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Artikel erschien Frankfurter Rundschau, 21. August 2007

Von Joachim Wille. Im ICE. Endlich Tempo 250. Es geht auf der Trasse der Schnellstrecke Köln - Frankfurt quer über den Westerwald. Die Verspätung, die der Zug schon zum Einstieg mitgebracht hat, ist nicht mehr aufzuholen, der Anschluss perdu. Aber Hermann Scheer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete, deutsche "Solarpapst" und Bahnfan weiß: Verspätungen können bei einem so komplexen System wie der Eisenbahn halt vorkommen. 60 Minuten später, na und! Aber eine Börsenbahn à la Mehdorn und Tiefensee? Da sorgt Scheer höchstselbst dafür, dass es langsam vorangeht. Verspätung als Programm. Besser noch: Zugausfall.

Der bekannteste Umweltexperte der SPD führt die innerparteiliche Opposition gegen die Privatisierungspläne an, wie sie der Bundesverkehrsminister verficht. Scheers Motto: Der Bund muss volle politische Kontrolle über die Bahn behalten. Entweder, indem er 51 Prozent der Anteile behält und den Rest als nicht stimmberechtigte "Volksaktien" verkauft. Oder: Indem alles so bleibt, wie es ist.

Scheer positionierte sich damit auch gegen SPD-Chef Kurt Beck, der in der Bahnfrage noch am Wochenende voll auf Tiefensee-Kurs reiste, nun aber das Konzept "Volksaktie" prüfen lässt. Mut vor Autoritäten, Querdenken, Kurs halten - das ist die Spezialität des Polit-Dickkopfs mit Wahlkreis in Waiblingen, der, von der 68er Studentenrevolte politisiert, sich über eine Juso-Karriere in den Bundestag vorarbeitete.

Zuerst war er Spezialist für Außen- und Abrüstungspolitik. Doch 1985 fand er sein Lebensthema: die Energie aus Sonne, Wind, Wasser. Der Super-GAU von Tschernobyl, nach dem die SPD auf Anti-Atom-Kurs schwenkte, bestärkte ihn. Scheer erkannte: Bloß AKW abschalten, reicht nicht. Wer aussteigt, muss auch irgendwo einsteigen.

Scheer erwarb sich das Image des Solar-Asterix inmitten mächtiger, doch tumber Altenergie-Römer, auch aus seiner Partei. Mit CDU- und Grünen-Abgeordneten entwickelte er das "Einspeisegesetz" von 1991.

Folge: der Windkraft-Boom. Unter Rot-Grün dann, auch von ihm inspiriert, das 100 000-Solardächer-Programm und das "Erneuerbare Energien Gesetz" - sogar von China kopiert.

Scheer, Träger des alternativen Nobelpreises und laut Time-Magazine "Hero for the Green Century", bringt es auf bis zu 200 Vorträge im Jahr - im In- und Ausland; er ist ja auch noch Chef der Vereinigung Eurosolar und des Weltrats für Erneuerbare Energie. 2008 könnte damit Schluss sein. Scheer hat sich für die Wahl in Hessen als "Superminister für Wirtschaft und Umwelt" im SPD-Schattenkabinett aufstellen lassen, vollmundige Pläne zum Umstieg auf Ökoenergien inklusive. So ganz aussichtslos ist die Sache laut Umfragen nicht. Ob Hessens Züge dann mit Ökostrom pur fahren?

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