Drucken
Artikel erschienen in Frankfurter Rundschau, 18. August 1998

Erst verachtet, nun gefürchtet: Die Vereinigung EUROSOLAR wird zehn Jahre alt

Von Helmut Lölhöffel. Das Ziel, atomare und fossile Energiequellen durch erneuerbare Energien abzulösen, sei "eine Jahrhundertaufgabe". So steht es in der Satzung von Eurosolar. Die am 22. August 1988 gegründete Vereinigung wird also auch nach 2000 noch reichlich zu tun haben, um das von ihr angestrebte "solare Energiezeitalter" zu. erleben. Denn dieses Jahrhundert dauert nur noch 17 Monate. Und Eurosolar besteht erst seit zehn Jahren.

Hermann Scheer, der den Anstoß zur Gründung der Europäischen Sonnenenergie-Vereinigung gab und seitdem Präsident ist, macht sich keine Illusionen. Bevor seine Visionen wahr werden, sind Hemmnisse wegzuräumen; und das bracht Zeit. In einem Aufsatz über "Grundzüge einer neuen Bauökonomie" in der Zeitschrift Solarzeitalter schrieb er: "Wir müssen die objektfremden Wettbewerbsregeln hinter uns lassen, wenn das 21. Jahrhundert erfolgreich neu gebaut werden soll." Dieser Satz Scheers könnte ebenso für alle Felder gelten, die er beackert - von der Sonnenenergie über Verkehrs-, Agrar- und Steuerpolitik bis zur Stadtplanung und Entwicklungshilfe.

Als sich Eurosolar im historischen Gasthaus "Schaumburger Hof" am Bonner Rheinufer gründete, waren erneuerbare Energien noch ein Außenseiterthema. Wer von Solartechnik sprach, wurde mitleidig belächelt, weil ja "bei uns in Deutschland die Sonne so selten scheint". Auch Scheer, der sich damals als SPD-Bundestagsabgeordneter um Abrüstung kümmerte, wurde verspottet: Er solle sich doch lieber auf die "konkrete" Außenpolitik anstatt auf solche "theoretischen" Fernthemen konzentrieren, rieten ihm Parteifreunde. Weder in der Wissenschaft, schon gar nicht in der Wirtschaft und auch nicht in den Medien wurden erneuerbare Energien ernst genommen.

Heute stehen in den Wahlprogrammen fast aller Bundestagsparteien (bis auf die CSU, die Nachholbedarf hat) konkrete Aussagen zur Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien von "Verdoppelung bis 2010" (CDU und Grüne) über "schrittweise Erhöhung" ohne Zeitangabe (SPD) bis "verstärkte Nutzung" (FDP). "Die erneuerbaren Energien sind Sympathieträger in der Öffentlichkeit, sie sind mehrheitsfähig geworden", befindet die Fernsehjournalistin Marlies Schäfer. "Wieviel davon direkt oder indirekt von Eurosolar angestoßen ist, wird sich nie messen lassen. Daß aber keine Organisation mehr politische und öffentliche Anstöße gegeben hat, dürfte unbestreitbar sein."

Tatsächlich sind es Fachleute von Eurosolar, die den Energiekonzernen einheizen, Interessenten für alternative Energien erwärmen und .das Thema am Kochen halten. Mittlerweile gilt der in seiner Gründungsphase verachtete Verein, der heute europaweit aktiv ist, als politisch einflußreich und ist daher von der konventionellen Energielobby gefürchtet.

Eurosolar ist international in Sektionen organisiert. Es gibt welche in Österreich, Italien, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Bulgarien, Ungarn, und Ägypten, zusammengearbeitet wird mit ähnlichen Verbänden in der Schweiz, Frankreich und Spanien. Koordinationsstelle ist ein Büro in Bonn mit zehn Mitarbeitern. Die Mitgliederzahl (Einzelpersonen, Kommunen, Verbände und Initiativen) wird mit fast 25 000 europaweit angegeben.

Geschäftsführerin Irm Pontenagel achtet darauf, daß bei Eurosolar "keine eigensüchtige Vereinsmeierei" betrieben wird. Um Kleinkonflikte zwischen Befürwortern verschiedener Einzelkonzepte - Biogas gegen Sonnenkraft, Photovoltaik gegen Solarthermik, Orientierung auf strikte Energiesparkonzepte oder auf eine solare Energiewirtschaft - zu vermeiden, wurde ein Netzwerk geschaffen, in dem dezentrale Aktivitäten und selbständiges Eigenleben möglich sind. Scheer sagte von Anfang an: "Angesichts der tatsächlichen Energie- und Umweltprobleme kann auf keinen dieser Ansätze verzichtet werden."

Internationale Ansätze und Anstöße von Eurosolar reichen über die Europäische Kommission und das Europaparlament bis zur Ebene der UN und der Weltbank. Als nationale Erfolge rechnet sich Eurosolar den Erhalt des Stromeinspeisungsgesetzes an, aber auch Beiträge zum Bundesbaugesetz und zum Naturschutzgesetz; von den Ideen für ein vorbildliches solares Regierungsviertel in Berlin blieb nicht allzu viel übrig. Unübersehbar wirkungsvoll ist Eurosolar in den Ländern und besonders auf kommunalen Ebenen.

Chancen, mit Eurosolar neue Zeichen zu setzen, sieht Scheer für Handwerker, Architekten, das Kreditgewerbe und beim Entstehen eines unabhängigen Ökostrommarktes durch mittelständische Unternehmen. Sonnenstratege Scheer, den manche "Hardliner für sanfte Energien", andere "Solarfighter" nennen, hat sich mit seiner Rolle längst abgefunden, weil er überzeugt ist, eines Tages zur Mehrheit zu gehören. "Deutschland", so sagt er in jeder seiner Reden, "muß eine Lokomotive sein. Als eine der drei führenden Industrieländer muß die Bundesrepublik Beispiele vorführen, die den europäischen und den globalen Zug zu einer solaren Energiewirtschaft in Bewegung setzen."