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Memorandum von Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLAR, 09. März 2007

Mehr Handlungsmut für Erneuerbare Energien

Die von allen Menschen und Tieren aktuell spürbaren Gefahren für Energiesicherheit und Klima verlangen zusätzliche politische Anstrengungen um den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien. Diesem Ziel stehen keine technischen und wirtschaftlichen Hindernisse entgegen, sondern Blockaden des menschlichen Denkens und des politischen Handelns. Sie müssen überwunden werden. Rasch und radikal.

Memorandum  Memorandum "Jenseits von Kohle und Atom" (pdf) 

Die Gefahr der Atomenergie darf dabei nicht unterschlagen oder verdrängt werden. Weder Laufzeitverlängerungen von Atomanlagen noch Neubauten fossiler Großkraftwerke sind in Deutschland erforderlich, um den Energiebedarf  mit sozial verträglichen und wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Preisen zu decken. Beide Scheinlösungen behindern die Anforderungen und Möglichkeiten der notwendigen Neuorientierung und Umstrukturierung der Energieversorgung. Stattdessen sind in erster Linie alle Effizienz- und Sparpotenziale konsequent zu nutzen.

Am gesetzlich beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie muss festgehalten werden. Die Zustimmung der Bevölkerung zur Abwendung von der Atomkraft ist aber nur aufrecht zu erhalten, wenn der Ersatzbedarf nicht mit neuen fossilen Großkraftwerken ausgeglichen wird. Denn wegen der alarmierenden Klimadaten gibt es auch dafür keine ausreichende Akzeptanz mehr.

Neubauten fossiler Großkraftwerke sind schädlich. Stormerzeugungskapazitäten aus fossilen Energien dürfen aus Gründen des nachhaltigen Klimaschutzes nur zugelassen werden, wenn sie für Kraft-Wärme-Kopplung verwendbar sind. Der Ersatzbedarf zur Atomkraft muss vollständig aus Erneuerbaren Energien kommen.

Mit energischem politischem Willen ist innerhalb von 15 Jahren ein Anteil der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung von 60 bis 80 % erreichbar. Eine Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien wäre dann bis 2040 vorprogrammiert. Um diesen Weg einzuschlagen, müssen administrative Genehmigungsblockaden aufgegeben werden und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) muss mit Anpassungen an die neuen Erfordernisse fortgelten.

Unausgegorene Ankündigungen, CO2 unterirdisch zu lagern, sind keine Lösungen. Im Vergleich mit erneuerbaren Energien sind sie weder wirtschaftlich konkurrenzfähig noch sind sie für den Arbeitsmarkt vernünftig. Außerdem gefährden sie das Ziel der Energieeffizienz und erhöhen die Importabhängigkeit. Schließlich wäre CO2 im gelagerten Zustand ein dauerndes Zukunftsrisiko wie der Atommüll.

Die These, Atomenergie sei eine kostengünstige Alternative, ist unhaltbar. Wegen der weltweiten Verknappung des Urans hätte Atomenergie allenfalls mit der fragwürdigen Reaktortechnologie der Schnellen Brüter eine vage Aussicht. Solche Reaktortypen im Dauerbetrieb gibt es aber bis heute nicht. Würden sie einsatzfähig, wäre gewaltige Kosten für die Atomenergie und erhöhte Sicherheitsgefahren die zwangsläufigen Folgen.

Bei Erneuerbaren Energien fallen keine Brennstoffkosten an. Mit industrieller Anlagenproduktion und durch laufende technologische Verbesserungen können sie nur preiswerter werden. Dagegen steigen die Kosten konventioneller Energiebereitstellung vor allem wegen unabsehbar steigender Brennstoffpreise und unbezahlbarer Umweltfolgeschäden. Wenn wir Erneuerbare Energietechnologien heute mobilisieren, ist eine kostengünstige und umweltschonende Energieversorgung für die Zukunft gesichert.

Um Energiesicherheit herzustellen, ist zu empfehlen, beim Ersatz fossiler Energien zur Stromversorgung politisch vorzusorgen: Er muss bei den Importenergien ansetzen. Die europarechtliche Legitimation dazu ergibt sich aus der EU-Binnenmarktrichtlinie Strom (Artikel 11, Absatz 49).

Die Mehrkosten für das EEG betragen gegenwärtig bei kritischer Betrachtung rund 2,3 Mrd. Euro. Sie sinken automatisch mit steigenden Preisen konventionellen Stroms. Daraus ergibt sich, dass eine übermäßige Kostensteigerung auch bei einem beschleunigten und vermehrten Ausbau nicht zu erwarten ist. Bei wirklichkeitsnaher Einschätzung des tatsächlichen Marktwerts des EEG-Stroms (Spitzenbelastung von Solar- und Windstrom oder lastorientiertes Strommanagement) wird sich herausstellen, dass die heute unterstellten Mehrkosten erheblich niedriger ausfallen. Die jährlichen Mehrkosten für Erneuerbare Energien als Folge des EEG haben bewirkt, dass 2006 die Klimaemissionen um 44 Mio. t gesenkt wurden.

Insgesamt sind durch Förderprogramme für Erneuerbare Energien 97 Mio. t CO2 vermieden worden. Demgegenüber hat das Zuteilungsgesetz für das Emissionshandelssystem nur Minderungen von 2 Mio. t CO2 vorgesehen. Dies hat durch die Preisgestaltung der Emissionszertifikate die Stromverbraucher mit jährlichen Mehrkosten von 2 bis 3,5 Mrd. Euro belastet. Also ist eine Umverteilung von den Kleinverbrauchern auf die großen Energiekonzerne und Atomkraftwerkebetreiber erfolgt. Klar ist aber auch, dass die Mobilisierung Erneuerbarer Energien nach dem EEG-Instrument der erfolgreichste und kostengünstigste Beitrag zum Klimaschutz ist. Außerdem hat sie für Investitionen und für Beschäftigung gesorgt.

Mit der Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer Energien leisten wir einen bedeutenden Beitrag zu Änderung der internationalen Energie-Agenda. Der Versuch über globale Verhandlungen mit internationaler Konsensbildung hat sich als unwirksam erwiesen, um das Klima nachhaltig zu schützen. Bei der Umstrukturierung der Energieversorgung geht es um den Durchbruch zu neuen Energietechnologien. Kein technologischer Neuanfang ist jemals über internationale Einführungsverträge geschafft worden, sondern immer durch das Entfachen einer Entwicklungsdynamik in einzelnen Ländern - also durch treibende Kräfte. Praktische Lösungsansätze müssen sich in größeren Wellen ausbreiten.

Für die globale Umorientierung auf Erneuerbare Energien ist Deutschland aufgrund der rasanten Fortschritte der vergangenen Jahre ein beispielhafter Voreiter. Schon jetzt hat sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als wesentlich erfolgreicheres Instrument zur Minderung der klimaschädlichen Emissionen erwiesen als die Umsetzung des Kyoto-Protokolls in jedem einzelnen Land.

Der gezielt verbreitete Hinweis, die Umorientierung der Stromversorgung auf Erneuerbare Energien erfordert mehr Zeit und bis dahin wären neue Großkraftwerke erforderlich, ist nicht stichhaltig. Dezentrale Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sind schnell installierbar. Die sprunghafte Entwicklung in Deutschland seit 2000 ist ein eindrucksvoller Beweis.

Frankreich hat dagegen von Mitte der 60er bis Anfang der 80er Jahre trotz der langen Bauzeit von Atomkraftwerken einen Anteil des Atomstroms von 75 % erreicht. Was dort mit Atomenergie möglich war, muss hier mit Erneuerbaren Energien ebenso möglich sein.

Wenn wir von der Notwendigkeit des Umbaus überzeugt sind, werden wir es schaffen. Wenn nicht jetzt – wann dann?!

Erläuterungen

1. Keine Zeit mehr zu verlieren

Die laufend alarmierender werdenden Klimaberichte sowie die gleichzeitig wachsende Diskrepanz zwischen limitierten fossilen und atomaren Energieangeboten und der steigenden weltweiten Energienachfrage – mit der Folge zunehmender internationaler Spannungen und erwartbaren weiteren Preissteigerungen – machen eine unverzügliche und grundlegende Umstrukturierung der Energieversorgung zur zwingenden Verantwortung. Lester Brown, Präsident des Earth Policy Institute in Washington, plädiert für eine politisch-industrielle Mobilmachung zur Abwendung politischer Risiken, die in den USA bisher nur für Kriegszeiten aufgewandt wurde („war-time mobilisation“). Im Kern muss es dabei um den umfassend angelegten Wechsel zu Erneuerbaren Energien gehen, mit Hilfe der Beschleunigungsfaktoren der Effizienzsteigerung und des Einsparens herkömmlicher Energien, denen eine Brückenfunktion zukommt. Dafür darf keine Zeit mehr verloren werden.

Dieser wahrhaft historischen Herausforderung wird jedoch bisher keine Regierung angemessen gerecht. Allen Erkenntnissen zum Trotz dominieren nach wie vor – von den nationalen bis zu den internationalen Politikern (G8, Weltklimakonferenzen, EU) - „business-as-usual“-Ansätze oder nur kleine Schritte. Aus Angst vor den Problemen und Konflikten, die aus der Umstrukturierung der Energieversorgung entstehen, werden wesentlich größere Probleme und Konflikte in Kauf genommen, die mit der Atomenergie und fossilen Energien einhergehen.

In Deutschland sind durch den in den letzten Jahren erfolgreich eingeleiteten Aufbruch zu Erneuerbaren Energien die besten technologischen und industriellen Grundlagen entstanden, um die weltweit notwendige Umstrukturierung schneller als bisher gedacht oder geplant zu realisieren. Voraussetzung dafür ist eine entschieden größere Bereitschaft, sich von den überkommenen Energieversorgungsstrukturen zu lösen.

2. Die chronische Unterschätzung des Potentials Erneuerbarer Energien: Weder Atomlaufzeitverlängerung noch neue fossile Großkraftwerke sind nötig

Weil vermeintlich das Potential der Erneuerbaren Energien als Ersatz für die Atomenergie nicht ausreiche, leiten daraus

- die CDU/CSU und die FDP ihre Forderung nach einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ab, weil diese ansonsten durch vermehrten klimagefährdenden, fossilen Energieeinsatz ersetzt werden müssten,

- die SPD und auch die Grünen die Befürwortung des Neubaus effizienterer fossiler Kohle- und/oder Gaskraftwerke ab, um damit den Vorwurf einer eventuellen Deckungslücke beim Vollzug des Atomenergieausstiegs zu entkräften.

Doch sowohl mit einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke als auch mit dem Bau neuer fossiler Großkraftwerke würden die überkommenen Strukturen der Stromversorgung betoniert. Beides hätte den kontraproduktiven Effekt eines Investitionshemmnisses gegenüber erneuerbaren Energien und würde die gegebenen Chancen einer umfassender angelegten Umstrukturierung um Jahrzehnte verschieben.

Die Versuche, das 2001 beschlossene Gesetz zur Beendigung der Atomenergienutzung aufzubrechen, zielen darauf ab, die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke von durchschnittlich 32 Jahren auf 60 Jahre zu verlängern – obwohl das offiziell nur wenige (u.a. der hessische Ministerpräsident Koch) zugeben. Deshalb muss an dem Atomenergieausstieg so wie gesetzlich vorgesehen (siehe Tabelle 1: Restlaufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke) festgehalten werden.

Auch die 45 geplanten neuen fossilen Großkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 30.000 MW bedeuten eine Inkaufnahme der dadurch verbleibenden Emissionen bis zum Jahr 2050 (siehe Tabelle 2: Geplante neue fossile Großkraftwerke). Auch wenn die neuen fossilen Großkraftwerke einen höheren Effizienzgrad haben werden, bedeutet das eine Festschreibung ihres gleichwohl immer noch hohen Emissionsniveaus über den Zeitraum von mindestens drei Jahrzehnten nach ihrer Inbetriebnahme.

Aufgrund der alarmierenden Klimadaten führen die Vorhaben für die neuen fossilen Großkraftwerke dazu, dass die Forderung nach einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in der Öffentlichkeit an Resonanz gewinnt. Die mehrheitliche öffentliche Zustimmung für den Atomenergieausstieg kann nur dann aufrechterhalten werden, wenn der Ersatzbedarf für die Atomenergie mit Erneuerbaren Energien realisiert wird.

3. Umfassende politische Mobilisierungschancen Erneuerbarer Energien

Das Ziel des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von „mindestens 20 %“-Anteil an der deutschen Stromversorgung bis 2020 wird bei gleichem jährlichen Ausbautempo, wie es seit dem Jahr 2000 besteht, bereits im Jahr 2013 erreicht. Die jährliche Einführungskapazität liegt seitdem etwa bei 3.000 MW Neuanlagen. Allein schon aus der kontinuierlichen Fortsetzung dieses Ausbaus bis zum Jahr 2023, dem geplanten Abschalten der letzten Atomkraftwerke, ergibt sich ein Anteil Erneuerbarer Energien von 30 %.

Die Ausbaumöglichkeiten sind jedoch noch breiter angelegt - selbst unter der Voraussetzung, dass sich der Ausbau von off-shore-Windkraft weiterhin verschleppt. Das zeigen folgende Beispielrechnungen:

3.1. Windkraft:

Willkürliche Planungshemmnisse gegenüber der Windkraft gibt es vor allem in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und neuerdings in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – also in denjenigen Bundesländern, deren Landesregierungen auf einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke wegen mangelnder Ersatzmöglichkeiten durch Erneuerbare Energien bestehen. Wären in allen Bundesländern bereits jetzt die gleichen Potentiale an Windkraft eingeführt wie im Binnenland Sachsen-Anhalt, so gäbe es in Deutschland schon jetzt etwa 40.000 MW installierter Windkraftleistung und einen Gesamtbeitrag erneuerbarer Energien von 18 %. Es sind also offensichtlich weder technische noch wirtschaftliche Hindernisse, die dem Ausbau entgegenstehen, sondern politisch-administrative. Dies ist erkennbar aus den Tabellen 3 (Bundesländer-Vergleich installierter Windkraftanlagen) und 4 (Hochrechnung der Ausbaupotentiale von Windkraft in Bundesländern anhand des Referenzbeispiels Sachsen-Anhalt).

Die durchschnittliche Kapazität der in Deutschland am 31.12.2006 installierten 19.600 Windkraftanlagen liegt bei etwas über 1 MW. Durch ein Repowering einer gleichen Zahl von Anlagen auf durchschnittlich 2,5 MW kann der Stromversorgungsbeitrag allein der Windkraft verdreifacht werden. Allein das ergäbe bereits einen Windkraftanteil von etwa 20 %. Und unter der Voraussetzung eines gleichmäßigen Ausbaus in allen Bundesländern nach dem „Ausbaukriterium Sachsen-Anhalt“ wären es etwa 40 %. Unter der weiteren Voraussetzung eines kontinuierlichen weiteren Ausbaus und eines 2,5 MW-Kapazitätsdurchschnitts der Anlagen sind 50 % Stromversorgungsanteil aus Windkraft bis Anfang der 20er Jahre real erreichbar, zumal ein bis dahin zuwachsendes Off-shore-Potential hinzukommt.

3.2. Photovoltaik:

Der Photovoltaik-Anteil von gegenwärtig bereits über 3.000 MW installierter Leistung ist innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre, angesichts einer bereits erreichten Einführungsrate von über 1.000 MW allein im Jahr 2006, auf  15.000 MW – entsprechend 3 % der deutschen Stromversorgung – ohne weiteres steigerbar.

3.3. Kraft-Wärme-Kopplung mit wachsenden Bioenergieanteilen:

Der Anteil der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung kann unbestritten innerhalb von 15 Jahren mindestens verdoppelt werden, von 12 auf etwa 25 % der Stromversorgung. Davon kann der größere Teil mit Bioenergie betrieben werden. Dafür sprechen nicht nur die raschen Zuwächse auf diesem Gebiet seit der Einführung des Bonus für nachwachsende Rohstoffe in der Einspeisevergütung (EEG-Novelle von 2004), sondern sogar mehr noch die systematische energetische Verwertung der ohnehin vorhandenen organischen Abfälle zu Biogas, die ein jährlich anfallendes Potential von 20 Mrd. m3 ausmachen. Allein damit wären 16 % der gegenwärtigen deutschen Stromerzeugung realisierbar.

3.4. Wasserkraft:

Der Anteil der Wasserkraft in Deutschland, der gegenwärtig ca. 30 Mrd. kWh beträgt, kann durch zusätzliche Kleinwasserkraftpotentiale in den nächsten 15 Jahren unschwer verdoppelt werden, was einen zusätzlichen Versorgungsbeitrag von 5 % ausmacht. Auch in diesem Fall sind willkürliche Genehmigungsverweigerungen für entsprechende Wasserrechte das einzige zu überwindende Hindernis.

3.5. Geothermie:

Ebenfalls in eineinhalb Jahrzehnten ist ein Versorgungsbeitrag durch die Verstromung geothermischen Potentials von 5 % erreichbar.

Die Summe dieser Potentiale ergibt (bei einem für die Windkraft hier angenommen eher mittleren Wert von 40 %) 80 % der Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung innerhalb von 15 Jahren. Selbst unter Berücksichtigung von Trägheitsmomenten in einer Größenordnung von einem Viertel dieser Summe käme immer noch ein Anteil von 60 % zustande. Daraus ergibt sich auch, dass eine Vollversorgung bis zum Ende des vierten Jahrzehnts realisierbar ist.

3.6. Verbrauchsreduktion:

Dabei ist noch nicht in Rechnung gestellt, dass gleichzeitig über ordnungspolitische Initiativen zur Stromeinsparung im Gerätebereich eine Reduktion des gegenwärtigen Strombedarfs realisierbar ist. Diese kann jährlich mit 1 % des Gesamtbedarfs veranschlagt werden, was in der Fachdiskussion unumstritten ist. Bisher kaum beachtete Einsparmöglichkeiten gibt es auch mit dem hier skizzierten Strukturwandel von Großkraftanlagen zu breit gestreuten dezentralen Anlagen, also einem modalen System der Stromproduktion, womit erhebliche Leitungs- und Transformationsverluste vermieden werden können. Unter der Voraussetzung dieses Einsparpotentials würde sich der Gesamtbedarf an neuen Produktionskapazitäten entsprechend verringern bzw. der Anteil der Erneuerbaren Energien zusätzlich erhöhen.

Dem steht jedoch gegenüber, dass der Strombedarf aus anderen Gründen tendenziell weiter anwächst, und zwar durch

- den vermehrten Einsatz neuer Informationstechnologien,

- den im zweiten Jahrzehnt zu erwartenden Durchbruch bei automobilen Antriebssystemen hin zum reinen Elektroauto,

- und durch den verstärkten Einsatz von Wärmepumpen für die Wärmeversorgung.

Im zweiten und dritten Fall stehen dem entsprechende Reduktionen fossilen Heizungsbedarfs gegenüber, so wie es auch durch die Verdoppelung des KWK-Anteils der Fall sein wird – also verstärkter Klimaschutz und erhöhte Energiesicherheit in der Wärmeversorgung. Mit Strom aus Erneuerbaren Energien besteht also die Chance, fossile Wärmeenergie und Kraftstoffe zu ersetzen.

4. Das Grundlast- und Reservepotential Erneuerbarer Energien

Der ständig wiederholte Vorbehalt, dass ein Ausbau der Erneuerbaren Energien in der skizzierten Größenordnung nicht möglich sei, ist technologisch phantasielos oder absichtlich denunziatorisch. Als Gründe werden angeblich dafür angegeben, dass Windkraft und Solarstrom angeblich weder grundlast- noch speicherfähig und deshalb konventionelle Reserveleistungen unverzichtbar seien.

Unter den genannten Optionen Erneuerbarer Energien sind die Wasserkraft, die Biomasse und die geothermische Energie grundlastfähig. Aber auch der in Deutschland produzierte Windstrom trägt zu 60 % seiner erzeugten Leistung zur Grundlast bei. Unter den Bedingungen des Repowering, also mit höheren Nabenhöhen der einzelnen Anlagen, steigt der relative Anteil der Windkraft zur Grundlast. Nicht grundlastfähig ist allein der Solarstrom.

Dieser leistet dafür aber einen exklusiven Beitrag zur Spitzenlast, ebenso wie das bei 40 % der Windkraftleistung der Fall ist. Diese Spitzenlast hat einen höheren wirtschaftlichen Wert und senkt beim Ausbau der Solar- und Windstromkapazitäten die Grenzkosten konventioneller Stromerzeugung – und hat damit einen tendenziell immer mehr ins Gewicht fallenden preisstabilisierenden und -senkenden Effekt auf die Strompreise.

Auch der Einwand der Nicht-Speicherbarkeit ist nicht stichhaltig. Speichertechnologien für Strom existieren und werden neuerdings – im Rahmen der Entwicklung von Informationstechnologien, vielfältiger neuer Entwicklungsanstrengungen für Elektroautos und in Erwartung eines wachsenden Anteils Erneuerbarer Energien – in Japan, in den USA und in Deutschland weiter entwickelt. Ihre praktische Einführung folgt jedoch dem tatsächlichen Bedarf und nicht umgekehrt, da alles andere wirtschaftlicher Unfug wäre. Das Spektrum reicht von neuen Batterietechniken mit geringem Gewicht und vermehrten Ladezyklen bis zu Schwungradtechniken, Wasserstoff, Druckluftkraftwerken in Erdkavernen und Pumpspeicherwerken. Dass vor allem letztere vermehrt eingesetzt werden müssen, ist eine zwangsläufige komplementäre Folge des weiteren Zubaus der Windkraft. Diesem muss dann ebenso konsequent Rechnung getragen werden, wie es beim Bau von Hochspannungsleitungen als Folge des Einsatzes von Großkraftwerken der Fall gewesen ist.

Der Einsatz von Erddruckluftkraftwerken ist technologisch einfacher und entschieden kostengünstiger als die Speicherung von sequestriertem CO2 aus fossilen Kraftwerken in Erdtiefen von 1000 - 4000 m, die im Zusammenhang mit der „clean coal“-Idee diskutiert werden. Wer letzteres wie selbstverständlich für möglich hält und darauf setzt, aber Erddruckluftspeicher für Windstrom verschweigt oder in Abrede stellt, verrät einen doppelten Maßstab zugunsten fossiler und zu Lasten Erneuerbarer Energien.

Ebenso wenig stichhaltig ist der Einwand bleibend notwendiger konventioneller Reserveleistung. Die Möglichkeiten, trotz diskontinuierlichen natürlichen Wind- und Solarstrahlungsangeboten eine gesicherte Stromversorgung zu ermöglichen, reichen über spezifische Stromspeichertechnologien hinaus. Das Spektrum reicht hier von Hybridkraftwerken (Windkraftanlagen mit komplementärer Stromerzeugung aus Bioenergie) bis hin zum Mix aus sich ergänzenden Erneuerbaren Energien, die auch in Form von "virtuellen Kraftwerken" zusammengeschaltet werden können.

5. Die Beseitigung maßstabsloser administrativer Hemmnisse

Für die Beseitigung der administrativen Hemmnisse, die dem Ausbau der Windkraft- und Wasserkraftpotentiale entgegenstehen, ist eine offene Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der Ablehnungsgründe zwingend geboten. Der Ausbau Erneuerbarer Energien stellt zweifellos neue Anforderungen an die Raumordnungspolitik.Einwände aus Gründen des Gewässer- und Landschaftsschutzes und der Landschaftsästhetik müssen abgewogen werden gegen die vielfältigen und als wesentlich gravierender zu gewichtenden Natur- und Landschaftsschäden und -eingriffe durch fossile Energieemissionen (u.a. Waldsterben, Übersäuerung der Gewässer, Austrocknung und Verdürrung von Landschaften, zunehmende Sturm- und Flutschäden, Gletscherschmelzen, Hochspannungsmasten und -leitungen, Gewässererwärmung, Wetteranomalien).

Die Entscheidung über Standortvergaben muss den kommunalen Selbstverwaltungsorganen überlassen bleiben. Durch Landesraumordnungsgesetze sollte sichergestellt werden, dass diese in ihren Flächennutzungsplänen eine aktive Standortvorsorgeplanung für die Nutzungsmöglichkeiten Erneuerbarer Energien vornehmen. Darüber hinaus gehört zu einer Standortvorsorgepolitik, die für die Windkraftnutzung geeigneten Streckenabschnitte an überörtlichen Bundesfernstraßen und Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn zu ermitteln, und als genehmigungsfähig auszuweisen.

Öffentliche Regeln, die Genehmigungen für Anlagen Erneuerbarer Energien restriktiver behandeln als solche der konventionellen Energiebereitstellung, sind politisch anachronistisch und rechtsstaatlich fragwürdig, weil sie dem Grundsatz der Rechtsgleichheit widersprechen. Es ist auch gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit, geringfügige Landschaftseingriffe restriktiver zu behandeln als fossile Umweltschäden mit umfassenden negativen Folgewirkungen.

In Deutschland stehen 193.000 Hoch- und Höchstspannungsmasten mit ihrem Kabelwerk. Der größte Teil dient dem Transport von Strom aus Großkraftwerken in die Mittelspannungsnetze. Durch den Ersatz von Großkraftwerken durch regional breit gestreute dezentrale Stromerzeugung können diese abgebaut werden.

Gerade die Perspektive einer Gesamtversorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien setzt voraus, dass Wind- und Solarstrom im Netzverbund nicht nur in besonders windgünstigen und solarstrahlungsreichen Regionen erzeugt wird – mit der Folge entsprechender Leitungsverluste für den weiträumigen Transport- und Verteilungsaufwand. Um den erforderlichen Spannungsausgleich im Netzverbund zu gewährleisten, darf z.B. das Windkraftpotential nicht allein an den Küsten oder off-shore installiert werden.

6. Das unerfüllbare Versprechen der "clean coal"-Option

Die Option von „clean coal“-Kraftwerken ist bei näherem Hinsehen nicht umsetzbar. Sie dient gegenwärtig vor allem als virtuelles Instrument zur Ablenkung von der Perspektive erneuerbarer Energien sowie zur Legitimierung des Baus neuer fossiler Großkraftwerke ohne CO2-Abscheidung.

Die Befürworter von „clean-coal“-Ansätzen übersehen oder verschweigen, dass dies mit erheblichen Effizienzverlusten der Kraftwerke verbunden wäre, die zwischen 20 % und 40 % liegen. Die Folge wäre ein deutlich größerer Brennstoffeinsatz, und damit neben der Erhöhung der Importabhängigkeit weitere Kostensteigerungen. Diese ergeben sich aus der Abscheidungstechnik selbst und aus dem zusätzlichen Infrastrukturaufwand, um die abgeschiedenen CO2-Mengen zu den Endlagern zu transportieren sowie für die Endlagerung selbst. Diese Endlager müssen absolut sicher sein, ähnlich wie beim Atommüll, denn das CO2 darf nie wieder in die Atmosphäre gelangen. Um den Klimaschutzanspruch von „clean coal“-Kraftwerken einzuhalten, darf jährlich über Leckagen nicht mehr als 0,01 % des CO2 entweichen. Ob diese gesicherte Endlagerung überhaupt möglich ist und was sie dauerhaft kostet, ist ungeklärt.

In jedem Fall ist damit zu rechnen, dass die „clean coal“-Kosten höher sein werden als die Kosten der Stromerzeugung und -bereitstellung aus Erneuerbaren Energien. Der „clean coal“-Ansatz ist mit höchster Wahrscheinlichkeit ein unerfüllbares Versprechen. Er wird ausschließlich deshalb verfolgt, um die Großkraftwerkstrukturen künstlich aufrechtzuerhalten. Aus realpolitischen, -technologischen und wirtschaftlichen Ansätzen kann darauf nicht gesetzt werden.

Der Lackmustest auf den „clean coal“-Ansatz wäre, wenn alle Neugenehmigungen für fossile Großkraftwerke ab sofort davon abhängig gemacht würden, dass eine CO2-Abscheidung und Endlagerung verfügbar ist. Spätestens bei einem solchen Junktim würden die Stromkonzerne alle Argumente aufführen, die gegen die Praktikabilität des „clean coal“-Ansatzes sprechen.

7. "Atomrenaissance" scheitert am Schnellen Brüter

Auch die Befürworter der „Atomenergie-Renaissance“ legen nicht die gesamte Wahrheit über die Atomenergie auf den Tisch. Sie verschweigen, dass eine solche angeblich weltweite „Renaissance“ nur möglich wäre, wenn Schnelle Brutreaktoren weltweit im Dauerbetrieb operationsfähig wären, um den Atombrennstoff strecken zu können. Einen solchen Reaktor gibt es bisher nirgendwo.

Würde diese Technologie in Verbindung mit Wiederaufarbeitungsanlagen verfügbar sein, so würde dies zu einer drastischen Kostensteigerung des Atomstroms führen und ebenso zu einer Verschärfung der Atommüllproblematik und der Gefahren atomarer Proliferation. Daran werden die atomaren Zukunftspläne scheitern.

8. Energiesicherheit heißt, prioritär fossile Energieimporte zu ersetzen

Energiesicherheit ist nur gegeben, wenn die Primärenergie dauerhaft gesichert zur Verfügung steht, also nicht durch Erschöpfung der Quellen oder politisch bedingte Stornierung der Energielieferungen gefährdet wird.

Diese Gefährdungen sind desto größer, je höher die Importabhängigkeit ist, je instabiler die Verhältnisse in den Förderländern sind und je mehr die weltweite Nachfrage steigt, so dass die Restreserven begehrter, umstrittener und in jedem Fall teurer werden. Das ist bei allen nicht Erneuerbaren Energien der Fall.

Deren Substitution durch Erneuerbare Energien muss deshalb politisch-strategisch bei den Importenergien prioritär ansetzen. Deutschland ist gegenwärtig bei Steinkohle zu 61 % importabhängig, bei Mineralölen zu 98,7 %, bei Erdgas zu etwa 80 % und bei der Atomenergie zu 100 %.

Das europa-rechtliche Instrumentarium für eine Substitutionsstrategie nach diesem Kriterium steht mit dem Art. 11, Abs. 4 der EU-Richtlinie zur Liberalisierung des Strommarktes zur Verfügung. In diesem heißt es: „Ein Mitgliedsstaat kann aus Gründen der Versorgungssicherheit anordnen, dass Elektrizität bis zu einer Menge, die 15 % der in einem Kalenderjahr zur Deckung des gesamten Elektrizitätsverbrauchs des betreffenden Mitgliedsstaats notwendigen Primärenergie nicht überschreitet, vorrangig aus Erzeugnisanlagen abgerufen wird, die einheimische Primärenergie als Brennstoffe einsetzen.“

Demzufolge wäre es auch möglich, die Subventionen für die deutsche Steinkohle aus den öffentlichen Haushalten einzusparen und im Gegenzug dazu den vorrangigen Einsatz dieser Heimkohle zu ihrem Förderpreis anzuordnen, da diese Fördermenge unterhalb des 15 %-Limits der EU-Richtlinie liegt.

9. Steigende fossile Energiepreise, sinkende Preise für Erneuerbare Energien

Aufgrund der Endlichkeit und der im weltweiten Maßstab sehr konzentrierten Lagerstätten von Gas- und Ölreserven werden die Einfuhrpreise für diese Energieträger unweigerlich steigen. Mit dem wachsenden Energiehunger der Schwellen- und Entwicklungsländer steigen aktuell auch die Preise für Kohle. Weitere Kostensteigerungen ergeben sich aus politisch nicht länger ignorierbaren Einpreisungserfordernissen der internen Kosten bei der fossilen und atomaren Energieerzeugung.

Dazu gehört auch die aktuelle zweifelhafte Praxis des Emissionshandels, der bisher eher preissteigernde als emissionsmindernde Effekte hat.

Demgegenüber steht, dass Strom aus Erneuerbaren Energien nur laufend billiger erzeugt werden kann, weil – außer im Fall der Bioenergie -  nur Technikkosten anfallen. Diese sinken durch größere industrielle Anlagenproduktion (economies of scale) sowie durch Technologiesprünge, die bei jungen Technologien größer sind als bei schon lange eingeführten Technologien. Wie selbst Studien von E.ON ergeben haben, wirkt Windstrom an windstarken Tagen schon jetzt stabilisierend oder senkend auf die Strompreise an der Strombörse EEX in Leipzig, .

Die Mehrkosten für das EEG betragen gegenwärtig bei konservativer Bewertung 2,3 Mrd. Euro. Bei steigenden konventionellen Strompreisen sinken diese automatisch. Daraus ergibt sich, dass eine übermäßige Kostensteigerung auch bei einem beschleunigten und vermehrten Ausbau nicht zu erwarten ist. Bei einer wirklichkeitsnahen Bewertung des tatsächlichen Marktwerts des EEG-Stroms (Spitzenlastbeitrag von Solar- und Windstrom) oder durch lastorientiertes Strommanagement wird sich herausstellen, dass die heute unterstellten Mehrkosten deutlich niedriger ausfallen.

Die jährlichen Mehrkosten für Erneuerbare Energien im Rahmen des EEG haben u.a. bewirkt, dass im Jahr 2006 die Klimaemissionen um 44 Mio. t gesenkt wurden. Insgesamt sind durch die Förderprogramme Erneuerbarer Energien 97 Mio. t CO2 vermieden worden.

Demgegenüber hat das Zuteilungsgesetz (ZuG 2007) für das Emissionshandelssystem lediglich Emissionsminderungen in Höhe von 2 Mio. t vorgesehen. Dies hat durch die Einpreisung der Emissionszertifikate Mehrkosten für die Stromverbraucher von jährlich – schwankend zum CO2-Preis – 2 bis 3,5 Mrd. Euro hervorgerufen.

Das bedeutet, dass eine Umverteilung von Kleinverbrauchern auf die großen Energiekonzerne und vor allem Atomkraftwerksbetreiber erfolgte. Es besagt aber vor allem, dass die Mobilisierung Erneuerbarer Energien nach dem EEG-Instrument die mit weitem Abstand erfolgreichste und kostengünstigste Klimaschutzoption ist, die zugleich zu Investitionen und Beschäftigung in Ländern und Kommunen führt.

10. Nichts ist schneller einführbar als eine dezentrale erneuerbare Stromversorgung

Während die Bauzeit eines fossilen Großkraftwerkes mehrere Jahre beträgt, ist die Installationszeit von dezentralen Stromerzeugungsanlagen für Erneuerbare Energien wenige Tage, bei Bioenergie-Anlagen wenige Monate. Daraus ergibt sich, dass nichts schneller einführbar ist als Erneuerbare Energien. Das Argument, Erneuerbare Energien bräuchten noch Zeit, ist sachlich unhaltbar. Eine "Brücke ins Solarzeitalter" in Form neuer fossiler Großkraftwerke ist nicht nötig.

Tabelle 1 Restlaufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke

Tabelle 1
 

Tabelle 2 Geplante neue fossile Großkraftwerke

Tabelle 2
 

Tabelle 3 Bundesländer-Vergleich installierter Windkraftanlagen

Tabelle 3
 

Tabelle 4 Hochrechnung der Ausbaupotentiale von Windkraft in Bundesländern anhand des gegenwärtigen Referenzbeispiels Sachsen-Anhalt

Tabelle 4
Quelle: BWE/VDMA/DEWI; eigene Berechnungen
Annahme: Wert Sachsen-Anhalts als Referenzwert: 0,124 MW/km

Memorandum  Memorandum "Jenseits von Kohle und Atom" (pdf)