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Artikel erschienen in Rheinischer Merkur, 24. August 2006

Stadtwerke - Preistreiber oder letzte Bastion gegen das Kartell der Strom- und Gaskonzerne?

Von Stefan Deges. Kommunale Grenzen zählen nicht mehr: Die kleinen Versorger suchen überall im Land Partner. Das macht sie stark – und deshalb auch verdächtig. Auf Ottobrunn folgt Sankt Augustin. Dienstreisen führen Gebhard Gentner selten in touristische Hochburgen. Der technische Leiter der Stadtwerke Schwäbisch Hall sucht überall im Land nach Kooperationspartnern. Wo immer eine Wasser-, Strom- oder Gasleitung betrieben werden soll – Gentner kennt die Details. In Ottobrunn haben die Schwaben gerade das Stromnetz übernommen. Auch im rheinischen Sankt Augustin würden sie gerne die Strom-, Gas- und Wasserversorgung organisieren. „Das alles gehört in eine Hand“, sagt Gentner.

Normale Stromkunden reiben sich verwundert die Augen. Kann es sein, dass sie mit ihren deftigen Stromrechnungen den Expansionsdrang der Stadtwerke finanzieren? Schließlich vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein Versorger ankündigt, die Preise zum Jahreswechsel anheben zu müssen. Es scheint, als säßen die Energieunternehmen alle im selben Boot.

Doch den meisten Stadtwerken bleibt keine Alternative. Sie müssen mangels Größe über den Tellerrand hinausblicken und Partner jenseits ihrer Gebietsgrenzen finden. „Warum sollte jeder Versorger seine Verbrauchsabrechnung selbst erstellen, wenn sich doch einige darauf spezialisieren können?“, fragt Gentner. So verbünden sich einige Stadtwerke, um einzelne Dienstleistungen wie das Ablesen der Zähler zu erledigen. Andere gründen Beschaffungsplattformen für den Strombezug, wieder andere bauen gemeinsam Kraftwerke.

Aachener Muster

„Wir beobachten den Trend zur Kooperation schon seit einiger Zeit“, sagt Michael Schöneich, Hauptgeschäftsführer beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Selbst der Gasmarkt, der bislang dem Wettbewerb getrotzt hat, sei betroffen. Im Einkaufsverband lassen sich bessere Konditionen aushandeln. „Auch gemeinsame Gasspeicher sind ein Thema“, versichert Schöneich. So können die Betriebe importiertes Gas zwischenspeichern und in Zeiten noch höherer Preise anzapfen.

Die Zusammenarbeit beginnt häufig im überschaubaren Rahmen und weitet sich schnell aus. Die Stadtwerke aus Essen und Duisburg beispielsweise gründen gerade eine Gesellschaft, die den Service bei 669000 Strom-, Gas- und Wasserzählern abwickeln soll. „Planungen für weitere Projekte laufen bereits“, heißt es im Ruhrgebiet. Weitere Partner seien herzlich willkommen.

Aktuell steht die Regulierung der Netzentgelte an. Was dem Verbraucher Hoffnung auf niedrigere Preise macht, versetzt die Stadtwerke in Angst und Schrecken. Die Regulierungsbehörden wollen die Netzentgelte senken. „Dadurch ergeben sich Erlösausfälle bei den VKU-Unternehmen bis hin zu einer Milliarde Euro“, sagt VKU-Geschäftsführer Schöneich. Investitionsrückgang und Arbeitsplatzabbau seien unvermeidbar. „Kleinere Unternehmen könnten in die Insolvenz getrieben werden“, fürchtet Schöneich. „Das lässt es sinnvoll erscheinen, auch im Netzbereich zu kooperieren.“

Den Kommunen soll es recht sein. „Arbeitsplätze werden gesichert, und die Gewerbesteuer fällt vor Ort an“, sagt Gentner. Ein Konzern wie RWE hingegen zahle in der Regel keine Gewerbesteuer in den einzelnen Kommunen, sondern am Konzernsitz.

Vorreiter in Sachen Kooperation ist die Stadt Aachen. Sie versammelte schon 1999 deutsche und niederländische Versorger an einem Tisch, um Möglichkeiten zu erörtern, wie man den großen vieren der Branche die Stirn bieten könne. Das Ergebnis: die Trianel Energy Trading GmbH, ein Verbund von konzernunabhängigen kommunalen Versorgungsunternehmen, dem sich mittlerweile 48 Gesellschafter und 40 weitere Partner angeschlossen haben. Trianel ist längst so groß, dass es sämtliche Leistungen rund um Strom und Gas abwickeln kann: Erzeugung, Speicherung, Lieferung und Service.

Was wurde den politisch gesteuerten kommunalen Betrieben nicht alles prophezeit? Sie standen vor dem Ausverkauf, weil die Stadtkämmerer an die schnelle Mark dachten. Sie drohten im Wettbewerb, den die EU auch auf die öffentliche Daseinsvorsorge ausgedehnt hat, unterzugehen. In der Tat: Der klassische Stadtwerkeverbund mit Wasser- und Energieversorgung, Kläranlagen und Müllentsorgung, Verkehrs- und Bäderbetrieb wurde in den vergangenen Jahren zerschlagen. Gleichzeitig entledigten sich klamme Kommunen ihrer kostbaren Versorger oder sie verhökerten zumindest Anteile, um kurzfristig den Haushalt aufzupeppen. „Aus Angst vor dem Tod wurde Selbstmord begangen“, bewertet Gebhard Gentner im Nachhinein. Für einen Einmaleffekt verzichteten die Kämmerer auf dauerhafte Einnahmen.

Fehler der Vergangenheit

Im Sinne des Endverbrauchers waren die Privatisierungen nicht unbedingt. RWEund Co. erlangten Macht über die gesamte Wertschöpfungskette in der Energieversorgung. Der Strom stammte ohnehin zu vier Fünfteln aus ihren Kraftwerken, auch die überregionalen Hochspannungsnetze gehörten ihnen, und durch die Beteiligung an den Stadtwerken bestimmten sie fortan auch in den Aufsichtsräten der Regionalversorger die Geschäftspolitik. Erst vor zwei Jahren begrenzten die Kartellwächter die Vernetzung der Branche; zu spät, wie die systematischen Preissteigerungen belegen. Bei allen Bemühungen – Politiker und Behörden stehen einem Kartell gegenüber, das nach Belieben an irgendeiner Kostenschraube dreht.

Doch plötzlich gelten die Stadtwerke wieder als letzte Bastion gegen die Monopolisten. „Wer der Privatisierung widerstanden hat, kann heute die Früchte ernten“, sagt Hermann Scheer, SPD-Energiepolitiker im Bundestag. Beispiele finden sich überall in Deutschland: Neben Schwäbisch Hall haben zum Beispiel auch Aachen, Rendsburg, Tübingen und Neuruppin das Tafelsilber behalten. Sie können nun selbst ihr Schicksal bestimmen. Dezentral und regional klingt für Hermann Scheer, den Träger des Alternativen Nobelpreises, zwar „irgendwie klein. Doch es bietet riesige Chancen: Wer Strom selbst erzeugt, spart sich die Durchleitungsgebühren“, erklärt Scheer.

„Am besten sollte man wieder zusammenführen, was in den vergangenen Jahren aufgelöst worden ist“, sagt Scheer. Ziel seien Verbünde, die eine ganze Dienstleistungspalette anbieten: Wasserversorgung, Kläranlagen, Müllentsorgung. „Das sind ideale Verbundpartner“, so Scheer, denn sie hängen alle mit dem Thema Energie zusammen.

Kein Zufall also, dass immer mehr Stadtwerke ankündigen, eigene Kraftwerke bauen zu wollen. Nach Angaben des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) hegt derzeit jedes vierte Stadtwerk derartige Pläne. Bis 2012 wollen sie 5,2 Milliarden Euro investieren und wären damit für 25 Prozent aller geplanten und im Bau befindlichen Anlagen verantwortlich.

Doch über allen Plänen hängt ein politisches Damoklesschwert: Die Kommunen könnten nämlich schon bald ein wertvolles Steuerprivileg verlieren, das das Festhalten an den eigenen Stadtwerken derzeit noch lukrativ macht. Bislang dürfen sie die Gewinne aus dem Energiegeschäft mit Verlusten anderer öffentlicher Aktivitäten, etwa im Personennahverkehr oder im Schwimmbadbetrieb, verrechen, ohne dass Steuern auf die Energiegewinne anfallen. So sparen sie jährlich rund drei Milliarden Euro. „Eine Stadt, die diese Möglichkeit nicht hat, muss Bäder schließen“, sagt Gebhard Gentner aus Schwäbisch Hall.

Bundes- und Landesregierungen stellen dieses Prinzip nun infrage. „Der Stromkunde muss oftmals zu hohe Rechnungen bezahlen, um Aufgaben zu finanzieren, die mit der klassischen öffentlichen Daseinsvorsorge nun wirklich nichts zu tun haben“, moniert Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler. Die Flughäfen in Dortmund und Weeze zum Beispiel würden von den Stromverbrauchern subventioniert. Denn Billigflieger zahlen derart niedrige Gebühren, dass der Flughafenbetrieb rote Zahlen schreibt. „Flughäfen müssen keine Subventionslöcher sein, sie können Geld verdienen“, sagt Kanski. Sein Vorschlag: „Eine faire Preiskalkulation für jede Dienstleistung. Nur das bringt Transparenz in den Abgabendschungel.“

Private Wettbewerber

Der Bundesrechnungshof gibt Kanski recht. Ein Gutachten der Bonner Behörde gibt zu bedenken, dass viele Aufgaben auch von privaten Anbietern ausgeführt werden, die allerdings Gewerbesteuer zahlen müssen. Die Regelung stehe daher weder mit dem nationalen Steuerrecht noch mit den EU-Regeln im Einklang. Das Bundesfinanzministerium lässt bereits von eine Arbeitsgruppe überprüfen, inwiefern die Besteuerung von Geschäftstätigkeiten der öffentlichen Hand reformiert werden muss.

In Nordrhein-Westfalen wird man das Ergebnis nicht abwarten. Die Landesregierung will schon in den nächsten Wochen das Gemeindewirtschaftsrecht reformieren. Eines der Reformziele lautet: Die ausufernden Aktivitäten der städtischen Unternehmen sollen beschnitten werden.

Betriebe voller Energie

Rund 1400 Entsorgungs- und Versorgungsunternehmen sind im Verband kommunaler Unternehmen (VKU) organisiert. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist, dass die Kommunen direkten oder indirekten Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Unternehmen haben. Alle Betriebe zusammengenommen, wären die Stadtwerke der sechstgrößte deutsche Arbeitgeber. Rund 247000 Angestellte beschäftigen sie, davon 54000 im Strom- und Gasbereich. Der „Wirtschaftsfaktor Stadtwerke“ ist beträchtlich. 64 Milliarden Euro Umsatz standen im vergangenen Jahr Investitionen in Höhe von 6,8 Milliarden Euro gegenüber.

Nimmt man zu den öffentlichen Versorgern die rein privatwirtschaftlichen hinzu, sind laut Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) auf dem deutschen Strommarkt insgesamt 1100 Unternehmen aktiv. Neben den großen vier, RWE, Vattenfall, Eon sowie EnBW, und einigen reinen Stromerzeugern gibt es etwa zwei Dutzend sehr große und rund 700 kleinere bis mittlere Stadtwerke. In der Regel sind sie nur für die Stromversorgung der Endkunden zuständig, wobei ihnen häufig die Netze gehören. Rund elf Prozent besitzen zusätzlich eigene Kraftwerke. Weit über 200 Stadtwerke sind über private Beteiligungen mit einem Vorlieferanten verbunden (siehe Grafik). Allein RWE hält Anteile an über 100 regionalen Versorgern. Trotz der zunehmenden Konzentration in der Energiewirtschaft decken die Stadtwerke gut 50 Prozent des Marktes ab. Sie beliefern etwa 20 Millionen Kunden mit Gas und Strom.

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