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Artikel erschienen in Waiblinger Kreiszeitung, 14. November 2006


Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer fordert beim 16. Politischen Martini eine Wiederbelebung der Demokratie

Fellbach. Leichte Kost stand beim 16. Politischen Martini mit Hermann Scheer weder auf der Speisekarte noch auf dem Programm des Redners. Stattdessen servierte der SPD-Bundestagsabgeordnete seinen Parteifreunden vor dem Gansessen eine Ansprache zur Systemkrise.

Von Katja Edler. „Linientreue zeigt sich immer erst in der Kurve“, lautete das Motto des 16. Politischen Martini, den die Latin-Jazz-Gruppe September musikalisch bereicherte. Hermann Scheers Vorredner griffen das Thema am Sonntagabend in der Schwabenlandhalle dankbar auf. Der Stadt- und Regionalrat Harald Raß unterstrich vor rund 250 Zuhörern die Linie der SPD-Fraktion gegen die Dimensionen der geplanten Bebauung des Fromm-Areals und gegen einen Nord-Ost-Ring. Die Landtagsabgeordnete Katrin Altpeter wies darauf hin, dass „Werte und Grundpositionen nicht aus dem tagespolitischen Geschehen erwachsen, sondern die Grundzüge politischen Handelns sein sollten“. Bürgermeister Günter Geyer würdigte Hermann Scheer als Beweis dafür, dass Geradlinigkeit in der Politik kein Ding der Unmöglichkeit sei.


Etwa 250 Gäste ließen sich erst die Worte von Hermann Scheer (rechts) und später das Gansessen auf der Zunge zergehen. Foto:Katja Edler

„Meine Mission ist noch nicht erfüllt. Ich denke in keiner Weise an die Beendigung meines politischen Handelns“, sagte Scheer aus gegebenem Anlass. Er ist der Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Waiblingen mit der längsten Dienstzeit. Angesichts der derzeitigen Situation sei politisches Engagement mehr denn je gefordert. „Die Wahlbeteiligungen nehmen überall ab, Parteimitgliedschaften reduzieren sich, das Zutrauen in politische Institutionen lässt nach, und die Politikerverachtung nimmt zu“, sagte der Abgeordnete und stellte eine „zunehmende Entfremdung zwischen den Repräsentierten und ihren Repräsentanten“ fest. „Wenn diese Entwicklung zur gleichen Zeit parteiübergreifend alle Teile der Gesellschaft erfasst, haben wir es mit einer sich entwickelnden Systemkrise zu tun“, sagte Hermann Scheer.

Die „Gefahr eines Zerfalls der Demokratie“ werde von Politikern gefördert, die nicht „Ross und Reiter nennen“ und keine Lösungswege aufzeigten. Am Beispiel der Klimaveränderung machte Scheer deutlich, dass „diejenigen, die einer Gesellschaft ausreden, dass es eine Perspektive gibt, geistige Umweltverschmutzung betreiben“. Seinen Einwand gegen die Privatisierung der Bundesbahn, aber auch die EU-Verfassung und das Welthandelsabkommen zog der SPD-Bundestagsabgeordnete als Beispiel dafür heran, dass zu wichtigen politischen Fragen „keine offene Diskussion stattfindet. Stattdessen entscheiden ein paar wenige auf Grund ihrer Interessenlage.“ Mit dieser Form einer „technokratischen Herrschaft“ würden der Willensbildungsprozess ausgeschaltet und die Demokratie gelähmt. Verschärft werde die Situation „wenn die Nichtbeschädigung eines Ministers bekanntermaßen einen höheren Stellenwert hat als die Korrektur einer Entscheidung, die schon zum Zeitpunkt, als sie gefällt wurde, als falsch erachtet wurde. Das nennt man Feudalismus. Dahinter steckt die Denunzierung des demokratischen Willensbildungsprozesses“, sagte Hermann Scheer.

Der Redner forderte „eine Revitalisierung der politischen Demokratie“. Denn ein Engagement der Bürger setze voraus, dass „die Verhältnisse von den Leuten verbessert werden können“.

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