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Rede zur Eröffnung des Jahresempfangs des Bundes Deutscher Architekten, Stuttgart, 28. Januar 2002

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

es gibt einen Aphorismus von Stanislav Lec, der lautet: „Dass die Augen vor den Problemen verschlossen werden ist das größte Problem, vor dem heute die Augen verschlossen werden“. Dieses trifft in ganz zentraler Weise auf das Thema zu, zu dem ich heute zu Ihnen sprechen will. Und es trifft vor allem auf die Teile der Gesellschaft zu, die sich Energieexperten nennen und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

Es gab im vergangenen Jahr in Berlin die Urban 21-Konferenz. Und wir haben vor uns den Konferenzplan der Weltarchitektenkonferenz, ebenfalls in Berlin, von Herrn Hempel vorgestellt. Ich bin sehr froh über die Ankündigungen was der Inhalt dieser Konferenz sein soll, denn die Urban 21-Konferenz des Jahres 2000 verdient eher die Note „Thema verfehlt“. Das Thema war seinerzeit verfehlt worden, weil man aus einem isolierten Verständnis von Städtebau und Architektur kaum - von einzelnen Ausnahmen abgesehen – heraus gekommen ist. Es ist nämlich völlig undenkbar, Architektur isoliert zu verstehen. Nicht nur weil Architektur immer die Widerspiegelung der jeweiligen gesellschaftlichen Zustände oder des Zivilisationsstandes ist. Es ist auch so, dass der jeweilige Zivilisationsstand immer auch eine Widerspiegelung der jeweiligen Energiebereitstellungsstrukturen ist.

Dieses letztere ist von der Energieexpertenwelt aus den Augen verloren worden. Wenn wir über die Energiefrage reden, dürfen wir nicht in erster Linie über Technik und Kosten reden, sondern über viel elementarere Dinge. Dies ergibt sich schon daraus, dass ohne Energie überhaupt nichts möglich ist, weder in der Natur noch in der menschlichen Zivilisation. Energie steht am Anfang jedweder Aktivität, und so lange es Gesellschaften gab und geben wird, haben die jeweiligen Strukturen und Möglichkeiten der Energieversorgung die Art und Weise, wie man Energie benutzt hat, welche Quellen eingesetzt worden sind, welche zur Verfügung standen und welche nicht, die jeweiligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen entscheidend determiniert. Nur dass uns das nicht mehr bewusst ist. Und deswegen rede ich eher energiesoziologisch und behaupte: wer über Energie redet und dieses nicht im Auge hat, muss zwangsläufig das Thema verfehlen.

Der Zusammenhang zwischen Architektur und Städtebau und der Energiefrage ergibt sich nicht nur aus diesen allgemeinen und nicht widerlegbaren Vorbemerkungen, sondern ergibt sich auch ganz unmittelbar. Denn jeder von Ihnen weiß ja, dass 40% des gesamten Energieverbrauchs – jedenfalls in Mitteleuropa – alleine in Gebäuden stattfindet Und zwar nicht in den Gebäuden (das wäre dann wieder ein anderer Teil der Energiestatistik) in denen etwas produziert wird, sondern in den ganz normalen Wohngebäuden und Bürogebäuden. 40%: das heißt 40% der Problemlösung liegt genau darin. Daraus ergibt sich: der Sektor des Bauens ist logischerweise die entscheidende, treibende Kraft für eine Änderung des gesamten Energiesystems.

Diese Änderung ist existentiell notwendig. Nicht nur weil uns gar keine andere Wahl mehr bleibt, als den Weg von einer fossilen zu einer solaren Kultur zu gehen, sondern weil das die große Chance für uns alle ist. Letzteres muss offenbar noch deutlich gemacht werden, denn es ist selbst unter vielen Umweltexperten keineswegs so verstanden. Sie haben im Juli letzten Jahres die Weltklimakonferenz zur Verabschiedung des Kyoto-Protokolls in Bonn verfolgen können. Dieses wurde, nachdem man sich neun mal getroffen hatte, als großer Erfolg gefeiert. Schauen wir etwas näher hin und trennen die Spreu vom Weizen, muss man sagen: das Ergebnis ist kläglich. Möglicherweise sogar kontraproduktiv. Der Grund dafür war von Anfang an vorprogrammiert. Man dachte, dass es sich bei Klimaschutz und dem Ziel einer umweltfreundlichen Energiebereitstellung um eine ökonomische Last handele. Was als ökonomische Last empfunden wird, führte dann folgerichtig zu einem elenden und endlosen Gefeilsche um die Lastenverteilung. Wenn man das aber als Chance begriffen hätte, was man tun kann und muss – und davon werde ich reden – dann braucht man dazu nicht neun Jahre Verhandlungen nach dem stillschweigenden Motto „global reden – national aufschieben“. Das kann nicht die Globalisierung sein, die für uns wünschenswert ist. Nicht nur für uns, sondern für alle Teile der Menschheit.

Wir haben es also mit einem neuen Paradigma zu tun. Und dies ist unseren Blicken verstellt, wenn wir das herkömmliche Energiedenken benutzen, das sich nicht zuletzt in allen Energiestatistiken niederschlägt. Alle Energiestatistiken, die ja Ratgeber sein sollen für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, sind falsch. Sie sind sogar extrem unwissenschaftlich, weil sie ausschließlich die kommerziellen Energieträger erfassen. Die nichtkommerzielle Energie wird nicht zur Kenntnis genommen, als würden wir die nichtkommerzielle Energie nicht nutzen. Wie kommen wir aber dazu, etwas zu ignorieren, nur weil es nichts kostet. Das müsste doch eigentlich gerade in Baden-Württemberg auf mentalen Widerstand stoßen. Was meine ich damit? Die energetische Sinnestäuschung beginnt schon bei dem umgangssprachlichen Verständnis, dass 00 der niederste Temperaturpunkt sei. Tatsächlich ist der niederste Temperaturpunkt –2730 C. Wir haben aber nicht –2730 C, sondern in Sommerzeiten durchschnittlich 200 C und in Winterzeiten durchschnittlich 00 C, jedenfalls bei uns in Mitteleuropa. Dass wir es nicht mit –2730 C zu tun haben, verdanken wir ausschließlich der Sonne. Stellen wir uns einen Augenblick vor, es gäbe eine Sonnenfinsternis nicht nur alle paar Jahrzehnte und dann nur für eineinhalb Minuten, sondern es gäbe sie für 14 Tage aus welchen Gründen auch immer. Dann wäre das Leben der Menschheit zu Ende. Kein technisches Energiesystem könnte diesen Wärmeausfall kompensieren.

Würden wir eine physikalische Energiestatistik vornehmen, die tatsächlich die Energiezufuhr der Sonne auf den Erdball und alles, was dadurch bedingt ist und von uns selbstverständlich genutzt wird, dann kämen wir zu dem Ergebnis, dass die atomar/fossilen Energiesysteme nicht 95% unserer Energieversorgung ausmachen, sondern deutlich weniger als 1%. Die nichtkommerzielle Energie ist für uns so selbstverständlich, dass wir es noch nicht einmal mehr wahrnehmen. Das Ergebnis dieser Ignoranz ist die Behauptung, dass das marginale Energiepotential atomar/fossiler Energien das eigentliche sei und dass das überwältigende Energiepotential der Sonne nur marginal und deshalb nicht ernst zu nehmen sei – nicht geeignet sei, atomar/fossile Energienutzung überflüssig zu machen. Das ist die große wissenschaftliche Lüge unseres Zeitalters. Eine Lüge, die längst lebensgefährlich geworden ist. Würden wir endlich davon wegkommen, uns nicht in unseren organisierten Energiebedürfnissen von einer marginalen und gleichzeitig gefährlichen und nur noch vorübergehend verfügbaren Energiequelle abhängig zu machen, und würden wir endlich die eigentliche, wirkliche Energie, die in Hülle und Fülle zur Verfügung steht und das nicht nur vorläufig, nutzen, hätten wir eine andere Qualität der Zivilisation. Und da müssen wir hin.

Wir müssen dies aus mindestens zwei Gründen, die physikalisch nicht widerlegbar sind und die uns besagen, dass das heutige kommerzielle Energiesystem am Ende ist. Es ist am Ende, weil es keine Zukunft mehr produzieren kann, die irgendwie erfreulich wäre. Niemand kann bestreiten, dass dieses Energiepotential erschöpflich ist. Der Zeitpunkt der Erschöpfung rückt in dramatischen Schritten näher. Alleine in den letzten 50 Jahren hat die Menschheit doppelt so viel Energie verbraucht wie in der gesamten Zivilisationsgeschichte zuvor. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. China und Indien, die alleine ein Drittel der Weltbevölkerung präsentieren, versuchen auf unsere Standards aufzuschließen und wir können es ihnen nicht vorwerfen. Würden sie es erfolgreich tun, weiß jeder, dass dann der Klimakollaps irreversibel wäre. Die Verfügbarkeitsgrenze sieht bei näherer Betrachtung heute schon dramatisch aus. Die jetzt bekannten Ölvorkommen – und im wesentlichen sind fast alle Quellen bekannt, wir sollten uns da nichts vormachen in der Hoffnung auf irgendetwas, was da wieder neu gefunden werden könnte – werden bei gleich bleibendem Ölverbrauch noch etwa 40 Jahre reichen. Der Wechsel auf Erdgas ist eine Finte, die man sich nur selber stellen kann, denn es ist keine erneuerbare Energie. Die verfügbaren, bekannten Erdgasreserven reichen nach heutigem Verbrauch noch vielleicht 55 Jahre. Bei Kohle sind es vielleicht etwas mehr als 100 Jahre, wenn der Kohleverbrauch nicht weiter steigt. Und die Uranvorkommen, um daraus Atombrennstoffe zu machen, sind auch in etwa 40 Jahren ausgebeutet.

Die begrenzten Potentiale, darauf hoffen viele, könnten vielleicht doch noch verlängert werden, durch neue Funde. Und dann liest man in der Zeitung, dass in Angola z.B. eine riesige Erdölquelle gefunden worden sei mit einem Potential von 30 Mio. Tonnen. Derjenige, der das geschrieben hat, kennt offensichtlich die Proportionen nicht. Denn 30 Mio. Tonnen entspricht dem Erdölverbrauch von sieben Tagen. Aber selbst wenn wirklich riesige Funde gemacht würden, und wir dadurch noch fünf oder zehn Jahre mehr Verfügbarkeiten hätten: was ändert das an dem Grundtatbestand, dass wir längst auf dem Ritt einer global geschliffenen Rasierklinge sind? Was bedeutet die nahende Erschöpfung, der nahende Endverbrauch? Er bedeutet, dass sich zunehmend mehr Länder die Energie nicht mehr leisten können. Schon heute zahlen die Ärmsten, also die afrikanischen Staaten, soweit sie keine Ölvorkommen haben, mehr für den Ölimport, als sie überhaupt Exporteinnahmen erwirtschaften. Das heißt: sie haben keinerlei Zukunftschance. Und es bedeutet, dass in immer mehr Ländern sich immer weniger Menschen die Energie leisten können; Verknappung durch nahenden Endverbrauch bedeutet letztlich irreversible Preissteigerungen, bis sie unerträglich werden. Es bedeutet aber noch wesentlich mehr. Jeder kann sich doch ausrechnen, was passiert, wenn sich alleine bei Erdöl, das 40% des heutigen kommerziellen Weltverbrauchs darstellt, die Kurve der Verfügbarkeit senkt und sich irgendwann kreuzen würde mit der Nachfragekurve. Das würde den brutalsten Konflikt hervorrufen, den diese Welt je gesehen hat. Ein wirklich existenzieller Konflikt. Der Konflikt um die Ressourcen hat längst begonnen. Was war denn sonst der Grund, warum man beide Augen zugemacht hat, als 1995 ein Vertrag mit den Taliban geschlossen worden ist, nur damit sie eine Pipeline schützen, die von Turkmenistan in den Indischen Ozean gezogen werden sollte. Im Sudan vertreibt die islamisch-fundamentalistische Regierung die Menschen im Südsudan seit 1999 aus den Territorien, wo westliche Ölgesellschaften neuerdings Öl fördern und 50% ihrer Gewinne an die sudanesische Regierung abführen, die davon mehr als die Hälfte für Waffen einsetzt, mit denen sie die Menschen vertreibt. Das ist doppelte Moral. Die Vereinigten Staaten von Amerika geben jährlich 50 Mrd. Dollar für militärische Sicherheitsmaßnahmen im arabischen Raum aus, um notfalls die Ölquellen militärisch zu sichern, bei jährlichen Öllieferungen im Welt von nur 15 Mrd. Dollar. Pro Barrel Öl die drei- bis vierfache Menge militärischen Sicherheitsaufwand als das Barrel kostet! In keiner Energierechnung ist diese Summe enthalten. Wir werden immer mehr in diese absurde Situation hineingezogen. Die Amerikaner sagen längst: warum sollen wir alleine diesen militärischen Sicherheitsaufwand bezahlen, denn die anderen kaufen doch auch Öl aus dieser Region – also sollen sie mitbezahlen, was dort an militärischen Vorsorgeaufwendungen notwendig ist. Wir sind in dem prekären Weltkonflikt um Öl schon eingebunden. Der Golfkrieg hätte niemals stattgefunden, wenn in Kuwait Datteln angebaut statt Öl gefördert würde. Jeder weiß das doch. Es wird immer behauptet, es ginge nicht anders, weil es keine Alternative gäbe. Den berühmten Gegenwartssatz „Dazu gibt es keine Alternative“ hören wir immer dann, wenn eine besonders schwer verständliche Entscheidung fällt – um den Menschen einzureden: hört auf nachzudenken, es hat sowieso keinen Zweck. Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Wenn aber diese Karawane weiterzieht, dann können wir uns alle ausrechnen, dass wir in ein internationales Konfliktszenarium hineinkommen, das niemand wollen kann.

Aber selbst wenn es noch viele neuen Verfügbarkeiten gäbe, die solche Konflikte unnötig machen könnten, es würde uns gar nichts helfen: Die Ökosphäre des Erdballs hält es längst nicht mehr aus, auch nur alle jetzt bekannten atomar/fossilen Energievorräte energetisch zu verwerten. Daraus ergibt sich mit glasharter Konsequenz: Wir müssen vor der Erschöpfung der jetzt bekannten Energiequellen eine Alternative herbeigeführt haben. Und das heißt: in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Und die Alternative ist nicht nur eine, wo es um ein bisschen erneuerbare Energie in Ergänzung zum herkömmlichen Energiesystem geht. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die vollständige Ablösung atomar/fossiler Energienutzung im weltweiten Maßstab. D.h. es geht um die Mobilisierung einer Alternative, die ohnehin schon da ist, die wir aber nur nicht bewusst nutzen, und die die beiden zentralen Mängel des heutigen Energiesystems nicht hat: Die Sonne und alle weiteren erneuerbaren Energien, die aktuell direkt oder indirekt von der Sonne kommen. Diese solaren Energiepotentiale liefern unserem Erdball 20.000 mal mehr Energie im Jahr als atomar/fossile Energie in demselben Zeitraum verbraucht wird. Sie liefert dieses unendlich, solange das Sonnenenergiesystem existiert. Nach Aussage der Astrophysiker – nicht der Astrologen – wird es noch etwa sieben Mrd. Jahre existieren. Mich hat mal einer gefragt, als ich diese Zahl nannte, ob ich 7 Mrd. oder 7 Mio. Jahre gesagt hätte. Als ich sagte, es sind 7 Mrd., meinte er: „Dann bin ich aber beruhigt“.

Es ist nicht möglich, wenn wir dieses Energiepotential nutzen, dass wir damit die Ökosphäre des Erdballs beschädigen. Würde diese Gefahr bestehen, wäre die Vegetation des Erdballs schon verbrannt worden, bevor überhaupt der erste Mensch in der Evolutionsgeschichte dem Wasser entstiegen ist. Denn dieses Energiepotential liegt nicht unter der Erde, wo es im Kaltzustand und ungefährlich lagert wie die fossilen Energien und gefährlich gemacht wird, wenn wir es rausholen und verbrennen. Dieses Energiepotential durchströmt die Atmosphäre des Erdballs, ob wir es nutzen oder nicht. Niemand muss es fördern. Und wir müssen es dort, wo es für uns unmittelbar an der Erdoberfläche erreichbar ist, mit technischer Hilfe nutzen, um daraus die Nutzenergie für die moderne Zivilisation zu machen.

Das wird dann der Unterschied sein zwischen dem ersten solaren Zeitalter, das 99% der Zivilisationsgeschichte ausgemacht hat und bis ins 18. Jh. dauerte, das aber nicht technisch gestützt war, und dem neuen technisch gestützten Solarzeitalter, das dann das fossile Zeitalter, das gleichbedeutend ist mit dem Zeitalter der industriellen Revolution, wieder ablösen wird. Das wäre eine neue Niveaustufe der gesamten Zivilisationsentwicklung. Eine Niveaustufe, die nichts damit zu tun hat, dass verzichtet werden müsste, sondern die es im Gegenteil möglich macht, die tatsächlichen positiven humanen Errungenschaften, einschließlich der vielfachen Erleichterung menschlicher Arbeit, in alle Zukunft zu transportieren und uns gleichzeitig von den immer größeren Schatten der fossilen Weltwirtschaft befreit. Vor allem: die solare Perspektive ist für alle Menschen generalisierbar. Unser heutiges System ist das nicht. Würden alle Menschen den konventionellen Energieverbrauch der OECD-Staaten haben, wäre der Kollaps längst eingetreten. Was nicht verallgemeinbar ist, erfüllt nicht die Anforderung an ein humanes Sittengesetz. Die Quintessenz eines humanen Sittengesetzes ist immer noch der kategorische Imperativ von Immanuel Kant, mit seinem berühmten Satz, dass man stets so handeln solle, dass die Maxime des eigenen Willens, also das, was man selbst beabsichtigt und tut, auch stets Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung werden könnte. Die fossile Maxime kann nicht, aus physikalisch beweisbaren Gründen, Grundlage einer allgemeinen Verhaltensweise sein. Also müssen wir sie fallen lassen.

Die solare Perspektive wäre keine verzichtsethische. Ich glaube nicht, dass in einer Gesellschaft, in der täglich Tausende von Werbesignalen jedem einzelnen begegnen, die alle darauf aus sind, neue Konsumanreize zu schaffen, sich eine Ethik des Verzichts mehrheitlich durchsetzen könnte. Aber geht es auch nicht um die Verzichtsethik, obwohl ich jeden achte, der den Konsumfetischismus von heute nicht mitmacht. Aber es geht darum, dass wir eine völlig neue Ressourcengrundlage schaffen müssen, die dauerhaft und die emissionsneutral oder emissionsfrei ist. Ökonomie ist nämlich immer zunächst einmal Ressourcennutzung. Daraus ergeben sich die soziologischen Aspekte, die ich angedeutet habe. Um zu diesen vorzustoßen, muss ich allerdings einen dritten Unterschied nennen zwischen herkömmlicher Energiebereitstellung atomar/fossiler Art und einer, die auf erneuerbaren Energien beruht. Dieser Unterschied erklärt, warum so viele dagegen sind, obwohl angeblich alle dafür sind. Er erklärt, warum in dieser Gesellschaft bisher allzu wenig an der Änderung unserer Ressourcenbasis gearbeitet und gedacht worden ist.

Dieser Unterschied ist ein struktureller: Energieverbrauch ist immer dezentral. Er findet dort statt, wo Menschen arbeiten und leben. Die Energiegewinnung aus fossilen Energien einschließlich der Atomenergie (auch Atomenergie hat ja einen fossilen Ursprung, nämlich das fossile Uranerz) ist zwangsläufig zentral, weil wir dieses Potential nur an relativ wenigen Plätzen der Welt finden. Was sich aber als Energiesystem überall durchgesetzt hat, hat die heutige Wirtschaftsweltkultur hervorgebracht. Denn was überall gebraucht wird und dennoch nur von wenigen Plätzen kommt, kreiert den unbedingten Zwang einer sich immer mehr globalisierenden Energiebereitstellung mit immer größeren Mengen. Je länger die Wege sind, je umständlicher der Weg ist, desto teurer würde das alles, wenn nicht die Mengen immer größer geworden wären, die den gesamten Aufwand technischer und organisatorischer Art relativieren. Der Volkswirt nennt das, die anteiligen Anlagekosten möglichst klein halten im Verhältnis zum Umsatz, um zu Kostendegressionen kommen zu können. Und dies geschah im fossilen Energiesystem. Längst beziehen wir Kohle für Europa aus Australien, Erdöl aus dem arabischen Raum oder aus dem Kaukasus. Wir holen das Uran aus den Uranminen in Kanada, Südafrika und Australien. Und das Erdgas aus der Tiefe Russlands. Die Folge davon war die Heranbildung von Energieketten mit 10, 15 und bis 20 Kettengliedern. Jedes Kettenglied ist eine Inkassostation. Jedes einzelne ist abhängig von der Existenz des anderen. Dabei wird systematisch verschwiegen, dass dieses System nie entstehen konnte ohne kräftige politische Nachhilfe, dass es gar nicht existieren könnte ohne weltweite Subventionen unglaublichen Ausmaßes, die eine Finanzierung eines Weltkrieges gegen die Umwelt darstellen. Die Weltbank errechnet 300 Mrd. Dollar jährliche Subvention in dieses Energiesystem. Es ist völlig egal, an welcher Stelle diese Subvention einfließt in das System, es wirkt sich immer kostensenkend auf die Endpreise aus. Nicht gezählt sind die Umweltschäden, die längst ökonomische Schäden geworden sind. Nicht gezählt in dieser Kette sind die Massenrabatte, die dadurch gegeben sind, dass 300 Mrd. Dollar Steuerbefreiung vorliegt durch die Steuerbefreiung von Schiffs- und Flugzeugtreibstoffen, die gleichbedeutend sind mit einer Privilegierung des Interkontinentalverkehrs und einer Diskriminierung des Landverkehrs.

Man kann sagen, wir hätten heute viel mehr regional-wirtschaftliche Stabilität, wenn es nicht ein mit jährlich 600 Mrd. Dollar öffentlich bezuschusstes Energiebereitstellungssystem gäbe. Und wir hätten eine geschütztere Umwelt.

Es leuchtet völlig ein, wenn man sich das vor Augen führt, dass wir nicht länger mit kleinen Karos rechnen können, wenn es um solche Dinge geht. Die Reduzierung der Energieökonomie auf den isolierten aktuellen Kostenvergleich verschiedener Energien ist das kleinste denkbare Karo, das man mit bloßem Auge erkennen kann – ohne zu berücksichtigen, was vorher ist und was danach kommt, also die Vor- und vor allem die Folgekosten. Dieses ist Pepitaökonomie. Es hat mit wirklichem ökonomischem Denken nichts zu tun.

Erneuerbare Energien werden als natürliche Umgebungsenergie überall angeboten. Wir finden sie nicht nur an wenigen Plätzen der Welt. Das heißt, es wird damit möglich, den weltweiten Prozess der Entkopplung der Räume des Energieverbrauchs von denen der Energiegewinnung, mit all den damit verbundenen Konsequenzen vielfältigster Art, umzukehren in einen Prozess der regionalen Ressourcenbereitstellung für regionalen Bedarf. Und diese führt zu völlig neuen Dimensionen. Dimensionen, die eigentlich nur einem schaden: der heutigen Energiebereitstellungswirtschaft. Dimensionen, die bedeuten, dass es dann nicht mehr geht, einfach in den selben Strukturen wie heute Energie bereit zu stellen. Es wird dann darum gehen, dass die Energielieferungen von heute in immer stärkerem Maße durch Energieeigenerzeugung abgelöst werden. Das energieautonome Haus, das es ja schon gibt, wie Sie wissen, ist nur mit Solarenergie möglich. Dieses energieautonome Haus braucht keine Energiewirtschaft mehr. Es braucht den Planer, den Architekten, den Nutzer, es braucht die Techniker, die Industrie, die die dafür notwendigen Techniken entwickelt und produziert.

Aber es braucht nicht mehr den laufenden Energielieferanten. Und das ist einer der großen strukturellen Unterschiede, die den Widerstand verdeutlichen, dem man hier begegnet. Indem wir aus einem dezentralen Angebot für dezentralen Bedarf eine neue Struktur aufbauen, müssen wir uns ausmalen, wie diese Struktur aussieht und welche Schlüsselaufgabe hierbei die Architektur und der Städtebau hat. Denn es wird bedeuten, dass der Weg von der Fremdversorgung zur mittelständischen oder zur Selbstversorgung eingeschlagen wird. Dass die künftige Energiewirtschaft mehr im Bereich der Technik zu suchen ist statt im Bereich der Energielieferung; dass die Primärenergiewirtschaft tendenziell verschwindet; dass das Land- und Stadtbild sich gravierend verändern wird, denn dieser Wandel wird irgendwann auch bedeuten, dass die Hochspannungsleitungen aus der Landschaft verschwinden, denn die Hochspannungsleitungen sind Resultat der Existenz von Großkraftwerken. Es wird eine Entdrahtung der Landschaft geben, aber dafür eben viele emissionsfrei arbeitende Energieerzeugungsanlagen.

Aber das ist noch nicht der Punkt, der unmittelbar in Ihr Metier als Architekten führt. Architekten haben immer, und das ist wichtig, sonst hätten wir eine andere Kulturgeschichte gehabt, einen kulturellen Anspruch gehabt. Dazu gehört, sich in die Zeit, in der sie gearbeitet haben, hineinzudenken und ihr baulichen Ausdruck zu geben. Nun sind natürlich die jeweiligen Ausdrucksformen unterschiedlich. Aber es gibt aus meiner Sicht fünf kulturelle Gestaltungsmerkmale unserer Zeitepoche. Jedes Gestaltungsmerkmal würde falsch verstanden, wenn es nur für sich gesehen würde. Es wird dann richtig verstanden und kommt dann auf ein zivilisatorisches Niveau, wenn sie sich wechselseitig bedingen.

Das eine Gestaltungsmerkmal ist das Bedürfnis nach individueller Freiheit. Dass dieses zur Menschennatur gehört, haben uns die Menschen gezeigt, die sich vor 10 Jahren unblutig aus unfreien Verhältnissen lösen konnten. Das Bedürfnis nach individueller Freiheit ist elementar. Es gibt aber auch ein elementares Bedürfnis nach gesellschaftlichem Bezug – einer Freiheitsbeschränkung, die sich bestimmt aus der Rücksicht auf andere.

Und diese ist nicht nur eine Frage nach innerer Sicherheit oder der sozialen Bezüge in einer Gesellschaft; sie ist immer mehr auf Grund der ökologischen Weltkrise eine Umweltfrage geworden. Gesellschaftsrücksicht ohne Umweltverantwortung ist keine mehr.

Wer die nächste Generation vergisst und deren natürliche Lebensgrundlagen, wer das, was wir heute als Umweltkosten vermeiden könnten meint jetzt nicht vermeiden zu müssen, weil es zu teuer sei, und deshalb der nächsten Generation aufbürdet, die wahrscheinlich niedrigere Durchschnittseinkommen haben wird als wir es in den letzten 30 Jahren gewohnt waren, der kann in 20-30 Jahren dieser Generation nicht mehr ins Gesicht schauen. Er wird dann extrem unbequeme Fragen gestellt bekommen.

Das dritte Gestaltungsmerkmal ist das kultureller Integration. Das vierte ist das der Demokratie – als Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft lernfähig bleibt, also immer Fehlentwicklungen rechtzeitig artikuliert werden können und hoffentlich frühzeitig genug korrigiert werden können. Und Demokratie setzt Transparenz voraus, damit man weiß, worüber man redet und entscheidet. Und dann ist es schließlich die Ökonomie, weil natürlich die materielle Existenzsicherung zu allem gehört. Aber wer immer diese Ökonomie reduziert auf das, was ich vorher Pepita-Ökonomie nannte, der handelt kurzsichtig und wird eine langfristige Existenzsicherung nicht gewährleisten.

Jetzt übertrage ich dies alles auf die Frage der Energieversorgung und des Bauens und komme zum Ergebnis, dass alle diese fünf Merkmale vom konventionellen energetischen Bauen nicht erfüllt und alle von solarem Bauen erfüllt werden können.

Individualität: Nicht nur ganze Gesellschaften und Regionen, sondern auch der Einzelne wird mit dem Wechsel von fossiler Energiebereitstellung aus fremden Quellen und aus langen Ketten zu erneuerbarer Energienutzung mit den damit verbundenen Autonomien ein zusätzliches Maß an individueller Freiheit erhalten. Die solare Technologie wird nicht nur Häuser möglich machen, die sich zur Selbstverständlichkeit auswachsen müssen, in denen die Energie selbst besorgt werden kann. Sie wird auch dazu führen, dass immer mehr Geräte, die heute genutzt werden und für die Strom gebraucht wird, ohne Kabel und Netz auskommen und trotzdem Strom verbrauchen, weil sie ihn selbst produzieren. Das ist erst in ersten Anfängen zu sehen, aber es wird dahin kommen. Unzweifelbar wird es das Maß an individueller Freiheit erhöhen.

Zweitens: Solares Bauen überwindet gleichzeitig den scheinbar unüberbrückbaren oder nur schlecht überbrückbaren Widerspruch zwischen sozialem Verhalten und individueller Freiheit. Die gesamte Philosophiegeschichte seit dem griechischen Altertum ist geprägt von der Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gesellschaft. Zwischen „animal individualis“ und „animal socialis“, wie es dann später die Römer nannten.

Oder wie es die Griechen nannten: zwischen homo politicus und homo idiotos. Der homo politicus ist keineswegs nur der Politiker, sondern der Mensch, der in gesellschaftlichen Bezügen und Verantwortlichkeiten denkt und handelt. Der idiotos ist der Privatmensch, der sich um nichts kümmert außer um sich selbst in individueller Ignoranz in Bezug auf die soziale Entwicklung.

Wer solare Energie nutzt, bekommt nicht nur individuelle Freiheit, sondern handelt trotzdem gleichzeitig verantwortlich in Bezug auf andere. Der positive Gesellschaftsbezug ist automatisch eingebaut, was sich aus der Emissionsfreiheit ergibt und aus den Strukturen, wie ich sie beschrieben habe. Es wird die kulturelle Synthese in einer völlig ungeahnten Weise möglich.

Damit komme ich zur kulturellen Integration. Energie war immer ein knappes Gut, bevor die scheinbar so leicht verfügbaren und billigen Energiequellen bequem ins Haus geliefert wurden. Seit dieser Zeit wurde die Architektur von ihrer jeweiligen klimatischen Umgebung systematisch entfremdet. Es gab zuvor gar keine andere Wahl in der gesamten Architekturgeschichte des Bauens als an der bioklimatischen Umgebung, d.h. auch an der jeweiligen Geografie orientiert zu bauen: In bezug auf den Einsatz der Materialien, die Gestaltung des Gebäudes, die Nutzung natürlicher klimatischer Bedingungen, ob im Norden mehr für angepasste Methoden der Gebäudeisolierung oder im Süden mehr für solche der Kühlung. Es gab wahrscheinlich keine andere Antriebskraft gleicher Bedeutung für die Vielfalt in der Weltarchitektur. Für den Architekten bestand die Notwendigkeit, jedes Gebäude für sich energetisch zu optimieren, und das sogar ohne technische Hilfe. Deshalb wurde es zunächst wie eine Befreiung empfunden, als die Stromleitungen kamen und damit die billige und problemlose Energielieferung ins Haus. Was scheinbar den Gestaltungsspielraum des Architekten erhöht hat, hat in Wahrheit dazu beigetragen, dass eine Uniformierung der Gestaltungsprinzipien in weltweitem Maßstab stattgefunden hat.

Nicht zufällig werden heute mehr Abrissbirnen gegenüber Häusern eingesetzt, die 20, 30 oder 40 Jahre alt sind und viel seltener gegenüber älteren Gebäuden. Das hat alles einen energetischen Zusammenhang. Solares Bauen bedeutet nämlich, dass wir gezwungen sind, je nach dem mit welcher Umgebung man es zu tun hat, diese darauf ausgerichtet zu bauen und zu gestalten. Solares Bauen wird deshalb zur Revitalisierung der architektischen Vielfalt der Welt führen. Es ist keine Einschränkung des architektischen Wirkens, in Wirklichkeit ist es richtig verstanden genau das Gegenteil. Das zeigen die vielen Projekte, auch die Architekturausstellung über solares Bauen, die 1996 vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zusammengestellt worden ist unter Anregung und Leitung von Thomas Herzog. Das zeigt die europäische Charta Solarenergie in Architektur und Stadtplanung, die unter Federführung von Thomas Herzog 1996 vorgelegt worden ist und die das Denken der Charta von Athen von Le Corbusier ablösen soll. Dessen Charta war eine reaktive Antwort auf die Umweltprobleme, weil Wohnen neben Fabriken unerträglich geworden war, so dass die städtischen Funktionsbereiche getrennt wurden. So entstand die funktional vielgeteilte Stadt mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen. Und in der Tat: solange eine Stadt mit so viel Emissionen belastet ist, bleibt gar nichts anderes übrig als die Le Corbusier’sche Funktionentrennung. Mit der erneuerbaren emissionsfreien Energie, mit der Solar City, haben wir die Chance der Reintegration, weil wir nicht mehr den Emissionen weichen müssen, indem wir sie vermeiden.

Und dann die Demokratie: Wenig symbolisiert so sehr das Transparenzgebet der Demokratie als transparentes Bauen. Solares Bauen bedeutet überwiegend transparentes Bauen. Bauten, die in einer Demokratie entstehen, sollten dieser auch entsprechen. Wenn wir den Fadenschlag machen hin zur solaren Architektur, dann sehen wir hier die Möglichkeit zur konsequenten Realisierung dieses Prinzips.

Und dann die Ökonomie: Wer die Techniken solaren Bauens danach kalkuliert, was diese im Verhältnis zu herkömmlichen Energietechniken kosten, der rechnet unökonomisch. Denn er müsste rechnen, welche laufenden Kosten werden verdrängt und können verdrängt werden, wenn Solarenergie eingesetzt wird. Deswegen muss man in 20-Jahres- oder 30-Jahres-Kategorien rechnen – also in den Zeiträumen, in denen man auch Kredite für das Haus abschreibt. Es gibt kein langlebigeres Produkt als ein Gebäude. Warum soll ausgerechnet da kurzfristig gerechnet werden? Weil die laufenden Energiekosten verschwinden, hat solares Bauen eine völlig andere Dimension. Nirgendwo gibt es mehr unmittelbaren Anlass, in längerfristigen Entwicklungen und in Nutzungskategorien zu kalkulieren, als es im Bereich des Bauens der Fall ist. Und je länger und je umfassender gerechnet wird, desto mehr wird zum Vorschein kommen, dass solares Bauen nicht mehr kostet, sondern sogar eine wirtschaftliche Entlastung bringt. Wer heute nicht solar baut, belastet die Nutzer in späteren Jahren mit einer steigenden Energiehypothek.

Wenn wir das alles zusammen nehmen, dann ist die Quintessenz der Architektur, dass sie eine des solaren Bauens werden muss. Und ich hoffe, mit meinem Vortrag Ihnen Anstöße dazu gegeben zu haben. Es ist nämlich ohnehin klar: es wird dahin kommen, schon weil es gar nicht anders geht. Es war schon immer klar, dass der Tag kommen wird, an dem wieder nur solare Energien von den Menschen benutzt werden. Die einzig offene, allerdings zugleich höchst dramatische Frage ist: Wann geschieht das? Verschleppen wir diese Perspektive, dann wird es zu einem Zeitpunkt geschehen, in dem es den Gesellschaften dieser Welt deutlich schlechter geht als jetzt. Beschleunigen wir sie, werden die künftigen Gesellschaften in besseren Bedingungen leben als die heutigen. Das kann man sicher voraussagen.

Stanislav Lec, von dem ich eingangs einen Aphorismus zitiert habe, sagte in einem anderen: „Die meisten Menschen fangen viel zu früh an, die wichtigsten Dinge im Leben zu spät zu beginnen“. In dieser Frage dürfen wir uns das nicht leisten.