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Interview mit Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLAR, erschienen in bosch-umwelt.de, September 2007

Der Klimawandel ist nach Ihrer Einschätzung Teil mehrerer energiebedingter Weltkrisen. Welche Bedeutung kommt den Erneuerbaren Energien bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu?

Hermann Scheer: Die erneuerbaren Energien sind die einzige Chance zur Abwendung dieser Krisen: Sie sind klimaneutral, unerschöpflich und vermeiden deshalb kommende Verfügbarkeitskrisen. Sie können heimische Quellen sein und überwinden damit Energieabhängigkeiten. Sie sind nicht waffenfähig wie die Atomtechnik. Und sie schützen die Gesundheit. Energie gilt zu Recht als Lebensader einer Gesellschaft. Aber die nichterneuerbaren Energien wirken wie ein Blutkrebs mit schon vielen Metastasen.Heilung ist durch erneuerbare Energien möglich.

Energieeffizienz und Energiesparen bestimmen erst langsam das allgemeine Energiebewusstsein und wirtschaftliche sowie politische Entscheidungen. Ist angesichts von Klimawandel, begrenzter fossiler Energiequellen und steigender Energiepreise nicht ein grundsätzlicher Wandel des Energiebewusstseins notwendig?

Hermann Scheer:Was mit Energiebewusstsein gemeint ist, muss näher definiert werden. Es geht um einen Paradigmenwechsel in der Energietechnik und -wirtschaft. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien ist einer von kommerziellen zu nichtkommerziellen Primärenergien (mit Ausnahme der Biomasse), von wenigen großen Energieanlagen zu vielen, ein Wechsel zu anderen Infrastrukturen und Umwandlungstechniken. Alle Kosten entfallen auf die Bereitstellung der Technik.Man muss anders kalkulieren und vermiedene Brennstoff-, Infrastruktur-, Umwelt- und Gesundheitskosten mit einbeziehen.

Erneuerbare Energien versprechen, die Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren und geben privaten Haushalten die Möglichkeit, zum eigenen Energieerzeuger zu werden. Was sind die Voraussetzungen und Grenzen Ihres Konzeptes der „Energieautonomie“ und wie könnten diese durch die Politik positiv beeinflusst werden?

Hermann Scheer: Die wichtigste Voraussetzung sind integrierte Konzepte, bei denen jeweils mehrere erneuerbare Energiequellen, Energieeffizienz und Speichermedien mit Informationstechniken verknüpft werden. Der Begriff von „Energieautonomie“, beschrieben in meinem gleichnamigen Buch, ist vielschichtig: Er reicht von privater, lokaler, regionaler, nationaler bis zu unternehmerischer Autonomie - auf der Basis technischer Autonomie wie z.B. im Solarhaus. Dezentralität ist die Techno-Logik der erneuerbaren Energien.

Hersteller von Solartechnologie und von Wärmepumpen erleben zurzeit einen großen Boom. Wie werden die neuen Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien den Energiemarkt verändern?

Hermann Scheer: Sie werden ihn revolutionieren. Die Technikanbieter rücken ins Zentrum und verdrängen die Energieanbieter.

Eine Technologieinitiative der Bundesregierung, an der Bosch beteiligt ist, fördert die Entwicklung sog. Organischer Photovoltaik, mit der die Herstellung von Solarzellen effizienter und die Zahl der Anwendungsgebiete größer werden soll. Welche weiteren Beispiele sehen Sie, die für die Weiterentwicklung und das Vordringen der erneuerbaren Energien in künftige Erzeugnisse wegweisend sein können?

Hermann Scheer: Das Spektrum ist breit und reicht beispielsweise von Konzentratorentechnologien, Speichertechnologien, geräteintegrierter Stromerzeugung in „stand-by“- und „stand-alone“-Techniken sowie dezentralen Energiemanagementsystemen bis zum Auto als Kraftwerk in Stehzeiten.

Bosch begreift es als eine wesentliche Aufgabe, auf ökologische Herausforderungen technologische Antworten zu geben. Wie optimistisch sind Sie, dass die Klimaerwärmung durch einen nachhaltigen Technologiewandel auf maximal 2 Grad Celsius begrenzt werden kann?

Hermann Scheer: Die Hinnahme von zwei Grad Celsius ist ein Horrorszenario. Es bedeutet die Steigerung der jetzigen globalen Erwärmung von 0,7 Grad um das Dreifache. Das heißt: Es muss viel schneller zur Breitenanwendung erneuerbarer Energien kommen. Sie muss so schnell gehen wie die informationstechnologische Revolution seit den 80er Jahren. Auch diese setzte sich gegen die irrige Expertenauffassung durch, die Zukunft der Informationstechnologie liege im Großrechner. Sie liegt auch bei der Energieversorgung nichtmehr im Großkraftwerk.

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