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Artikel erschienen in Reutlinger General-Anzeiger, 29. August 2005

Der Ausstieg aus der fossil-atomaren Energiepolitik ist nach Überzeugung des SPD-Abgeordneten Hermann Scheer nötig und auch möglich. Chance für Landwirtschaft

Von Ulrike Oelkuch. Münsingen. Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises, Vorsitzender des Weltrates für Erneuerbare Energie und Abgeordneter im Deutschen Bundestag, er gilt als der Energieexperte der SPD schlechthin. Auch wenn er das zweifellos ist: Die Bezeichnung »schmeckt« dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler sowie politischen Publizisten ganz und gar nicht, wie er seinem ebenso zahlreichen wie aufmerksamen Publikum bei einer Veranstaltung mit Sebastian Weigle, dem hiesigen Bundestags-Kandidaten der Sozialdemokraten, in Münsingen, erklärt hat.

Ohne Energie läuft nichts

Denn der Begriff »Energieexperte« suggeriere, dass dies »nur« ein Spezial-Gebiet unter vielen sei. Dabei, so Scheer, handle es sich um das wichtigste Thema überhaupt.

Denn ohne Energie, dies machte der Sozialdemokrat während seines einstündigen und rhetorisch überzeugenden Vortrags deutlich, stehe das moderne Leben sowie die Wirtschaft komplett still. Mehr noch: Die Frage, für welche Art der Energieversorgung man sich entscheide, bestimme auch über Arbeitsplätze, die Volksgesundheit, das Weltklima und sogar über den Weltfrieden schlechthin. »Das heutige fossil-atomare Energiesystem ist am Ende« behauptete der Politiker angesichts der bekanntermaßen versiegenden Ölquellen und des gleichzeitig rasant steigenden Bedarfs an diesem Rohstoff vor allem der USA, aber auch Chinas und Indiens.

Scheer, der es für einen »taktischen und sachlichen Fehler« seiner Partei hält, dieses Thema nicht in den Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfes gerückt zu haben, obwohl man genau hiermit hätte die beste Visitenkarte abgeben können, rechnete aufgrund der bisherigen Akzeptanz des zum Großteil von ihm mitgestalteten Gesetzes über die Förderung Erneuerbarer Energien vor, dass die Bundesrepublik Deutschland spätestens bis zum Jahr 2050 nahezu gänzlich auf eine Energiegewinnung durch Sonne, Windkraft und Biomasse umgestellt sein könnte. Voraussetzung freilich, man stoppe jetzt nicht das bereits auf volle Fahrt gekommene Programm.

Erneuerbare Energien lösten laut Hermann Scheer einen immensen Investitionsschub und damit die Schaffung neuer wie auch sicherer Arbeitsplätze in der Industrie sowie in der Landwirtschaft aus, die sich vor allem auf den riesigen Flächen im Osten auf den Anbau nachwachsender Rohstoffe konzentrieren könnte. Auch lasse sich durch ihre durchaus wirtschaftliche, weil dezentrale Nutzung, die nicht mehr zu leugnende Klimakatastrophe viel wirksamer bekämpfen, als dies durch ein Kyoto-Abkommen und Emissionshandel je der Fall sei.

Geld und Krieg nur für's Öl?

Dem Weltfrieden täte ein Ausstieg aus dem Kampf um den letzten Tropfen Öl gut, den der SPD-Politiker mit einer »Griechischen Tragödie« verglich: Jeder wisse um das böse Ende, halte aber um so verbissener an dem ins Verderben führenden Weg fest.

Hermann Scheer nannte hier den Golf- und Irak-Krieg und verwies auf gigantische Ausgaben der USA wie auch Chinas, um Pipelines und Ölquellen militärisch bewachen sowie notfalls auch verteidigen zu können. (GEA)