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Artikel erschienen in Frankfurter Rundschau, 19. März 2007

Der Protest gegen einen Börsengang der Deutschen Bahn (DB) nimmt zu. Das Bündnis "Bahn für alle" will die Teilprivatisierung verhindern. Gewarnt wird vor ähnlich katastrophalen Folgen wie in England. In der Schweiz dagegen habe die staatliche Bahn riesigen Erfolg. Mit einer zweitägigen Tagung und der Uraufführung des kritischen Dokumentarfilms "Bahn unterm Hammer" startete am Wochenende in Berlin eine breit angelegte Kampagne gegen den Verkauf des staatlichen Schienenriesen. Die Alternative zur Börsenbahn sei eine Bürgerbahn, erklärte das Bündnis "Bahn für alle". Statt Geschwindigkeitswahn brauche man ein Unternehmen, das auch ländliche Gebiete angemessen versorge. Konzernchef Hartmut Mehdorn dagegen konzentriere das Geschäft und die staatlichen Milliardenzuschüsse zunehmend auf lukrative "ICE-Rennstrecken" zwischen Großstädten und wichtige Güterverkehrsachsen.

Dem Bündnis gehören die Globalisierungskritiker von Attac, der Verkehrsclub Deutschland und zahlreiche große Umweltverbände wie der BUND, die Naturfreunde und Robin Wood an. Der Kampagne haben sich zudem die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) mit ihren 2,5 Millionen Mitgliedern sowie einige SPD-Bundestagsabgeordnete wie der alternative Nobelpreisträger Hermann Scheer angeschlossen. Auch Verdi-Chef Frank Bsirske nahm an der Tagung teil.

Scheer kritisierte auf der Podiumsdiskussion den bisherigen Regierungskurs scharf. Der von seinem Parteifreund Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee kürzlich vorgelegte Entwurf zum Privatisierungsgesetz sei offenkundig verfassungswidrig und "eine Provokation". Die Vorgabe des Bundestages und des Grundgesetzes, dass der Staat das Netz und die Kontrolle darüber behalten müsse, werde nicht erfüllt.

Entlassung Mehdorns gefordert

Vielmehr könnte die teilprivatisierte Bahn das Schienennetz langfristig weiter betreiben und sogar bilanzieren, sagte Scheer. Die Renditeinteressen künftiger Aktionäre stünden aber "in klarem Widerspruch" zum öffentlichen Interesse und zum Grundgesetz, betonte der Politiker. Mögliche Verfassungsklagen werden vom Bündnis dem Vernehmen nach bereits vorbereitet.

Der SPD-Politiker kritisierte weiter, dass künftige Miteigentümer der Bahn umfangreiche Zugriffsrechte besonders auf die wertvollen Bahnimmobilien bekämen. Dabei lehre "doch die Erfahrung aus vielen Privatisierungen, dass es den Käufern oft nur um das Versilbern von Filetstücken geht, durch das der Kaufpreis schnell wieder reingeholt wird". Genau das sei auch bei der Bahn zu befürchten.

Scheer beklagte "offenkundige Demokratiemängel" in der Bundesregierung. Um den Fortbestand der großen Koalition und zuständige Minister nicht zu gefährden, nickten Abgeordnete zunehmend auch offenkundig falsche Weichenstellungen ab. Nach seiner Einschätzung seien drei Viertel des Bundestags gegen eine Privatisierung der Bahn. Der Koalitionszwang aber könne dazu führen, dass der Gesetzentwurf Tiefensees trotzdem durchgehe.

Wie Scheer kritisierte auch der Vorstandssekretär von Verdi, Wolfgang Pieper, dass bisher über den Sinn eines Börsengangs der Bahn nicht angemessen diskutiert wurde. "Es gibt nirgendwo eine plausible Begründung, dass der Börsengang die richtige Antwort auf die drängenden Verkehrsprobleme brächte", sagte Pieper. Im Gegenteil drohten Fahrgästen, Beschäftigten, Kommunen und Ländern sowie dem Steuerzahler und dem Klimaschutz mehr Nachteile von einer rendite-fixierten Bahn. Pieper kündigte an, man werde im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) für eine breite Protestbewegung gegen die Bahn-Privatisierung sorgen.

Scheer warf Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Bayerns früherem Wirtschaftsminister und heutigem Bahnvorstand Otto Wiesheu (CSU) vor, im Koalitionsvertrag den Bahn-Verkauf ohne Debatte durchgesetzt zu haben. Nicht einmal Tiefensee sei darüber informiert gewesen. Schröder habe zudem Mehdorn an die Spitze der Bahn gesetzt, um den Börsengang zu befördern. Der Konzern verhalte sich schon heute so, als sei er privatisiert. Das zeige die katastrophale Wartung des Netzes. Mehdorn ist für das Bündnis der falsche Mann an der Konzernspitze. Scheer forderte ausdrücklich seine Entlassung. Thomas Wüpper

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