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ZEITArtikel erschien in DIE ZEIT, 27. März 2008

Erst wollte er nur die Welt retten, jetzt auch die SPD: Hermann Scheer möchte die Linkspartei in der Umarmung erdrücken.
Von Thomas E. Schmidt

Wer von einer großen britischen Tageszeitung zu den fünfzig Menschen gezählt wird, die noch die Klimakatastrophe verhindern – und also die Welt retten können, zieht sein Superman-Kostüm nicht aus, wenn er in der eigenen Partei umherfliegt.
Schon gar nicht, wenn es der Partei noch schlechter geht als der Welt. Im Augenblick sind das die Radien, in denen sich Hermann Scheer bewegt, der SPD-Bundestagsabgeordnete, Träger des Alternativen Nobelpreises und Umweltminister im Schattenkabinett von Andrea Ypsilanti: Weltklimapolitik und SPD-Parteitaktik, oben bei Al Gore und unten bei 23 Prozent. Scheers Selbstwertgefühl ist ebenso fabelhaft wie sein Wille, in jedweder Debatte im Recht zu bleiben.

Scheer wich im Asylkompromiss, beim Maastricht-Vertrag und im Fall des Kosovo-Einsatzes der Bundeswehr nach links von der SPD-Linie ab und gilt seither bei jenen, die damals den Laden zusammenhalten mussten, als Quertreiber. Das letzte Mal trieb Hermann Scheer quer, als er noch vor Kurt Beck die Wahl Andrea Ypsilantis zur hessischen Ministerpräsidentin mit den Stimmen der Linkspartei empfahl. Bald wird er wieder auffällig werden, wenn es um die SPD-Linie bei der Bahnreform geht. Dann hat die innerparteiliche Konfrontation Scheer/Steinbrück aufs Neue einen Gegenstand, und abermals wird über eine Sachfrage eine Kursdebatte der Partei ausgetragen.

Scheer sagt: »Ich habe mir meine Artikulationsfähigkeit erhalten und dafür auf Ämter verzichtet.« Er mag keine politischen Karrieristen, und für die regierungspolitische Pragmatik der Sachzwänge hat er nur Verachtung übrig: »Das Ideal des heutigen Politikers ist doch der Parlamentarische Staatssekretär.« Scheer will aber den Politiker mit Welt- und Weitblick, der für seine Positionen gesellschaftliche und parlamentarische Mehrheiten sucht. Das ist, blickt man auf den Stil der Schröder-Jahre zurück, keine Selbstverständlichkeit. So avancierte Scheer zum Lieblingsfeind der Regierungs-SPD, oder was davon noch übrig ist.

Dass er sich gegen eine Privatisierung der Bahn starkmacht, hat denn auch weniger mit der Bahn zu tun als mit dem pädagogischen Impuls, der eigenen Partei vorzuführen, dass Steinbrücks Holding-Modell weder eine gesellschaftliche Mehrheit hat noch eine in der SPD, dass es dem Beschluss auf dem Hamburger Parteitag widerspricht und auch nicht parlamentarisch beraten werden muss, wenn man Finanz- und Verkehrsminister gewähren ließe. In Scheers Augen wäre das ein Zeichen mangelnder demokratischer Kultur. Ob der Verzicht auf eine Privatisierung am Ende dem Bahnverkehr der Zukunft zuträglich wäre, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Scheer kann auch plausibel erklären, wieso er sich maßgeblich in Ypsilantis Wahlkampf engagiert hat. Nicht wegen der Aussicht auf ein Superministeramt in relativ fortgeschrittenem Alter. Sondern weil die ernsthaft betriebene energiepolitische Wende Raumordnungsfragen klären muss, also künftig eher mit Landes- als mit Bundesrecht zu tun haben wird. Auch könne sich die SPD, glaubt Scheer, nur von den Ländern aus regenerieren, da es in der Großen Koalition nicht geschehe. Und deshalb bringe es ihn ganz schön auf die Palme, wenn seit 2002 zum ersten Mal wieder eine Landtagswahl gewonnen werde und der Sieg dann von Wolfgang Clement und anderen, die »Rabatz« machten, zerredet werde.

Psychologisch kann man das verstehen. Hessen hätte eine starke Pflanze werden können, in deren Schatten auch die Grünen ökologisch verblasst wären. Mit Beck teilt Scheer den Traum, die SPD könne wieder stärkste Fraktion im Bundestag werden, durch einen programmatischen Aufbruch in der Bildungs-, der Familien-, Energie- und Klimapolitik. Scheers Schwung wirkt einnehmend, weil sein Modell auch ein dem Wettbewerb förderliches Mittelstandsprogramm ist. Weniger attraktiv ist, dafür ganz unidealistisch mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Im Lichte des großen Ziels wäre das aber nur ein Kollateralschaden: Die Erneuerung der SPD und die Umarmung der Linkspartei zum Zwecke ihrer Neutralisierung sind in Scheers Augen ein und derselbe Vorgang.

Wenn er heute nicht müde wird, den Vertretern der Agenda-SPD entgegenzudonnern: »Was ist eure Alternative? Wo ist der Mobilisierungseffekt?«, kann man also nicht mehr sagen, hier rede der politische Geisterfahrer. Die SPD erscheint mittlerweile aus jeder Blickrichtung als geistig arm. Und Scheer ist mit seiner Kritik am »Basta«-Geist längst Meinungsführer geworden. Kann sein, dass die Kompromisse, die die SPD-Bundesminister eingehen müssen, für die Partei nicht gut sind. Vielleicht sind sie immerhin verantwortungsvoll. Und es ist gewiss verdienstvoll, wenn man die Partei und die Welt rettet. Irgendwo dazwischen wird regiert.

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