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Interview erschienen in Frankfurter Rundschau, 31. August 2007

Lange galten Sie als Gegner jeglicher Bahnprivatisierung. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich halte die Kapitalprivatisierung der Bahn weiterhin nicht für nötig. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD sieht sie jedoch vor. Zwar fehlt dazu bis heute eine Grundsatzdebatte, auch deshalb gibt es zu Recht viel Kritik. Trotzdem soll der Gesetzentwurf in Kürze in den Bundestag kommen. Diese Realität kann man nicht ignorieren. Wir zeigen, dass es eine bessere Alternative gibt.

Ist die Volksaktie für Sie das kleinere Übel?

Unser Konzept ist ein Kompromiss. Die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti und ich haben es ausgearbeitet und wir haben es bereits vor dem Koalitionsbeschluss zum jetzigen Gesetzentwurf präsentiert. Die Volksaktie ermöglicht die Teilprivatisierung, räumt aber die schwerwiegenden Bedenken aus, die es gegen den bisherigen Entwurf einer nackten Kapitalprivatisierung gibt - und die ich weiterhin uneingeschränkt teile.

Also doch eher eine politische Notlösung?

Im Gegenteil. Die Volksaktie ist kein Verlegenheitsvorschlag, sondern der goldene dritte Weg. Die Bahn soll laut Verfassung dem Gemeinwohl dienen, sie muss flächendeckende und ökologische Verkehrsdienstleistungen in Deutschland sicherstellen. Diese gemeinnützige Kernaufgabe rückt durch die Volksaktie wieder in den Mittelpunkt - und nicht das Renditebestreben anonymer Aktionäre, die womöglich aus dem Ausland kommen. 

Trotzdem hat die Koalition den umstrittenen Gesetzentwurf Ihres Parteikollegen, Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, beschlossen. Wie groß sind die Chancen für Ihr Konzept noch?

Die Diskussion beginnt doch erst richtig, auch in der SPD. Im Gesetzentwurf steht bisher kein Wort über die Art der Teilprivatisierung. Das wurde bewusst offen gelassen. Damit kann das Volksaktienmodell rasch im weiteren parlamentarischen Verfahren eingearbeitet werden.

Fraktionschef Peter Struck und Finanzminister Peer Steinbrück sind gegen die Volksaktie. Wie wollen Sie sich gegen so mächtige innerparteiliche Gegner durchsetzen?

Die Sitzung unseres Parteivorstands hat bewiesen, dass nichts entschieden ist. Sonst hätten wohl kaum 18 der 44 Mitglieder den Antrag eingebracht und durchgesetzt, die Volksaktie Bahn zu prüfen. Darunter sind auch die drei Parteivizevorsitzenden Ute Vogt, Bärbel Dieckmann und Elke Ferner sowie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Allen wäre der völlige Verzicht auf die Privatisierung lieber. Wir verstehen die Volksaktie als Vorschlag zur Güte, auch um den innerparteilichen Frieden wiederherzustellen.

Könnte die Volksaktie den Widerstand in den Ländern gegen das jetzige Modell verringern?

Ich denke schon, denn der gefährliche Renditedruck auf die Bahn wäre beseitigt. Gerade dadurch wird ja der Verkehr in der Fläche bedroht. Der jetzige Entwurf hat zur harten Konfrontation in der SPD und zwischen Bundesrat und Regierung geführt. Schon deshalb ist die Volksaktie ein Gebot des politischen Pragmatismus.

Ist der Begriff Volksaktie für Kleinanleger seit den desaströsen Erfahrungen mit der Telekom nicht eher ein Warnsignal, die Finger davon zu lassen?

Das Telekom-Papier wurde als Volksaktie angepriesen, war aber keine. Sie war frei handelbar, mit Stimmrecht verbunden und große Finanzgruppen waren beteiligt. Das ist keineswegs vergleichbar. Eine Volksaktie, die den Namen verdient, war das nicht. Das wäre bei der DB-Aktie anders. Sie soll eine sichere Geldanlage mit höherer Rendite als ein Sparbuch sein, eher wie eine Bundesanleihe.

Aber jede Aktie birgt Risiken…

Bei der DB ist das Risiko, in ein Konkursunternehmen zu investieren, denkbar gering. Jedenfalls deutlich geringer als bei jedem Privatunternehmen. Denn der Bestand des Konzerns ist schon durch die staatliche Mehrheit und die Garantie im Grundgesetz gesichert.

Bahnchef Mehdorn ist von der Volksaktie wenig begeistert…

Das ist für mich die beste Bestätigung, dass unser dritter Weg der richtige ist. Herr Mehdorn träumt gemeinsam mit internationalen Investoren von Hafenbeteiligungen in Schanghai, von Bahnlinien zwischen Medina und Bagdad und Frachtgeschäften mit Flugzeugen. Er führt die Bahn bereits so, als sei sie schon privatisiert - und vernachlässigt das Kerngeschäft, den umweltfreundlichen Transport auf der Schiene hierzulande.

Interview: Thomas Wüpper

Zur Person

Hermann Scheer ist alternativer Nobelpreisträger und Mitglied des SPD-Parteivorstands. Er plädiert für eine "Volksaktie Bahn". Mit diesem Konzept bliebe die DB mitsamt ihrer Infrastruktur eine "Bürgerbahn". Maximal 49 Prozent der Anteile sollen als Vorzugsaktien an die Bürger ausgegeben werden. Die Stammaktien und die Mehrheit blieben dauerhaft beim Bund.

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