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Interview erschienen in Energie & Management, 15. Mai 2007


Die Kohle-Renaissance bei den neuen Kraftwerken lehnt SPD-Energieexperte Dr. Hermann Scheer rundweg ab. Stattdessen plädiert er für einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) – ein Kurs, für den Scheer, wie er sagt, in seiner Partei zunehmend Unterstützung findet.

E&M: Herr Dr. Scheer, wie viele von den 40 bis 45 Kohlekraftwerken, die derzeit in der Diskussion sind, werden nach Ihrer Einschätzung bis zum Jahr 2020 gebaut?

Scheer: Wir brauchen keines dieser Kondensationskraftwerke. Bereits im Jahr 2040 ist im Stromsektor eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich. Wenn es wirklich noch neue fossile Kraftwerke geben sollte, dann dürfen diese Neubauten nur noch als dezentrale Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen laufen.

E&M: In Ihrer Partei gibt es eine Menge Stimmen, die in den Kohlekraftwerken eine Brücke zu den erneuerbaren Energien sehen. Noch seien die grünen Energien nicht so weit, um eine Stromversorgung sicherzustellen. Was halten Sie von einer solchen Brücke?

Scheer: Das Brücken-Argument scheint vordergründig einzuleuchten. Aber: Der Zeitfaktor spricht eindeutig für einen konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung. Der Bau von Großkraftwerken dauert wesentlich länger, bindet Kapital und beschränkt die Ausbaupotenziale der erneuerbaren Energien.

E&M: Zurück zu den geplanten Kohlekraftwerken. So viele Anlagen können doch gar nicht gebaut werden, da es nicht die entsprechenden Mengen an kostenlosen Emissionszertifikaten gibt. Kein Stromerzeuger wird ein neues Kraftwerk bauen, wenn er für sie Zertifikate zukaufen muss.

Scheer: Die 40 bis 45 Kohlekraftwerke werden auf keinen Fall gebaut, davon gehe ich auch aus. Dass es aber über den Emissionshandel möglich sein wird, sozusagen über den Durst hinaus, mehr Kohlekraftwerke zu bauen, ergibt sich einfach aus dem System des Kioto-Protokolls. Und zwar dann, wenn man die nationale Ebene verlässt und an die Joint-Implementation-Möglichkeiten denkt, die erst in der Handelsperiode zwischen 2008 bis 2012 möglich sind. Sowohl Russland als auch die Ukraine haben riesige Mengen an CO2-Rechten, die sie mit Sicherheit selbst nicht brauchen. Das heißt, hier bieten sich hierzulande Schlupflöcher an, wenn sich die Betreiber billig mit Verschmutzungsrechten aus dem Osten eindecken.

E&M: Sind Sie mit Ihrer Anti-Kohlekraftwerkshaltung Einzelkämpfer in der SPD? Mit Sigmar Gabriel haben Sie einen Bundesumweltminister aus den eigenen Reihen, der sich für einen Restlaufbergbau stark gemacht hat, der offen sowohl für effizientere Kohlekraftwerke als auch für CO2-arme Kraftwerke eintritt.

Scheer: Ich habe gegenüber Gabriel mehrmals meine Positionen geäußert. Er schätzt das Ausbaupotenzial geringer ein und verweist dabei auf die Planungswiderstände in einigen Bundesländern. Zu glauben, dass meine Position innerhalb der SPD keine Resonanz findet, ist ein Irrtum. In immer mehr SPD-Landesverbänden, aber auch in der Bundestagsfraktion finde ich Unterstützung. Beispielsweise habe ich für den SPD-Landesverband Hessen mit Blick auf die nächste Landtagswahl ein Papier für ein atomfreies Hessen erarbeitet. Kernaussage ist, dass der Atomausstieg dort ohne den Ersatzbedarf neuer fossiler Kraftwerke möglich ist. In Hessen lässt sich der Ersatzbedarf für die beiden dortigen Atommeiler schon im Jahr 2013 allein durch erneuerbare Energien decken – und zwar mit landespolitischen Maßnahmen und unter der Voraussetzung, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter in Kraft bleibt.

E&M: Auf ähnlichen Berechnungen basiert auch Ihr Memorandum „Jenseits von Kohle und Atom”. Darin prognostizieren Sie, dass innerhalb von fünfzehn Jahren die Stromerzeugung zu sechzig bis achtzig Prozent auf erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung basieren kann. Ist diese Zahl nicht deutlich zu hoch gegriffen?

Scheer: Überhaupt nicht. Es ist wichtig, alle Akteure darauf einzustimmen, dass dieser Anteil technisch ohne weiteres machbar ist. Dafür müssen wir aber schnell die administrativen Planungswiderstände abbauen, die es in vielen Bundesländern insbesondere gegen die Windkraft und KWK-Kraftwerke gibt. Dass vielerorts und auch in meiner Partei nichts gegen solche Widerstände unternommen wird, entschuldigen viele mit dem Hinweis auf die Clean-Coal-Technologie. Diese Strategie baut auf einer Technologie auf, die es noch gar nicht gibt. Das ist absurd. Alle Rechnungen, die ich bislang kenne, besagen, dass der Kohlestrom mit Abscheidung plus Speicherung teurer ist als der Strom aus erneuerbaren Energien.

E&M: Warum macht sich Gabriel dennoch unvermindert stark für Clean Coal?

Scheer: Vielleicht denkt er, dass das der politische Kompromiss ist, der mit der Energiewirtschaft geschlossen werden muss, um weiter am Atomausstieg festzuhalten. Dieser Kompromiss, so ist meine Überzeugung, muss nicht geschlossen werden.

E&M: Alfred Tacke, Chef des Steinkohle-Kraftwerksbetreibers Steag und ein Freund Sigmar Gabriels, hat sich mittlerweile mehrmals kritisch gegen die Clean-Coal-Technologie ausgesprochen. Bleibt das in der SPD ohne Widerhall?

Scheer: Ich bin froh um diese diesbezüglichen deutlichen Worte von Alfred Tacke, das ehrt ihn. Allerdings sind seine Worte auch in meiner Partei nicht gerne gehört. Sie bedeuten in der Konsequenz ein entschiedeneres Eintreten für den Ausbau erneuerbarer Energien.

E&M: Auf Ihr Memorandum gab es kaum Reaktionen aus den Umweltschutzverbänden und den Organisationen erneuerbarer Energien. Wie erklären Sie sich das?

Scheer: Die meisten dieser Verbände schätzen die strategische Frage des anstehenden Baus von fossilen Großkraftwerken nicht richtig ein. Wenn diese Vorhaben durchkommen, wird es im nächsten Schritt zu einer Deckelung bei den erneuerbaren Energien kommen. Wenn der Mythos der Unverzichtbarkeit von Großkraftwerken gepflegt wird, dann muss sich niemand darüber wundern, dass die Betreiber ihre neuen Blöcke über den Zeitraum von vierzig Jahren trefflich ausnutzen wollen. Das bremst die Dynamik beim Ausbau erneuerbarer Energien. Der Druck auf die Verlangsamung des Ausbaus erneuerbarer Energien wird dann zunehmen. Da haben anscheinend einige zu wenig Phantasie, um diese Gefahr zu erkennen.

E&M: Die ersten der neuen fossilen Kraftwerke sind bereits in Bau. Ist es nicht illusorisch zu sagen, dass der große Rest verhindert werden kann?

Scheer: Wir müssen bei der Erzeugungsstruktur einen Schnitt machen. Neue fossile Großkraftanlagen dürfen nur noch genehmigt werden, wenn es eine Kraft-Wärme-Kopplung in vollem Umfang gibt. Solche KWK-Anlagen lassen sich durch leichte technische Umrüstungen später auf Biomasse umstellen. Deshalb werden mit KWK-Anlagen keine Strukturentscheidungen bei der Wahl des Brennstoffes auf Jahrzehnte hinaus getroffen. Und dass ein solcher Weg möglich ist, hat Dänemark bereits 1992 gezeigt. Seitdem sind dort fossile Kraftwerke nur noch mit Wärmeauskopplung möglich, was auch den europaweiten Spitzenwert von rund 50 Prozent KWK-Strom erklärt. Niemand wird RWE, Vattenfall und E.ON daran hindern, dass sie statt einiger Großkraftwerke viele KWK-Anlagen bauen.

E&M: Können Sie für einen solchen Kurs in der SPD eine Mehrheit gewinnen?

Scheer: Ich habe mich mehrmals innerhalb der SPD mit meinen energiepolitischen Vorstellungen durchgesetzt – wenn auch nicht immer sofort.

Interview: Ralf Köpke

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