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irena_bonn_1.jpgInterview von Franz Alt mit Dr. Hermann Scheer über den langen Weg zu IRENA, Juli 2009


Was war Ihre Motivation, die Gründung einer internationalen Agentur für erneuerbare Energien voranzutreiben?

Es war der heute kaum noch nachvollziehbare Widerspruch zwischen dem gigantischen Potenzial der erneuerbaren Energien auf der einen und ihre komplette Unterschätzung auf der globalen, regionalen und nationalen Ebene auf der anderen Seite. Erneuerbare Energien wurden unterschätzt – und dies trotz ihrer grundlegenden Vorteile: ihrer Unerschöpflichkeit und ihrer Emissionsfreiheit. Diese Unterschätzung fand in der Wissenschaft, in der Wirtschaft und deshalb auch in der Politik. Dieser Widerspruch was unübersehbar. Angesichts der Umweltgefahren durch atomare und fossile Energieversorgung und der zunehmenden Abhängigkeit von immer mehr Ländern von begrenzten Reserven von Öl, Gas, Kohle und Uran habe ich diesen Widerspruch als lebensgefährlich erkannt – sowohl in ökologischer als auch in ökonomischer Hinsicht.

Aber warum kamen Sie zum Vorschlag einer internationalen Regierungsorganisation um diesen Widerspruch zu überwinden?

Weil diese Frage alle Menschen in allen Ländern betrifft, und weil sich der gezeigte Widerspruch auch im System der internationalen Institutionen widerspiegelte. Es geht um das post-fossile und post-nukleare Zeitalter. Die Antwort in den 50er Jahren für das schon damals diskutierte nachvollziehbare Zeitalter war die „friedliche Nutzung der Atomenergie“. Das war der Konsens der 50er und 60er Jahre. An erneuerbare Energie wurde nicht gedacht mit der Ausnahme großer Wasserkraftwerke. Die anderen erneuerbaren Energien galten als rückständig. Die internationale Atomenergie-Agentur wurde schnell gegründet. Doch dann zeigte sich seit den 80er Jahren mehr und mehr, dass die in die Atomenergie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllbar sind. Die damit verbundenen Risiken wurden unterschätzt; auch die wirtschaftlichen. Spätestens seitdem war klar, dass es um die nicht-fossile Alternative zur Atomenergie gehen muss: die erneuerbaren Energien. Doch dieser Erkenntnis standen viele mentale Hindernisse entgegen, auch im internationalen Institutionensystem. Ich bin überzeugt: Wären seit der Ölkrise der 70er Jahre die Erneuerbaren Energien national und international politisch so gefördert worden wie seit den 50er Jahren die Atomenergie, dann hätten wir viele globale Probleme von heute nicht – weder das Klimaproblem noch das Problem der Ressourcenverknappung und das der Energiepreissteigerungen. Deshalb lag der Gedanke für mich nahe, dass die globale Vernachlässigung der erneuerbaren Energien – die großenteils sogar vollständig ignoriert wurden – nur durch eine Internationale Agentur für diese rechtzeitig und überall überwunden werden kann.

Welche Hindernisse zeigten sich, als Sie in Januar 1990 erstmals die Idee und das Konzept einer Internationalen Agentur lancierten?

Der erste Anlauf 1990 war zunächst vielversprechend. Meine erste Idee war, die Agentur im Rahmen des UN-Systems zu installieren, als eine neue UN-Organisation. Sie wurde im UN-Hauptquartier schnell aufgegriffen. Der damalige Energiebeauftragte des UN-Generalsekretärs Pérez de Cuéllar war Ahmedou Ould Abdallah, der mich auch einlud, das Konzept im UN-Hauptquartier vorzustellen. Auch der UN-Generalsekretär ließ sich spontan davon überzeugen. So kam es zur Einsetzung der United Nations Solar Energy Group on Environment and Development (UNSEGED), die unter dem Vorsitz von Thomas Johansson aus Schweden für die Rio Konferenz Vorschläge zur internationalen Förderung erneuerbarer Energien ausarbeitete. Der zentrale Punkt war dabei die Agentur für erneuerbare Energien. Obwohl der UN-Generalsekretär diesen Vorschlag an das Preparatory Committee der Rio-Konferenz weiterleitete, ist er dort begraben worden.

Warum und von wem?

Obwohl in Rio die Klimarahmenkonvention verabschiedet wurde, wurde kein Zusammenhang zu den Energiequellen hergestellt. Für die meisten waren erneuerbare Energien keine Option. Japan lehnte die Agentur ab, weil es der Auffassung war, dass erneuerbare Energien etwas für seine Exportindustrie sei, weshalb eine weltweite Proliferation von Produktionskapazitäten gegen sein Interesse sei. Die UN Sonderorganisationen reagierten eifersüchtig und sagten, sie würde die vorgesehene Arbeit der IRENA machen – was sie aber nie ernsthaft in Angriff genommen haben. Und viele Länder waren gegen eine neue UN-Organisation, weil sie nicht zufrieden sind mit der Arbeit der bereits existierenden. Ich habe dem entgegnet, dass gerade dies ein Grund für eine neue sei.
Und hinzu kam natürlich, dass der Einfluss der IAEA und der IEA nicht zu übersehen war, die keine Konkurrenz durch eine Organisation für erneuerbare Energien haben wollten. Beide Organisationen repräsentieren die faktische und die „geistige Hegemonie“ atomarer und fossiler Energie. Sie erklären bis heute Atomenergie und fossile Energie als unersetzbar und reden das Potenzial von Erneuerbaren klein. Mit anderen Worten: sie streiten ab, dass eine Energieversorgung der Menschheit allein mit erneuerbaren Energien möglich ist – und wenn sie das zugeben, dann nur für spätere Zeithorizonte. Sie denken und handeln in einem alten Paradigma der Energieversorgung und verstehen das neue Paradigma der erneuerbaren Energien nicht – oder wollen es nicht verstehen.

Was meinen Sie damit?

Es gibt kein System der Energiebereitstellung mit seinen Infrastrukturen, Kraftwerken und Raffinerien, das neutral sein könnte gegenüber allen unterschiedlichen Energiequellen. Die jeweilige Energiequelle determiniert die technischen, organisatorischen, die wirtschaftlichen und politischen Anforderungen, um sie verfügbar zu machen für die Energiekonsumenten. Wir haben faktisch nur die Entscheidung, welche Energiequellen wir auswählen. Danach bestimmt die Quelle von ihrer Förderung bis zum Konsumenten, was getan werden muss, um sie verfügbar zu machen – entlang des gesamten Energieflusses. Das haben bis heute viele Energieexperten nicht verstanden. Jede Energiequelle hat ihre eigenen Verfügbarkeitsgesetze mit den dazu gehörigen Umwandlungstechniken und Infrastrukturen. Es ist physikalisch-technisch unmöglich, das auf fossile und atomare Energien zugeschnittene kommerzielle System der Energieverfügbarkeit zu konservieren und nur die Energiequellen auszuwechseln. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien ist ein Wechsel von Importenergien zu einheimischen Energien, von kommerziellen zu nicht-kommerziellen Treibstoffen, zur Vermeidung von Öl-, Gas-, Kohle- und Urantransporten, von Großkraftwerken zu vielen mittleren und kleinen Kraftwerken, zu neuen Umwandlungstechnologien – und eben nicht nur eine Vermeidung von Emissionen und nuklear Abfall. Alle Kosten für erneuerbare Energien – außer bei Biotreibstoffen – sind Kosten für die Technik. Es ist ein Wechsel vom Ressourcengeschäft zum Technikgeschäft, von Energieabhängigkeit zu Energieautonomie. Ich nenne dies die Techno-Logik der Energiequellen. Deswegen brauchen wir einen globalen Technologiemarkt für lokale und regionale erneuerbare Energiequellen. Das haben viele nicht verstanden, auch manche Befürworter der erneuerbaren Energien. Daher kommen die vielen mentalen Barrieren.

Ist das der Grund, warum es lange nur wenig Unterstützung für IRENA gab?

Ja, ganz offensichtlich. Viele gängige Antworten auf die Forderung zur Errichtung von IRENA lauteten, die internationale Verbreitung von erneuerbaren Energien doch der IEA zu überlassen und darauf hinzuwirken, dass sie ihren Tätigkeitsschwerpunkt ändert. Doch das ist in der Praxis nie wirklich geschehen, weil die IEA innerhalb des konventionellen Energie-Paradigma denkt und handelt.

Aber auch andere Organisationen im Spektrum der Internationalen NGOs haben die IRENA lange nicht unterstützt oder sogar abgelehnt. Welche Gründe hatten diese?

Viele sind einem energiepolitischen Paradigma verhaftet, ohne dass es ihnen bewusst ist. Und es gab nicht nur Regierungen, sondern auch NGOs, die es – nach dem Scheitern des ersten Anlaufs vor der Rio Konferenz 1992 – für eine Illusion erklärten, dass es jemals genug Unterstützung für die Errichtung von IRENA geben könnte. Deshalb argumentierten WWF and Greenpeace auf der „Renewables 2004“ Konferenz gegen IRENA – und deshalb weigerte sich der deutsche Umweltminister Trittin, für die IRENA einzutreten. Er hielt die Idee für unrealistisch, weshalb er gar nicht erst versuchte, die Initiative dafür zu ergreifen – trotz Beschluss des Parlamentes und obwohl es bereits offizielles Regierungsvorhaben war. Sein Argument war: es würde sich keine andere Regierung finden, die mitmacht. Dem habe ich stets widersprochen: über Jahre hinweg hatte ich mit vielen Regierungen gesprochen und sie davon überzeugen können, dass IRENA nötig ist. Entscheidend war, ob endlich eine Regierung die Initiative für IRENA als internationaler Regierungsorganisation ergreift, die glaubwürdig ist. Die deutsche Regierung hatte diese Glaubwürdigkeit auf Grund ihrer seit 1998 realisierten und international beachteten erfolgreichen Gesetzgebung zur Förderung erneuerbarer Energie.

War die Skepsis gegenüber IRENA nicht verständlich angesichts des misslungenen Anlaufs vor der Rio-Konferenz 1992 und des Widerstandes der UN-Organisationen oder der Weltbank?

Die Erfahrung von 1992 war: IRENA kann nicht innerhalb des UN-Systems gegründet werden. Die UN ist vom Konsens-Prinzip geleitet. Dies bedeutet in der Praxis: viele Staaten haben ein Veto-Recht. Deshalb war seit 1992 klar: Die Gründung von IRENA muss außerhalb des UN-Systems versucht werden, durch eine “coalition of the willing”. Nirgendwo steht geschrieben, dass eine internationale Regierungsorganisation nur im UN-System etabliert werden darf. Die meisten internationalen Regierungsorganisationen arbeiten außerhalb des UN-Systems aber kooperieren mit ihm.
Seit 1992 habe ich stark dafür argumentiert, in diese Richtung zu gehen. Deshalb konzentriere ich mich seitdem darauf, eine Regierung dafür zu motivieren, die Initiative zu ergreifen. Dass ich dabei vor allem an die deutsche Regierung dachte, ist nahe liegend. Diese konnte ich als Mitglied des Deutschen Bundestages und als Vorstandsmitglied der SPD, eine der beiden großen Parteien in Deutschland – leichter und anhaltender dazu bewegen als andere. Als meine Partei – die SPD – 1998 Regierungspartei wurde, bereitete ich den nächsten Anlauf vor. Mehrere Beschlüsse für die IRENA-Initiative habe ich herbeigeführt – und parallel dazu die internationale Gemeinschaft der erneuerbaren Energien Protagonisten dafür mobilisiert. Die wichtigste Veranstaltung war hierbei die Internationale Impulskonferenz 2001 in Berlin, die von EUROSOLAR organisiert wurde und 500 Teilnehmer aus allen Weltgegenden hatte. Diese gab den Anstoß dafür, dass der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Rede auf der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Johannesburg in 2002 zur internationalen Regierungskonferenz für erneuerbare Energie – der „renewables 2004“ einlud. Der Plan war, dass auf dieser der Anstoß für IRENA kommen sollte.

Aber dazu ist es nicht gekommen. Die „renewables 2004“ behandelte das IRENA-Thema nicht.

Es gab darüber keinen Konsens in der Regierung selbst. Die Vorbereitung des „Renewables 2004“ lag vor allem in der Hand des Umweltministeriums und der seinerseits verantwortliche Umweltminister war dagegen. Deshalb findet sich kein Votum für IRENA in den Beschlüssen der „Renewables 2004“ zu der die deutsche Regierung eingeladen hatte. Das stärkste Votum dafür kam von dem parallel stattfindenden Internationalen Parlamentarierforum für erneuerbare Energien zu dem der Deutsche Bundestag eingeladen hatte und dem ich vorsaß.  

Heißt dies, dass IRENA schon 2004 hätte kommen können, wenn die Bundesregierung die Initiative bei der „renewables 2004“ ergriffen hätte?

Ja, IRENA hätte bereits 2004 gegründet werden können. Wie groß das Bedürfnis danach ist, zeigt die breite Resonanz dafür, seit die IRENA Initiative 2007 auf den Weg gebracht wurde. Aber vorher mussten die bereits 2002 und 2003 gefassten Beschlüsse für eine deutsche Initiative 2005 und 2006 erneut beschlossen werden. Eine große Hilfe für den Erfolg der Initiative war, dass seit 2008 die dänische und die spanische Regierung zu den Mitinitiatoren gehörten. Damit waren es drei Länder, die durch ihre eigene Politik glaubwürdige Protagonisten erneuerbarer Energien sind.

Was sollte die wichtigste Philosophie für die Arbeit von IREAN sein?

Erstens: Die Unterschätzung erneuerbarer Energien überwinden. Zweitens: Zeigen, dass überall alle Energiebedürfnisse durch erneuerbare Energien befriedigt werden können und dass dies keine ökonomische Last ist, sondern die große neue wirtschaftliche Chance. Drittens: deutlich zu machen und dafür die Hilfestellung zu geben, dass Erneuerbare eine neue technologische Revolution bedeuten, für deren Realisierung man nicht auf internationale Verträge warten muss.

Was ist Ihr persönlicher Erfolg aus zwei Jahrzehnten letztlich erfolgreichen Wirkens für IRENA?

Diese Erfahrung gebe ich gern an andere weiter: Man darf nie aufgeben, eine als wichtig erkanntes Ziel zu verfolgen, nur weil es im „business-as-usual“ für unrealistisch gehalten wird.

Wie bewerten Sie die Entscheidung für Abu Dhabi als Hauptquartier von IRENA statt für Bonn?

Als am 26. Januar 2009 die Gründungsversammlung stattfand, galt Bonn noch als Favorit. Aber die Vereinigten Arabischen Emirate machten eine erfolgreiche Kampagne für Abu Dhabi. Ihr Argument, dass endlich auch einmal eine internationale Regierungsorganisation nicht in Europa oder den USA angesiedelt werden sollte stieß auf Resonanz. Außerdem machten sie das großzügigste Angebot für den eigenen Mitgliedsbeitrag, so dass das IRENA-Budget sofort viel größer ist als es von dem vorbereitenden administrativen Kommittee vorgelegt worden war. Das ist gut für IRENA, weil die Aufgaben der Agentur bei einer Mitgliederzahl von jetzt bereits 136 Staaten groß sein werden – und die geweckten Erwartungen müssen befriedigt werden. Im übrigen ist klar: Nicht das Sitzland entscheidet, wie IRENA ihre Arbeit organisiert, sondern der Generaldirektor und die diesen kontrollierenden Mitgliedsregierungen.

Viele haben Sie als die treibende Kraft für IRENA auch als den dafür prädestinierten Generaldirektor gesehen. Warum sind sie dafür von Ihrer eigenen Regierung nicht nominiert worden?

Die deutsche Bundesregierung bewarb sich mit Bonn um den Sitz und wollte die Chancen dafür nicht schmälern, indem sie mich gleichzeitig für das Amt des Generaldirektors nominiert. Auch ich wollte keine Situation entstehen lassen, in der es heißt: „Bonn oder Scheer“. Weil ich nicht nominiert war konnte ich auch nicht zur Wahl stehen. Mir ging es vor allem um die Entstehung von IRENA, nicht um ein neues politisches Amt für mich.

Und was ist aus dem Vorschlag geworden, für den sich viele eingesetzt haben, für Sie die gesonderte Rolle als Gründungsvorsitzenden zu schaffen, der den Generaldirektor in der Aufbauphase der Agentur unterstützt?

Ich habe diejenigen, die diesen Antrag stellen wollten darum gebeten, dies nicht zu tun. IRENA muss nun auf eigenen Füßen stehen. Selbstverständlich werde ich Frau Pelosse in ihrer Arbeit unterstützende Ratschläge geben wenn sie danach fragt. Dafür brauche ich kein Amt.

Bedeutet IRENA nun den praktischen weltweiten Durchbruch für erneuerbare Energie?

Man sollte von IRENA nicht mehr erwarten als sie tatsächlich leisten kann und von ihren Kompetenzen her darf. IRENA kann nicht in die einzelnen Staaten hineinregieren. Sie hat eine dienende Funktion für alle Mitgliedsländer, die verstärkt auf erneuerbare Energien setzen wollen und müssen. Und sie hat eine stimulierende Funktion für erneuerbare Energien in der globalen Energiedebatte um nach wie vor vorhandene mentale Widerstände überwinden zu helfen. Die Durchsetzung erneuerbarer Energien in den Mitgliedsländern muss durch dort wachsende und treibende Kräfte erfolgen. Deren Rolle kann auch IRENA nicht ersetzen. Es wird Kräfte geben, die den Spielraum von IRENA beschränken wollen – und solche, die diesen ausweiten wollen. Mit anderen Worten: IRENA wird nicht in einem konfliktfreien Raum arbeiten, sondern in einem von konventionellen Energieinteressen überall verminten Feld. Um in diesem bestehen und sich entfalten zu können braucht IRENA die aktive Unterstützung aller Protagonisten für erneuerbare Energien.