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 Interview erschienen in Frankfurter Rundschau, 13. Januar 2007

Der SPD-Politiker Hermann Scheer über Wege der Stromerzeugung, Standorte für Windräder und die Finanzierung der Anlagen. Herr Scheer, Sie versprechen viel. Hessen soll den Strom, der bisher in Biblis produziert wird, bis 2012 vollständig durch erneuerbare Energien ersetzen. Nehmen Sie den Mund nicht zu voll?

Hermann Scheer: Dass es geht, ist praktisch nachgewiesen. Wir stützen uns auf Erfahrungen.

Ministerpräsident Roland Koch sagt, kein vernünftiger Mensch könne so viele Windräder nebeneinander bauen. Sind Sie ein vernünftiger Mensch?

Ja. Unvernünftig ist Herr Koch, der den Atomausstieg zurückdrehen will.

Koch sagt, Sie wollten 1700 Windräder in Hessen bauen.

Falsch. Es geht nicht nur um Windräder. Richtig ist, dass wir in einer Modellrechnung 1700 Produktionsmodule von erneuerbaren Energien vorsehen. Dafür schlagen wir 600 Windräder der Fünf-Megawatt-Klasse vor, außerdem Sonnenenergie, Wasserkraft, Biogas-Blockheizkraftwerke. Wir haben eine Beispielrechnung gemacht, die bei der heutigen Produktionsleistung der beiden Biblis-Reaktoren ansetzt…

…wenn sie laufen würden…

…genau, bei in Betrieb befindlichen Reaktoren. Das sind 17 Milliarden Kilowattstunden Stromerzeugung im Jahr. Das würde bedeuten, dass 1700 Produktionsmodule à 10 Millionen Kilowattstunden gebraucht würden. Sie sollen breit gestreut werden übers ganze Land, damit die Regionen profitieren durch Beschäftigung und Gewerbesteuern, neben allen Umweltvorteilen.

Die Aufregung dreht sich vor allem um Windräder. Ist es zumutbar, alle zehn Kilometer an der Autobahn und zusätzlich in jedem Landkreis 15 Windräder zu bauen?

Es gibt Bundesländer, die deutlich mehr Windräder haben, ohne dass jemand den Eindruck hätte, sie seien vollgepflastert. Und zwar nicht nur an der Küste, sondern im Binnenland: Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen. In Nordrhein-Westfalen stehen mehr als 2000. Kein Mensch hat den Eindruck, da wäre alles zugepflastert.

Die meisten Investitionen würde nicht das Land vornehmen. Stadtwerke, Unternehmen und Privatleute müssten das machen. Kann Landespolitik Versprechen einhalten, wenn andere sie umsetzen müssen?

Das kann man deshalb einhalten, weil es nicht die geringsten Probleme gibt, solche Investitionen zu finanzieren. Wir haben eine hohe Investitionssicherheit auf der Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Es gibt keinen Mangel an Finanzierungsmöglichkeit und keinen Mangel an Investoreninteresse. Es gibt einen Mangel an Standorten wegen administrativer Planungshindernisse. Die kann man nur auf der Landesebene beseitigen.

Was wollen Sie beseitigen?

Die hessische Landesregierung will nur in ganz, ganz wenigen Gebieten die Windkraftnutzung zulassen. Wir brauchen aber eine breite Streuung, damit die Kommunen entscheiden können, ob sie profitieren wollen. Hier ist Landespolitik gefragt.

Die EU-Kommission hat darauf hingewiesen, dass alternative Energien nach wie vor teurer produziert werden als Atomkraft oder konventionelle Träger. Übernimmt sich Hessen finanziell mit so einem Projekt?

Der Landeshaushalt würde damit nicht belastet. Die Finanzierung der Anlagen erneuerbarer Energien kommt durch alle Stromverbraucher.

Das heißt, der Strom wird teurer.

Ja. Aber es ist unter allen Faktoren, die sich im Strompreis niederschlagen, der kleinste. Derzeit sind das 15 Euro pro Haushalt im Jahr. Das ist ein geringerer Betrag als die auch im Strompreis enthaltenen Kosten für die atomare Entsorgung. Selbst wenn das ansteigt, wäre es immer noch der geringste Anteil. Dagegen gibt es überhaupt keinen Protest, weil die Leute wissen, dass damit eine ganz entscheidende Zukunftsfrage gelöst wird. Niemand kann so tun, als wären Windkraft und die anderen erneuerbaren Energien unpopulär, aber die Atomkraft populär. Das Gegenteil ist der Fall. Wer die Alternative verweigert, hilft die Atomenergie zu verlängern.

Verbreitet sind Sorgen, dass Windräder die Landschaft verschandeln könnten.

Eine Kampagne soll das suggerieren. Umgekehrt gilt: Wenn Großkraftwerke abgelöst werden durch dezentrale Erzeugung von Energie, gewinnt die Landschaft. Wir haben in Hessen 30 000 Hochspannungsmasten. Allein in der Rheinaue, von Biblis nach Süden, haben Sie einen Wald davon. Mehrere tausend Hochspannungsmasten werden wegfallen - jedenfalls viel mehr, als an Windrädern neu gebaut werden.

Braucht die Umstellung auf erneuerbare Energie nicht viel Zeit?

Der Zeitfaktor spricht eklatant für erneuerbare Energien. Ein Großkraftwerk ist in fünf bis 15 Jahren errichtet. Eine Windanlage ist in einer Woche installiert.

Wenn es in Hessen klappen würde, wäre das Modell auf andere Bundesländer übertragbar?

Unser Papier hat großes Interesse auch in anderen Bundesländern gefunden, weil es herausarbeitet, welche landespolitischen Gestaltungsspielräume es gibt. Wenn es die bürokratischen Hemmnisse nicht gäbe, wie sie Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und neuerdings Nordrhein-Westfalen haben, dann hätten wir nicht 20 000 Megawatt eingeführter Windkraft in Deutschland, sondern schon über 30 000. Das kann sehr schnell gehen.

Interview: Pitt von Bebenburg

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