren, und ihn nun mit einer mehr als 26-jährigen Amtszeit überflügeln zu wollen.

... sein Karriereende: „Ich werde noch lange in der Politik aktiv sein“, kündigt Scheer an und nennt drei Gründe. Erstens sei er laut seinem Arzt gesund und habe das Herz eines 30-Jährigen. Zweitens hält er sich auch für psychisch fit, nicht zuletzt, weil er einst beschlossen habe, sich niemals zu ärgern. „Vielleicht von Freunden, aber nicht von meinen Gegnern.“ Und drittens weil er seine politischen Ziele noch nicht erreicht hat: „Die Ablösung der konventionellen Energien“.

... Erneuerbare Energien: „Die Sache läuft heiß, sie wird von Tag zu Tag dringender“, sagt Scheer über die Ablösung der fossilen und atomaren Energien und den Wechsel zu erneuerbaren Energien aus ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen.

... Blair und den Irak-Krieg: Es gebe zwei Gründe, weshalb sich der britische Premierminister Blair so bedingungslos an die amerikanische Irak-Intervention gekettet habe: „BP und Shell“. Die beiden größten britischen Unternehmen erwarten von ihrer Regierung, dass sie ihnen den Zugang zu Ölquellen im Nahen Osten erhält.

... den Nord-Ost-Ring: Seine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Regierungspräsident Dr. Udo Andriof wird ins Leere laufen. Scheer macht sich darüber keine Illusionen. Die Stuttgarter Seilschaften halten zusammen. Ohne Rückendeckung von ganz oben könne sich der Andriof nicht über Gesetze hinwegsetzen und die Planung der Brücke über den Neckar durchziehen. Dass ihm dabei niemand an den Karren fährt, schon der Demokratie und der Achtung gegenüber dem Parlament wegen, darüber könnte sich Scheer fast aufregen. Aber nur fast. Schließlich hat er sich geschworen, seinen Gegnern diesen Gefallen nicht zu tun.

Zur Person

Hermann Scheer, geboren am 29. April 1944, hat 1964 in Berlin Abitur gemacht. Nach der Schule war er von 1964 bis 1967 bei der Bundeswehr und zuletzt Leutnant. Von 1967 bis 1972 studierte er an der Universität Heidelberg und der Freien Universität Berlin Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und promovierte zum Dr. rer. pol. Von 1972 bis 1976 war er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Stuttgart und von 1976 bis 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kernforschungszentrum Karlsruhe. Seit 1980 ist Scheer Mitglied des Deutschen Bundestages. Er gründete EUROSOLAR, die Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien, und ist deren Präsident. Seit 2001 General Chairman des Weltrats für Erneuerbare Energien (World Council for Renewable Energy).

Scheer hat eine Reihe von Auszeichnungen erhalten: 1998 den Weltsolarpreis in Wien, 1999 den Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) in Stockholm, 2000 bekam Scheer den Weltpreis für Bioenergie bei der World Biomass Conference in Sevilla, 2002 erklärte das amerikanische TIME-Magazine Scheer zum „Hero for the Green Century“.

Scheer hat eine Reihe von Büchern geschrieben, vorwiegend zum Thema erneuerbare Energie und Solarwirtschaft, zuletzt im Mai 2005 „Eine neue Politik für Erneuerbare Energien“. 2003 veröffentlichte er das Buch „Die Politiker“, das sich mit dem Vertrauensverlust in „Die Politik“ und „Die Politiker“ auseinandersetzt.

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