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frankfurter_rundschau_logo.jpgArtikel erschien in der Frankfurter Rundschau, 05. November 2008, von Christoph Albrecht-Heider

Zum Experiment "Landesminister" ist es nicht gekommen. Hermann Scheer, 64, ist wieder zurück in Berlin, bei der "großen" Politik, die er seit 1980 als Bundestagsabgeordneter kommentiert und gestaltet, je nach Mehrheitsverhältnissen eher das eine als das andere. Und es gibt nicht wenige, auch aus der eigenen Partei, die nicht unglücklich darüber sind, dass es nur bei der Versuchsanordnung geblieben ist und nicht zum Vollzug kam in Wiesbaden.

Politischer Martini (eine Art Aschermittwoch) in Plüderhausen, brasilianischer Solarenergiekongress in Florianópolis, World Future Energy Summit in Abu Dhabi: Das sind Scheers nächste Auftritte - als Redner. Da ist er in seinem Element, das da heißt, nachhaltige Energiepolitik für kommende Generationen wirklichkeitsnah entwickeln.

Außer Andrea Ypsilanti ist in den vergangenen Dekaden kein Sozialdemokrat auf die Idee gekommen, Scheer in ein Kabinett zu holen oder ihn sonst wie in eine Ministeriumsspitze einzubauen. Er habe nie, hat er selbst einmal gesagt, ein Regierungsamt angestrebt, und er bekam auch nie eins. Insofern ist seine Karriere, die immerhin knapp 30 Jahre währt, frei von Enttäuschungen.

Zeitsoldat, nichtkommunistischer 68er, Wissenschaftler und ab 1980 Berufspolitiker der SPD mit Sitz in Bonn und später Berlin. Erst Abrüstungsexperte, dann Energiefachmann und immer in der Parteilinken. Scheer lebt politisch von seinem Kopf und seiner Furchtlosigkeit. "Ich bin doch kein Diplomat", hat er einmal entrüstet gesagt. Das aber hätte er auch sein müssen als Wirtschaftsminister eines Bundeslandes. Man kann sich Scheer gut im Bundesrat vorstellen, wie er die Atomlobbyisten unter seinen Länderkollegen in der Luft zerreißt. Aber beim Jahrestreffen mittelhessischer Handwerksinnungen in Schlitz?

Zeit seines politischen Lebens ist Scheer, zu dessen biografischen Erwähnungen "Träger des Alternativen Nobelpreises" gehört wie einst "Leimen" zu Boris Becker, über die Landesliste in den Bundestag eingezogen. Wie er den rhetorischen Auftritt begehrt und zelebriert, so lästig scheint ihm beispielsweise Straßenwahlkampf.

Das Missverständnis mit Hermann Scheer, der kurze Ausflug in die hessische Provinz, mit der ihn nichts verband, ist beendet. Auch er hat zwar zum Debakel des Ypsilanti'schen Projekts insofern beigetragen, als er jenem Ministerium hätte vorstehen sollen, für das Jürgen Walter sich womöglich sogar von der Linken hätte tolerieren lassen. Doch während Ypsilanti nur die hessische Heimat, der Ort ihres Scheiterns, bleibt, betritt Scheer wieder die politische Sphäre, die nicht mal Staatsgrenzen kennt, in der er willkommen ist und die er weiter zu behausen denkt.

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