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irena300.gifHermann Scheers Rede im Deutschen Bundestag zur Gründung einer Internatioanel Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA), am 19. Juni 2008 zu Protokoll gegeben.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,

mit der deutschen Initiative zur Einrichtung einer Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) wird eine große Lücke im internationalen Institutionensystem gefüllt. Seit 1957 besteht die Internationale Atomenergieagentur, die seinerzeit von weniger als 20 Staaten auf den Weg gebracht worden ist. Seinerzeit beruhten die Hoffnungen für eine emissionsfreie Energieversorgung – schon im Hinblick auf das nachfossile Energiezeitalter – weltweit ausschließlich auf der Atomtechnologie. Zu diesem Zeitpunkt wurden nicht nur die Probleme der Atomtechnologie unterschätzt, sondern auch die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien nahezu vollständig ignoriert, soweit es über die Nutzung der Wasserkraft hinausgeht.

1974 entstand unter dem Schock der durch den Nahostkonflikt ausgelösten weltweiten Ölpreiskrise von 1973 die Internationale Energieagentur im Rahmen der OECD, deren Hauptaufgabe darin bestehen sollte, gemeinsame Vorkehrungen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit zu ergreifen. Auch dabei spielten die erneuerbaren Energien allenfalls eine nebensächliche Rolle, wiederum wegen einer weitgehenden Unterschätzung ihres tatsächlichen Potenzials.

Immerhin starteten im Jahr 1974 bei den OECD-Ländern die ersten Forschungs- und Entwicklungsprogramme für erneuerbare Energien um diese marktfähig zu machen.

Der bis heute gegebene Tatbestand ist: für erneuerbare Energien gibt es keine internationale Regierungsorganisation, die sich auf die globale Mobilisierung erneuerbarer Energien so konzentriert, wie es immer dringender geboten ist.

Heute ist weltweit unumstritten, dass an erneuerbaren Energien in breitem Umfang und letztlich bis zur Deckung aller Energiebedürfnisse kein Weg vorbei führt. Mit anderen Worten, dass hier das größte verfügbare Energiepotential ist, wird nicht mehr ernsthaft bestritten. Die Sonne strahlt auf unseren Erdball täglich 15.000 mal mehr Energie als der Tagesverbrauch von atomaren und fossilen Energien ist. Es ist ein natürliches Energieangebot in Form der Sonnenstrahlung, der Solarwärme sowie deren Derivate der Windenergie, der Fließwasserkräfte, der Bioenergie, der Meeresenergien. Hinzu kommt das geothermische Energiepotenzial. Um dieses obendrein nicht-erschöpfliche Potenzial aktiv ernten und nutzen zu können, brauchen wir Technologien. Mit ihnen hat die Zivilisation die einzigartige Chance, Energie auch emissionsfrei und damit klima- und umweltneutral nutzen zu können.

Darüber hinaus ergeben sich weitere besondere Chancen: die Überwindung der Energieabhängigkeit in jedem Land, die im Zuge der Erschöpfung herkömmlicher Träger nicht erneuerbarer Energien zunimmt, weil die Reserven auf wenige Länder konzentriert sind. Das führt dazu, dass die Räume der Energieförderung von den Räumen der Energienutzung immer mehr entkoppelt werden, der Infrastrukturbedarf zur Energieerzeugung größer wird und überall auf der Welt Preissteigerungen stattfinden. Es drohen zunehmend internationale Konflikte um den Zugang zu den Restressourcen. Schon heute leiden allen voran die Staaten der Dritten Welt unter für sie schon unbezahlbar gewordenen Primärenergieimporten.

Daraus ergibt sich: der Wechsel zu erneuerbaren Energie steht in allen Gesellschaften der Welt nicht nur historisch an. Er muss breit ausgebaut und die Schritte dahin müssen beschleunigt werden. Doch nur wenige Länder sind darauf technisch, wissenschaftlich und industriell vorbereitet, obwohl sie die Notwendigkeiten und die damit verbunden Chancen immer deutlicher sehen. Es handelt sich um ein neues Energieparadigma, mit vielfältigen neuen Umwandlungstechniken und neuen Bereitstellungsformen und mit der Chance der Nutzung heimischer Energien und damit der Rückkopplung der Räume der Energiegewinnung mit denen der Energienutzung. Nicht mehr der Primärenergiehandel steht dabei im Vordergrund, sondern die Verfügbarkeit der neuen Energietechniken.

Man kann generell sagen, während die herkömmlichen Energien aufgrund der genannten Engpässe immer teurer werden und gleichzeitig die ökologischen Folgeschäden immer mehr zunehmen, können erneuerbare Energien nur billiger werden. Außer bei der Bioenergie fallen keine Brennstoffkosten mehr an und es gibt keine Abfälle und sonstige Schadstoffe. Sie werden billiger mit der industriellen Mobilisierung der Technologien und der Verbreiterung ihrer Anwendungsbasis.

Um dies weltweit voranzutreiben, ist die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien eine Initiative von ebenso herausragender wie umfassender gesamtwirtschaftlicher und gesamtpolitischer Bedeutung als Motor für die weltweite Verbreitung dieser Zukunftschancen. Deutschland ist in besonderer Weise dafür prädestiniert, diese Initiative zu ergreifen. Ausgehend von dem Stromeinspeisegesetz von 1991 bis zum Erneuerbare-Energien-Gesetz des Jahres 2000 sind wir auf dem immer wichtiger werdenden Gebiet der Stromversorgung in eine weltweite Vorbildrolle gerückt. Sowohl technologisch und industriell als auch in der breiten Anwendung.

Daneben haben sich in Deutschland vielfältige praktische Ansätze zum Energiesparen und zum solaren Bauen entwickelt wie in nur wenigen anderen Ländern in der Welt. Neue technische Ansätze zur für erneuerbare Energien wichtigen Energiespeicherung sprießen wie Pilze aus dem Boden. Viele junge Wissenschaftler, Handwerker und Ingenieure sind auf diesem Gebiet engagiert, mehr als in jedem anderen Land. Das gilt auch für viele neu gegründete Unternehmen und zunehmend auch für etablierte Technologieunternehmen.

Wir haben also nicht nur eine durch eigene Arbeit begründete Legitimation und Glaubwürdigkeit um die Initiative für die Entstehung der IRENA zu ergreifen, sondern auch eine ethisch begründete internationale Handlungspflicht.

Erstmals wurde eine eigenständige Institution für erneuerbare Energien auf der UN-Konferenz über Erneuerbare Energien 1981 in Nairobi empfohlen. Doch sie kam nicht zustande, weil immer der Einwand vorgebracht wurde, schon bestehende internationale Organisationen sollen sich der Aufgabe der weltweiten Verbreitung von erneuerbaren Energien annehmen. Seit 1990 hat sich EUROSLAR, die gemeinnützige europäische Vereinigung für erneuerbare Energien ununterbrochen dafür engagiert und für internationale Unterstützung geworben. Doch der Einwand war immer derselbe, ohne dass sich je ein bestehendes internationales Forum den erneuerbaren Energien in der gebührenden Form annahm.

Dieser Rückblick belegt, dass es keine Alternative zu einer IRENA gibt. Seit 2003 hat der Deutsche Bundestag in mehreren Resolutionen diese Einrichtung gefordert und die Bundesregierung zu einer entsprechenden Initiative ermuntert. Jetzt stehen wir unmittelbar nach vielen Gesprächen mit anderen Regierungen und der Vorbereitungskonferenz im April 2008, die im Auswärtigen Amt stattfand, vor der Gründungskonferenz. Die Initiative ist angelegt als eine von like-minded countries, um nicht jahrelang auf einen Weltkonsens warten zu müssen. Wenn also die Gründung erfolgt werden noch nicht alle Staaten von Anfang an Mitglied sein. Aber alle werden zur Mitwirkung eingeladen werden und können zu jedem denkbaren späteren Zeitpunkt ihre Mitgliedschaft vollziehen.

Was hier geschieht, ist ein großer Schritt, dessen globale Bedeutung zur Überwindung der Energieprobleme vielleicht viele heute noch unterschätzen, so wie vor 30 Jahren die erneuerbaren Energien überhaupt unterschätzt worden sind. Ich bin überzeugt, dass mehr und mehr Länder nach Gründung und Arbeitsaufnahme dieser Agentur hinzukommen werden. Auch im amerikanischen Kongress gibt es eine Initiative, dass die USA daran teilnehmen sollen. Umso wichtiger ist es, dass die Arbeitsaufnahme dieser Agentur schnell nach der Gründung erfolgt. Dies wird ein großer Tag für die Umsetzung einer parlamentarischen Forderung und für die Umsetzung dieser Forderung durch die Bundesregierung sein.