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(c) aboutpixel.comRede bei der Bayerisch-Österreichischen Strategietagung zur Zukunft der Landwirtschaft, Salzburg, 12. April 2002

Potentiale, Rahmenbedingungen, Strategien

Ein Ausspruch des polnischen Schriftstellers Stanislaw Lec, der etwas abgewandelt zu diesem Thema direkt gehört oder gehören könnte, lautet: "Dass die Augen vor den Widersprüchen verschlossen werden, ist das größte Problem vor dem heute die Augen verschlossen werden". Dies gilt in einem ganz starken Maß für die Frage der Ausrichtung der heutigen Landwirtschaftspolitik bzw. ihrer Visionen, wie sie auch im Rahmen dieser Tagung vorgestellt worden sind.

Als Ziele heutiger Landwirtschaftspolitik werden erstens die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die damit verbundene Weltmarktorientierung, zweitens angemessene Einkommen und drittens Umwelt- und Qualitätsstandards genannt. Diese Ziele sind jedoch zueinander in einem unauflösbaren Widerspruch. Wir müssen diesen Widerspruch endlich erkennen, denn wenn man einer falschen Prämisse zu lange folgt, wird man ihr Opfer. Es liegt nicht zwischen dem Ziel eines angemessenen Einkommens und dem Ziel von Umwelt- und Qualitätsstandards, sondern es liegt zwischen diesen beiden Zielen und dem der Weltmarktvision.

Die Weltmarktvision führt die Landwirtschaft in die Katastrophe

Die Weltmarktvision ist für die Landwirtschaft undurchführbar und sie muss ökologisch und landwirtschaftlich strukturell in die Katastrophe führen (Beifall), und zwar für die erste wie auch für die dritte Welt. Eine der Hauptbegründungen der Welthandelsorganisation (WTO) für eine stärkere Weltmarktorientierung auch auf landwirtschaftlichem Gebiet, dieses nämlich mit Rücksicht auf die Interessen der dritten Welt zu machen, wird an den damit verbundenen Folgeproblemen scheitern. Ich werde das im einzelnen auch - soweit das in der Kürze möglich ist - zu zeigen versuchen. Wenn wir uns von dieser widersprüchlichen Prämisse nicht lösen, dann sind wir Fundamentalisten; Fundamentalismus verstanden als isolierte Wahrnehmung, von der wir uns trotz aller gegenteiligen praktischen Erfahrungen nicht lösen können. Diese Feststellung möchte ich mit den zwei nachstehend angeführten Thesen begründen.

These 1:
Die landwirtschaftliche Globalisierung ist eine zivilisatorische Sackgasse.

Alle Bemühungen im WTO-Prozess zum Abbau von Subventionen im Bereich der Landwirtschaft sind, soweit sie die internationalen Strukturen berühren, im Prinzip richtig. Wenn dieses Ziel aber in Verbindung steht mit einer bedingungslosen freien Weltmarktorientierung landwirtschaftlicher Produkte, ist es undurchführbar. Zur diesbezüglichen WTO-Konstruktion, die einem neoliberalen ökonomischen Gesetz folgt, muß man leider sagen: "Wenn die Wirklichkeit daran scheitert, dann eben schade um die Wirklichkeit".

Die heutige WTO-Konstruktion versucht, die Weltmarktidee bezogen auf technische Produkte auch auf Produkte der Natur bzw. solche, die nur mit aktiver Hilfe der Natur hergestellt werden können, zu übertragen. Diese Gleichsetzung landwirtschaftlicher bzw. forstwirtschaftlicher Erzeugnisse mit technischen Produkten ist aber ein Verstoß gegen Naturgesetze und gegen die spezifischen Produktivitätsbedingungen von Land- und Forstwirtschaft. Die Ausgangsidee eines funktionierenden freien Weltmarktes ist, jedem soll es im Prinzip möglich sein, wenn er freien Zugang zu allen Informationen und Technologien hat, bei gleicher Anstrengung wie die der Anderen, intellektuell wie organisatorisch, das jeweilige Produktivitätsoptimum zu erreichen, egal wo auf der Welt er produziert.

WTO-Prozess ohne Bezug zu den Naturgesetzen

Bei landwirtschaftlichen Produkten ist es jedoch offenkundig, dass die Produktivität von den natürlichen Produktionsbedingungen entscheidend mit abhängt. Es gibt nun einmal Länder mit unterschiedlicher Sonneneinstrahlung, und da es bei landwirtschaftlicher Produktion um Photosynthese geht, ist das ein entscheidender Gesichtspunkt. Daneben gibt es auch unterschiedliche Boden-, Wasser- und Regenfallbedingungen, die die landwirtschaftliche Produktivität ebenso entscheidend beeinflussen. Ich muß die geographischen Unterschiede, die jeweils für die landwirtschaftliche Produktion konstitutiv sind, nicht weiter erläutern; sie sind jedem der Anwesenden hinlänglich bekannt. Sie waren nur im WTO-Prozeß und in der Idee des WTO-Prozesses ausgeklammert. Es ist dies eine ökonomische Konstruktion ohne entsprechenden Bezug zu Naturgesetzen, und das geht nicht.

Würde man den vollständigen freien Weltmarkt tatsächlich realisieren, also diese Vision bis zu ihrer eigenen Finalität treiben, dann wäre die logische Konsequenz ein Produktivitätsvorteil der Länder mit günstigen natürlichen Produktionsbedingungen, zu Lasten derjenigen, die das nicht haben. Eine weitere logische Konsequenz davon wäre, dass sich zunehmend die gesamte landwirtschaftliche Produktion kurzfristig auf diese wenigen Länder für die gesamte Weltbevölkerung konzentrieren müsste. Dies wiederum hätte zur Folge, dass diese Böden nach relativ kurzer Zeit überfordert wären, so dass selbst die günstigsten Böden oder Flächen durch Überforderung degradiert würden.

Dies ist naturgesetzlich nicht widerlegbar. Wenn es naturgesetzlich nicht widerlegbar ist, darf man auch keine Vision an einer solchen Orientierung aufbauen. Sie wird deswegen auch niemals durchgehalten werden können. Denn auf dem Weg dahin, je konsequenter man es macht, werden die Haltesignale kommen, auf welchem Wege auch immer. Sie könnten chaotisch kommen, sie könnten politisch bewusst kommen, so dass man im WTO-Prozess oder in der Agrarpolitik lernt, so wie man ja auch in der EU Agrarpolitik gelernt hat auf dem Weg zur Agenda 2000.

Weltmarktorientierung auch ein Problem der AGENDA 2000

Das Problem dieser Agenda 2000 ist im Kern, daß sie aufgrund der weltweiten Orientierung auf die Fortschreibung des WTO-Prozesses nicht riskiert hat, was man aber riskieren muss: sich gegen diese WTO-Philosophie zu stellen. Das ist das eigentliche Problem der Agenda 2000. Ich halte es für unausweichlich, dass wir diese Philosophie bekämpfen müssen. Die Gleichstellung von landwirtschaftlicher Produktion mit technischen Produktionsprozessen ist unzulässig; sie darf deshalb auch nicht weiter verfolgt werden.

Die Globalisierung führt zur sozialen Katastrophe in den Entwicklungsländern

Würde es jetzt "mit Rücksicht auf die dritte Welt" trotzdem durchgeführt, so müssen wir wissen, dass die dritte Welt am allerwenigsten davon hätte. Denn wer kann sich vorstellen, dass der Kleinbauer aus Indien auf einer internationalen landwirtschaftlichen Fachmesse in Verona oder Berlin auftritt? Er würde es niemals tun können, sondern es sind Agrarkonzerne, die dort auftreten. Die zunehmende Ausrichtung der landwirtschaftlichen Strukturen in der dritten Welt an dem Modell der EU, oder noch gravierender an jenem der USA, und die zunehmende Ausrichtung vielleicht auch im Zuge der EU-Erweiterung der osteuropäischen Länder an diesem Modell, muss zu einem sozial katastrophalen Ergebnis führen.

Wir müssen wissen, dass in Indien heute noch rund 700 Mio. Menschen von landwirtschaftlichen Einkommen leben. Zu Lasten der kleinbäuerlichen Strukturen setzt hier eine Modernisierung und Ausrichtung der Landwirtschaft ein, die sich im wesentlichen an der Funktionsweise des Weltmarktes orientiert und dabei die existenziellen Anforderungen und Möglichkeiten der unmittelbar Betroffenen vernachlässigt. Eine wesentliche Folge wäre eine beschleunigte vertikale Integration; d. h. ein stark durch technische Produktionsverfahren und Vermarktungsstrukturen bestimmter beschleunigter Konzentrationsprozess hin auf das internationale Wirtschaftsgeschehen. D. h. es erfolgt eine Ausrichtung der Agrarstrukturen an den Gesetzen, wie sie etwa von den Nahrungsmittelkonzernen, die weltweit operieren, aus ihren eigenen betriebswirtschaftlichen Logiken heraus formuliert werden. In Indien würde die Folge sein, dass aufgrund dieser Weltmarktausrichtung möglicherweise in den nächsten 25 Jahren zwei Drittel der heute dort tätigen Kleinbauern für die landwirtschaftliche Erzeugung überflüssig werden. Das würde letztlich bedeuten, dass zwei Drittel von 700 Mio. Menschen ihre ökonomische Existenzbasis verlieren.

Angesichts solcher Dimensionen ist zu fragen: Wer kann sich das Ausmaß dieser sozialen Katastrophe vorstellen? Wer hat genug Phantasie dafür? Und dies angesichts einer Situation, wo heute schon, trotz 70% der Bevölkerung im ländlichen Raum, die Slums von Kalkutta, Neu Dehli und Bombay überbersten. Das kann kein Zukunftsmodell sein. Aus diesem Grund ist das WTO-Argument nicht einmal für die dritte Welt richtig. Denn wir müssen sehen, dass sich statistisch möglicherweise die Exporte der dritten Welt in unsere Region erhöhen; wir müssen aber damit rechnen, dass dies auf der Basis eines solchen Strukturbruchs in ihrer Landwirtschaft erfolgt, mithin die zusätzlichen Exporteinnahmen nichts bedeuten gegenüber den sozialen Verwüstungen, die man durch Veränderungen der Agrarstrukturen in kürzester Zeit bekommt. Es hat keinen Zweck, um dieses Problem länger herumzureden, weil wir mit all den damit verbundenen Folgen dann nicht unmittelbar mehr in der Landwirtschaftspolitik verbleiben, sondern mit unlösbaren sozialen Problemen zu rechnen haben. Deshalb meine These: die landwirtschaftliche Globalisierung ist eine Sackgasse. Und was für die Kleinbauern der dritten Welt gilt, gilt auch für die bäuerlichen Familienbetriebe bei uns.

These 2:
Globale Wirtschaftsliberalisierung führt zur Überbürokratisierung.

Die Versuche soziale und ökologische Standards als Auffangnetz gegenüber solchen Widersprüchen im WTO-Prozeß einzubauen, müssen - ohne daß sie das Problem, das ich angesprochen habe, wirklich lösen können - zu einer Überbürokratisierung des internationalen Vertragsgefüges führen. Dies würde in einem direkten Gegensatz zu allen durchaus auch positiven Bezügen von Märkten stehen.

Eine Liberalisierung des Welthandels ist, wenn man soziale und ökologische Belange nicht außer Acht lassen will, nicht ohne gravierende Widersprüche möglich. Da sich niemand leisten kann, diese völlig zu ignorieren, wird versucht, die Regelungsdichte durch internationale Verträge permanent zu erhöhen, um damit Folgeprobleme einzufangen. Dies führt jedoch in eine politik-soziologische Falle, denn dadurch verlieren die Gesellschaften ihre Flexibilität und Lernfähigkeit, aus erkannten Fehlentwicklungen noch Konsequenzen zu ziehen. Ein nationales Gesetz kann man relativ schnell ändern; bei Bedarf in einer Legislaturperiode auch mehrmals. Eine EU-Richtlinie ist schon schwerer veränderbar. Einen Weltvertrag zu ändern, der auf einem globalen Konsensprinzip der Staaten beruht, dauert Jahrzehnte, falls eine Änderung überhaupt noch durchsetzbar ist.

Wenn aber die Regelungsdichte durch internationale Verträge derart zunimmt, dass dort Angelegenheiten festgeschrieben werden, die bislang auf nationaler Ebene geregelt wurden, dann heißt das logischerweise, daß diese zur Lähmung politischer Strukturen überall auf der Welt führen müssen. Die nationalen Rechtssysteme werden inflexibel und können auf veränderte Herausforderungen nicht anders reagieren, als in den internationalen Verträgen zwingend vorgeschrieben ist. Ich rede hier keinesfalls einer Renationalisierung das Wort. Ich will damit allerdings sagen, dass der Prozess einer zunehmenden Regelungsdichte internationaler Verträge ebenfalls eine Sackgasse ist. Die Regelungsdichte muss zurückgenommen werden; internationale Verträge müssen sich auf Leitziele beschränken. Die Art und Weise, wie das umgesetzt wird, muss der Verantwortung demokratischer Verfassungsstaaten überlassen bleiben.

Ein neues Leitbild ist notwendig!

Offensichtlich ist, dass die Notwendigkeit besteht, ein neues Leitbild zu formulieren. Leitbilder nur aus idealistischen Gründen zu formulieren, ist meistens nicht besonders erfolgreich, so sympathisch diese Leitbilder auch sein mögen. Wir müssen solche Leitbilder haben, die sich aus dem Gang der allgemeinen wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung und ihrer sich offenkundig verändernden Grundbedingungen ergeben. Es dürfen also keine Kunstprodukte sein, die nur irgendwelchen Wunschbildern entsprechen.

Deswegen möchte ich jetzt zunächst einmal kurz ausführen, wie es zu dem gegenwärtigen Leitbild gekommen ist, in dem die Landwirtschaft als marginaler Sektor erscheint, wo die Signale überall auf Abbau stehen. Dies ist das Leitbild der industriellen Gesellschaft seit Beginn der industriellen Revolution. Alle empirischen Daten scheinen dafür zu sprechen, dass man sich weiter auf eine Marginalisierung der Landwirtschaft einstellen soll. Genau das ist aber der Irrtum, der verhängnisvolle Folgen hat.

Warum ist das gegenwärtige Leitbild überholt?

Als in Zentraleuropa die industrielle Revolution vor ungefähr 200 Jahren begann - in den ver-schiedenen Regionen und Ländern der Welt war das ja immer etwas zeitverschoben, aber die generelle Entwicklung war fast überall die gleiche - waren 90% der Menschen im sogenannten primären Sektor, also überwiegend in der Landwirtschaft tätig. Am Ende des 19. Jahrhunderts war der den primären Sektor in seiner Hauptrolle ablösende sekundäre Sektor der industriellen Produktion der Bedeutendste. Über 50 % der Menschen waren schon im industriellen Sektor tätig. Sie kamen größtenteils aus dem ländlichen Raum oder sie kamen durch Immigration aus Ländern, in denen die Industrialisierung hinterherhinkte. Man brauchte entsprechende Arbeitskräfte, wie z. B. die vielen Polen, die in das Ruhrgebiet gegangen sind. Aber auch in der österreichischen Entwicklung kann man Ähnliches verfolgen. Um 2000 herum war aber der sekundäre Sektor in seiner Hauptrolle schon längst abgelöst worden durch den tertiären Sektor der öffentlichen und privaten Dienstleistungstätigkeiten.

Heute sind über 50 % der Menschen in unserer Hemisphäre im tertiären Bereich tätig, offiziell vielleicht noch 35 % im allmählich schrumpfenden sekundären Sektor und in der EU nur noch zwischen 2 und 5 % im sogenannten primären Sektor der Landwirtschaft. Das wird für ein Naturgesetz der ökonomischen Entwicklung, der Modernisierung einer Volkswirtschaft, gehalten.

Wenn es jetzt um die Osterweiterung geht, wo wir es mit Ländern wie etwa Polen zu tun haben, in denen noch über 20 % der Bevölkerung unmittelbar von landwirtschaftlicher Arbeit leben, und man stülpt ihnen dieses Entwicklungsmodell definitiv über, an das sie ja auch selbst glauben, dann wäre die Konsequenz aber eine völlig andere als in früheren Jahrzehnten. Die Menschen, die während der Industrialisierung im primären Sektor ihre Tätigkeit verloren haben, wurden vom Sekundären aufgenommen. Die im Sekundären ihre Tätigkeit verloren haben, aufgrund der dortigen Produktivitätssteigerung, wurden im tertiären Sektor aufgenommen. Jetzt haben wir es aber mit einer informationstechnologischen Revolutionierung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten zu tun. D. h., wir erleben einen Prozess, wo sowohl im sekundären wie im tertiären Sektor ein Produktivitätsschub durch die Informationstechnologien kommt, in einer Geschwindigkeit und Breite wie es in der Geschichte der modernen Volkswirtschaften ohne Beispiel ist.

Wo ist der vierte Sektor?

Damit taucht die entscheidende Frage auf: "Wo ist denn der vierte Sektor", der die Menschen auffängt, die nicht mehr nötig werden für die Leistungen des zweiten und dritten Sektors? Wo ist der vierte Sektor, bei einer wachsenden Weltbevölkerung? Da gibt es einige Ökonomen, besser Public Relations Spezialisten, die haben in den letzten Jahren den vierten Sektor den Virtuellen genannt, die virtuelle Ökonomie. Eine Seifenblasenökonomie. Die meisten dieser Seifenblasen sind längst geplatzt, wie wir inzwischen wissen - und weitere werden platzen. Die virtuelle Ökonomie und die damit verbundenen Vorstellungen übersehen, dass es eine unaufhebbare physikalische Grundeigenschaft jedweden ökonomischen Prozesses gibt, der der Bedürfnisbefriedigung der Menschen mit Gütern dient.

Fossile Energie die Basis des bisherigen wirtschaftlichen Erfolgs

Diese physikalische Grundeigenschaft besteht darin, dass überhaupt keine Ökonomie denkbar war, ist und bleibt, die nicht in aller erster Linie besteht aus der Umwandlung von Stoffen von einem Zustand in einen anderen in die verschiedenen Endprodukte mit Hilfe umgewandelter Energie. Der ökonomische Prozess ist im Kern ein Prozess der Ressourcennutzung durch Ressourcenumwandlung. Mit Daten kann man keine Häuser bauen. Daten kann man nicht essen. Man kann mit Hilfe von Daten schneller Häuser oder Maschinen bauen, aber sie ersetzen nicht das Material für diesen Umwandlungsprozess. Sie ersetzen niemals die Ressourcen und die Ressourcenumwandlung.

Die vielen Thesen von der Entmaterialisierung der Wirtschaft beziehen sich meistens nur auf einen engen Ausschnitt, in dem sie nämlich nur eine Volkswirtschaft betrachten. Und wenn dort weniger Materialumwandlung stattfindet, wird von der Entmaterialisierung geredet, ohne dabei zu sehen, dass lediglich eine Verlagerung von Produktionsaktivitäten irgendwohin stattgefunden hat. Es ist nicht möglich, nicht vorstellbar, dass es eine Ökonomie ohne Material gibt. Damit ist und bleibt das die Kernfrage aller menschlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten, und kommen wir automatisch zu der Frage, mit welchen Ressourcen haben wir es heute zu tun? Und kommen zu dem Ergebnis, dass man nicht mehr leugnen kann, wenn man noch einigermaßen klaren Verstandes ist, dass die heutige fossile Ressourcenbasis vor ihrem Ende steht. Die Industriegesellschaft der letzten 200 Jahre und die Industrialisierung gründete auf fossiler Basis.

Grenzen der fossilen Ressourcen

Die erste Grenze

Diese fossilen Ressourcen haben Grenzen und führen in die Sackgasse. Die erste Grenze ist: Niemand kann bestreiten, dass diese Ressourcen erschöpflich sind. Das gilt nicht nur für den Energiesektor, das gilt genauso für den Rohstoffsektor. Den wenigsten ist bewußt, daß neben den 40% des Weltenergieverbrauchs, der vom Erdöl gestellt wird, 90% aller Grundstoffe der chemischen Industrie auf Petroleumbasis beruhen. Diese Ressource ist erschöpflich. Der Zeitpunkt der Erschöpfung rückt in dramatischen Schritten näher. Das geben viele Energiewissenschaftler, die auf der Gehaltsliste ('Payroll') der Energiewirtschaft stehen, nicht gerne zu - und es stehen viele auf dieser.

Gleichzeitig zeigen aber schon die Militärstrategien vieler Länder, daß dem Problem viel mehr Bedeutung beigemessen wird, als man gemeinhin meint. Was ist denn der Grund dafür, daß z. B. selbst der Taliban von den USA lange Zeit gefördert worden ist? Es ging natürlich um die Ölressourcen von Hinterasien und Pipelines durch Afghanistan. Was ist denn der Grund dafür, daß das Jahresbudget der US Militärausgaben allein für den arabischen Raum - auch schon vor dem 11. September 2001, also zu Normalzeiten - zur Sicherung der Ölquellen 50 Milliarden Dollar betragen hat. Das sind die militärischen Kosten. Das ist viermal soviel wie der Preis des Erdöls, das man von dort bezieht. Das entspricht 100 Dollar pro Barrel Öl an militärischem Sicherungsaufwand. Das steht in keiner Ölrechnung.

Alle diese Strategien verraten, dass man das Problem längst viel ernster sieht als offiziell zugegeben wird. Heute wird gerechnet, dass gemessen am heutigen Weltölverbrauch, wenn er also nicht weiter steigen würde, das Welterdölpotential in 40 Jahren zu Ende wäre. Die Erdgasverfügbarkeit ist nicht sehr viel länger gegeben und somit ist auch der Wechsel zu Erdgas kein Ausweg. Auch hierbei handelt es sich um eine rasch erschöpfliche Energiequelle. Bei Kohle reicht es vielleicht etwas länger, ein paar Jahrzehnte, wenn der Verbrauch nicht weiter steigt. Und bei dem Ausgangsmaterial für Kernbrennstoffe, nämlich dem Uran, muß man davon ausgehen, dass in den nächsten 40 Jahren, bei gleichbleibender Zahl der Atomkraftwerke, auch die Uranminen ausgebeutet sind.

Das ist der Zustand. Selbst wenn der Weltwirtschaft durch riesige neue Funde eine weitere Frist von 10 oder 15 Jahren gegeben würde, änderte das nichts an dem Grundtatbestand.

Die zweite Grenze

Selbst wenn es gäbe noch viel mehr Reserven gäbe, würde deren Nutzung an der ökologischen Grenze scheitern, denn wir können es uns gar nicht mehr leisten, auch nur die heutigen bekannten fossilen Vorkommen alle zu verbrennen. Das hält die Ökosphäre des Erdballs nicht mehr aus. Daraus ergibt sich mit glasharter Konsequenz - und dabei handelt es sich um die existentielle Frage, weil ohne Energie nichts geht, weder in der Natur noch in der Zivilisation - daß wir in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts den Wechsel von den endlichen fossilen Ressourcen zu den nicht erschöpflichen erneuerbaren Ressourcen vollziehen müssen. Das gilt für den Ressourcensektor insgesamt, d. h. für Rohstoffe wie für Treibstoffe und für Energie im engeren bzw. im weiteren Sinne. Das ist die Konsequenz.

Die Zukunft liegt in der Landwirtschaft.

Daraus ergibt sich wiederum logisch, dass dieser Wechsel zu erneuerbaren Ressourcen die Antwort in sich trägt, wo denn der vierte Sektor ist. Dieser vierte Sektor ist die Landwirtschaft. Ich spreche in meinem Buch "Solare Weltwirtschaft" deshalb im Schlussteil von "Vorwärts zur primären Wirtschaft". Es kann gar keine industrielle Zukunft mehr geben, geschweige denn eine der Landwirtschaft selber, ohne diesen Wechsel zu erneuerbaren Ressourcen.

Bioenergie

Die Alternative sind die erneuerbaren Energien

Die Hauptrolle für die Treibstoffversorgung von morgen wird dabei von der Bioenergie realisiert werden müssen. Damit wird ein erheblicher Teil der Energiealternativen aus der Land- und Forstwirtschaft kommen müssen. Das Potential ist weltweit immens. Es ist die große Ressourcenlüge unserer Zeit, so zu tun, als sei dieses Potential nicht ausreichend verfügbar. Die weltweite Förderung an fossilen Energien beträgt jährlich etwa 8 Mrd. Tonnen, alleine bei Erdöl 3,5 Mrd. Tonnen. Der weltweite Zuwachs an photosynthetischem Material aus der Land- und Forstwirtschaft oder aus den Wäldern dieser Welt, auch den nicht bewirtschafteten, beträgt 220 Mrd. Tonnen Trockenmasse. Da sind noch keine Aufforstungspotentiale mitgerechnet. Es geht hier keineswegs nur um Nahrungsmittel, es geht um die gesamte Flora einer intelligenten und natürlichen nachhaltigen Nutzung, sonst ist es kein erneuerbares Potential. Daraus ergibt sich, es gibt kein Potentialproblem, wie vielfach behauptet wird.

Rohstoffbasis Landwirtschaft

Wenn es um die chemische Industrie geht, um die fossilen Stoffe, die ersetzt werden müssen, wird nicht nur ein großer Teil dieser Ressourcenerzeugung aus der Land- und Forstwirtschaft kommen müssen, sondern fast alles. Daraus ergibt sich, dass der Wechsel von fossilen zu solaren Ressourcen automatisch einen massiven und andauernden Bedeutungszuwachs der Land- und Forstwirtschaft hervorbringen wird, in der dann wieder deutlich mehr Menschen beschäftigt sein werden. Es wird den größten Strukturwandel seit Beginn der industriellen Revolution hervorrufen, aber dann in umgekehrter Richtung.

Dieser Prozess ist zwangsläufig. Daraus ergibt sich, daß es absolut fatal wäre, weiter hinzunehmen, dass immer mehr Menschen den landwirtschaftlichen Sektor verlassen. Diejenigen, die dort gegenwärtig tätig sind, mit all dem, was sie an Wissen und an Bindungen sozialer Art mitbringen, sind leichter dort zu halten und auf die zusätzliche Aufgabe zu orientieren, als erst einmal die Abwanderung weiter hinzunehmen und dann in 10 oder 15 Jahren vor der zwingenden Notwendigkeit zu stehen, riesige Ausbildungs- und Motivierungsprogramme zu etablieren und die Menschen wieder in den landwirtschaftlichen Sektor zurück zu holen (Beifall).

Schlußfolgerung

Das ist die Schlussfolgerung, die sich für die generelle Leitbildorientierung ergibt: dass wir einen Marktvorrang für regionale Agrarerzeugnisse brauchen. In meinen Büchern schreibe ich von der Vision eines globalen Technikmarktes und eines regionalen Ressourcenmarktes mit erneuerbaren Ressourcen.

Auf dem Gebiet der Ressourcenwirtschaft kann moderne Weltökonomie in Anerkennung der naturgesetzlichen Bedingungen und der eben beschriebenen Perspektive nur heißen, daß wir zu einem Vorrang der erneuerbaren Ressourcen und zu einem regionalen Ressourcenmarkt kommen müssen. Dieses würde die Weltwirtschaft wesentlich vielfältiger machen, als sie heute ist. Und dies würde, weil eben der Wechsel zu den erneuerbaren Ressourcen auch ein Wechsel zu emissionsarmen, neutralen bzw. emissionsfreien Ressourcen ist, gleichzeitig auch das ökologische Damoklesschwert, das über dieser Weltzivilisationen hängt, wegnehmen. Das wäre folglich zugleich die Antwort auf die ökologische Krise. Und ich darf jetzt mit einem anderen Aphorismus zum Schluß kommen, der da lautet:

"Die meisten Menschen fangen viel zu früh an, die wichtigen Dinge im Leben zu spät zu beginnen". Bei dieser Frage darf uns das nicht passieren.

Danke schön!