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KlimawechselErschienen im März 2001, Antje Kunstmann Verlag, München, 144 Seiten, ISBN 3-88897-266-3.

Von der fossilen zur solaren Kultur

Zusammen mit Carl Amery veröffentlichte Hermann Scheer 2001 "Klimawechsel - Von der fossilen zur solaren Kultur". Das Buch wurde ausgezeichnet mit dem Buchpreis 2001/2002 der Deutschen Umweltstiftung. Rot-Grün ist an der Regierung: Alles klar für die Ökologie? So haben manche vielleicht gedacht. Tatsächlich ist die Entwicklung widersprüchlich. Einerseits werden Gesetzesinitiativen für eine nachhaltige Energieversorgung ergriffen, andererseits ein Weltmarkt beschworen, der Wachstum fordert und den Energieverbrauch systematisch höher treibt.

Einerseits wissen alle alles über die ökologischen Probleme, andererseits regt kaum jemanden die Tatsache auf, dass die vorausgesagten Klima- und Umweltkatastrophen tatsächlich eintreffen.

Warum setzt die Politik noch immer keine eindeutige ökologische Priorität? Warum fordert der Wissenschaftsbetrieb noch immer nicht Milliardenprogramme für die Erforschung und Entwicklung solarer Technologien, wie es bei Raumfahrt, Atom- oder Genforschung stets der Fall war? Warum fehlt einem Großteil der Medien die Neugierde auf das vorhandene solare Potenzial? Warum wird der Energienotstand der Dritten Welt der nur mit erneuerbaren Energien überwunden werden kann, komplett ignoriert? Und warum bauen Architekten noch immer fossile Energieschleudern statt Häuser, die selbst Energie produzieren? Die Interessen der Energiewirtschaft allein können nicht die Ursache für all diese Versäumnisse sein.

Offenkundig gibt es mentale Barrieren, die im Kulturverhalten gründen. Carl Amery und Hermann Scheer sind beide Protagonisten des ökologischen Weltthemas. Im Gespräch mit Christiane Grefe ergründen sie die Kultur des gefährlichen Beharrens. Ein überfälliger Beitrag zur Umweltdebatte, die nach dreißig Jahren auf der Stelle tritt.

Stimmen

"Staatliche Förderungen wie das 100.000-Dächerprogramm und das Erneuerbare Energien-Gesetz haben Sonne, Wind und Co ein Rekordjahr beschert. Die Euphorie in der Branche kann jedoch nicht verdecken, dass das Handeln noch immer hinter den Notwendigkeiten zurückbleibt. Die Bundesrepublik bezieht weiter mehr als 90 Prozent ihrer Energie aus fossilen und atomaren Quellen, global nimmt der Energieverbrauch stärker als die Nutzung erneuerbarer Energien zu. In dieser Situation haben der Schriftsteller Carl Amery und der SPD-Bundestagsabgeordnete und Eurosolar-Präsident Hermann Scheer im Gespräch mit der Zeit-Redakteurin Christiane Grefe nicht ein neuerliches Buch vorgelegt, das die ökologische Notwendigkeit und technische Machbarkeit eines Umschwenkens betont. Die Autoren fragen nach den kulturellen Barrieren eines energiepolitischen Strukturwandels. Herausgekommen ist eine Restriktionsanalyse mit viel Tiefgang, die für alle am Thema Interessierten zur Pflichtlektüre werden sollte.

Das Buch zeichnet aus, dass es nicht nur die Interessen der herkömmlichen Energiewirtschaft als Hemmnis herausarbeitet. In einer inzwischen gut informierten und ökologisch sensibilisierten Öffentlichkeit klafft eine Lücke zwischen deren Wissen und ihrem praktischen Handeln. Mit der Zeit tritt ein Gewöhnungseffekt in bezug auf schlechte Nachrichten, etwa den Schäden durch die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle ein, und Selbstbeschwichtigungen münden in einem „naiven Verständnis von Gottvertrauen, man könne sich schon darauf verlassen, dass die Erde irgendwie weitertickt" (Amery). Dies geht einher mit einem weitverbreiteten Technikoptimismus, für jedes Problem werde sich eine technische Lösung finden. Die Gleichgültigkeit führt Hermann Scheer auch auf einen historischen Entfremdungsprozess zurück: kam Energie früher aus der Umgebung der Menschen, wird sie heute aus der Ferne bezogen. Dadurch sind die selbstverursachten Schäden nicht mehr unmittelbar erlebbar. Außerdem sei die Sonne als seriöse Energiequelle stigmatisiert: was nichts kostet, ist nichts wert, und Assoziationen sind eher Urlaub und gute Laune als eine umweltfreundliche Form der Energiegewinnung. In ihrer Kritik lassen die Autoren keinen gesellschaftlichen Bereich aus: in der Politik werde das Feld Energie noch immer als abtrennbares Spezialgebiet statt als Querschnittsthema betrachtet.

Auch die rot-grüne Bundesregierung bekommt ihr Fett ab: sie agiere „zu fragmentarisch, widersprüchlich und insgesamt zu defensiv", beklagt Scheer, und nennt unter anderem die Forschungsmittelverteilung und die Aufkommensverwendung der Ökosteuer als Negativ-Beispiele. Von der Wissenschaftsgemeinde knüpfen sich Scheer und Amery vor allem Physiker und Ökonomen vor. Alternativen würden hier nicht zuletzt aus psychologischen Gründen verleugnet, weil sie auch als Entwertung der Lebensleistung ihrer Wissenschaftlergeneration wahrgenommen werden. Die Kultur vieler Ingenieure sei auf Gigantomie und das Sprengen von Grenzen angelegt und stehe damit im Kontrast zu angepassten und dezentralen Technologien. Architekten, die ein Hauptakteur für die Umsetzung solarer Alternativen sein könnten, stellten vorwiegend kurz- statt längerfristige Kalkulationen auf und konservierten damit das etablierte Energiesystem. Auch an der Umweltbewegung kritteln die beiden Gesprächspartner herum: hier werde das Ziel, Energie vollständig aus erneuerbaren Energien zu beziehen, vielfach als utopisch abgetan und beispielsweise auch auf das vergleichsweise umweltfreundliche Gas gesetzt, anstatt klare Prioritäten zu setzen und 100 Prozent als anspornende Vision zu betrachten. Sorge bereitet Scheer und Amery das schlechte Ansehen der Landwirtschaft „als kulturell ganz unten stehenden Stufe". Würden aber, so Scheer, in der Nahrungs-, Energie- und Rohstoffwirtschaft in regionalen Strukturen erst mal neue Arbeitsplätze geschaffen, könnte ein Imagetransfer stattfinden, da immer jene Bereiche positiv bewertet werden, in der neue Jobs entstehen.

Uneinigkeit besteht zwischen Scheer und Amery nur in einer Frage: Während der ehemalige Präsident des Schriftstellerverbandes Askese als eine Voraussetzung für die Realisierung einer solaren Alternativen hält, spricht der Sozialdemokrat allein von einem Substitutionsprozess. Bleibt nach der Lektüre die Frage nach den Erfolgsbedingungen für den Übergang ins Solarzeitalter. Eine personalisiert Hermann Scheer fraglos selbst: als ins politisch-parlamentarische System eingebauter Lobbyist hat er politische Interventionen wie das 100.000-Dächerprogramm persönlich durchsetzen können. Entgegen der Analyse von Scheer und Amery ist auch das kulturelle Umfeld nicht abgeneigt: keine Technologie genießt in der Bevölkerung eine so hohe Zustimmung wie die Solarenergie. Pioniere haben zur Nachahmung angeregt und den Handlungsdruck auf das politische System verstärkt. Umweltverbände müssen nicht nur wogegen, sondern auch wofür sie sind sagen. Die Auseinandersetzung um die offshore-Windkraftnutzung ist eine Nagelprobe für die energiepolitische Glaubwürdigkeit der Organisationen. Konsenskultur und Konfliktunfähigkeit sowie das Schielen auf so genante win-win-Konstellationen zu beklagen, wie Hermann Scheer dies tut, ist analytisch fragwürdig, weil sich just der ökonomisch-ökologische Doppelnutzen erneuerbarer Energien bisher als deren Antriebsmotor erwiesen hat. Ein Beispiel dafür ist die von Bundesregierung und Ländern finanzierte Kampagne „Solar-na klar", der sich neben den einschlägigen Fachverbänden unter anderem der Bund Deutscher Architekten und der Zentralverband Sanitär Heizung Klima angeschlossen haben. Auch deshalb konnte mit 70.000 verkauften Solarthermie-Anlagen im zurückliegenden Jahr ein im europäische Vergleich beispielloser Zuwachs erreicht werden. Auch das mit Aktien von Solar-Firmen inzwischen eine überdurchschnittliche Rendite erzielt werden kann, dürfte die weitere Entwicklung vorantreiben. Anstatt den Zeitgeist zu beklagen, kann Politik solchen Erfolgskonstellationen den Weg ebnen, indem sie gezielte Anreize setzt und damit Interessen und Akteurskonstellationen bewusst verändert."
Danyel Reiche, Frankfurter Rundschau

"143 Seiten Treibstoff - die Diskutanten Scheer und Amery steigerten die unumgängliche Energiewende zur Kulturrevolution, formuliert Christian Schütze sein Fazit. Das in dem Buch zum Einsatz kommende "Erkenntnismittel" des Dialogs scheint sich einmal mehr bewährt zu haben. Schütze stellt die Ergebnisse der Erörterung zusammen, die um die Frage kreist, was und wer den längst überfälligen Durchbruch der Sonnenenergie verhindert. In der Meinung übereinstimmend, in der Perspektive variierend, schreibt Schütze, seien beide, Scheer wie Amery, militante Idealisten, bei denen auch die Grünen ihr Fett abkriegen. Wo Scheer insbesondere an die Ressourcenknappheit und des Menschen Abhängigkeit von wirtschaftlichen Großmächten denke, sehe Amery mehr die kulturgeschichtlichen und psychologischen Hintergründe der Energieentfesselung. Beide aber überböten sie einander in neuen und dazu glänzend formulierten Einsichten und Gedanken. - Eine Lust, das zu lesen, meint der Rezensent."
Perlentaucher.de/Süddeutsche Zeitung

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Geht uns aus der Sonne!

1. Die Politik der salvadierenden Formeln
Warum sich die Menschen lieber selbst beschwichtigen, als Strukturen zu verändern

2. Die Weltenergiekrise tobt, und wir wechseln die Glühbirnen aus
Wie die politische Kultur den solaren Umbruch blockiert

3. Der energetische Imperativ
Wie Werte die ökologische Wende verhindern - und warum die Grundwerte nur in einer solaren Gesellschaft bestehen

4. Die Safeknacker-Kultur
Die geistigen Barrieren in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften

5. Der enge Horizont der Metropolen
Über den romantischen Naturbegriff der Intellektuellen und den ökologischen Nachholbedarf in Geisteswissenschaften und Künsten

6. Spalten statt Versöhnen
Wie der kulturelle Wandel zur solaren Gesellschaft möglich werden kann