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Rede zur Verleihung des ersten Welt-Solar-Preises, 2. Weltkonferenz für Sonnenenergie, Wien, 10. Juli 1998

Konflikte sind das Salz jeder neuen gesellschaftlichen Entwicklung. Eine zivile Kultur ermöglicht, daß diese Konflikte friedlich, rational und verantwortlich ausgetragen werden. Ich provoziere gern Konflikte, um eine Situation der Lähmung und Diskrepanz zwischen bestehenden Gefahren und fehlenden Initiativen zu überwinden. Ich bin kein Mann des Konsens. Deshalb ist es ein außergewöhnlicher Vorgang, diesen Preis zu erhalten. Ich danke dafür sehr. Er wird mich ermutigen, meinen Weg fortzuführen.

 
Ich möchte diese Preisverleihung dazu nutzen, um vor den Teilnehmern der Welt-Photovoltaik-Konferenz einige Bemerkungen über die Konflikte zu machen, die für die Solarenergie notwendig sind.

 

Das 20. Jahrhundert geht zu Ende. Es war eine Epoche unglaublicher wissenschaftlicher und technologischer Fortschritte, aber gleichzeitig eines dramatischen Niedergangs der Umwelt. Das ist der tiefe Widerspruch unserer Zeit. Weil drei Virtel aller globalen Umweltgefahren von der Verbrennung konventioneller Energie kommen, ist die Energiefrage die entscheidende Schlacht um die globale Zukunft. Sie kann für die Menschheit nur gewonnen werden durch die Ablösung fossiler und atomarer Energien durch solare Energien. Das kommende Jahrhundert muß eine ökologische Ökonomie schaffen, was nur mit Solarenergie möglich ist.

 

Meine Sehnsucht ist, daß in hundert Jahren, am Ende des 21. Jahrhunderts, die Menschen sagen werden: die Arbeit ist geschafft; wir leben im Solarzeitalter, jedweder fossile und nukleare Energieverbrauch ist verschwunden; die Menschheit hat ihre Wirtschaft in die Ökosphäre integriert und erfreut sich einer besseren und sicheren Lebensqualität; sie lebt in einer größeren Gleichheit als je zuvor, weil die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts vergangen ist, in denen der unterschiedliche Zugang zu traditionellen kommerziellen Energieangeboten eine riesige Ungleichheit zwischen reichen und armen Gesellschaften hervorgerufen hatte. Es dauerte bis in die 90er Jahre unseres laufenden Jahrhunderts, bis die Wissenschaft, politische Institutionenen, die Industrie und die allgemeine Öffentlichkeit die historische Chance der Solarenergie wahrzunehmen begann. Gegen viele mentale, physische und strukturelle Widerstände sind wir darauf vorbereitet, die Sackgasse des gegenwärtigen Energieverbrauchs der Zivilisation verlassen zu könnnen. verlassen zu könnnen. verlassen zu könnnen.

 

Das ist der Verdienst vieler engagierter Wissenschaftler, Ingenieure und - überwiegend kleiner - industrieller Unternehmer sowie einiger wegbereitender politischer Initiativen. Aber es ist vor allem der Verdienst vieler Basisinitiativen, oft junger Menschen, die darauf drängten, auf die Solarenergie zu setzen und Druck auf Politiker und Unternehmer auszuüben, engagiert im ehrenamtlichen Marketing für solare Technologien. Ihre Arbeit bereitete den Boden und wurde zum Sprungbrett für eine neue Industrie und für neue politische Initiativen. Sie machte die Solartechnologien populär, bevor sie auf dem Markt angeboten wurden. Ich fühle mich mehr als ein Repräsentant dieser idealistischen, am Gemeinwohl orientierten Kampagnenmacher denn als Vertreter politischer Institutionen. Wir alle sollten vor allem diesen vielen engagierten Menschen für ihre nicht kommerzielle Arbeit danken.

 

Man sollte nie vergessen, daß die wirklichen Durchbrüche zur Solarenergie nur gelingen können durch ein wachsendes Engagement einer zunehmenden Zahl von Menschen. Diese können nur mobilisiert werden durch das Aufzeigen des prinzipiellen Unterschieds zwischen Energie und Energie. Wer immer alle Formen von Energie als gleichwertig betrachtet, hat nur ein Preiskriterium zur Verfügung. Wer so denkt, schaltet humane Ideen und Werte, Vergangenheit und Zukunft, Kinder und Natur aus. Um die Menschen als Verbündete von Solarenergie und als deren Nutzer zu gewinnen, ist es ein "muß", nicht in die Falle simpler Preisvergleiche zu trapsen, sondern die prinzipiellen ethischen und praktischen Unterschiede zwischen nicht erneuerbaren und die Umwelt verschmutzenden Energien einerseits und die erneuerbaren und die Umwelt schonenden Energien andererseits hervorzuheben.

 

Die Masseneinführung von Solarenergie erfordert zunächst Millionen und schließlich Milliarden individueller Akteure zur aktiven Anwendung solarer Technologien. Die Menschen haben die einzigartige demokratische und autonome Chance, statt weiter ein Teil der Gefahr ein Teil der Lösung zu sein. Dafür brauchen sie einen kulturellen Wandel zu einem neuen Energiedenken und -verhalten.

 

Wir begrüßen alle die begonnene Kommerzialisierung solarer Technologien, um schneller im Solarzeitalter anzukommen. Aber wegen der notwendigen Mitwirkung der Menschen sollte daraus kein gwöhnliches Geschäft werden. Das Solargewerbe wird seine wirkliche Chance verpassen und seine Verantwortung versäumen, wenn es darin versagt, ein glaubwürdiger Verbündeter der gewöhnlichen Menschen zu sein.

 

Bei aller Betrachtung der solaren Fortschritte dürfen wir nicht übersehen, daß die globale Energienachfrage immer noch schneller wächst als die aktive Einführung solarer Technologien. Die Internationale Energieagentur schätzt das Energiewachstum zwischen 1990 und 2010 auf 70%. Anstelle politischer Entscheidungen für höhere Steuern für konventionelle Energie wurden in den letzten Jahren mehr Entscheidungen für die Senkung konventioneller Energiepreise getroffen. Einige Budgets für Solarenergie sind gestiegen, aber die jährlichen Subventionen für konventionelle Energien liegen weltweit bei 300 Milliarden Dollar, 15 mal mehr als in den letzten 20 Jahren für die öffentliche Förderung von Erneuerbaren Energien ausgegeben wurden. Wir begrüßen die Solaraktivitäten von BP und Shell, aber auch deren generelle Schwerpunkte liegen immer noch auf dem Feld konventioneller Energien. Dies bedeutet: die meiste Arbeit liegt nicht hinter uns, die noch ambitionierte Arbeit liegt in der Zukunft. Es ist die Arbeit des Wechsels der Prioritäten zu solaren Energien.

 

Die entscheidende Frage ist immer und überall, welche Ideen und praktischen Vorstellungen in der allgemeinen Öffentlichkeit die geistige Führung haben. Wer diese hat, erhält die praktische Führung. Die Voraussetzung zur Erreichung dieser Führung ist die Existenz treibender Kräfte, die geistig und praktisch unabhängig sind. Und um das Solarzeitalter rechtzeitig zu erreichen, brauchen die dafür treibende Kräfte mehr Geschwindigkeit. Ich möchte nun über diese drei Elemente sprechen: geistige Führung in der Energiedebatte, Unabhängigkeit und Geschwindigkeit.

 

Die Solarenergie-Initiativen sollten sich nicht länger nur als Vertreter eines kleinen Anteils der Energieangebote betrachten. Es gibt keinen Grund für einen Solarenergie-Akteur, sich wie ein armer Verwandter der hochstehenden konventionellen Energiefamilie zu fühlen und dieser gegenüber einen Minderwertigkeitskomplex zu haben. Abgesehen von der gegenwärtigen geringen Rolle der Solarenergie in den Energie-Statistiken: Wer die überlegene Alternative repräsentiert, muß dieses mit überlegener Haltung tun. Solarenergie-Förderer in der Politik, Wissenschaft und in gewerblichen Aktivitäten müssen sich von der geistigen Herrschaft der großen Energieunternehmen befreien: Wer immer deren Rolle als Energie- Oligopolisten und deren spezifische Prämissen akzeptiert, unterwirft sich ihnen. Das adäquate Verhalten der Solarenergie- Promotoren ist, in der Rolle des Delegierten der Sonne als einzige realen Energie-Supermacht zu agieren. Im Verhältnis zur Sonnenkraft sind alle fossilen und atomaren Energien marginal. Die Menschheit wird sich selbst marginalisieren, wenn sie weiter in der Abhängigkeit dieser marginalen Energiequellen bleibt. Alle Entwicklungen seit Beginn des Industriezeitalters, die Sonnenkraft durch fossile Energien zu ersetzen, später auch durch die atomare Spaltungsenergie und im nächsten Schritt durch Atomfusion, überfordern die Umwelt und die Menschen. Inzwischen ist das Desaster dieser kulturellen und ökonomischen Fehlentwicklung offensichtlich.

 

Die bestehenden Energiestrukturen sind auf die Ausbeutung, den Transport, die Umwandlung und die Verteilung konventioneller Energiequellen zugeschnitten. Daraus entstand eine spezifische einseitige Energie-Ökonomie, die nicht neutral und fair gegen die Solarenergie eingestellt sein kann. Es ist normal, daß der konventionelle Energiesektor versucht, seine Strukturen und seine monopolistische Rolle zu erhalten. Alle Hintergründe für die Widerstände und Verweigerungen gegenüber den solaren Energien liegen hier. Anders können die doppelten Maßstäbe - hier großzügige Hilfen und offene Hände für konventionelle Energiesubventionen, da die Denuzierung der Subventionen für Solarenergie; hier große Investitionsrisiken für Atomanlagen und Überkapazitäten, dort keine oder nur geringfügige Investitionsrisiken für Solarenergie - nicht verstanden werden. Die doppelten Maßstäbe wurden zum Element der Denkstruktur in Energiefragen, einschließlich der Energiepolitik, weil das atomar/fossile Energiesystem als unverzichtbar anerkannt wurde und eine entsprechende geistige Hierarchie etablierte. Aber nur die Sonnenenergie ist unverzichtbar, nicht fossile und atomare Energie.

 

Der springende strukturelle und damit auch ökonomische Punkt jedweden neuen Energiedenkens ist, neben der dauernden Verfügbarkeit und der sauberen Qualität Erneuerbarer Energien, deren total unterschiedliche Energiekette. Die konventionelle Energiekette beginnt im Bergbau oder bei der Ölbohrung an wenigen Plätzen der Welt, setzt sich meist über lange Strecken fort zu großen Raffinerie- oder Kraftanlagen, und von dort wieder meist über lange Strecken zu den Endverbrauchern und der Entsorgung. In der solaren Kette kommen die Photonen direkt am Umwandlungsmaterial an und verlassen dieses als Elektron. Viele Kettenglieder und Umwege werden vermieden. Dies ist der Schlüssel neuer Strukturen und eines neuen ökonomischen Denkens, das die gegenwärtigen Energiestrukturen mehr verändern wird als alle Informationstechnologien die industriellen Strukturen verändert haben. Mein genereller Rat an alle Solarenergie-Akteure ist:
Überlassen Sie nie die Einführung der Solarenergie dem bestehenden Energiesystem und seiner Ökonomie; dies wäre gleichbedeutend damit, eine Nichtraucherkampagne der Tabakindustrie zu überlassen. Öffentliche und private Akteure für Solarenergie dürfen die Monopole nicht fragen; sie sollten es einfach tun. Wenn sie ihre Arbeit tun, werden einige Monopole folgen und ihre Aktivitäten diversifizieren. Dies wird die Erfolgsserie der Solarenergie sein. Unabhängige politische und private Aktivitäten sind die Verbindung für solaren Erfolg. Es ist eine alte Erfahrung in der Wirtschaftsgeschichte, daß eine strukturelle Revolution aufgehoben wird, wenn sie den Strukturen überlassen bleibt, die davon mehr als alle anderen Mitglieder der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft bedroht sind. Max Planck schrieb in seiner Autobiographie: "Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben." Ich füge hinzu: weil wir uns in einem Wettlauf mit der Zeit befinden, können wir nicht darauf warten, wir müssen eine klein wenig nachhelfen, mit demokratischen Entscheidungen und neuen Marktinstrumenten.

 

Psychologisch ist es absolut notwendig, die Möglichkeit aufzuzeigen, daß der gesamte Energiebedarf der modernen Zivilisation mit Solarenergie erfüllt werden kann. Die Menschen und ihre politischen Repräsentanten akzeptieren den weiteren Einsatz konventioneller Energien und deren Gefahren, so lange sie an deren Unverzichtbarkeit glauben. Deshalb versuchten und versuchen die Vertreter der konventionellen Energien die entmutigenden Argumente zu vertreten, daß Solarenergie nur einen kleinen Teil der Energieversorgung übernehmen könne. Einige sagen 5%, andere 10%, andere 20%. Shell ist der erste "global player" im Energiesektor, der jüngst solche Desinformationen hinter sich ließ. Wenn Leute wie ich oder Organisationen wie EUROSOLAR in der öffentlichen Debatte nicht immer wieder insistiert hätten, daß 100% möglich ist, hätte wahrscheinlich Shell nicht den Mut gehabt, nun 50% bis zum Jahr 2050 vorauszusagen. Meine Übersetzung dieses Vorgangs ist: man beginnt zuzugeben, daß 100% möglich ist.

 

Dies ist viel mehr als eine intellektuelles Spiel. Was sollen Leute denken, die die Nachrichten über die globalen Klimagefahren und die atomaren Gefahren hören und gleichzeitig die Botschaft, daß es keine Möglichkeit gebe, die fossilen und atomaren Gefahrenquellen zu substituieren? Wenn sie beide Meldungen glauben, müssen sie logischerweise fatalistisch werden und eine "no-future-Mentalität" entwickeln. Pessimistische oder begrenzte Sichtweisen über die Möglichkeiten der Solarenergie zerstören die mentalen Kräfte in der Gesellschaft, sich für eine Abwendung der Gefahren einzusetzen. Optimistische Sichtweisen für Solarenergie delegitimieren die Langfristplanungen für konventionelle Energien und stimulieren mehr und mehr unabhängige und kreative Aktivitäten für Erneuerbare Energien. Je mehr wir die Möglichkeiten von 100% zeigen, desto stärker und breiter wird die Unterstützung für die Solarenergie in der Gesellschaft und desto schneller wird die Einführungsgeschwindigkeit.

 

Um die Gesellschaft zu mobilisieren, die solaren Chancen zu ergreifen, ist es psychologisch notwendig, ambitionierte Ziele zu setzen. Mit kleinen Zielen kann man nicht die Massen mobilisieren. Die Ankündigung der amerikanischen Regierung und der Vorschlag der EU-Kommission für jeweils eine Million-Photovoltaik-Installationen sind gut für die generelle Durchsetzung der Solarenergie, ebenso wie das japanische Photovoltaik-Programm. Dies schafft öffentliches Vertrauen in diese Technologie. Wenn solche Ziele nicht umgesetzt werden, beschädigt dies nur die Glaubwürdigkeit derjenigen, die dies angekündigt haben. Solche Ziele sollten genutzt werden als Referenzfälle für die Umsetzung und für die Organisierung eines stärkeren öffentlichen Drucks dafür:

 

Es gibt wachsende Sehnsüchte und Sympathien für die Solarenergie. Aber viele Menschen haben nicht die Phantasie, daß die großen Kathedralen der konventionellen Energieanlagen ersetzt werden könnten durch zahlreiche kleine solare Installationen. Deshalb ist der psychologische Durchbruch zur Solarenergie so bedeutend für die künftige Entwicklung. Wenn wir darin erfolgreich sind, wird die Solarenergie der Gewinner sein, und mit ihr die Gesellschaft. Je früher das geschieht, desto billiger und besser ist das für alle. Die offene Frage ist nicht, wie hoch die Kosten für die Einführung der Solarenergie sind, sondern wie hoch die sozialen Kosten für deren Aufschub sind.

 

Um diese Kosten zu vermeiden, müssen die Solarenergie-Akteure offensiv, kreativ und "tough" sein - um uns in eine vielversprechendere Zukunft zu führen. Ich bin froh über die Möglichkeit, dafür arbeiten zu können. Der Welt-Solarpreis wird mein Symbol sein für diese Möglichkeit.