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Artikel erschienen in Stuttgarter Zeitung, 06. März 2003

Von Josef-Otto Freudenreich. Hermann Scheer hat derzeit Hochkonjunktur. Das hängt damit zusammen, dass er als Energie- und Rüstungsexperte die zentralen Fragen des drohenden Kriegs im Irak abdeckt. Den Waiblinger Abgeordneten freut's, die SPD weniger.

Der Club. Wenn die Rotarier über ihren Verein reden, sprechen sie nur von ihrem Club. Das hat etwas Exklusives, was auch so gemeint ist, denn nicht jeder hat hier Zutritt. Bankdirektor oder Chefarzt, General oder Unternehmer sollte es schon sein. Beim Rotary Club Stuttgart-Remstal ist Hans-Peter Stihl, der frühere Oberarbeitgeber, der berühmteste. Die Herren dieser Sektion - Damen sind nur als Gäste zugelassen - treffen sich jede Woche im Interconti, um über Fragen der Zeit nachzusinnen. Diesmal haben sie Hermann Scheer eingeladen, der ihnen über erneuerbare Energien berichten soll.

Das ist in zweifacher Hinsicht spannend. Zum einen gilt der 58-Jährige als Linker in der SPD, der Club eher als Heimstatt der CDU. Zum anderen ist der Solarpapst ein ausgewiesener Energieexperte, der drohende Krieg im Irak auch eine Schlacht ums Öl. Ein Heimspiel kann er also nicht erwarten, zumal auch Generalmajor a. D. Frank Schild unter den Zuhörern sitzt, der in den achtziger Jahren für die Stationierung der Pershing-Raketen zuständig war und überzeugt ist, dass Saddam Massenvernichtungswaffen hat. In diesen Kreisen dürfte sich, so möchte man annehmen, die Hochachtung vor dem alternativen Nobelpreis und dem vom "Time" Magazine verliehenen Titel "Hero of the green Century" in Grenzen halten.

Doch alles kommt ganz anders. Der Fachmann für Fettnäpfe erzählt vom Erdöl, das in 40 Jahren erschöpft sei und danach zum "brutalsten Konflikt" führen werde, den die Welt bisher erlebt habe, falls es bis dahin nicht durch andere Brennstoffe ersetzt werde. Er sagt, dass 60 Prozent des Öls in der Golfregion lagern, davon die zweitgrößte Menge unter irakischem Boden, und dass die Amerikaner selbstverständlich um diese Reserven kämpften. Nicht von ungefähr zahlten sie schon heute jährlich 60 Milliarden Dollar für ihre Truppenpräsenz am Golf.

Merkwürdig. Keiner rutscht unruhig auf dem altrosa Samt der Stühle herum, keiner schickt Stoßgebete zu den Deckenlüstern. Die Rotarier fragen nur schüchtern danach, ob das mit der Biomasse als Ersatz schnell genug gehe und ob es dann noch genug Kartoffeln im Land gebe. Ministerialdirigent Albrecht Rittmann vom Umweltministerium schiebt noch zweifelnd nach, ob es ethisch vertretbar wäre, wenn Weizen zu Biomasse verwertet würde. Liegt"s nur daran, dass sie von Scheer ("ich bin zufällig Träger des Bio-Weltenergiepreises") wie Schulbuben abgebürstet werden? Nein, meint die Club-Sekretärin, die auch in den anderen vier Stuttgarter Rotarier-Sektionen die Protokolle führt, das Thema Krieg sei in allen Sitzungen verdrängt worden.

Am nächsten Morgen wundert sich Scheer immer noch. Vielleicht liege es an der politischen Heimat der meisten Rotarier, sinniert er. Wenn selbst der CSU-Gauweiler bei der Friedensbewegung andocke, fehle der Union eben der orientierende Marschbefehl und ihren Anhängern das klare Freund-Feind-Bild. Da traue man sich ungern aus der Deckung. Ihm selbst sind solche Überlegungen fremd, weil er es vorzieht zu sagen, was er denkt. Oft genug zum Missvergnügen seiner Partei. Es ist noch nicht sehr lange her, als der Reserveleutnant das Nato-Bombardement im Kosovo als Kriegsverbrechen geißelte und damit seinen Kanzler einschloss, der ihm wutentbrannt entgegenschleuderte: "Dann schick mich doch gleich nach Den Haag vor den internationalen Gerichtshof."

Schröder hat ihm damals auch den Ausschluss aus der Partei angedroht. Wenn man Scheer heute danach fragt, grinst er und sagt: "Ich stehe jenseits der Waffen von Schröder." Dieser Dickschädel ist kein Parteisoldat, der sich von seinen Generälen herumschubsen lässt, er nimmt sich einfach heraus, was Volksvertreter gemeinhin haben sollten: eine eigene Meinung. Bezahlt hat er sie mit dem Verzicht auf eine politische Karriere, und wie das geht, hat ihm einst der Genosse Generaldirektor Alex Möller mittels einer Pyramide aufgezeichnet. Oben der Regierungschef, unten der Abgeordnete. "Wenn du Kanzler werden willst", hat ihm der Karlsruher Spitzensozi erläutert, "musst du durch alle Dolche der Taktierer." Scheer hat"s erst gar nicht versucht. "Opportunismus kotzt mich an", sagt er und schiebt die ausgefransten Hemdsärmel nach oben. "Dein Gesicht verlierst du nur einmal."

Er nervt lieber. Sei"s als Präsident von Eurosolar, als Kanzlerkritikaster und unablässiger Produzent von Gedrucktem. Seine Bücher sind ihm wie Kinder, die er dem Besucher voller Stolz vorführt. Eine Kolumne für die alternative "taz"? Na klar. Ein Interview in der "Welt"? Warum nicht. Und immer gegen den Strich. Natürlich soll Lafontaine zurückkommen können. Im Parteivorstand will Scheer begründen, warum. Weil der Oskar "hörbarer ist als die meisten Kabinettsmitglieder", Zukunftsentwürfe im Kopf habe, vor denen die SPD ihre "tief verankerte Scheu" ablegen müsse. Gerade jetzt, betont Scheer, wo die Regierung für ihre "Stop-and-go-Politik" bestraft worden sei, dürfe Lafontaine "nicht geächtet" werden.

Die Genossen, die sich im Tageskampf nach oben durchzuschlagen versuchen, finden das nicht lustig. Sie reagieren "latent aggressiv" auf ihn, beobachtet Scheer. Doch den ehemaligen Jugendnationalspieler im Wasserball, der heute noch in der Altherrenmannschaft von Spandau 04 spielt, schrecken sie nicht. Er hat sich eingerichtet am Rand der SPD, wo ihm die außerparlamentarischen Meriten ein Dasein zwischen Paradiesvogel und Primadonna ermöglichen.

Es ist zu vermuten, dass die Kollegen auch der Neid plagt, auf einen, der einen eigenen Weg eingeschlagen hat und trotzdem oder gerade deshalb gehört wird. Scheer referiert vor den Vorständen von Daimler-Chrysler, Ford und VW. Wo spricht beispielsweise Scharping? "Mensch Hermann", hat ihm der Exverteidigungsminister einst gesagt, "der Nobelpreis ist ja für ewig." Was blieb von Scharping außer Hunzinger? Wo so viel Unabhängigkeit ist, wächst auch Distanz, bis hin zum Dünkel. Es passt schon, dass der kleine Hermann bereits mit zehn alle deutschen Kaiser auswendig kannte und seine Lehrer ständig korrigierte. So einer macht kein Geheimnis daraus, wie gescheit er ist. Die SPD-Fraktion, hat der promovierte Politologe unlängst gesagt, sei eine "Veranstaltung des Mittelmaßes". Ja prima, das schafft Freunde. Da arbeiten sie bienenfleißig, hetzen von Ausschuss zu Ausschuss, am Wochenende noch zum Karnickelverein, und der intellektuelle Überflieger, den Bundespräsident Johannes Rau einen "praktischen Visionär" nennt, wirft mal wieder einen Stein ins Wasser, dessen Kreise sie bewundern sollen. Das ist schwer zu ertragen.

Ute Kumpf weiß um diese Ambivalenz. Sie kennt ihren Hermann, der sie gefördert und ihr die Kekse weggefressen hat. Die Rolle des Vordenkers bescheinigt sie ihm uneingeschränkt, das Talent zur Besserwisserei ebenso. Aber warum, so fragt die parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin der Sozialdemokraten, "stellt er seine Kompetenz nicht vorher zur Verfügung"?

Warum nimmt er die, die vielleicht nicht so klug und weise sind, nicht mit auf seine Reisen zur Rettung der Welt? Sie könnten den Perspektivblick, der sich nicht auf Parlament und Partei verengt, dringend brauchen, wenn sie wieder einmal in der Berliner Tagesthemenflut ersaufen. Aber was tut der Hermann? Er verkündet in "Spiegel-online", dass das Öl der "Hauptgrund für diesen Krieg" ist, und grinst sich eins, wenn ihn darauf die "taz" fragt, welches Auto man noch fahren dürfe.