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Interview gesendet in Deutschlandfunk, 23. August 2007

SPD-Politiker Scheer kritisiert Widerstand gegen Energiewende

Moderation: Stefan Heinlein. SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer hält die Vorbehalte in Teilen der Wirtschaft gegen das von der Großen Koalition geplante Klimaschutzpaket für kurzsichtig. "Es ist eine falsche These, dass die Energiewende eine wirtschaftliche Last wäre, sondern sie ist ein riesiger wirtschaftlicher Vorteil für die gesamte Entwicklung der Volkswirtschaft", sagte der Träger des alternativen Nobelpreises.

Stefan Heinlein: Quantensprung oder Luftnummer? Während die Koalition sich also gestern bereits nach Kräften bemühte, das Klimapaket als Erfolg zu feiern, ist die Opposition skeptisch. Auch die Umweltverbände machen geschlossen Front gegen die Beschlüsse. Sie erwarten deutlich mehr von der Bundesregierung.

Am Telefon begrüße ich jetzt das SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer. Er ist Träger des alternativen Nobelpreises. Guten Tag Herr Scheer!

Hermann Scheer: Guten Tag!

Heinlein: Sind Sie stolz auf Ihren Genossen Gabriel?

Scheer: Das Papier, das jetzt verabschiedet wird, ist mit Sicherheit nicht das letzte Wort. Das kann es auch gar nicht sein, weil es extrem unwahrscheinlich und irreal wäre zu denken, dass im Jahr 2007 oder 2008 Entscheidungen fallen, denen keine weiteren hinzukommen, die dann bis ins Jahr 2020 alleine reichen sollen. Insofern ist das eine Zwischenetappe, in dem natürlich sehr viele Kompromisspositionen drinstehen, was ja bei einer Koalition, wo es sehr unterschiedliche Positionen in manchen Punkten gibt, fast zwangsläufig ist.

Heinlein: Dennoch, Herr Scheer, wenn Sie jetzt dieses Papier, die bekannten Punkte durchlesen, können Sie das sagen, kann man das sagen, dass Gabriel sich in allen wichtigen Punkten gegenüber seinen Kabinettskollegen durchgesetzt hat?

Scheer: Ich glaube ja, dass die These, dass das Ziel nicht erreichbar sei mit den angegebenen Instrumenten, dass diese These nicht zwingend stimmen muss. Denn es sind, um nur ein Beispiel zu nennen, vorgesehen 25 Prozent Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2020 auf der Basis des bestehenden Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Meine Einschätzung ist, dass, wenn dieses Gesetz weiterläuft - und das ist ja vorgesehen -, dann alleine mit diesem Gesetz, mit diesem Instrument bis zum Jahr 2020 schon deutlich mehr Anteile erneuerbarer Energien erreicht werden könnten, als gegenwärtig geschätzt wird. Ich glaube hier wird die Entwicklung eher unterschätzt.

Dann gibt es natürlich eine Reihe von Punkten, die noch sehr diskussionsbedürftig sind. Und ich glaube auch nicht, dass sie im parlamentarischen Verfahren da, wo sie noch unkonkret sind oder unbefriedigend sind, einfach so bestehen werden. Ich nehme zum Beispiel die Frage der Biogaseinspeisung. Die soll nun auf den Weg gebracht werden. Das ist ein sehr wichtiges Potenzial, ein sehr großes Potenzial, auch wenn man daran denkt, welche riesigen Mengen an organischen Abfällen es gibt in Deutschland, die alle zu Biogas umgewandelt werden könnten und sollten. Das sind 20 Milliarden Kubikmeter im Jahr, die, wenn man sie über den Biogasweg anschließend verstromt, 100 Milliarden Kilowattstunden Strom ergeben können.

Heinlein: Also Herr Scheer, vieles fehlt auch Ihnen in diesem Klimapaket. Also hat die Opposition, haben die Umweltverbände Recht mit ihrer Kritik, das Ganze sei eine Luftnummer, ein windelweiches Kompromisspapier zwischen Umwelt- und Wirtschaftsinteressen? Und dieser Streit zwischen Glos und Gabriel hat ja - wir haben es gerade gehört - schon wieder begonnen.

Scheer: Dieser Streit ist ja da. Das soll man auch nicht verleugnen. Das haben ja auch die vorherigen Statements in Ihrer Sendung schon gezeigt. Es gibt aber natürlich immer noch das Parlament. Im Parlament, auch in den beiden Koalitionsfraktionen, wird es mit Sicherheit einen Konkretisierungsbedarf geben. Etwa wenn es um die Biogaseinspeisung geht, den Punkt, den ich vorher angesprochen hatte, wird es nicht ausreichen, sich nur am Markt zu orientieren, sondern es wird notwendig sein, sich an der Wirtschaftlichkeit der Biogasanlagen zu orientieren, damit sie ins Spiel kommen können gegenüber den Monopolangeboten bei den Erdgaslieferungen. Wenn es um den Wärmebereich geht, dann gibt es natürlich hier viel zu viele Ausnahmen. Auch hier kann und muss die Entwicklung weitergetrieben werden, gerade gemessen an dem 40-Prozent-Ziel. Dieses ist die Überschrift unter dem ganzen Paket. Und ich denke, dass die Schritte tatsächlich möglich sind, dieses 40-Prozent-Ziel nicht nur zu erreichen, sondern sogar zu übertreffen. Es ist ein laufender Prozess, wo es noch sehr viele strukturkonservative Vorbehalte gibt, die sich dann auch niederschlagen in den verschiedenen Positionen. Diese strukturkonservativen Vorbehalte, die vor allem aus der Wirtschaft, wie es heißt, kommen, sind größtenteils schlicht und einfach nicht tragfähig.

Heinlein: Die Lobby der Wirtschaftsverbände, der Autobauer, blickt man auf das Dienstwagenprivileg oder Tempolimit, hat durchaus eine Rolle gespielt? Diese wichtigen Details kommen nicht vor im Klimaschutzpaket. Und Sie versuchen, mit Hilfe Ihrer Fraktion Druck zu machen, damit sich dies noch ändert.

Scheer: Ja, zumal wir müssen ja uns trennen von dem Begriff der Wirtschaft, denn es gibt nicht das eine Interesse der Wirtschaft. Große Teile der Wirtschaft und gerade für die Zukunft der Wirtschaft wesentliche Teile im Bereich der Technologieproduktion haben ein zwingendes Interesse und können nur Vorteile haben, wenn man in diesen Fragen noch konsequenter vorangeht, als es bisher geschehen ist, weil: Die Technikproduktion für Energieeffizienzmaßnahmen und für Anlagen erneuerbarer Energien schafft neue Industriezweige, oder sie führt bei in dieser Frage schon vorhandenen Industriezweigen zu erheblichen Wachstumsraten. Es geht dann aber immer zu Lasten der Energiewirtschaft.

Heinlein: Geht es auch zu Lasten der Verbraucher, wenn alle diese Maßnahmen umgesetzt werden? Wird Energie künftig teuerer? Muss die Bundesregierung dies auch ganz offen und ehrlich zugeben?

Scheer: Nein. Ich glaube, das ist ein falscher Blickwinkel, weil das immer von der Wirtschaft, von einigen Teilen der Wirtschaft behauptet wird. Aber der eigentliche Blickwinkel muss im Grunde genommen sein, dass man erkennt, dass das Einsparen, das Vermeiden herkömmlichen Energieverbrauchs, der kommerziellen Energien Erdgas, Erdöl, Kohle, Uran, hier sind die großen Kostensteigerungen weltweit festzustellen, weil wir uns ja der Erschöpfungsgrenze dieser Potenziale nähern. Das heißt, es wird immer teuerer werden. Und die Umweltfolgeschäden schlagen ja auch irgendwo zu Buche und müssen irgendwie bezahlt werden, wenn nicht über die Energiepreise, dann über das Abarbeiten der sozialen Folgeschäden. Wenn wir jetzt durch neue Technologien die Energie einsparen helfen und die erneuerbaren Energien in der Breite einführen, wenn wir dieses machen, dann wird unglaublich viel an Energie eingespart, die wie gesagt immer teurer wird. Das heißt, ich denke, es ist eine falsche These, dass die Energiewende eine wirtschaftliche Last wäre, sondern sie ist ein riesiger wirtschaftlicher Vorteil für die gesamte Entwicklung der Volkswirtschaft.

Heinlein: SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Herr Scheer, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

Scheer: Vielen Dank.

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