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Eröffnungsrede von Hermann Scheer, MdB, Präsident von EUROSOLAR und Vorsitzender des Internationalen Parlamentarierforums Erneuerbare Energien 2004, Bonn, 02. Juni 2004

Sehr geehrter Herr Vizepräsident Lammert, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen aus über 70 Ländern, die zu diesem Forum gekommen sind. Es ist nach meiner Erinnerung erst das zweite Beispiel einer solchen Parlamentarier-Konferenz. Es gibt Parlamentarier-Konferenzen im Rahmen internationaler Organisationen wie der Interparlamentarischen Union. Aber eine internationale Parlamentarier-Versammlung außerhalb eines solchen Rahmens und bezogen auf die Umweltfrage hat es erst ein einziges Mal gegeben. Im Jahr 1990 hatte der amerikanische Senat zu einem Interparliamentary Forum on the Global Environment nach Washington eingeladen.

Damals hatte eine Gruppe von amerikanischen Senatoren die Vorbereitungen übernommen. Der Leiter der Vorbereitungsgruppe und dann auch des Forums war seinerzeit der amerikanische Senator Al Gore. Die Konferenz in Washington endete mit einem sehr ambitioniertem und aufrüttelndem Konzept zur Vermeidung einer weltweiten Klimakatastrophe. Ich habe damals daran teilgenommen und konnte auch an der Abschlusserklärung mitarbeiten.

Wenn man sich noch einmal vor Augen hält, was damals in der Konferenzresolution stand, so klingt das aus heutiger Sicht geradezu sensationell. Wohlgemerkt: Es war ein Entwurf von amerikanischen Senatoren, der dann von einer breiten Teilnehmerschaft mitgetragen worden war. Es stand dort die Forderung, bis zum Jahr 2010 die weltweiten CO2-Klimagase um 50% zu reduzieren! Es begann wenige Jahre später die Weltklimakonferenz. Das Kyoto-Protokoll, das nach einigen Jahren zustande kam, enthält demgegenüber extrem niedrige Verpflichtungswerte.

Die Erfahrung dieser Konferenz in Washington führt uns zu der Überlegung die wir bei unserem Resolutionstext berücksichtigt haben: Sollen wir uns auf ein formales Ziel konzentrieren? Ist es nicht sinnvoller, dass wir uns statt dessen auf solche Punkte konzentrieren, die wirklich auf eine Mobilisierung erneuerbarer Energien im nationalen und im internationalen Rahmen abzielen. Jede Bewegung, die wirklich stattfindet, ist wichtiger als ein bürokratisiertes Ziel. Wir denken mehr an dynamisierende Schritte, weil wir glauben, dass es um einen strukturellen Wandel geht, hin zu einer Energieversorgung von morgen, die nach vielen Übergangsschritten ausschließlich mit erneuerbaren Energien erfolgen wird.

Für den Wechsel zur erneuerbaren Energie sprechen nicht nur die Umweltprobleme. Eine Diskussion darüber ausschließlich unter Umweltgesichtspunkten ergibt das klare Bild, dass die Industrieländer pro Kopf ihrer Bevölkerung wesentlich mehr Energie verbrauchen als die Menschen in den so genannten Entwicklungsländern. Da gibt es Unterschiede um den Faktor 10 oder 15 und manchmal sogar mehr. So gesehen ist es in erster Linie eine Verantwortung der Industrieländer, die die meisten Emissionen hervorrufen, den Weg zu erneuerbaren Energien einzuschlagen.

Wir sollten aber auch den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und erneuerbaren Energien betrachten. Welchen Beitrag für eine sozialere und gerechtere Weltwirtschaftsentwicklung können erneuerbare Energien leisten – für die Länder auf der südlichen Halbkugel oder für die Länder in den so genannten Transitionsländern im Bereich der ehemaligen Sowjetunion? Wir wollen und können zeigen, dass erneuerbare Energien die wirtschaftlichen Verhältnisse verbessern, gleichzeitig die Umweltfragen lösen helfen und auch soziale und kulturelle Fragen besser lösen können als das mit atomaren und fossilen Energien möglich ist.

Wir brauchen einen zusammenhängenden Blick über diese Dinge. Dieses ist schon deshalb notwendig, weil es verkürzt ist, die Energiefrage ausschließlich unter dem Gesichtspunkt aktueller Kostenvergleiche zu diskutieren.

Energie ist Grundlage für alles. Ohne Energie geht nichts, gäbe es kein Leben auf unserem Erdball. Und deswegen ist die Frage der jeweiligen Energieversorgung entscheidend für alle gesellschaftlichen Entwicklungen. Und deswegen ist auch die Frage, welche Energiequellen dabei benutzt werden, entscheidend für die wirtschaftliche, kulturelle, soziale und ökologische Entwicklung. Einen Blick für diese Zusammenhänge zu haben, steht gerade einer parlamentarischen Diskussion über erneuerbare Energien gut an.

Der Deutsche Bundestag lädt zu diesem Parlamentarier-Forum mit einem Selbstbewusstsein
ein, der auf unseren Gesetzgebungserfolgen für erneuerbare Energien basiert. Diese Gesetzgebung hat bewirkt, dass heute in Deutschland, obwohl wir im Verhältnis zu vielen anderen kein von Wind begünstigtes Land sind, trotzdem fast 35% aller weltweit installierten Windkraftkapazitäten sind. Wir haben im letzten Jahr fast 25% der weltweiten Photovoltaik-Installationen in Deutschland gehabt, obwohl wir auch nicht im Sonnengürtel der Welt liegen. Seit dem 1. Januar ist ein neues Gesetz in Deutschland in Kraft, das wir im Bundestag mit breiter Mehrheit im vergangenen Herbst verabschieden konnten: Die vollständige Steuerbefreiung aller Biokraftstoffe von jeglicher Energiesteuer, um uns damit vom versiegenden Erdöl Zug um Zug unabhängig zu machen und gleichzeitig der Landwirtschaft eine neue Perspektive zu geben.

Diese Gesetze haben international Aufmerksamkeit erregt. Allesamt entstanden durch Initiativen aus dem Parlament. Wir haben damit ein Beispiel für die Wirksamkeit parlamentarischer Demokratie gegeben. Wir wollen die anderen Parlamente ermuntern, diesen Weg mitzugehen.

Es gibt einen zweiten Grund, warum die Parlamentarier besonders gefordert sind: Erneuerbare Energien führen überwiegend zu einer dezentralen Energieversorgung. Der Großteil der für die Stromversorgung genutzten erneuerbaren Energien kommt zwar bis heute aus großen Wasserkraftwerken.

Die »neuen« erneuerbaren Energien – eine Terminologie der Vereinten Nationen seit den 80er Jahren – meinen diejenigen erneuerbaren Energien, die über die traditionell große Wasserkraftnutzung hinausgehen: die Windkraft, die Photovoltaik, die solarthermische Energienutzung, die Nutzung der Wellenkraft, die Nutzung der Bioenergie in nachhaltiger Weise. Wenn wir von diesen erneuerbaren Energien sprechen, dann erkennen wir bei einer systematischen Betrachtung einen großen strukturellen Unterschied zur bisherigen Energieversorgung.

Energieverbrauch ist immer dezentral. Aber die Energiegewinnung aus konventionellen Energien – sei es Erdöl, sei es Erdgas, sei es Kohle oder sei es Atomkraft mit dem Ausgangsstoff Uran – ist zwangsläufig auf wenige Plätze der Welt konzentriert, wo man dieses Potential findet. Was aber nur an wenigen Plätzen der Welt gefördert werden kann, für den Verbrauch überall auf der Welt, braucht lange Wege der Energiebereitstellung.

Es kam im weltweiten Maßstab mehr und mehr – und wir sind noch mitten in diesem Prozess – zu einer Entkoppelung der Räume des Energieverbrauches von den Räumen der Energiegewinnung. Das schafft Abhängigkeiten und Unsicherheiten. Es schafft, wenn es mit der Energie knapp wird, politische und wirtschaftliche Instabilitäten und es führt zu vielfachen Energieverlusten.

Erneuerbare Energien dagegen, die »neuen« erneuerbaren Energien, sind ein natürliches Angebot aus der jeweiligen geographischen Umgebung. Es kann niemals überall das gleiche Profil der Nutzung erneuerbarer Energien geben, weil die geographischen Verhältnisse unterschiedlich sind. Es gibt Länder, die haben mehr Wind, andere haben mehr Sonnenstrahlung, wieder andere haben natürliche Wasserkräfte, andere haben günstige Anbaubedingungen für die Nutzung der Bioenergie, andere haben günstige Möglichkeit der Nutzung der Wellenenergie und manche – und das sind dann diejenigen, die besonders gute Perspektiven haben – haben alles zusammen.

Aber es gibt überall die Möglichkeit, aus dem jeweiligen natürlichen Angebot erneuerbare Energie zu gewinnen. Das bedeutet dezentrales Ernten dieser Energie und führt zu einer neuen Struktur der Energieversorgung. Das ist ja auch der Grund, warum heute schon in den Ländern, in denen 2 Milliarden Menschen ohne Stromanschluss leben, die Strombereitstellung aus Photovoltaik oder aus Windkraft kostengünstiger ist, weil man dann eine Stromversorgung ohne lange Netze haben kann, also eine kostspielige Infrastruktur nicht mehr braucht.

Die Mobilisierung erneuerbarer Energien erfolgt »vor Ort« – das heißt in den Wahlkreisen der Parlamentarier. Hier entsteht die neue Energiekultur. Erneuerbare Energien sind deshalb vor allem eine vorrangige Gestaltungsaufgabe für Parlamentarier und Politiker auf kommunaler und regionaler Ebene. Sie müssen die treibenden Kräfte sein, um den Wechsel zu erneuerbaren Energien schneller zu realisieren als bisher. Die Welt befindet sich mit dieser Aufgabe in einem Wettlauf mit der Zeit.