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manager_magazin_logo.jpgHermann Scheer im Interview mit dem Manager Magazin, 13. Juli 2009

Solarvordenker Hermann Scheer lässt kein gutes Haar an dem Milliardenprojekt Desertec, auf das sich deutsche Konzerne verständigt haben: Der ganze Plan sei weltfremd, sagt er im Interview mit manager-magazin.de. Eon, RWE und Co. wollten damit nur ihre Monopole sichern - und den nötigen Strukturwandel stoppen.

mm.de: Herr Scheer, was halten Sie von der Desertec-Initiative, bei der deutsche Großkonzerne wie Eon Chart zeigen, RWE Chart zeigen, Siemens Chart zeigen, die Münchener Rück Chart zeigen oder die Deutsche Bank Chart zeigen Solarstrom in den Wüsten Afrikas produzieren und nach Europa leiten wollen?

Scheer: Die Unternehmen laufen einer Fata Morgana hinterher. Solch einen Plan können sich nur Theoretiker einfallen lassen, die von den praktischen Hindernissen eines solchen Projektes wenig Ahnung haben.

mm.de: Sie wenden sich generell gegen derartige Großprojekte?

Scheer: Nein, es läuft in Deutschland ja bereits ein sehr erfolgreiches Großprojekt, nämlich die Umstellung der Energiewirtschaft Deutschlands auf erneuerbare Energien. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat dafür die Grundlage geschaffen und der Fortschritt kann sich - trotz erheblicher Planungswiderstände gerade der etablierten Energiekonzerne - sehen lassen. In neun Jahren haben wir den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von 4 auf 19 Prozent erhöht!

mm.de: Das spricht nicht gegen Desertec.

Scheer: Doch, weil der Plan so umfangreich und kostenintensiv ist, dass er nur aufgehen kann, wenn man den Ausbau der Erneuerbaren Energien bei uns willkürlich stoppt.

mm.de: Die Desertec-Partner sprechen von zehn Milliarden Euro jährlich. Das erscheint vergleichsweise moderat.

Scheer: Die Investitionskosten bei Desertec sind absurd, selbst wenn wir unterstellen, dass die Kalkulation stimmt, die sie zitieren. Der Aufbau der Anlagen und des Transportnetzes ist ein so gigantisches Unterfangen mit so vielen Beteiligten, dass die Kosten kaum planbar sind. Jeder Transitstaat der Transportleitungen wird taktieren, um für sich das Beste herauszuholen, und es wird Widerstände vor Ort geben. Das kostet Zeit und letztlich Geld, weil sich der Return on investment (ROI) immer wieder verzögern wird. Das können Sie bei praktisch jedem Großprojekt beobachten, sei es ein Kernkraftwerk in Finnland, sei es das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 oder der Eurofighter.

mm.de: Der Lohn der Mühe soll besonders günstig zu produzierender Strom sein - was die Sache später wirtschaftlich machen könnte.

Scheer: Die Idee ist ein wenig zu schlicht, um zu funktionieren: Weil in der Wüste besonders viel Sonne scheint, so das Bild dieser Fata Morgana, ließe sich der Strom auch besonders kosteneffizient herstellen. Doch die Leitungsverluste über die große Strecke nach Europa wären immens, die technische wie politische Zuverlässigkeit kritisch. Hinzu kommt, dass die Kraftwerke unter Extrembedingungen betrieben werden müssen, denken Sie nur an Sandstürme. Die Wartungskosten sind nicht mit denen bekannter Anlagen vergleichbar.

mm.de: Politik und Unternehmen sollten sich also gar nicht für Desertec engagieren?

Scheer: Das Engagement für erneuerbare Energien ist elementar wichtig - aber es ist billiger, wenn es jeweils im Verbrauchsland vorangetrieben wird.

mm.de: Hier zu Lande passiert doch schon viel, wie Sie selbst gesagt haben.

Scheer: Aber es könnte viel mehr sein. Es gibt Bundesländer, die schließen mehr als 99 Prozent der Landesfläche für Windanlagen kategorisch und mit fadenscheinigen Begründungen aus, etwa Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Wir könnten schon viel weiter sein. Überlegen Sie sich, was man mit den 400 Milliarden Euro, von denen bei Desertec die Rede ist, alles bewegen könnte. Ein zusätzlicher Prozentpunkt der erneuerbaren Energien am deutschen Strommix erfordert Investitionen von etwa fünf Milliarden Euro. Und in den kommenden Jahren werden die Preise für die Anlagen weiter sinken.

mm.de: Wenn das Projekt wirtschaftlich so widersinnig ist, wie Sie behaupten, wie kann es dann sein, dass gleich mehrere spitz kalkulierende Konzerne darauf einsteigen?

Scheer: Diese Konzerne verfolgen das Ziel, die Strukturen der heutigen Energieversorgung in das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu verlängern. Desertec bedeutet Strom von einem einzelnen Konsortium, das Produktionsanlagen wie Transportleitungen kontrolliert. Es ist ein Weg, auch Solarstrom unter Monopolbedingungen herzustellen. Die Stromerzeugung, wie sie durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert wird, sieht ganz anders aus. Sie ist dezentral und in den Händen vieler kleiner Anbieter. Ihre Strukturen sind mittelständisch. Mittelständische Unternehmen sind innovativer als Großkonzerne, es besteht eine fruchtbare Konkurrenz von vielen flexiblen Firmen, die mit sehr unterschiedlichen Motiven hinter der Sache stehen. So kommt eine starke Dynamik zustande und langfristig bessere Preise als in den Strukturen der alten Monopolisten.

mm.de: Die Desertec-Partner wollen nur ihre Monopole sichern?

Scheer: Ja, sie wollen die bestehenden Strukturen erhalten. Doch die Umstellung auf erneuerbare Energien funktioniert nicht ohne Strukturwandel. Eon und RWE stemmen sich gegen die schöpferische Zerstörung, wie sie Schumpeter beschrieben hat. Aber sie haben dafür schlechte Konzepte.