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neueenergielogo.jpgAbgeordneter, Autor, Botschafter für Erneuerbare und ein leidenschaftlicher Kämpfer für seine Überzeugungen – all das ist Hermann Scheer. Ein Besuch.

Artikel erschienen in "Neue Energie", Ausgabe 04/2010, Text: Hanne May

Seine Zähigkeit, Geisteskraft und Kampfeslust sind legendär. Herman Scheer hat nicht nur für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) Widerstände aus dem Weg geräumt, er hat auch bei seinem Vorläufer, dem Stromeinspeisegesetz, die Bahn geebnet. Er hat die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) erfunden, zig Verbände und Organisationen gegründet, rings um den Globus für die Erneuerbaren geworben. Fragt man Vertreter aus Burkina Faso oder Zypern, welche deutschen Politiker ihnen zum Thema erneuerbare Energien einfallen, fällt mit Sicherheit sein Name. Sein Engagement hat ihm zahlreiche Preise und, neben dem selbst erworbenen, zwei Ehrendoktortitel und eine Ehrenprofessur eingebracht.

Es ist Freitagnachmittag, die meisten Abgeordneten sind längst auf dem Heimweg, die Flure im Bürogebäude Unter den Linden verwaist. Ganz oben, hinten links, da liegt das Büro des SPD-Abgeordneten Hermann Scheer. Die Mitarbeiter wuseln herum, der Chef selbst geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Telefonieren. Das iPhone ist sein Tribut an die moderne Kommunikationsgesellschaft. „Ich arbeite nicht am Computer“, erklärt er auf die Nachfrage wo denn das Standardvehikel heutiger Büros bei ihm zu finden ist. Scheers Festplatte ist sein Kopf.

Erste Frage: Herr Scheer, wer hat eigentlich damals das Stromeinspeisegesetz vorangetrieben? „Das war eine Initiative von ein paar Abgeordneten der CDU/CSU, dort in erster Linie angestoßen von dem damaligen Wasserkraftverband und Matthias Engelsberger. Dass das durchgekommen ist, hing auch damit zusammen, dass die Verhandlungen in den Monaten rings um den Deutschen Einigungsvertrag über die Bühne gingen. Da war der VDEW voll beschäftigt mit dem Zugriff auf den Stromsektor in Ostdeutschland. Als das Gesetz in der letzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl auf einmal auf die Tagesordnung kam, sind die aufgewacht haben ‚Alarm‘ geschrien. Aber das war zu spät. Die CDU/CSU-Fraktion hatte es schon beschlossen, und der Tenor war: Tut denen mal den Gefallen, das bringt sowieso nichts.“

Während Scheer redet, ist er ständig in Bewegung. Keine zehn Sekunden sitzt er still, rutscht vor und zurück, wechselt die Armhaltung. Er schiebt Papierstöße auf seinem Schreibtisch herum, nimmt eine Büroklammer auseinander und fährt fort: Sein Part war es, das Gesetz geschmeidig durch den Bundesrat zu bringen. Dessen Einspruch hätte, so kurz vor der Wahl, alles zum Scheitern bringen können. Ein Anruf beim Vorsitzenden der Wirtschaftsministerkonferenz brachte die Lösung: „Wir haben vereinbart, dass er auf der nächsten Sitzung eine Resolution einbringt, die kommt meistens als Tischvorlage, und da schreibt er als einen von vielen Punkten rein: Die Wirtschaftsminister begrüßen dieses Gesetz. ‚Bei Tischvorlagen haben die meisten gar nicht alle Punkte gelesen, das läuft einfach so durch‘, sagte er. Genauso lief es auch. Die Resolution wurde einstimmig beschlossen. Und dann ging es glatt durch den Bundesrat.“

Ungefähr anderthalb Jahre habe es gedauert, bis die potenziellen Betreiber erkannt hätten, was in dem Gesetz drin steckt, erinnert sich Scheer. Und dann gingen „Hunderte Megawatt“ Windenergie ans Netz. „So die Zahl wuchs, kamen die Blockaden von der Stromwirtschaft.“ Da war der Kämpfer gefragt, der Verfechter einer anderen Energiewirtschaft, die nicht von Konzernen und Monopolen beherrscht wird, die auf dezentrale Strukturen setzt, auf demokratische Teilhabe. Scheer fand erneut Mitstreiter in der „Cross-Over-Gruppe“ von Abgeordneten.

„Ich erinnere mich an eine Bundestagsdebatte, wo Peter Ramsauer nach dem Staatsanwalt gegen die Stromkonzerne rief. Ich habe auch Deftiges gesagt. Die beiden Reden haben sich wechselseitig nichts an Schärfe genommen. Das war ein Novum im Bundestag, da wurde die Stromwirtschaft das allererste Mal so richtig angeschossen.“

Während er erzählt, gestikuliert er, bekommt glänzende Augen. Da blitzt er auf, der leidenschaftliche Redner. Seine Auftritte laufen in der Regel so ab: Er geht bedächtig zum Pult und beginnt langsam, beinahe träge. Sind ein paar Minuten verstrichen, nimmt er stetig Tempo auf, wie ein Zug, der ins Rollen kommt. Und dann, nach etwa zehn oder 15 Minuten, wird er laut, richtig laut.

Ist der Dampfexpress Scheer einmal in Fahrt, prescht er los, koste es was es wolle. Manchmal hat er sich dabei mächtig verfahren, manchmal kam er nur so zum Ziel. Es gibt aber auch den Hermann Scheer, der kühl seine Möglichkeiten kalkuliert und im richtigen Moment die richtige Karte zieht. Frage Nummer zwei: Wie haben Sie beim EEG die Widerständler in der SPD-Fraktion überzeugt?

Inzwischen hat er die Büroklammer beiseite gelegt, stattdessen einen Zettel geschnappt. Auf dem malt er unablässig herum, ein Kreis hier, ein Strich da. „Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell, Dietmar Schütz und ich, wir haben zu viert permanent an dem Gesetzestext gearbeitet. Ab und zu gab es eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Grünen und der SPD-Fraktion. Die Gruppe war fraktionsoffen, jeder der wollte, durfte teilnehmen. Eines Tages marschierten da 15 SPD-Abgeordnete rein – alle aus Nordrhein-Westfalen. Die nahmen drohende Haltung an, kamen zusammen mit der Abteilungsleiterin Möller aus dem Wirtschaftsministerium. Die waren bestellt – ganz eindeutig. Ich hatte seit Monaten einen Plan, wie ich versuche die rüber zu ziehen, wenn es zum Konflikt kommt. Auf einer Eurosolar-Konferenz im Jahr 1998 hatten mir die Stadtwerke Herne das erste Grubengaskraftwerk gezeigt. Die hatten mir auch erzählt, wie viel Potenzial in den still gelegten Zechen steckt. Das Gas würde sonst nur abgefackelt oder entweicht als Methan extrem klimaschädlich in die Atmosphäre. Da habe ich mir gedacht: Das bringen wir ins Gesetz, ich bringe das ein, wenn es passt. Jetzt war diese Moment gekommen. Als es um die Aufzählung ging, was alles zum Stromeinspeisegesetz gehört, habe ich mich gemeldet und gesagt: ‚Da fehlt noch was – das Grubengas.‘ Da gingen denen die Augen auf. Denn das hatte keiner im Film. Das ist zwar keine erneuerbare Energie, aber das ist sinnvoll, habe ich gesagt. Wenn wir Deponiegase drin haben, können wir auch das reinnehmen. Dann hat Frau Möller einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie sagte: ‚Also jetzt hört es aber langsam auf. Wir können den Anwendungsbereich doch nicht uferlos ausdehnen.‘ Und dann gingen die Hände der NRW-Abgeordneten hoch: ‚Entweder das Grunbegas kommt rein, oder wir stimmen dem Gesetz nicht zu.‘ Anschließend kam einer aus der Gruppe zu mir und sagte: ‚Nie hätte ich gedacht, dass so ein Vorschlag von Dir kommt, aber jetzt sind wir ja bei derselben Zukunft dabei.‘“

Andere Widerstände gegen das neue Fördergesetz waren nicht so einfach aus dem Weg zu räumen. Kurz vor Toresschluss kam Wirtschaftsminister Müller mit dem Totschlags-Argument das Gesetz sei europarechts-widrig. „In einem Hearing im Wirtschaftsausschuss las der Vorsitzende ein Schreiben von Müller genüsslich vor. Da war klar, jetzt muss man etwas Unabgesprochenes machen. Ich habe mich zu Wort gemeldet und gesagt: ‚Ich erkläre hiermit im Namen beider Regierungsfraktionen, wir werden dieser Aufforderung nicht folgen. Dann war Schweigen im Walde. Die Begründung des Gesetzes für den europarechtlichen Teil hatte ich gemacht und in dieser war klar herausgearbeitet warum es europarechts-konform ist. Viele kamen zu mir und sagten, die harte Position sei zu riskant, ich sollte flexibler sein. Die Grünen haben gesagt, wir können nicht die Position aufweichen, wenn die SPD hart bleibt. Und ich habe gesagt: ‚Nein, der Monti macht das Gesetz kaputt (Mario Monti, ehem. EU-Wettbewerbskommissar, Anm. der Redaktion). Da werden aus 20 Jahren Einspeisevergütung fünf oder sieben, dann könnt ihr alles vergessen. Und außerdem: Wenn die EU-Kommission Bedenken gegen ein nationales Gesetz hat, kann sie ein Vertragsverletzungsverfahen einleiten. Aber ein Gesetz schon im Vorhinein abzulehnen – das kommt überhaupt nicht in Frage.‘“ Zum Glück behielt Scheer Recht: Der Europäische Gerichtshof bestätigte im März 2001 das Vergütungsmodell des Stromeinspeisegesetzes, die EU-Kommission stellte im Mai 2002 ihr Beihilfeverfahren gegen das EEG ein.

Den Zettel hat Scheer nun aus der Hand gelegt, räumt seinen Schreibtisch auf, schiebt eine Zigarettenschachtel hin und her. Kurze Unterbrechung, das Telefon klingelt. „Ja, du, ich ruf dich in zehn Minuten wieder an“. Zack, aufgelegt – Zeit für die nächste Frage: Herr Scheer, würden Sie sagen dass das EEG so etwas wie ihr Lebenswerk ist? Die Antwort kommt prompt: Nein. „Der wichtigste Teil ist mein langjähriges öffentliches Engagement für die erneuerbaren Energien. Meine Bücher und die vielen Reden, die ich gehalten habe. Die haben der Entwicklung eine politische Sprache gegeben, haben das Meinungsbild – auch in der SPD – umgedreht.“

An einer Wand seines Büros stehen sie, seine Bücher. Allein drei große Monographien zu erneuerbaren Energien hat er verfasst – ungefähr alle sieben Jahre eine: „Die Sonnenstrategie“, „Solare Weltwirtschaft“ und, das jüngste, „Energieautonomie“. Die ersten beiden sind in mehr als zehn Sprachen übersetzt, die letzte diente als Basis für einen Kinofilm. Zwischendurch hat er auch mal „allgemeinpolitische Bücher“ geschrieben, sagt er – alles in allem sind es mehrere Dutzend. Wann findet er dafür bloß die Zeit? „Nachts.“

An einer weiteren Bürowand hängen Urkunden und Preise. Den alternativen Nobelpreis hat er bekommen, das TIME-Magazin hat ihn zum „Hero for the Green Century“ gemacht. Darauf ist er stolz, und wie alle Politiker ist er auch eitel. Er hat Fotos aufgehängt, die ihn mit berühmten Kollegen zeigen: Helmut Schmidt, Willy Brandt, Arnold Schwarzenegger und Fidel Castro. Der habe ihn mal zu einem Workshop eingeladen, um zu diskutieren, wie sich Kuba aus der Energieabhängigkeit befreien kann. Castro habe ihn zum „Commandante Solar“ ernannt, lacht er schallen.

Der Titel ist so falsch nicht. Der Einsatz für Solarenergie war die Keimzelle seines Engagements. Seine Organisation Eurosolar, im Jahr 1988 gegründet, hat sich als Kaderschmiede für die Erneuerbaren-Branche gemausert. Ehemalige Mitarbeiter sind heute Minister, Geschäftsführer oder Lobbyisten. Scheer hat eine ganze politische Generation geprägt.

So weit, so bilderbuchhaft. Aber wie in allen Lebensläufen, gibt es auch bei ihm Misslungenes und Enttäuschungen. Da wäre IRENA zu nennen. Es war sein Kind, sein Konzept, ein Pedant zur Internationalen Energieagentur zu schaffen, die von der fossilen Energiewirtschaft dominiert wird. Nur ist er weder Chef der Agentur geworden, noch konnte er verhindern, dass Deutschland nicht den Sitz bekam.

Und dann das Debakel nach der siegreichen Landtagswahl in Hessen im Jahr 2008. Scheer als designierter Wirtschafts- und Umweltminister hatte für ambitionierte Erneuerbaren-Ziele geworben, wollte die Landesplanung umkrempeln. Das Projekt scheiterte am Widerstand aus den eigenen Reihen. Frage: War das nicht ein herber Rückschlag? Nein, antwortet er ganz ruhig, Blick nach unten – er habe immer gewusst, dass es vor Ort große Widerstände gibt.

Im Übrigen hat er ohnehin längst andere Projekte im Kopf. Ein neues buch soll im September erscheinen, nicht weniger als „eine Inventur der gegenwärtigen weltweiten Energiedebatte“. Obendrein hat er sich zwei große Themen für die aktuelle Legislaturperiode vorgenommen: „Es muss zum Vorrang im Strommarkt einen Vorrang in der Raumordnungspolitik geben. Wir müssen erneuerbare Energien gesetzlich zum vorrangigen öffentlichen Belang machen.“ Scheer hat sich inzwischen eine Zigarette rausgeholt, nimmt einen Zug und spricht weiter: „Eine zweite Sache ist: Die Ersetzung aller Energiesteuern durch eine Schadstoffsteuer. Nicht mehr die Energie wird besteuert, sondern der Schadstoff. Das heißt: Wo kein Schadstoff ist, gibt es keine Steuer. Dann brauche ich keinen Emissionshandel mehr. Das wird in der gesamten Breite bei Produzenten wie Konsumenten den entscheidenden Schub zum Energiewechsel auslösen.“ Ja, das seien dicke Bretter, sagt er, sie zu bohren aber „unausweichlich“. Dazu will er Gesetzentwürfe einbringen.

Auf seinem Schreibtisch hat sich eine wunderbare Ordnung eingestellt. Die Zettel sind weg, die Büroklammer auch, die Stifte liegen sauber übereinander gereiht. Für heute ist alles gesagt.