Drucken

faz.gifIm Gespräch: Hermann Scheer (SPD)
"Zeit für Abbitte bei Ypsilanti"
06. September 2009

Unter einer Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti (SPD) hätte er Wirtschafts- und Umweltminister werden sollen. Im Interview äußerst sich der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer über Versprechen und Wahlergebnisse, alten Streit und neue Wahrheiten.

Vor einem Jahr strebte die hessische SPD mit Andrea Ypsilanti und Ihnen an der Spitze eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Unterstützung der Linkspartei an und bekam dabei heftigen Gegenwind aus der SPD-Zentrale in Berlin. Jetzt haben Parteichef Franz Müntefering und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier nichts mehr gegen rot-rote oder rot-rot-grüne Bündnisse. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Nicht nachvollziehbar war die Position des letzten Jahres. Was jetzt dazu gesagt wird, ist nachvollziehbar und in sich schlüssig. Es ist nun an der Zeit, dass einige Abbitte bei Andrea Ypsilanti leisten.

An wen denken Sie?

Ich nenne jetzt keine Namen, damit ich mir anschließend nicht vorhalten lassen muss, wen ich alles vergessen habe.

Sie selbst haben sich die Einmischung der Bundesparteiführung in die Pläne der hessischen SPD stets verbeten. Hat es inzwischen in der Parteizentrale einen Lernprozess gegeben?


Das, was wir jetzt in Thüringen und im Saarland erleben, ist die Einsicht in den Zwang der Verhältnisse. Man kann sich die Parteikonstellationen eben nicht aussuchen, und wenn man sie verändern will, geht das nur, indem man sich selbst stärkt, und nicht, indem man sich schwächt. Das war das Problem im letzten Jahr: Die SPD hat sich selbst geschwächt. Ein erfolgreicher Regierungswechsel in Hessen hätte der SPD insgesamt Auftrieb gegeben. Es wäre also genau das Gegenteil von dem eingetreten, was viele in der SPD-Führung befürchteten.

Allerdings hatte die hessische SPD-Vorsitzende Ypsilanti vor der Wahl auch versprochen: Nicht mit der Linken!


Das hatte sie, aber sie hatte gleichzeitig auch ein programmatisches Versprechen abgegeben: für einen klar definierten Politikwechsel. Aufgrund des Wahlergebnisses hat sie dann sehr frühzeitig gesagt, dass sie nur eines dieser beiden Versprechen halten könne und dass sie sich in dieser Situation für das programmatische Versprechen entscheide.

Für Sie war dieser Wortbruch kein Problem?

Ich war und bin grundsätzlich der Meinung, dass man Festlegungen vor der Wahl, die einem später im Wege stehen könnten, vermeiden sollte. Andererseits war das, was in Hessen damals als Wortbruch skandalisiert wurde, doch beileibe nichts Neues. Ich erinnere nur an 2005, als vor und nach der Bundestagswahl die SPD ihr Wort gegeben hat, keine große Koalition zu bilden, und dann gab es doch eine. Das wurde nicht skandalisiert, weil sich aus dem Wahlergebnis keine andere Möglichkeit ergab. Die hessische Situation war damit aber durchaus vergleichbar, weil sich die FDP einem Ampel-Bündnis von Anfang an strikt verweigert hat.

Die Kommunisten der Linkspartei wären von SPD und Grünen tatsächlich am kurzen Zügel gehalten worden?

Es war doch offensichtlich, dass sich die programmatischen Aussagen der hessischen Linkspartei zur Landespolitik weitgehend schon zuvor im SPD-Programm fanden. Da war nichts, was die Durchsetzung des SPD-Programms hätte verhindern können.

Sie halten die Linkspartei nicht für grundsätzlich gefährlich oder unkontrollierbar?


Die Linkspartei hat ihre Form noch nicht überall gefunden. Eine mögliche Zusammenarbeit muss deshalb immer vor dem Hintergrund der konkreten Bedingungen geprüft werden. In Hessen waren die Voraussetzungen für eine Kooperation gegeben. Das ist auf SPD-Landesparteitagen im Übrigen auch expressis verbis von jenen SPD-Abgeordneten bestätigt worden, die dann am Tag vor der vorgesehenen Wahl Andrea Ypsilantis zur Ministerpräsidentin abgesprungen sind.

Also keine Tabuisierung der Linkspartei mehr. Ein Bündnis der SPD mit den Linken auf Bundesebene bleibt aber ausgeschlossen?


Dass das für diese Bundestagswahl noch nicht realistisch ist, belegen nicht nur die Aussagen der SPD, sondern auch die Festlegungen der Linkspartei. Für 2009 ist eine links-links-rote Regierung auf Bundesebene praktisch unmöglich.

Angst vor der Rote-Socken-Kampagne der Union?

Das spielt dabei möglicherweise auch eine Rolle. Angst ist aber nie ein guter Ratgeber. Wenn man etwas für richtig hält, muss man es auch offensiv anstreben. Aber das ist im Moment nicht die Situation. In der Tat hat die SPD ein psychologisches Problem im Umgang mit der Linkspartei: Soll man sie akzeptieren oder versuchen, sie überflüssig zu machen? Das führt zu einer Stiefkindbehandlung der Linkspartei, die sich wiederum selbst auch als Stiefkind der SPD fühlt. Einfacher wird der Umgang miteinander dadurch nicht.

War Hessen der letzte ernsthafte Versuch der SPD, die Linkspartei aus Landesparlamenten im Westen herauszuhalten?


Es war ein Versuch, die Linkspartei überflüssig zu machen. Aber was sich bei Wahlen etabliert hat, kann nur durch eine Politik überflüssig gemacht werden, die den Wählern keinen Grund mehr gibt, die Linkspartei zu wählen.

Aus Ihren Erfahrungen in Hessen: Was raten Sie den Sozialdemokraten in Thüringen und im Saarland im Umgang mit der Linkspartei?

Da gebe ich keine Ratschläge. Ich habe damals heftig kritisiert, dass Leute, die die hessischen Verhältnisse nicht kannten, der Landes-SPD permanent und öffentlich Ratschläge erteilt haben. Ich will jetzt nicht den gleichen Fehler machen.

Zwei der vier zu Helden stilisierten SPD-Abweichler, an denen Rot-Grün-Rot in Hessen schließlich gescheitert ist - Carmen Everts und Jürgen Walter -, gelten inzwischen eher als von persönlichen Motiven getriebene Opportunisten und Intriganten. Erfüllt Sie das mit Genugtuung?

Mir war immer klar, dass die Wahrheit über das, was damals innerparteilich geschehen ist, nicht verborgen bleiben würde. Es sind aber noch längst nicht alle Wahrheiten auf dem Tisch, beispielsweise über das, was in Berlin gelaufen ist. Aber auch das kommt irgendwann heraus - unausweichlich.

Das Gespräch führte Ralf Euler.