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Interview erschienen in Junge Welt, 21. April 2007


Auch unter Bundestagsabgeordneten wächst die Zahl der Gegner eines Börsengangs der DB AG. Ein Gespräch mit Hermann Scheer. Von Rolf-Henning Hintze. Hermann Scheer (SPD) ist Mitglied des deutschen Bundestages und Umweltexperte seiner Partei. Die große Koalition scheint fest entschlossen, die Deutsche Bahn AG an die Börse zu bringen. Welches Argument spricht aus Ihrer Sicht am stärksten gegen den Börsengang?

Daß es den Bahnkunden nichts bringt. Wir wissen, daß Bahnchef Mehdorn mit dem Geld aus dem Verkauf die Expansion der DB AG ins europäische Ausland vorantreiben will. Man hört, er wolle Stadtverkehre und Staatsbahnen aufkaufen. Davon haben die Bahnfahrer hierzulande herzlich wenig. Auch sonst wird es zurück anstatt vorwärts gehen. Schon heute kann man besichtigen, wie sich die Ausrichtung der Bahn auf die Kapitalmarktinteressen auswirkt: 5000 Kilometer Schienenstrecken wurden stillgelegt, 400 Bahnhöfe geschlossen und der InterRegio abgeschafft.

Auch dem Bundeshaushalt wird es übrigens nichts bringen, wenn die Bahn verkauft wird. Es gibt seit kurzem eine Einschätzung der Commerzbank, die besagt, der Bund könnte höchstens 3,1 Milliarden einnehmen. Diesem einmaligen Erlös stehen Zuschüsse des Bundes an die Bahn von jährlich bis zu 2,5 Milliarden Euro alleine für den Netzerhalt gegenüber.

Sie haben die Ansicht vertreten, falls es zum Börsen­gang zu den jetzigen Konditionen käme, würde der Staat Milliardenwerte verschenken. Wieso?

Selbst wenn man sehr zurückhaltend schätzt, muß man davon ausgehen, daß die Bahn einen Wert von mindestens 100 Milliarden Euro repräsentiert. Um sie kapitalmarktfähig zu machen, wurde sie aber systematisch billiggerechnet. So wurden beispielsweise Baukosten­zuschüsse des Bundes in Höhe von 38 Milliarden Euro einfach nicht bilanziert. Diese riesigen Werte sollen dann für einen einstelligen Milliardenbetrag über den Tisch gehen und Private zu knapp der Hälfte an der Bahn beteiligen. Ich halte so etwas für eine Verschleuderung von Volksvermögen.

Bahnchef Mehdorn und Verkehrsminister Tiefensee befürworten jetzt ein »Eigentumssicherungsmodell« für die Infrastruktur der Bahn. Das klingt erst einmal beruhigend, aber Kritiker zum Beispiel vom Bündnis »Bahn für alle« wenden ein, damit solle der Öffentlichkeit Sand in die Augen gestreut werden. Was ist Ihre Meinung?

Ich halte das Eigentumssicherungsmodell für gar nicht umsetzbar. Es ist bezeichnend, daß es innerhalb der Regierung große Probleme mit diesem Gesetzentwurf gibt. Das Innenministerium meint beispielsweise, daß dieses Modell überhaupt nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Was ist da geplant? Der Bund bleibt auf dem Papier Eigentümer der Schienen und Bahnhöfe sowie der Strom­versorgung, das nennt sich dann Eigentumssicherung. Bilanziert und betrieben wird aber alles von der privatisierten Bahn. Das Verrückte: Möchte der Bund, der ja angeblich noch Eigentümer ist, diese Infrastruktur zurück, muß er sie der DB AG und ihren privaten Anteilseignern zu einem heute noch unbekannten Betrag abkaufen.

In der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, daß die Deutsche Bahn AG unter der Führung Mehdorns zum weltweit zweitgrößten Luft­frachtunternehmen aufgestiegen ist. Welcher Sinn liegt darin, daß eine Bahn, die dem umweltfreundlichen Schienenverkehr verpflichtet ist, gleichzeitig eine führende Rolle im besonders umweltschädlichen Luft­verkehr spielt?

Das Hauptproblem ist, daß die Luftfahrt keine Steuer auf das verbrauchte Kerosin bezahlt. Damit wird diesem umweltschädlichsten aller Verkehrsträger auch noch Vorschub geleistet. Aber das ist eine Frage, die mit der Bahn nichts zu tun hat. Sehr wohl mit der Bahn hat allerdings der betriebswirtschaftliche Aspekt zu tun. Das Unternehmen ist nämlich durch Firmenaufkäufe zu einer so großen Nummer im Luftfrachtgewerbe aufgestiegen. Die wiederum wurden größtenteils über Schulden finanziert. So konnte es kommen, daß die Bahn, die 1994 vom Bund vollkommen entschuldet wurde, heute wieder mit fast 20 Milliarden in der Kreide steht.

Sie haben in einem »Memorandum gegen die geplante Bahn­privatisierung« den Verkauf der Deutschen Bahn »verkehrspolitisch zweckfremd« genannt. Aber halten Sie den Börsengang tatsächlich noch für aufhaltbar?

Ja, das Unbehagen unter den Bundestagsabgeordneten ist mit Händen zu greifen. Diejenigen, die den Verkauf öffentlich noch befürworten, werden immer weniger anstatt mehr. Außerdem steigt das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit an dem Thema. Das ist gut: Denn je mehr sich die Bürger damit beschäftigen, umso deutlicher werden sie den Unsinn dieses Vorhabens erkennen und sich dagegen aussprechen. Das wird dann wiederum Rückwirkungen auf die Abgeordneten haben. Die Bahn ist etwas Besonderes, die gibt man nicht so leicht weg. Darauf setze ich.

Memorandum "Die Bahn: Zukunftsinvestment aller Bürger"

www.deinebahn.de