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Iniative for an International Renewable Energy Agency

 










Der energethische Imperativ, Verlag Antje Kunstmann, 2010.

Energieautonomie
Energieautonomie. Eine neue Politik für Erneuerbare Energien. Verlag Antje Kunstmann, 2005.
Energy Autonomy.
The Economic, Social and Technological Case for Renewable Energy. Earthscan/James & James, Dezember 2006.

Dr. Hermann Scheer
Dr. Hermann Scheer 

Präsident von EUROSOLAR;
Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien ( World Council for Renewable Energy,
WCRE); Vorsitzender des Internationalen Parlamentarier-Forums Erneuerbare Energien; Mitglied des Deutschen Bundestags; wissenschaftlicher Publizist und Autor

Hermann Scheer, Abgeordneter des Deutschen Bundestags, Präsident der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien EUROSOLAR e.V. und Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien (WCRE), Träger des Alternativen Nobelpreises, ist am 14. Oktober 2010 im Alter von 66 Jahren in Berlin gestorben.




Träger des Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) 1999, des Welt-solarpreises 1998, des Weltpreises für Bioenergie 2000 und des Weltpreises für Windenergie 2004


Artikel erschienen in Frankfurter Rundschau, 31. März 2006

Hermann Scheer versucht seit 20 Jahren unermüdlich, die Vorteile alternativer Energien weltweit zu verbreiten

Von Joachim Wille. Die Nacht war hart. Vortrag unten im Fränkischen: Wie Wind, Wasser, Sonne und andere Energiequellen den Atomausstieg möglich machen könnten. Anschließend Diskussion. Dann rauf auf die Autobahn, Richtung Bonn. Stockfinstere Nacht, aber freie Bahn. Doch plötzlich: Unfall, Vollsperrung, Stillstand, nichts geht mehr. Weggenickt, anderthalb Stunden Schlaf im Fahrersitz, bis es von hinten höllisch hupt. Ab mit Vollgas, noch zwei Stunden bis Bonn. Ankunft um halb vier. Hermann Scheer ist unermüdlich. Um zehn Uhr sitzt der Mann schon wieder in seinem Büro bei Eurosolar, der europäischen Sonnenenergie-Vereinigung, deren Chef er ist.

Den Termin mit der Delegation der East African Community will er keinesfalls sausen lassen. Er kann nicht anders. Wo Zuhörer sind, da mutiert er zum Missionar. Aus Kenia, Tansania und Uganda stammen seine Gäste, die gleich anklopfen werden. Sie wollen hören, wie es denn wohl kam, dass ausgerechnet Deutschland - von Sonne alles andere als verwöhnt - weltweit Spitzenreiter in der Solartechnik ist.

Bei Scheer sind sie an der richtigen Stelle. Das grüne Gewissen der SPD, der informelle „Solarpapst", Träger des alternativen Nobelpreises und „Hero for the Green Century" (Time-Magazine), sagt trocken, wie so etwas geht. Erstens: „den Mangel an Phantasie überwinden". Zweitens: „politische Anreize geben." Es gibt Kaffee, Kekse, Saft. Die Afrikaner tauen arg langsam auf, äugen skeptisch. Scheer extemporiert, redet sich, später sie, in die Begeisterung hinein. Afrikas Länder, wenn schon anderweitig nicht, so doch immerhin von der Sonne verwöhnt, könnten das nachmachen - und dabei noch viel billiger wegkommen als Deutschland. Vor dem Bürofenster in Arusha, Tansania, dieselt nervig der Generator für die Klimaanlage? Weg damit! Es gibt prima Solaranlagen für denselben Zweck. „Ist leise, stinkt nicht, kostet kein Öl", sagt Scheer. Gibt's sowas? Die ungläubige Frage zurück: So was gibt's? Windräder, Solarenergie, kleine Wasserkraftanlagen, Biogas - vor dem geistigen Auge des Solarpolitikers wächst en passant bereits Afrikas autarkes Energiesystem, das das Modell der Industriestaaten mit den Großkraftwerken und gigantischen Stromnetzen überwindet. Etwas Vergleichbares in dem südlichen Kontinent aufzubauen, brauche Jahrzehnte und sei dort ohnehin unfi-nanzierbar. „Ich spreche Klartext", ruft Scheer, „alles andere ist Unsinn. Ich bin doch kein Diplomat."

Scheer, so scheint es, wächst am Widerstand. In der Jugend, damals in Berlin, war er ein guter Schwimmer und Fünfkämpfer. Heute, mit 61 Jahren, schiebt er einen mittleren Bauch vor sich her. Keine Zeit für Sport? Nein. Außerdem: Einfach so vor sich hin joggen, ohne Ziel, das liegt ihm nicht. Am liebsten greift er nach ganz oben. Also zur Sonne. Eine „solare Weltwirtschaft" will er erreichen, „Energieautonomie" gegen die Konzerne und Multis, einen generellen „Klimawechsel", wie seine Buchtitel verkünden. Darunter tut er's nicht.

Dabei ist der „Solarpapst" eher zufällig auf seine Berufung gestoßen. Der Ex-Leutnant, den in Heidelberg die 68er Studentenrevolte politisierte und der sich dann über eine Juso-Karriere bis in den Bundestag vorarbeitete, machte sich zuerst als Außenpolitik- und Abrüstungsspezialist einen Namen. In seinem Buch Befreiung von der Bombe von 1985 findet sich, als Exkurs, Scheers erstes Plädoyer für die Sonne. Die
 
Idee: Der Umstieg auf Alternativenergien wäre das ideale Arbeitsfeld für Rüstungsbetriebe, die auf zivile Produktion umstellen wollen. Ein „globales ökologisches SDI-Programm" forderte er damals - eine „solare Entwicklungs-Initiative" (Solar Development Initiative) anstelle von Reagans militärischem SDI-Nuklearschirm.

Willy Brandt, der SPD-Übervater, unterstützte Scheer. Er solle sich nur nicht von seinem Engagement für die Solarenergie abbringen lassen, habe „der Willy" ihm damals bedeutet. „Er sagte", erzählt Scheer: „Ich habe keine Ahnung davon, aber ich spüre in den Fingern, das es das ist."

Dann, 1986, kam Tschernobyl, und die SPD schwenkte voll auf Anti-Atom-Kurs. Scheer erkannte: Bloß „Ausstieg" zu sagen, reicht nicht. Die heraufziehende Debatte über den Klimawandel würde Antworten erfordern, wie denn die CO2-freie Energieversorgung der Zukunft aussehen soll, wenn man die Atommeiler ablehnt. Der Vorschlag des Solar-Newcomers, einen großen SPD-Kongress zu Alternativenergien zu machen, wurde abgebügelt. Grund: Nicht durchsetzbar. Denn: „Alle unsere Fachleute sind dagegen", erklärte ihm SPD-Vize Johannes Rau.

Warum Scheer da nicht zu den Grünen ging? Das liegt nicht nur in der politischen Sozialisation begründet. Auch nicht nur darin, dass ihn „eine oft unerträgliche Überheblichkeit und PC-ness" der Leute abgeschreckt habe. „Es ist doch wichtiger, eine große Partei zu verändern, als eine kleine hinter sich zu haben", sagt er.

Dabei hatte Scheer, die solare One-Man-Show mit Wahlkreis in Baden-Württemberg, mächtige Widersacher. Die parteiinterne Kohlelobby aus Nordrhein-Westfalen etwa oder die argument-resistenten Atomfreunde. Heute, nach zahlreichen Konflikten mit SPD- und SPD-nahen Wirtschaftministern wie Werner Müller oder Wolfgang Clement und deren Abgang, wackele die Partei nicht mehr - weder beim Atomausstieg noch bei den Erneuerbaren Energien. „Die anderen", sagt er, „schaffen es nicht mehr."

Scheers Image als schlauer Solar-Asterix inmitten mächtiger, doch schwerfälliger Energie-Römer geht zurück auf eine Initiative, die er 1991 zusammen mit Abgeordneten von Union und Grünen in den Bundestag einbrachte: das „Einspeisegesetz". Das Prinzip: Die höheren Kosten für Ökostrom werden auf alle Kunden umgelegt, und die Produzenten bekommen eine feste Vergütung garantiert. Das „Gesetzlein" (so ein parteiinterner Kritiker) führte zu einem ungeahnten Boom bei der Windkraft, die heute alleine bereits sechs Prozent der in Deutschland verbrauchten Elektrizität liefert. Die Stromkonzerne hätten damals „gepennt", sagt Scheer, und auf ihren Lobbykanälen erstaunlicherweise kaum Widerstand geleistet: „Die waren nach der Einheit vollauf damit beschäftigt, die ostdeutschen Stromnetze in die Finger zu bekommen. Richtig geil darauf."

Scheer, natürlich, war die treibende Kraft, als dann Rot-Grün ein Kreditprogramm für 100 000-Solardächer auflegte und das Umlageprinzip mit dem Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) auf Solarstrom, Biomasse-Kraftwerke und Geothermie erweiterte. Die Vorschrift, inzwischen von anderen EU-Staaten und sogar China kopiert, sagt der SPD-Mann, habe „ eine wahnsinnige Dynamik in Gang gesetzt. Es ging ja schneller, als selbst Greenpeace-Studien vorausgesagt haben." Wenn man es richtig anpackt, könne Deutschland sich bis 2050 komplett mit Alternativ-Energien versorgen, sagt er voraus - und ist damit, wie es dem „Papst" gebührt, weit ambitionierter als viele andere eher erdverhaftete Ökoexperten.

Doch zuletzt mischen sich in den legendären Scheerschen Optimismus, den er mit jährlich 200 Vorträgen und zig Auslandsreisen verbreitet, auch arg skeptische Töne: „Die Gefahr eines Rollbacks ist eklatant." Scheer warnt vor den Konzernen, den Strom, öl- und Gasmultis. Die, sagt er, werden das nicht von ihnen gesteuerte Wachstum der Alternativenergien mit aller Macht bekämpfen. „Das wird das letzte Aufbäumen eines Systems, dessen Ende absehbar ist, weil ihm die Ressourcen ausgehen." Von angegrünten Tönen mancher Bosse dürfe man sich nicht täuschen lassen: Die hätten wohl erkannt, dass an der Sonne kein Weg vorbeiführt, „aber sie wollten selbst bestimmen, wann es soweit ist".

„Energiekonsens"? Unmöglich. Merkels „Energiegipfel" am nächsten Montag? Bringt nichts. Schmusepolitik? Unsinn, sagt Scheer. Lieber klare Kante.

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