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Artikel erschienen in taz, die Tageszeitung, 14. Januar 2006

Die Energiekonzerne tun so, als ob sie das Rückgrat der Wirtschaft seien. Doch ihr Untergang ist besiegelt. Die Zukunft gehört den vielen kleinen Energieproduzenten, wie Hermann Scheer überzeugend darstellt. Hermann Scheer ist mutig. In seinem neuen Buch geht es ihm um nichts weniger als den "weitreichendsten wirtschaftlichen Strukturwandel seit Beginn der industriellen Revolution". Dahinter steht eine klare Vision: In Zukunft werden Strom und Wärme von vielen kleinen Anlagen erzeugt, die in der Nähe der Verbraucher stehen.

Statt Uran, Öl und Kohle liefern Sonne, Wind, Wasser und Biomasse die Energie. Dieser Wandel kann und muss schnell erfolgen, so die zentrale These des Autors. Als Bremser attackiert er nicht nur die großen Energiekonzerne und UNO-Konferenzen, sondern auch Umweltschützer und rot-grüne Politiker.

Überzeugend legt Scheer dar: Ein "Weiter so wie bisher" ist ausgeschlossen. Uran und fossile Energien sind über kurz oder lang erschöpft und müssen wegen gravierender Veränderungen des Weltklimas auch schon vorher aufgegeben werden. Darüber hinaus sind diese Techniken auch aus sicherheitspolitischen Gründen unverantwortbar: Die Zahl der heimlichen Atommächte ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen, Terroranschläge auf Pipelines und AKWs sind nicht unwahrscheinlich. Außerdem könnte zum Beispiel ein Sturz des feudalen Regimes in Saudi-Arabien die ganze Weltwirtschaft ins Trudeln bringen. Eine Wende ist unausweichlich. Die Frage ist nur, ob sie ohne ökologische Katastrophen und Kriege gelingt.

Bisher sieht es nicht danach aus. Die Nachfrage nach Öl und Kohle wächst, während der Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtversorgung schrumpft. Scheer zeigt, wie es den Energiekonzernen gelungen ist, eine Überzeugung in den Köpfen zu verankern: Große Kraftwerke, die Strom in ein internationales Stromnetz einspeisen, seien das Rückgrat jeder Industriegesellschaft. Allein so könne eine Versorgungssicherheit zu allen Tages- und Nachtzeiten garantiert werden - eine Vorstellung, die nicht nur neue Speichermethoden mit Druckluft, Batterien und Schwungrädern ignoriert, sondern auch die Vielfalt der erneuerbaren Energien.

Das Argument, Windräder und Solaranlagen seien zu teuer und gefährdeten die deutsche Wettbewerbsfähigkeit, kontert er mit Informationen über die vielfältige Subventionierung der Atomenergie.

Zugleich räumt Scheer aber auch ein: Kostenlos wird der Umbau nicht zu haben sein. Schließlich existieren Überlandleitungen und Umspannwerke bereits und sind größtenteils abbezahlt, während die neuen Strukturen erst aufgebaut werden müssen. Für die Entwicklungsländer, die in vielen Regionen bisher keine Stromversorgung haben, ergibt sich dagegen die Chance, von Anfang an auf den Bau eines zentralen Netzes zu verzichten und in eine Zukunft vorauszueilen, in der die "autonome Energiebereitstellung kein Notbehelf, sondern die generelle Perspektive" ist. Mittelfristig werden dann auch in den Industrieländern die volkswirtschaftlichen Vorteile überwiegen, ist Scheer überzeugt: Schließlich gibt es die Primärenergien Sonne, Wind und Wasser kostenlos.

Doch wer kann eine Richtungsänderung in der Energiepolitik herbeiführen? Manche setzten die Hoffnung auf die Energiemultis, die inzwischen angefangen haben, selbst in Windmühlen und Photovoltaikanlagen zu investieren. Scheer warnt hier vor Illusionen. Der Umsatzanteil bei den "Vorreitern" BP und Shell liegt im niedrigen Promillebereich.

Viel wichtiger nehmen die Konzerne dagegen Großtechniken, mit denen sie ihre aufwändige Verteilstruktur weiterführen können: Emissionsfreie Kohlekraftwerke, Wasserstoffwirtschaft, die Förderung von Gashydraten vom Meeresgrund und Atomfusion. Die Umsetzung dieser Ideen würde Strom- und Steuerzahler nicht nur sehr teuer zu stehen kommen, warnt Scheer. Viele Ansätze sind energietechnisch auch extrem uneffektiv oder ökologisch gefährlich. "Die Lokomotivführerrolle für erneuerbare Energien wird auch in Zukunft nicht aus dem konventionellen Energiesystem kommen. Es sei denn, wir würden einen Bummelzug für ausreichend halten."

Recht hat Scheer mit seiner Kritik, dass eine internationale Institution für erneuerbare Energien gar nicht mehr gefordert wird. Darauf hatten der grüne Exumweltminister Jürgen Trittin und auch viele NGOs verzichtet, damit auf dem Weltforum "Renewables 2004" ein gemeinsames Abschlussdokument zustande kam.

Doch an anderer Stelle wird Scheer unsachlich. Alle Bedenken müssten hintanstehen, wenn es um das große Ziel geht, die Erneuerbaren durchzusetzen, lautet sein Credo. Ignorant und sprachlich überheblich unterstellt er denjenigen einen "Tunnelblick", die andere Umweltaspekte auch nur ansprechen. "Das letzte Haar wird in der Suppe gesucht", schreibt er über alle, die Windräder im Wattenmeer nicht sofort freudig begrüßen oder auf die Pestizidbelastung beim Anbau von Rohstoffen für Biodiesel hinweisen. Auch die fundierte Energiesparforschung, die durch veränderte Konstruktion oder Nutzung den Strombedarf extrem reduziert, kanzelt Scheer als sekundär ab.

Diese Entgleisungen sind wohl Ausdruck des jahrelangen Frusts, den der ungeduldige SPD-Mann bei vielen Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen erlebt hat. Dabei gehört die Vorstellung von verschiedenen Blickwinkeln und Bedürfnissen unmittelbar zu seiner Vision dazu: Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit eine möglichst große Eigentümer- und Betreibervielfalt entsteht und die Fantasie für technische Neuerungen angeregt wird. Quoten sind dafür ungeeignet, weist Scheer nach. Gut funktionieren dagegen preisregulierte Konzepte wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das inzwischen von mehreren Ländern kopiert wird.

Auch wenn Scheer detailreich argumentiert - ihm geht es immer ums große Ganze. Er will aufklären und Realität und Möglichkeit neu bewerten. "Die Rolle des Riesen spielen in der gegebenen Energieversorgung die fossilen Energien, aber gegenüber dem natürlichen Potenzial erneuerbarer Energien haben sie eine Zwergenrolle." Recht hat er: Die Sonne liefert schließlich 2.850-mal so viel Energie, wie wir heute brauchen - emissionsfrei. Jetzt muss dieses "Sein" nur noch ins allgemeine Bewusstsein durchsickern. Hermann Scheer hat dazu einen engagierten Beitrag geleistet.

Buch "Energieautonomie. Eine neue Politik für Erneuerbare Energien."