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SPD HessenMaßnahmen-Programm der SPD zur Realisierung der Wende in der hessischen Wirtschafts- und Umweltpolitik, 02. Juni 2007

Vorbemerkung: Im Oktober 2005 hat die hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti das Programm "Für ein atomfreies Hessen" vorgestellt, das unter Federführung von MdB Dr. Hermann Scheer, dem Vorsitzenden des Weltrats für Erneuerbare Energien und Träger des Alternativen Nobelpreises erarbeitet worden war. Es sieht bis 2013 – also bis zur definitiven Abschaltung des Atomreaktors Biblis B und damit der Beendigung der Atomstromproduktion in Hessen einen vollständigen Ersatz durch Erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung bei gleichzeitiger Senkung von CO2-Emissionen in Hessen vor.

Der vorgeschlagene Weg dahin ist im Bereich der Stromversorgung die durchgängige Dezentralisierung der Stromproduktion in Hessen, über die Fläche des Landes verteilt. Zur Realisierung im Rahmen des EEG hat das Programm die erforderliche Ersatzleistung entsprechend in „Produktionsmodule“ von im rechnerischen Durchschnitt je 10 Mio. KWh Jahresproduktionsleistung aufgeteilt. Je nach geo- und topografischen Bedingungen in den Gebietskörperschaften der hessischen Landkreise und kreisfreien Städte ergibt sich, welche Art erneuerbarer Energie jeweils prioritär genutzt werden kann und die einzuführenden Produktionsmodule stellt (diese können im einzelnen schnell größer wie kleiner sein, woraus sich die genauere Zahl der tatsächlich einzuführenden Module ergibt). Wie viele davon tatsächlich benötigt werden, ergibt sich aus den zwischenzeitlich parallel dazu eingeleiteten Fortschritten in der Energieeinsparung und Effizienzsteigerung durch weitere landes-, kommunal- und bundespolitische Maßnahmen. Der von uns angegebene konkrete Ersatzbedarf ist also ein Maximalwert, der wahrscheinlich gar nicht erreicht werden müsste, um bis 2013 unser Ziel zu verwirklichen.

Nach der Vorlage unseres Programms mit dem Nachweis seiner wirtschaftlich-technischen Realisierbarkeit wurde die Planung eines 820 MW Steinkohlekraftwerkes der Kraftwerksgesellschaft Main-Wiesbaden, sowie eines neuen 110 MW Steinkohlekraftwerkes in Grosskrotzenburg spruchreif. Auch diese lehnt die SPD Hessen ab, weil wir Hessen sowohl aus der Atomfalle wie auch aus der Klimafalle herausführen wollen. Das bedeutet, dass wir den Ausbau der dezentralen Energieversorgung so planen, dass wir auch dafür die tatsächlich für Hessen erforderliche Ersatzleistung erzeugen können. Es geht deshalb um eine atomfreie und klimaunschädliche Ersatzleistung in einem Produktionsvolumen von maximal 18 Mrd. KWh, was etwa 2/3 der hessischen Stromproduktion entspricht.

Das Maßnahmen-Programm

Die dafür erforderlichen politischen Maßnahmen stellen Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer hiermit vor. Die Eckpunkte dafür sind im vom SPD-Landesvorstand beschlossenen Entwurf unseres Landtagswahlprogramms verankert. Das Maßnahmenprogramm besteht aus folgenden Schritten.

1. Ein neuer Landesentwicklungsplan und eine Neufassung der Regionalpläne zur Beschleunigung ökologischer Infrastrukturmaßnahmen.

Durch eine Novelle des Landesentwicklungsplans und eine Neufassung der Regionalpläne werden wir die bisherige Verhinderungsplanung gegenüber Anlagen erneuerbarer Energien beenden. Insbesondere werden wir das „Repowering“ (Leistungsverstärkung) bestehender Windkraftanlagen erleichtern. Die Regionalpläne sollen künftig lediglich besonders geeignete Flächen entlang der überörtlichen Verkehrswege für Windenergie der Höchstleistungsklasse auf der Basis von Windmessungen festlegen, sowie darüber hinaus geeignete Standorte ausweisen für Stromspeichertechniken in Form von Druckluftkraftwerken in Erdkavernen.

Im Übrigen überlassen wir es dem Verantwortungsbereich der Gemeinden im Rahmen ihrer Flächennutzungsplanung, frei über Vorrangflächen für kleinere Windparks (bis zu vier Anlagen) zu entscheiden. Dies stärkt die kommunale Selbstverwaltung gegenüber den Regierungspräsidien.

Gleichzeitig werden wir die Initiative ergreifen, dass die nach dem Abschalten der Atomkraftwerke Biblis A und B nicht mehr benötigten Höchst- und Hochspannungsmasten unverzüglich abgebaut werden.

2. Optimierte Wärmenutzung für die Stromerzeugung

Wir werden das hessische Abfallrecht reformieren, um für diesbezügliche Neuinvestitionen bei der Entsorgung die energetische Verwertung organischer Abfälle zu ermöglichen. Wir integrieren damit Abfallwirtschaft und Stromerzeugung. Allein die energetische Verwertung organischer Abfälle hat in Hessen ein erschließbares Potential von etwa 5,5Mrd KWh, was 20% der hessischen Stromerzeugung entspricht.

Wir werden in Hessen den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung verdreifachen. Dafür werden wir ihren Einsatz in Gebäuden erleichtern, um deren Wärmeversorgungsinfrastruktur zu nutzen.

Dazu gehört, die in Hessen vorhandenen Notstromaggregate einschließlich der der Deutschen Bahn AG für die laufende Stromerzeugung einzusetzen und auf Kraft-Wärme-Kopplung auszurichten.

Wir werden ein Markteinführungsprogramm für neue Technologien zur Stromerzeugung aus Niedertemperaturwärme (70 - 80°) starten, um auf diesem Wege die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu Kraft-Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen zu machen sowie die Potentiale der Oberflächen-Geothermie, der Abfallwärme und an Chemie-Standorten optimal zu nutzen.

3. Förderung dezentraler Energieversorgung von Gemeinden und Siedlungen

Initiativen von Gemeinden und Siedlungen zur unabhängigen Stromversorgung mit Mikronetzen werden wir in enger Kooperation mit den jeweiligen Gebietskörperschaften fördern, gestützt auf bestehende Erfahrungen und Entwicklungsergebnisse des Kasseler NET und des Instituts für Solare Energietechnik.

Mit der Entstehung solcher dezentralen Netzstrukturen erleichtern wir die Entstehung Polyhybrider kommunaler Energiesysteme und eröffnen erhebliche Kostensenkungspotentiale in der Stromversorgung durch Synergieeffekte und die Vermeidung von Übertragungs- und Netzausbaukosten.

4. Neue Wasserrechte

Unter der Voraussetzung, dass eine ökologische Verbesserung des Naturhaushalts erzielt wird, reaktivieren wir alte und genehmigen neue Wasserrechte.

Das von der EU geforderte Maßnahmenprogramm und der Bewirtschaftungsplan für die heimischen Wasserläufe werden wir von 2009 auf das Jahr 2008 vorziehen, um den ökologischen Ausbau der Kleinwasserkraft in Hessen zu ermöglichen. In Abstimmung mit den hessischen Umweltverbänden werden wir dafür Kriterien entwickeln, die in das Hessische Wassergesetz aufgenommen werden.

5. Verbindliche Standards zur Nutzung der Sonnenenergie in Neubauten und Siedlungen

Die von uns geführte Landesregierung wird für alle Neubauten und Siedlungen einen Mindeststandard zur Nutzung der Solarenergie einführen, falls die Bundesregierung das im Koalitionsvertrag vorgesehene Erneuerbare-Wärme-Gesetz nicht auf den Weg bringt. Wir werden das Hessische Denkmalschutzgesetz novellieren, um auch eine anspruchsvolle Integration der Solartechnik in denkmalgeschützten Gebäuden zu ermöglichen. Den generellen Ausschluss der Solarenergie in bestimmten Ortsteilen werden wir durch eine Novelle der Hessischen Bauordnung untersagen.

Wir zielen auf eine Integration erneuerbarer Energien in Gebäuden, Stadtquartieren, Ortskernen und Gewerbebauten als neuer Gestaltungsanforderung an die künftige Baukultur – in enger Zusammenarbeit mit den Städten und Landkreisen, Architekten und Handwerksinnungen.

6. Senkung der Energiekosten in öffentlichen Einrichtungen

Wir werden  durch ein breit angelegtes Sofortprogramm in allen öffentlichen Einrichtungen des Landes die Strom- und Heizenergiekosten durch entsprechende Energiespar- und Effizienztechniken um mindestens 25 % senken. Dafür werden wir auch Landesfördermittel einsetzen, die über die des Bundes hinausgehen bzw. diese wirkungsvoll ergänzen.

7. Gebührenfreie Energieberatung und verbesserte Vollzugskontrolle der Energiesparverordnung durch die Schornsteinfegerinnung

Wir werden für jeden hessischen Haushalt eine gebührenfreie Energieberatung anbieten. Ergänzend dazu achten wir auf eine Vollzugskontrolle der bundesweiten Energieeinsparverordnung, indem wir diese Aufgaben den Innungen der Bezirksschornsteinfegermeister übertragen und ihre künftige Berufsausrichtung in einer Novelle der Kehr- und Überprüfungsordnung verankern.

8. Die Umstellung des Fahrzeugparks aller Landesbehörden auf erneuerbare Kraftstoffe

Eine beispielgebende Rolle werden die Landesbehörden unter unserer Regierungsverantwortung für den Durchbruch zu einem klimafreundlichen Automobilverkehr übernehmen. Dazu werden wir den öffentlichen Fahrzeugpark vollständig auf Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien umstellen. Der Rein-Biokraftstoffmarkt („ 100“, E 85/100, oder Biogas) ist das wichtigere Förderinstrument als die Beimischung.

9. Regionale Wertschöpfungsketten für Bio-Energie und Bio-Kraftstoffe

Zur Förderung des Ausbaus der Bioenergie unter gleichzeitiger Beachtung der Nachhaltigkeitskriterien sowie für den Einsatz der Biomasse als chemischer Grundstoff fördern wir die Einrichtung von kooperativen regionalen Wertschöpfungsketten. Wir sorgen damit dafür, dass die Landwirtschaft eine neue Entfaltungschance hat, indem in ihr Nahrungsmittel-, Energie- und Rohstofferzeugung integriert werden und es so zu einer optimierten Ressourcennutzung kommt. Wir werden die Zusammenarbeit von Stadtwerken und Landwirtschaft unterstützen, um die Einspeisung von Biogas in das Gasnetz und damit dessen Einsatz in der Kraft-Wärme-Kopplung voranzutreiben. Damit vollziehen wir einen großen Schritt zur Steigerung der Wertschöpfung in den Regionen und zur Stärkung des Stadt-Umland-Verhältnisses.

10. Erweiterung des Nutzpflanzenspektrums für Bioenergie- und Rohstoffe mit einer Saatgutverwertungsbank

Wir werden die wissenschaftliche Nutzpflanzenkunde deutlich ausbauen im Hinblick auf die energetische und stoffliche Nutzung solcher Pflanzen, die wassersparend und ertragsstark und möglichst ohne Düngemittel wachsen und deshalb boden- und grundwasserschonend sind. Als wissenschaftlich-technischen Grundstock für die wachsende Bedeutung energetischer und stofflicher Biomassenutzung gründen wir eine öffentliche Saatgut-Verwertungsbank.

11. Ausbildungsoffensive für den Wechsel zu Erneuerbaren Ressourcen

Dezentrale und effiziente Ressourcennutzung erfordert einen großen Bedarf an ausgebildeten Fachleuten und eröffnet zahlreiche neue Berufsperspektiven. Zusammen mit den Lehr-, Forschungs-, Ausbildungs- und Bildungseinrichtungen des Landes und der Berufsvereinigungen starten wir deshalb eine Ausbildungsoffensive für den Wechsel zu Erneuerbaren Energien und bauen dafür die Kapazitäten aus. Dies wird sich vor allem auf die natur- und technikwissenschaftlichen Studiengänge erstrecken, sowie auf die Architekten-, Ingenieur-, Handwerker-, und Landwirteausbildung.

12. Kreditförderung für Investitionen in den Ressourcenwechsel

Wir werden die Finanzierung von Investitionen in den Ressourcenwechsel und zur Ressourceneinsparung durch die Förderinstitute des Landes erleichtern, sie überschaubarer machen und unbürokratisch ermöglichen. Die von uns vorgesehene organisatorische Zusammenfassung der Förderinstitute des Landes wird das erleichtern.

13. Wiedereinführung der Grundwasserabgabe

Wir werden die Grundwasserabgabe wieder einführen und daraus besonders innovative Einspar- und Umweltprogramme finanzieren. Dabei werden wir ein Drittel der Einnahmen als Darlehen ausreichen und damit einen revolvierenden Fonds begründen, der aus den Rückzahlungen immer wieder neue Investitionen in der Zukunft ermöglicht. Im Rahmen der von der EU geforderten Bewirtschaftungspläne für die heimischen Wasserläufe werden wir in Abstimmung mit den hessischen Umweltverbänden den ökologischen Ausbau der Kleinwasserkraft in Hessen ermöglichen.

14. Initiative für die Förderung des emissionsfreien Luftverkehrs

Wir ergreifen die Initiative, als Heimatland des Flughafens Frankfurt, für die Gründung eines Forschungsinstitutes für die Entwicklung von klimaneutralem Flugtreibstoff und dazugehörigen Antriebstechnologien.

Als ein Land, das durch den Flugverkehr große wirtschaftliche Vorteile genießt, aber dessen Bewohner auch die daraus hervorgehenden unmittelbar wirkenden Belastungen (Fluglärm Luftverschmutzung) erfahren liegt das in unserer aktiven Mitverantwortung für Umwelt und Weltklima.

15. Beratungsagentur des Landes für die Landkreise und Kommunen.

Der Energiewechsel erfordert umfassende Beratungshilfen, auch über die Energieberater für die  Gebäude- und Hausenergieinitiativen hinaus.

Für kommunale Energiekonzepte werden wir eine kostenlose Konzeptberatung einführen und dafür eine Beratungsagentur einrichten. Eine Möglichkeit dafür ist der Rückkauf der „Hessen-Energie“ durch das Land um ihr diese Aufgabe übertragen zu können.

Zusammenfassung

Die in der Landesplanung festgelegten Zielwerte bedeuten konkret, dass in jedem Landkreis und den kreisfreien Städten pro je 100.000 Einwohner Flächen und Einrichtungen für eine Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien von 300 Mio. KWh Jahresproduktionsleistung vorzusehen sind, mit Hilfe ihrer Flächennutzungsplanung, Bauplanung und eigenen Investitionsvorhaben im bestand oder durch Stadtwerke. Es handelt sich hierbei um neue Daseinsvorsorge. Die Ausfüllung dieser Zielwerte erfolgt in dezentralen Plänen der Gebietskörperschaften, unterstützt von der Landesregierung. Die Gebietskörperschaften können ihre Maßnahmen für die dezentrale Stromproduktion untereinander in nachbarschaftlicher Kooperation ausgleichen.

Mit diesen Maßnahmen öffnen wir den Weg zu Investitionen in erneuerbare Energien in Milliardenhöhe. Für die Realisierung der Zielgrößen im Bereich der dezentralen Stromversorgung sind Gesamtinvestitionen von etwa €12 Mrd. anzunehmen, was dem Investitionsaufwand entspricht, der in den letzten beiden Jahren in Deutschland in die Stromerzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien floss. Für die energetischen Maßnahmen im Gebäudebereich sind Investitionssummen von etwa €10 Mrd. innerhalb des nächsten Jahrfünfts anzunehmen, was allein einem jährlichen Beschäftigungszuwachs von 50.000 entspricht.

Die Realisierung dieser Strategie bedeutet