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sonntag_aktuell.gifInterview erschienen in Sonntag Aktuell                   10. Februar 2008

Lähmende Ruhe nach der Hessenwahl. Derweil jettet der designierte Superminister und Solarpapst Hermann Scheer von Vortrag zu Vortrag. Ein Gespräch über Karrieren, Koalitionen und Energiewechsel.

Herr Scheer, sind Sie froh, nun doch nicht Superminister zu werden?
Halt, nicht so schnell, das ist noch nicht entschieden. Außerdem ist das für mich keine Frage von froh oder unfroh. Keiner hat mich gezwungen, ins Schattenkabinett einzutreten. Ich habe das getan aus politischer Verbundenheit zu Andrea Ypsilanti, aber auch, um das Projekt erneuerbare Energien weiter voranzubringen.

Lobenswert. Eine Umstellung würde es dennoch werden. Der Buchautor Scheer müsste als Minister lernen, in 50 Sekunden sendbare Statements abzugeben.

(Lacht.) Der Buchautor kann auch kurz, knapp, humorvoll oder – wenn’s nötig ist –schmerzhaft antworten.

Jede Partei erträgt so einen Querkopf. Aber normalerweise machen die keine Karriere. Hatten Sie sich damit nicht schon abgefunden?

Was heißt Karriere? Für mich ist ein Ministeramt eine Form politischer Tätigkeit, aber keineswegs die einzige. Ich habe ein gelassenes Verhältnis zu solchen Ämtern und unterscheide zwischen Rolle und Funktion. Funktionen kommen und gehen in einer Demokratie. Rollen erwirbt man sich durch das, was man ist und wofür man steht. Und kein Geringerer als Johannes Rau hat einmal gesagt, ich hätte sehr viel praktisch bewegt, auch wenn ich noch nie ein Staatsamt innegehabt hätte. Nein, ein Ministeramt ist für mich nicht der Inbegriff einer Karriere.

Dennoch ist es etwas anderes, theoretisch Außenseiterpositionen zu vertreten, als in der praktischen Politik Kompromisse machen zu müssen.

Bei Kompromissen kommt es immer darauf an, ob sie lähmen oder ob sie wirklich weiterführen. Ich habe auch bisher schon praktische Politik in der Gesetzgebung und dabei Kompromisse gemacht, wenn sie in der Sache weitergeführt haben. Insofern bin ich ein klassischer Reformist.

Sie haben sich in zehn Büchern mit dem Weltfrieden beschäftigt, mit dem Klimawandel und der Politikerrolle. All das will der klassische Reformist nun umsetzen. Ist das nicht unrealistisch?

Warum? Es gibt zwei Formen von Realismus. Die eine bedeutet, sich in den bestehenden Verhältnissen individuell zurechtzufinden und darin die übliche Karriere zu machen. Die andere stellt sich den realen Herausforderungen. Das ist für mich der wahre Realismus. Diejenigen, die sich heute als Realisten verstehen, aber keine Antwort auf die großen Existenzfragen haben, die mit der Energiefrage nun mal zentral zusammenhängen, die sind in Wahrheit die Illusionisten.

Sie sprechen von Ihrem Parteigenossen Wolfgang Clement, der heute im Aufsichtsrat des Energieunternehmens RWE sitzt?

Auch. Solche Illusionisten bilden sich ein, alles ginge so weiter wie bisher, weil sie sich außer der herkömmlichen Energieversorgung keine andere vorstellen können. Dabei ist das heutige Energiesystem aus ökonomischen, sozialen und ökologischen Gründen limitiert. Ich betrachte mich als den entschieden größeren Realisten, weil ich die Probleme kenne und Lösungswege zeige.

Als Superminister können Sie diese Lösungen ja umsetzen. Dann kann sich die Theorie in der Praxis bewähren.

Davor schrecke ich nicht zurück, weil ich mir sehr sicher bin, wie der Weg aussieht. Und es ist ja nicht so, dass ich bisher nichts umgesetzt hätte. Meine Bücher sind praktische Anleitungen für mich selbst und andere. Ich habe alle erfolgreichen Gesetze, die die erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht haben, mit initiiert und mit gestaltet, auch schon als Bundestagsabgeordneter. Als Minister hätte ich es vor allem einfacher, administrative Hemmnisse abzubauen. Für eine dezentrale Energieversorgung ist es notwendig, die Flächennutzungs- und Regionalpläne zu Energienutzungsplänen zu machen. Und das ist Länderkompetenz.

Und Sie hätten als Minister einen Apparat, der Sie unterstützen kann.

Der ist nur bedingt hilfreich. Beamtenapparate orientieren sich an dem bestehenden Gesetz. Politik jedoch, die weiterführen will, ist die Gestaltung eines neuen Rechtsrahmens. Man muss schon eine Unabhängigkeit vom Apparat haben, sonst wird man ganz schnell zu dessen Marionette. Aber nur, weil ich ein paar Bücher geschrieben habe, bin ich noch lange kein realitätsferner Theoretiker. Sonst wäre ich ja nicht von vielen Parlamenten und Regierungen eingeladen worden, um sie beim Aufbau eines neuen Energiesystems zu beraten. Zum Beispiel von Arnold Schwarzenegger in Kalifornien oder vom japanischen Parlament.

Der Solarpapst als internationaler Energieberater und bald als nationaler Minister?

Ich halte den Wechsel zu erneuerbaren Energien nun einmal für das Zivilisationsprojekt des Jahrhunderts. Oder um es in Abwandlung eines Satzes von Willy Brandt zu sagen: Der Energiewechsel ist nicht alles. Aber alles ist nichts ohne ihn.

Große Pläne. Doch zunächst bewegt sich einmal nichts in Hessen. Es wird ja nicht einmal geredet.

Selbstverständlich wird mit allen geredet werden. Klar ist, dass alle eine Verantwortung haben, dafür zu sorgen, dass es zu einer regierungsfähigen Konstellation kommt. Klar ist auch, dass Herr Koch abgewählt wurde. Die Situation muss sich beruhigen, und die Parteien brauchen eine Besinnungsphase. Darüber hinaus beteilige ich mich nicht an koalitionsarithmetischen Spekulationen. Schließlich bin ich nicht als Parteipolitiker in Andrea Ypsilantis Zukunftsteam gegangen, sondern als jemand, der eines ihrer landespolitischen Schlüsselprojekte verantwortet und im Wahlkampf offensiv vertreten hat. Nämlich den Wechsel zu erneuerbaren Energien. Davon versteh’ ich eben am meisten.

Interview: Susanne Stiefel

www.sonntag-aktuell.de